Für das Geben – Eine feministische
Kritik des Austausches
Für das Geben – Eine feministische Kritik des Austausches
von Genevieve Vaughan
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Ich widme dieses Buch der Erde, welche Mutter, Tochter, Freundin und Geliebte ist, damit alle Menschen einen Weg finden werden, sowohl sie als auch einander mehr zu lieben.
Ich widme dieses Buch weiters der ägyptischen Göttin Sachmet, die das antike Bild der weiblichen Kraft ist und uns helfen kann, die Wege der Mütterlichkeit zu beschützen und frei von Abhängigkeiten und falschen Vorstellungen eine bessere Gesellschaft zu schaffen.
Vorwort von Robin Morgan
Das Buch, das ihr in euren Händen haltet, ist ein Geschenk – von einer Autorin an ihre LeserInnen und von einer Frau an die Frauenbewegung (und an Männer mit entsprechendem Bewusstsein).
In einem gewissen Sinne trifft dies wohl auf jedes Werk authentischer feministischer Theorie zu. Doch was Genevieve Vaughan uns geschenkt hat, ist etwas Einzigartiges – eine Arbeit, die genauso emotional leidenschaftlich ist wie analytisch durchdacht, eine, in der genaueste Forschung und Gelehrsamkeit sich mit den feinsten Empfindungen des menschlichen Herzens verbindet, anstatt zu diesen in Gegensatz zu stehen.
Eine so kompromisslose Demonstration des Sowohl-als-auch – sowohl den Intellekt herauszufordern als auch die Seele zu wärmen – ist nicht leicht in einer Welt des Entweder-oder. Alleine schon der Versuch verlangt eine selbstbewusste Kühnheit. Gen Vaughan betont richtigerweise, dass Feministinnen heute wagen, „jedes akademische System verdächtig“ zu finden – sie selbst geht darüber jedoch noch hinaus und hält uns dazu an, unsere „Naivität“ wieder zu finden; zu wagen, alles in Frage zu stellen. Doch macht keine Fehler! Unter Naivität versteht sie nicht Sentimentalität oder verblendete Romantik – auch wenn sie auf erfrischende Weise den Altruismus wiederbelebt und ihm Raum verschafft. Ihre „naiven“ Theorien sind enorm differenziert im besten Sinne des Wortes: intelligent, ethisch, pragmatisch, interkulturell und ebenso relevant für persönliche Beziehungen wie für globale Politik. Mit anderen Worten, Gen Vaughans Theorien regen zu effektiver Veränderung an.
Verschiedene LeserInnen werden hier verschiedene Geschenke finden. SemiotikerInnen, LinguistInnen, ÖkonomInnen und PolitikwissenschaftlerInnen werden auf radikale feministische intellektuelle Herausforderungen treffen, zu denen es in ihren elitären Disziplinen selten kommt. Gleichzeitig ist es nicht notwendig, etwas über Semiotik oder andere akademische Disziplinen zu wissen, um dieses Buch lesen und von ihm bereichert werden zu können.
AktivistInnen werden eine zugängliche politische Analyse finden, die auf das Geld ebenso anwendbar ist wie auf die Maskulisierung, Anorexie, Aufrüstung oder Architektur – eine Theorie mit Implikationen für geschlossene und kosmische Systeme.
Männliche Leser werden eine Theorie finden, die Männern nicht auf simplifizierende Weise die Schuld zuschiebt, die allerdings auch nicht davor zurückschreckt, das Patriarchat zu entblößen und auf individuelle moralische Verantwortlichkeit wie auf systematische Veränderung zu bestehen.
Allgemein gesagt, werden LeserInnen, die Lust an intellektueller Auseinandersetzung anstatt pedantischer Marotten oder wichtigtuerischer Klischees haben, in diesen Seiten ein Denken finden, dass viele populäre Konzepte mit spielerischer Leichtigkeit ins Wanken bringt, etwa jene der Dekonstruktion, der Postmoderne, der Philanthropie oder der co-dependency (um nur einige zu nennen).
Ich, eine sprachverliebte Poetin, finde enorme Freude in Gen Vaughans Witz und Wortspiel (das vor allem Mary-Daly-LiebhaberInnen erfreuen sollte). Es finden sich auf diesen Seiten Konstruktionen – „erzwungene Reziprozität“ (constrained reciprocity) zum Beispiel –, von denen ich mir sicher bin, dass sie in unserem Sprachgebrauch bald so selbstverständlich sein werden wie „Reproduktionsrechte“, „Date Rape“ oder die denkwürdige „Zwangsheterosexualität“ Adrienne Richs. Als Feministin bin ich von den Momenten der Bewusstwerdung, zu denen es beim Lesen dieses Buches kommt, begeistert – es sind so viele, dass sich selbst noch in den Fußnoten besondere Feinheiten finden lassen. Als Internationalistin bin ich vor allem für Vaughans interkulturelle Sensibilität dankbar, die sich im Heranziehen von Beispielen aus der ganzen Welt ausdrückt. Als Autorin genieße ich ihre kreativen Bezugnahmen auf Märchen, Mythen, Archetypen und Stereotypen. Als politische Theoretikerin bewundere ich ihren Mut im Zurückfordern von Werten, die von der politischen Rechten vereinnahmt worden sind. Als Frau, die sich für Metaphysik interessiert, bin ich fasziniert von den Implikationen des Schenkprinzips: angefangen bei den Vergleichen mit Ergebnissen der Gehirnforschung bis hin zur Präsentation alternativer Existenzmöglichkeiten. Und als politische Aktivistin schätze und bewundere ich den Weg, in dem Gen Vaughans Leben ein Beispiel ihrer Theorie in der Praxis ist; tatsächlich war sie viele Jahre lang so mit dem Unterstützen feministischer Projekte auf der ganzen Welt beschäftigt, dass es schwierig war, sie dazu zu bringen, sich lange genug hinzusetzen, um dieses Buch fertig zu schreiben.
Nunmehr kann ihr Werk jedoch sein Publikum finden und ich hoffe, dass es ein großes sein wird. Denn dieses Buch wird euch nicht nur zum Denken bringen, sondern es wird euch Hoffnung geben; es wird euch an eure Fähigkeit erinnern, die Verhältnisse ändern zu können. Und dies wird euch auf eine ganz bestimmte Weise glücklich machen – selbst inmitten des so gierigen, tödlich ausbeuterischen Geists des Patriarchats. Dieses Buch bietet einen Dritten Weg an, in seiner Ablehnung des gegenwärtigen Denkens, das nur in unhaltbaren Dichotomien denkt – zum Beispiel, Selbstzentriertheit gegen Selbstlosigkeit. Dieser Dritte Weg wird euch einen Sinn eurer Macht geben – nicht Macht über, sondern Macht zu. Wenn ihr je eine Mutter wart, werdet ihr diese Macht wieder erkennen: es ist die Macht des Schenkens, ob es sich um die Geburt handelt, um Fürsorge, Zeit, Pflege oder Aufmerksamkeit. Und wenn ihr je verliebt wart, werdet ihr diese Macht ebenso wieder erkennen: als die Macht der Leichtigkeit, des Überflusses, des vollendeten Glücks, der Worte Juliets: „Je mehr ich dir gebe, desto mehr habe ich, da beides ohne Ende ist“, des Feierns der Wunderbarkeit, die wir täglich erfahren.
Wie auch immer ihr auf dieses Buch zugehen werdet, es wird euch den Weg zu einem weiseren Selbst – und einer weiseren Gesellschaft – zeigen. Ob wir wirklich dorthin gelangen werden, hängt von uns allen ab. Dieses Buch hilft, die Karte für unsere Reise zu zeichnen; dieses Buch hilft, diese große Aufgabe zu bewältigen.
Ein wirkliches Geschenk.
- Robin Morgan
Das vorliegende Buch ist nicht immer leicht zu lesen. Dies ergibt sich wohl zwangsläufig aus der Kombination sprachanalytischer Studien und intellektueller Innovation. Um den LeserInnen den Zugang zum Text zu erleichtern, Referenzhilfen zur Verfügung zu stellen und auf zentrale Begriffe des englischen Originals zu verweisen, wurde das folgende Glossar zusammengestellt, das einige der wichtigsten Begriffe der Arbeit erklärt.
schenken / geben – to give
Dieser für den Text zentrale Begriff bereitete insofern Schwierigkeiten bei der Übersetzung, als dass das deutsche Verb „schenken“ als spezifische Form eines Gebens kein Äquivalent im Englischen hat. To give wurde schließlich immer dann mit „schenken“ (anstelle des allgemeineren „geben“) übersetzt, wenn sein Schenkcharakter zu betonen war.
empfangen / erhalten – to receive
Die andere Seite des Prozesses des Schenkens/Gebens. To receive kann im Kontext der Arbeit das aktive An- bzw. Aufnehmen eines Geschenks meinen, aber auch ein allgemeines Entgegennehmen. Der Unterscheidung zwischen „schenken“ und „geben“ folgend, wurde hier zwischen „empfangen“ (als Pendant zu „schenken“) und „erhalten“ (als Pendant zu „geben“) unterschieden. Gelegentlich auch als „beschenkt werden“ übersetzt (wenn der aktive Charakter des Empfangens keine ausdrückliche Betonung erforderte).
ausweichen – to give way
Kann buchstäblich als „Weg schenken“ oder „Platz schenken“ verstanden werden; bezeichnet das (widerstandslose) Zur-Seite-Treten der sozial Unterprivilegierten.
Platz einnehmen – to take the place of / übernehmen – to take over
Bezeichnet das Besetzen der sozialen Positionen derjenigen, die ausweichen.
Schenkprinzip / Tauschprinzip – gift paradigm / exchange paradigm
Das deutsche „Paradigma“ ist enger gefasst als das englische paradigm. Während Letzteres auch ein anleitendes Bild oder Beispiel meinen kann, wird der Begriff im Deutschen meist nur in Zusammenhang mit einer etablierten wissenschaftlichen Hypothese angewandt. Insofern schien die Übersetzung als „Prinzip“ hier angemessener. Von „Paradigmen“ bzw. einem „Paradigmenwechsel“ bleibt dort die Rede, wo es um die weltanschaulichen Systeme geht, die sich um beide Prinzipien ranken.
Fürsorge – nurturing
Das englische nurturing bzw. to nurture ist schwierig ins Deutsche zu übersetzen. Der Begriff bezeichnet die Pflege, die jemandem/etwas zuzukommen hat, um wachsen bzw. sich entwickeln zu können, und vereint Aspekte von Aufmerksamkeit, Zuneigung und materieller Hilfe.
Mütterlichkeit – mothering
Auch für den Begriff des mothering gibt es im Deutschen kein geeignetes Äquivalent. „Bemuttern“ wäre schon alleine aufgrund der negativen Konnotationen des Begriffs unangemessen. „Mutter-Sein“ mag dem mothering in vielen Aspekten nahe kommen, doch haftet ihm als Seins-Begriff eine Statik an, die der im Partizip ausgedrückten Dynamik nicht gerecht wird. „Mütterlichkeit“ erschien deshalb als beste Lösung. Es geht um einen Begriff, der alle Aktivitäten in sich vereint, die verlangt werden, um Kinder zu ernähren, zu schützen, ihnen zu helfen, sich in der Welt zurechtzufinden, und sie auf ein selbständiges Leben vorzubereiten.
Maskulisierung – masculation
Beschreibt den Prozess des „Männlich-Werdens“ bzw. der männlichen Sozialisierung. Hier stark verbunden mit der:
Kategorisierung – categorization / concept formation
Bezeichnet das Ordnen der Welt in Kategorien. Als an sich gewöhnlicher, unserer Orientierung in der Welt dienender Prozess, wird er problematisch, sobald diese Kategorien festgeschrieben und hierarchisiert werden.
Benennen, Definieren (auch: Definition, Definitionsprozess oder Definitionsstruktur) – naming, definition
Der Prozess sprachlichen Ersetzens in Form einer Gleichung: x = y (z.B.: Hose, die zum Schwimmen angezogen wird = Badehose), wobei y zum Namen von x wird. Von der Autorin als überbetonter Prozess unseres Sprachgebrauchs gesehen. Diese Überbetonung lässt ihn von einem kommunikativen Hilfsmittel zu einem Mittel kategorischer Festschreibung werden und damit zur Bedingung für das auf diesen Festschreibungen und den mit ihnen verbundenen Gleichungen aufbauende Tauschprinzip.
Definiens, Definiendum – [unübersetzt]
Vgl. Kapitel 4, Fußnote 2: „Ich werde den Begriff Definiens als Namen für die Phrase verwenden, die den Zuhörenden erlaubt, das zu identifizieren, was das neue Wort repräsentiert, und Definiendum für das neue Wort selbst (das, das definiert wird) bzw. für den Namen. In: ‚Eine Hauskatze ist ein Haustier mit einem langen Schwanz und spitzen Ohren’ ist ‚Hauskatze’ das Definiendum und ‚ein Haustier mit einem langen Schwanz und spitzen Ohren’ das Definiens.“
Prototyp – sample (auch: Kategorieprototyp – concept sample)
Objekt, das als Modell für das Formen einer Kategorie fungiert, z.B. der „Protoball“ als Modell aller Bälle. Ursprünglich nur temporär als Modell fungierend und nach der Formierung der Kategorie wieder seinen Platz als einfaches Exemplar der Kategorie einnehmend (also etwa vom „Protoball“ wieder zu „einem Ball unter vielen“ werdend), behält der Prototyp im Kontext von Maskulisierung und Tausch seinen besonderen Status und wird zu einem Herrscher über die ihm zugeordneten Objekte. In diesem Falle wird der Prototyp ein:
Eines – the one
dem
Viele – the many
als ihm untergeordnete Objekte gegenüberstehen.
have und have-nots – [unübersetzt]
Weitere terminologische Unterscheidung zwischen Einen und Vielen bzw. Privilegierten und Nicht-Privilegierten.
privilegierte Kategorie – privileged category (auch: überlegene Kategorie – superior category)
Soziale Kategorie, der die Prototypen/Einen/haves angehören.
Objekt / Ding – thing
Gegenstand oder Person, der/die kein Prototyp, sondern auf einen solchen bezogen ist. Teil der Vielen.
Old Boys Network – [unübersetzt]
Vgl. Kapitel 7, Fußnote 5: „Ein Begriff, der ursprünglich in Zusammenhang mit Männerbunden verwendet wurde, die exklusiven britischen Bubenschulen entstammten, bezeichnet das Old Boys Network heute im Englischen allgemein Netzwerke, in denen Männer sich gegenseitig in ihren sozialen, politischen und ökonomischen Machtpositionen stützen.“
Kennzeichen – mark
Bezeichnet das Charakteristikum einer Person oder eines Dings, dem besondere Bedeutung verliehen wird und das Definitions- und Kategorisierungsmacht erhält bzw. die betreffenden Personen oder Dinge zu einem Prototypen bzw. Einen machen kann.
ego-orientiert – ego-oriented
Charakteristikum der maskulisierten Persönlichkeit.
auf Andere ausgerichtet bzw. das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein – other-oriented bzw. other-orientation
Charakteristikum der schenkenden, bedürfnisbefriedigenden Persönlichkeit.
Ersatzgeschenk – substitute gift
Geschenke, deren Funktion es ist, auf etwas anderes zu verweisen. In diesem Sinne sind Wörter beispielsweise Ersatzgeschenke für die Objekte, die sie bezeichnen.
verbales Ersatzgeschenk – verbal substitute gift
Einfach gesagt, ein Wort oder eine Phrase. Es geht hier um die Betonung des Schenkcharakters sprachlicher Kommunikation.
verbales Schenken – verbal (auch: linguistic) giving
Einfach gesagt, das Sprechen. Wiederum wird der Schenkcharakter der Sprache betont.
verbales Bedürfnis – verbal need
Bedürfnis nach einem Wort/einer Phrase, um verbal schenken und empfangen (mit anderen Worten: sprechen und verstehen) zu können.
materielle Ebene – material plane
Einfach gesagt, die materielle (Außen)Welt. Meist in Abgrenzung zur (verbalen) Welt der Sprache verwendet.
materielle Kommunikation – material communication
Das Schaffen menschlicher Verbindungen durch das Schenken materieller Objekte. Meist im Unterschied zum verbalen Schenken verwendet.
allgemeine / soziale Bedürfnisse – general / social needs
Bedürfnisse, die Menschen gemeinsam teilen. Unterschieden von individuellen Bedürfnissen.
selbstähnlich / Selbstähnlichkeit – self-similar / self-similarity
Bezieht sich auf Strukturen bzw. Prototypen, die sich selbst reproduzieren – im Kontext dieser Arbeit vor allem im Rahmen der Maskulisierung und des Tauschprinzips.
Weitere Anmerkungen zur Übersetzung:
Eine stilistische Besonderheit des Textes liegt in der oftmaligen Verbindung zweier oder mehrerer Substantiva. Z.B. „Geld-Wort“ (money-word) oder „Sohn-Ware“ (son-commodity). Es handelt sich hier um die Betonung struktureller Entsprechungen auf unterschiedlichen Ebenen.
Des Öfteren werden von der Autorin auch etymologisch wichtige Aspekte von Wörtern stilistisch hervorgehoben. Wo diese Hervorhebungen im Deutschen nicht reproduzierbar waren (z.B. im Falle von „for-getting“ (forgetting = „vergessen“; for getting = „für das Erhalten/Nehmen sein“), wurden sie in einer Anmerkung/Fußnote erklärt. Ansonsten wurden sie dort reproduziert, wo sie von der Autorin zum ersten Mal vorgenommen wurden bzw. die Betonung der von ihnen angezeigten Konnotationen von besonderer Bedeutung erschien. Die wichtigsten der betreffenden Wörter sind: Ko-muni-kation, Re-präsent-ation, Verdienen, Vergeben.
Schließlich stellen sich bei Übersetzungen aus dem Englischen ins Deutsche immer die Schwierigkeiten der geschlechtlichen Spezifizierung deutscher Substantiva, die es im Englischen nur in wenigen Ausnahmefällen gibt. Im Kontext dieser Arbeit wurde die weibliche Form dort gewählt, wo explizit von Frauen bzw. Frauengruppen die Rede ist; die männliche Form in Verbindung mit ausschließlich oder beinahe ausschließlich männlichen Domänen (z.B. wurde owners beinahe durchgehend als „Eigentümer“ übersetzt); und eine geschlechtsneutrale Form, wo auf Frauen und Männer gleichermaßen Bezug genommen wird (z.B. receivers als „Empfangende“ oder (seltener) „EmpfängerInnen“).
Ich möchte allen deutschsprachigen Menschen danken, die sich auf die ein oder andere Weise der Idee der Schenkökonomie geöffnet haben – insbesondere jenen, die die vorliegende Ausgabe von For-Giving ermöglichten. Ich bedanke mich bei Heide Göttner-Abendroth und Claudia von Werlhof für ihre Schwesterlichkeit und ihre Hilfe, als es darum ging, die Übersetzung in die Wege zu leiten und einen geeigneten Verlag zu finden. Dank auch an Veronika Bennholdt-Thomsen für ihre Unterstützung und ihr Verständnis und an Uschi Madiesky für ihr freies Fördern der Idee des Schenkens.
Ich danke weiterhin meinen Töchtern, Amelia, Beatrice und Emma Rossi-Lanid, die nie aufgehört haben, mir zuzuhören, und mich über die Jahre, an denen ich an diesem Buch gearbeitet habe, bestärkten und unterstützten.
Ich danke meinem Bruder Ben Vaughan, der mir großzügige materielle Unterstützung zukommen ließ, und der, ohne meine Ideen zu kennen, ein wundervolles Beispiel für einen fürsorglichen Vater ist.
Ich danke meinen Eltern und Großeltern, von denen ich die Ressourcen des Tausches erhielt, die mir zu schenken erlaubten.
Ich danke all den Frauen der Foundation for a Compassionate Society für ihre Schwesterlichkeit und Unterstützung sowie für das Verständnis, das ich während meiner Arbeit an dem Buch erfuhr. Ich danke ihnen weiters für ihr Bekenntnis zum Frieden für alle auf der Basis der Werte der Frauen.
Ich danke schließlich allen Menschen, die versuchen, durch das Schenken von Zeit, Geld, Ideen, Vorstellungskraft, gutem Willen und harter Arbeit einen Paradigmenwechsel und damit eine bessere Welt herbeizuführen. Den Leserinnen und Lesern dieses Buch danke ich im Besonderen für ihre Bereitschaft, sich seinen Ideen zu öffnen und seinen Inhalt in die Praxis umzusetzen. Ohne euch würde das Geschenk ungeschenkt bleiben.
Ich hatte viel Glück, was die Ereignisse anlangt, die mir das Leben gebracht hat.
1963 heiratete ich einen italienischen Philosophieprofessor und zog nach Italien, wo ich an einer Reihe intellektueller Bewegungen Anteil haben durfte. 1964 fragten einige Professoren aus Bologna, die eine neue Zeitschrift gründen wollten, meinen Mann, ob er ihnen nicht helfen könnte, die Marxsche Analyse von Ware und Geld auf die Sprache anzuwenden. Die Fragestellung faszinierte mich. Ich begann damals über die Frage nachzudenken – und dieses Nachdenken hält bis heute an.
Zu der Zeitschrift kam es letztlich nie, doch mein Mann begann trotzdem über die Beziehungen zwischen Sprache und Tausch zu schreiben. Ich stimmte mit seinen Ideen nicht überein, aber es dauerte Jahre, bis ich begriff, warum.
1975 und ´76 hielt ich mich in den USA auf und hatte endlich Zeit, darüber wirklich nachzudenken. 1977 und ´78 schrieb ich einige akademische Aufsätze, die in den frühen 90er Jahren veröffentlicht wurden. Sie sind in der Bibliographie angegeben und ich ermutige akademisch interessierte LeserInnen dazu, sie sich anzusehen. In „Saussure and Vigotsky via Marx“ betrachte ich beispielsweise die Analogie, die Saussure zwischen seiner Idee des linguistischen Werts und dem Tausch zieht, in Verbindung mit der Marxschen Theorie des Tauschwerts. In „Communication and Exchange“ führe ich die Idee des kommunikativen Bedürfnisses ein, identifiziere Tausch als abweichende Form der Kommunikation und analysiere Geld als „Ein-Wort-Sprache“. All diese Themen finden sich in diesem Buch wieder.
1978 ließ ich mich scheiden und begann zu den Treffen einer feministischen Gruppe zu gehen. Viele der Frauen in der Gruppe arbeiteten in der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen, die ihren Sitz in der Nähe meines Hauses in Rom hatte. Frauen kamen von überall her, um mit uns über Probleme zu reden, die von Protesten rund um die Greenham Commons zu den jelly babies reichten, die das Resultat radioaktiver Tests im Pazifik waren. Frauen- und Entwicklungsfragen standen immer besonders im Vordergrund. Viele der Frauen in der Gruppe reisten 1980 zur Weltfrauenkonferenz nach Kopenhagen und erzählten den anderen darüber.
Zu jener Zeit fanden in der feministischen Bewegung Italiens viele interessante philosophische Diskussionen statt. Ich nahm an einigen Kursen am Virginia-Woolf-Kulturzentrum (Centro Culturale Virginia Woolf) teil, einer unabhängigen Frauenuniversität in Rom, die von der feministischen Philosophin Alessandra Bochetti gegründet wurde. Zu jener Zeit begriff ich auch, dass die freie Arbeit der Frauen das große nicht wahrgenommene Element war, dass die Grundlage einer neuen Philosophie bilden könnte. Ich hatte in meinem eigenen Leben viel geschenkt, sowohl als Mutter zweier Töchter als auch als Ehefrau. Mir begann klar zu werden, dass meine Werte und die der meisten Frauen andere waren als die der meisten Männer, die ich kannte, egal ob sie Akademiker oder Bürokraten, Arbeiter oder Aktivisten waren. Es wurde mir klar, dass die freie Arbeit der Frauen als die ökonomische Grundlage für einen alternativen Überbau verstanden werden könnte, ein System von Ideen und Werten, das sich von herrschenden patriarchalen Ideen und Werten unterschied.
1983 kehrte ich in die USA zurück, um zu versuchen, die Werte des Schenkens außerhalb des eigenen Heims zu praktizieren. Das letzte Kapitel des vorliegenden Buches berichtet über diesen Versuch, der weiterhin anhält. Die Praxis, die ich entwickelte und die sich nach dem Rahmen meiner spezifischen persönlichen Situation richtete, ließ mir nicht viel Zeit, theoretisch zu arbeiten (das Schenken kann sehr viel Zeit in Anspruch nehmen, wie das Praktizieren der Mütterlichkeit belegt). Ich war Teil vieler Frauenorganisationen und diskutierte die Idee einer Schenkökonomie mit so vielen Leuten wie möglich, da ich die Idee „normalisieren“ wollte. Eine der Frauen, mit denen ich dabei sprach, war Sonia Johnson, die die Idee (mich zitierend) in ihrem Buch Wildfire verwendete. Ich denke, dass ihr Zugang in den Widersprüchen zwischen dem Ego und der Ausgerichtetheit auf die Anderen gefangen lag und somit nicht zu der Art gesellschaftlichen Wandels für alle führen konnte, den ich als notwendig erachte.
1988 begann ich schließlich an dem vorliegenden Buch zu arbeiten. Allerdings nicht die ganze Zeit und ohne die Vorteile (aber auch ohne die Nachteile), die eine akademische Position für solche Arbeiten zu bieten hat. Das Buch wurde sehr lange, und dann wieder kürzer. Die Datei, unter der ich es auf meinen Computer habe, heißt „kurzes Buch“. Ich habe versucht, die meisten meiner Ideen in den Text und die Fußnoten zu integrieren, aber viele mussten unerwähnt bleiben.
Während meiner Zeit in Italien fühlten wir die starken Einflüsse, die aus Frankreich kamen, wo sich viele DenkerInnen mit Fragen der Kommunikation, der Ökonomie, der Semiotik und der Psychoanalyse beschäftigten. Die Schule Jacques Lacans hatte Neuland eröffnet und Anthropologen wie Claude Lévi-Strauss oder Maurice Godelier hatten die Untersuchungen ausgeweitet, die von Marcel Mauss und Emile Durkheim begonnen worden waren. Georges Bataille, Michel Foucault und Jacques Derrida untersuchten Sprache, Kultur und das Unbewusste. Der für mich Interessanteste all dieser Denker war Jean Joseph Goux, der, wie ich, die Marxsche Analyse der Ware und des Geldes auf verschiedene soziale Strukturen anwendete, dabei jedoch zu Resultaten gelangte, die sich von den meinen unterschieden (unter anderem deshalb, da meine Marx-Lektüre eine andere war).
Die feministischen Denkerinnen Luce Irigaray und Julie Kristeva mussten sich in einem schwierigen patriarchalen Kontext bewegen und kamen manchmal nach Italien, um Unterstützung unter italienischen Philosophinnen zu finden. Die Semiotik-Konferenzen, die jeden Sommer in Urbino stattfanden, waren intellektuell ergiebige Zusammenkünfte, wo sich viele der französischen und italienischen SemiotikerInnen (und – zu jener Zeit – „Vor-PostmodernistInnen“) genauso einfanden wie DenkerInnen aus den USA und Osteuropa. So hörte ich dort Jean Baudrillard oder Jean-François Lyotard, genauso wie Umberto Eco, Massimo Bonfantini, Augusto Ponzio, Luis Prieto, meinen Ex-Mann Ferrucio Rossi-Landi und viele andere. Ich schrieb einen Beitrag über „Fürsorge und Kommunikation“ für das letzte Treffen, an dem ich teilnahm, aber nachdem ich es vernachlässigt hatte, durch die entsprechenden bürokratischen Kanäle zu gehen, präsentierte ich ihn nur vor einer kleinen Gruppe, die sich zu dem Zweck zusammenfand. Ich gehörte auch dem Centro Romano di Semiotica an und war bei Vorträgen vieler lokaler und internationaler TheoretikerInnen zugegen.
Als ich 1983 in die USA zurückzog, entdeckte ich Lewis Hydes Buch The Gift. Imagination and the Erotic Life of Property. Während es ermutigend war, das Schenken positiv beschrieben zu sehen, erlaubte das Fehlen einer Schenktheorie der Sprache dem Buch nicht, über einen literaturkritischen Rahmen hinauszugehen (innerhalb dessen die Besprechungen von Ezra Pounds antisemitischen Ausfällen außerdem um einiges zu lang gerieten). Malinowskis Argonauten des westlichen Pazifik hatte ich bereits im College gelesen, und später auch Marcel Mauss’ Die Gabe. In diesen Büchern las ich über den Potlatch, den die indigenen Kulturen des Nordwestens der heutigen USA praktizierten und habe seither diese Formen des „Weggebens“ nicht nur mit AnthropologInnen diskutiert, sondern auch mit Menschen, für die sie ein noch immer lebendiger traditioneller ökonomischer Weg sind. Schließlich zeigten mir Bücher wie Jean Baker Millers Toward a New Psychology of Women, Nancy Chodorows The Reproduction of Mothering, Carol Gilligans In a Different Voice oder später Sara Ruddicks Maternal Thinking wie Frauen in den USA sich mit Differenzen zwischen ihren Werten und jenen des Patriarchats auseinandersetzten. Auch in Italien war es zu jenem Zeitpunkt zu einer breiten feministischen Bewegung gekommen, die versuchte, diese Differenzen positiv zu deuten.
Die postmoderne Kritik des „Phallogozentrismus“ wirft viele wichtige Fragen auf. Ich denke, dass das Erkennen der grundlegenden Wichtigkeit des Schenkens das Mittel ist, den Phallogozentrismus auf der materiellen Ebene zu überwinden, was sich auch wesentlich auf die psychologischen und verbalen Ebenen auswirken wird. Ich hoffe, dass meine Anwendung von Wygotskis Experiment zur Kategorieformierung verdeutlichen kann, wie es zum Patriarchat kommt, wie Männer „logofiziert“ und Frauen verdinglicht werden. Wygotskis Experiment zeigt, dass die Kategorieformierung ein dynamischer Prozess mit fließenden Grenzen und kein statisches Bild von Gleichheiten und Unterschieden ist. Das Experiment übertragt ein Thema auf die Ebene kognitiver Psychologie, das für die Philosophie seit je her ein Thema ist: von Aristoteles’ Auseinandersetzung mit dem Einen und den Vielen bis hin zu Derridas Beschäftigung mit der Exemplarität. Ich sehe dieses Thema als das Resultat Jahrhunderte langer patriarchaler Fehl-Konzeptionen.
Wygotski glaubte, dass Kinder erst in der Pubertät fähig sind, Kategorien zu formen. Wenn die Kategoriestruktur die Gesellschaft durchzieht, wie ich glaube, dass sie das tut, dann verändert sie den Kontext, in dem Kinder beider Geschlechter geboren werden, und erschwert es diesen ihre eigenen kognitiven Prozesse zu verstehen – zumindest bis diese in der Pubertät auf einer anderen Ebene reproduziert werden. Diese Überlegung brachte mich zu einer epistemologischen Theorie, die ich Nel blu dipinto di blu nenne („Im Blauen, blau gemalt“), nach dem Lied „Volare“ von Domenico Modugno. Ich glaube, dass wir, wenn wir etwas in unserem eigenen Leben tun, eher geneigt sind, dies auch in der Welt um uns herum zu sehen. Zum Beispiel entwickelte sich die evolutionäre Theorie des Überleben des Stärkeren zeitgleich mit dem Aufstieg des Kapitalismus als einer Form des Überlebens des Stärkeren. Damit will ich nicht sagen, dass das, was gesehen wird, nicht wahr ist; was ich sagen will, ist, dass es so nie gesehen worden wäre, wenn Menschen nicht begonnen hätten, diese Vorstellungen auf einer anderen Ebene auf ähnliche Weise zu entwickeln.
Vielleicht wurde die Beziehung zwischen dem Einen und den Vielen philosophisch so wichtig, weil Männer in ihrem Leben seit langem eine solche Beziehung praktizieren und sie auf die Gesellschaft projizieren. Wygotski war davon nicht mehr ausgenommen als alle anderen. Darüber hinaus – aus verschiedenen Gründen, die mit dem Praktizieren des Tauschs zusammenhängen und die ich in diesem Buch besprechen werde – erkennen wir das Schenken nicht, auch wenn es viele von uns tagtäglich praktizieren. Ich hoffe, dass dieses Buch Frauen und Männern nicht nur erlauben wird, mehr zu schenken, sondern auch zu erkennen, dass sie bereits jetzt auf vielfache Weise schenken – zu erkennen, dass sie bereits „blau gemalt“ und dementsprechend begreifen, dass sie in das Blau des Himmels passen, das sie umgibt.
Ich glaube, dass viele Momente antiautoritärer Bewegungen, sowohl von Frauen als auch von Männern, auch als anti-patriarchale Momente verstanden werden können. Der Wunsch, das Herz über den Kopf oder die Emotion über die Vernunft zu stellen, sind Projektionen des Wunsches, das Schenkprinzip über das Tauschprinzip zu stellen. Wir sollten dies nicht nur aus sentimentalen Gründen tun (die auch mit Schenken verbunden sind), sondern auch aus praktischen, die mit der Erhaltung des Lebens auf unserem Planeten zu tun haben. Ich habe For-Giving geschrieben, um das Patriarchat zu verstehen, damit wir – Frauen und Männer – die tiefen und weitreichenden Änderungen vornehmen können, die notwendig sind.
Irgendwann, während ich dieses Buch schrieb, fragte ich mich, ob ich wohl des Penisneids und der Versuch der Kastration bezichtigt werden würde. Wie es die Göttin haben wollte, erhielt ich jedoch genau in diesem Moment einen Anruf von einer Freundin aus Deutschland, die mir über die Situation der Frauen in Jugoslawien berichtete, und daraufhin einen Anruf von einer Freundin in den USA, die das Kind einer Vergewaltigung war und zu diesem Thema arbeitete. Es wird gesagt, dass alleine in Bosnien um die Zwanzigtausend Babys als Folge von Vergewaltigungen geboren wurden. Viele dieser Babys wurden ausgesetzt und verlassen. Was für Schreckensgeschichten!
Nachdem ich den Telefonhörer aufgelegt hatte und wieder schreiben wollte, begann ich zu weinen und zu schreien. Ich fühlte Schmerz, Frustration und Wut. Es heißt, dass die Männer manchmal zu den Vergewaltigungen gezwungen worden waren unter der Androhung, sonst aus der Armee entlassen zu werden. Mütter wurden vergewaltigt und vor den Augen ihrer Töchter ermordet. Diese wurden selbst vergewaltigt. Babys wurden aus den Bäuchen ihrer Mütter geschnitten und mit den Föten von Hunden ersetzt. Manche sagen, dass es sich hier nur um das frühere Jugoslawien handelt und dies nicht repräsentativ sei. Aber es gibt viele solcher Geschichten aus der ganzen Welt. Als die USA 1991 gegen den Irak in den Krieg zog, wurde berichtet, dass die Männer in den Bootcamps der Marines sangen: „Vergewaltigt die Frauen, tötet die Kinder, sonst gibt’s nichts zu tun...“
Es tut mir leid, meine Brüder. Diejenigen unter euch, die desertieren und den Tod riskieren würden, um dies zu vermeiden – euch betrifft das vielleicht nicht. Ich hoffe für uns alle, dass ihr unter diese zu zählen seid. Aber versteht ihr, wie viel Leid und unsprechbaren Schrecken diese „Überlegenheit“ von euch (bzw. von den Männern, die sie ausleben) verursacht? Ich hoffe, dass die Männer, die dieses Buch lesen, mit ihrem Schenken dort beginnen, wo es darum geht, anzuerkennen, dass es mir hier darum geht, die Sachen beim Namen zu nennen und dass dies wichtig ist. Wenn ihr dies nicht tut, wenn ihr meine Bemühungen abwertet, bestätigt ihr das oben beschriebene Verhalten.
Dasselbe gilt auch für euch Mütter, die ihr eure Söhne vor einem Schlag gegen ihr „Selbstbewusstsein“ schützen wollt. Schützt eure Söhne nicht vor mir, vor der Wahrheit, sondern vor einer Gesellschaft, die sie in Monster und Vampire verwandelt, die ihre Liebe zu Hass verkehrt. Schützt sie vor den phallischen Bildern und Spiegeln, die ihnen und ihrem Verhalten gesellschaftliche Bestätigung verleihen und euch davon abhalten, sie in der Fortsetzung ihrer Herrschaft und Zerstörung aufzuhalten: sei es als Soldaten, Waffenproduzenten oder ausbeuterische Kapitalisten. Mich hingegen wertet ihr als „unrealistisch“ ab.
Alle Vergewaltiger und Folterer hatten Mütter. Soll ich sagen, dass es mir leidtut, dass ich diese Wahrheiten ausspreche? Was mir leidtut, ist, dass es diese Wahrheiten gibt – das tut mir leid für uns alle. Aber um sie ändern zu können, müssen wir sie uns zunächst eingestehen. Dann muss alles, was uns helfen kann, sie zu ändern, in Betracht gezogen werden. Bitte lest dieses Buch mit dem Wissen, dass es ihm darum geht.
Anm. d. Übers.: Die Greenham Commons sind ein ehemaliger Luftwaffenstützpunkt der englischen Armee in der Nähe Londons. 1981 wurden sie der erste Stützpunkt für Cruise Missiles in Großbritannien, was die Errichtung von zahlreichen Women’s Peace Camps („Frauenfriedenscamps“) am Rande des militärischen Sperrgebiets zur Folge hatte. Obwohl der Stützpunkt 1993 geschlossen wurde, blieben die Camps bis ins Jahr 2000 bestehen, um eine Reaktivierung des Stützpunkts zu vermeiden und die Demilitarisierung der Greenham Commons sicherzustellen. Anm. d. Übers.: Jelly babies (engl. jelly = „Gelee“) wurde ein gebräuchlicher Terminus für Kinder in nuklearen Testgebieten des Pazifik, die ohne oder mit nur minimal ausgebildeten Knochen geboren wurden. Manchmal fehlten auch ganze Gliedmassen oder Organe. Die Kinder wurden entweder tot geboren oder starben kurz nach der Geburt.
Entschuldigung
Ich bitte um Vergebung für die lange Zeit, die es gedauert hat, die Ideen dieses Buches zu formulieren. Ich versuchte, es früher zu tun, aber es gelang mir nicht.
Ich bitte um Vergebung für all die Unzulänglichkeiten und Ungenauigkeiten, die das Buch enthalten mag. Zu meiner Verteidigung kann ich nur sagen, dass es schwierig wird, sich der Worte der Apologeten der herrschenden Ordnung zu erinnern, wenn wir sie nicht länger ernst nehmen.
Ich bitte diejenigen meiner Bekannten um Vergebung, die von meinen Ideen überrascht sein mögen. Ein Paradigma ist ein Ganzes und muss als solches erklärt werden. Auch wenn ich viele meiner Ideen schon früher zum Ausdruck gebracht habe, fehlte ihnen der Zusammenhang dieses Ganzen. Das war der Grund, warum ich mich manchmal damit zurückhielt, sie zu artikulieren (auch wenn ich sie immer zu praktizieren versuchte).
Wenn, liebe LeserInnen, meine anti-patriarchalen Analysen in euch Unbehagen erzeugen mögen, dann denkt daran, dass mir alles Leben heilig ist – das heißt, auch eures. Das Problem ist eine bestimmte Logik und ein bestimmtes System, ein selbst bestätigendes Herrschaftsparadigma, das zugleich ein herrschendes Paradigma ist. Das Problem sind nicht Individuen – Frauen oder Männer. William Blake erklärt im Gedicht „London“ aus den Songs of Experience:
Im Schrei eines jeden Menschen,
Im Schrei eines jeden Kindes,
In jeder Stimme, in allen Verboten,
Höre ich die eisernen Fesseln des Verstandes.
Ich glaube, dass diese Fesseln nicht nur im Verstand, sondern im Zuge eines Rückkoppelungsprozesses auch in der materiellen Welt geschmiedet werden. Vielleicht können wir sie nicht brechen – dies würde Gewalt verlangen, die Teil der patriarchalen Herrschaft ist. Wir können sie jedoch öffnen. In diesem Buch werde ich versuchen, einen Schlüssel zu finden, der so klein ist, dass er in den Verstand passt. Bitte verwendet ihn!
Die Sprache ist so alt wie das Bewutsein die Sprache ist das praktische, auch fûr andre Menschen existierende, also auch für mich selbst erst existierende wirkliche Bewutsein... Karl Marx Wem dient der Gral? La Folie Perceval, 1330
Am Anfang
Kapitalismus und Kommunismus sind patriarchal. Der Feminismus reicht weiter und tiefer als beide, wenn es um Fragen sozialer Veränderung geht. Ich verstehe den Feminismus als eine kollektive Denkbewegung, ein Netzwerk von Ideen und Handlungen, die auf den Werten von Frauen aus aller Welt beruhen; ein Netzwerk, das immer tiefer in unser aller Bewusstsein eindringt. Das Patriarchat hat Frauen und Männer seit Jahrhunderten infiltriert. Es hat unseren Blick auf die Welt verzerrt und unsere sozioökonomischen Praktiken zerstört. Das Ziel des Feminismus ist es, alle – Frauen, Kinder und Männer – vom Patriarchat zu befreien, ohne dabei jedoch die das Patriarchat aufrechterhaltenden Menschen zu bedrohen, oder den Planeten, auf dem sie leben.
Der Versuch, außerhalb des Patriarchats zu denken, bringt Frauen in eine Lage, die jener der Vorsokratiker ähnelt, die am Beginn der abendländischen patriarchalen Kultur dachten. Wenn wir heute die Gedankenstrukturen zurückweisen, welche die europäische Kultur geprägt und geplagt haben, betreten wir weiten, unerforschten Raum. Wir müssen unsere Unschuld wiederfinden: die Herzen, die keinen Krieg kennen, und die uns – trotz aller Schwierigkeiten – immer dazu angehalten haben, uns um Kinder wie um Alte zu sorgen (anstatt sie zu misshandeln). Wir müssen die patriarchale Sicht der Dinge zurückweisen und neu beginnen. Wir müssen unbefangen mit unseren eigenen Augen sehen lernen.
Wenn wir nicht mehr an das glauben, was mann uns glauben machen will, wird offenbar, dass die Wahrheit durchaus erkennbar ist. Das Problem besteht darin, dass uns die Fähigkeit, sie zu erkennen, im Laufe der langen und komplexen Menschheits- und Kulturgeschichte abhanden gekommen ist. Die wiedererweckte, kollektiv formulierte Perspektive der Frauen kann uns jedoch zeigen, dass die menschliche Spezies kein Fehler von Mutter Natur war. Wenn wir uns dieser Perspektive verpflichten, dann können Frauen – und Männer, die ihnen folgen – der Zerstörung der Menschen und des Planeten Einhalt gebieten.
Um patriarchales Denken zurückzuweisen, bedarf es einer von ihm unterschiedenen Form des Denkens – einer Alternative.
Akademische Disziplinen haben die Tendenz, sich in enorme Apparate auszuwachsen, zu denen Tausende internationaler ForscherInnen und DenkerInnen beitragen. Trotz vieler Fortschritte bestärken diese Apparate eine Weltsicht und eine Wirklichkeit, die von Unterdrückung und Herrschaft gekennzeichnet sind. Ich glaube, dass es einen relativ einfachen, aber fatalen Irrglauben gibt, der dem Denken der so genannten Ersten Welt zugrunde liegt. Dieser Irrglaube befindet sich an der Quelle dieses Denkens. Akademische Forschung beginnt meist irgendwo entlang des Flusses, an einem Punkt, an dem der Irrglaube bereits zur Normalität geworden ist und wir ihn nicht mehr als solchen wahrzunehmen vermögen. Vielmehr scheint er an diesem Punkt bereits Wirklichkeit zu sein. Nur der unbefangene Blick erlaubt uns, uns der Quelle selbst zuzuwenden, und nur dort können wir hoffen, eine Alternative zu finden.
Die Umstände meines Lebens haben es mir erlaubt, meinen eigenen unbefangenen Blick auf ein Forschungsfeld zu richten, das im 20. Jahrhundert von besonderer Wichtigkeit war: das Studium der Sprache und anderer Zeichensysteme. Was auch immer ihre anderen Leistungen gewesen sein mögen, die Forschungsfelder der Linguistik, Semiotik und Sprachphilosophie haben im Wesentlichen die grundlegende Wichtigkeit der Sprache für die menschliche Existenz herausgearbeitet. In diesem Sinne erscheinen Linguistik und Semiotik als geeignete Ausgangspunkte einer Analyse patriarchalen Denkens.
Sprachliche Kommunikation wird heutzutage von AkademikerInnen meist als eine autonome, bestimmten Regeln folgende Aktivität gesehen. Manche LinguistInnen meinen, dass die Tatsache, dass sich Sprache in allen menschlichen Gemeinschaften findet, ein Beweis dafür ist, dass sie zum größten Teil nicht kulturell, sondern genetisch vermittelt wird. Syntaktische Regeln, und manchmal selbst Teile des Vokabulars, scheinen zu einer von Generation zu Generation weitergereichten Hardware zu gehören. Demzufolge wäre unser linguistisches Verhalten genetisch determiniert („Biologie des Schicksals“). Die Sprache wäre damit wie das Geschlecht, dessen Charakteristika Jahrhunderte lang im Rahmen eines kulturellen Diskurses als „biologisch“ vermittelt und damit als absolut unveränderbar galten – im Besonderen, was das genetisch angeblich „unterlegene“ Geschlecht anlangt.
Wenn wir Sprache zu einem Geschenk unserer DNA erklären, anstatt sie als kulturelles Erbe zu verstehen, rücken wir sie in einen Raum, in dem menschliche Intervention unmöglich ist. Wenn wir Sprache hingegen als ein soziales Gut betrachten, das von flexiblen, jungen, sich entwickelnden Geschöpfen aus Körper und Geist erlernt werden muss, wird sich auch unser Verständnis menschlicher Existenz entsprechend ändern. Was kollektiv gelernt werden muss, kann auch kollektiv hinterfragt und verändert werden.
So seltsam uns die Vorstellungen von einer genetisch vermittelten Sprache auch erscheinen mögen, sie fungieren als wissenschaftliches Paradigma und üben starken Einfluss auf zahlreiche Forschungsfelder aus. Sie sind Teil eines wissenschaftlichen Apparates, in dem Ideen als adäquat und stimmig anerkannt werden, wenn sie mit bestimmten vorausgesetzten Vorstellungen zusammenpassen, während Ideen, die das nicht tun, diskreditiert werden. Der so genannte „freie Markt“ der Ideen entspricht dem „freien Markt“ der Güter darin, dass er ausschließlich ein paar (genetisch „überlegenen“?) Wenigen zugute kommt, während er sich mit der Lüge legitimiert, allen zu dienen.
Wann immer wir uns mit Fragen unserer Existenz auseinandersetzen, sollten wir unseren eigenen Diskurs zumindest zwei Fragen unterwerfen: „Was heißt das für mich materiell?“, und: „Was heißt das für mich psychologisch?“ Die Ideologiekritik hat gezeigt, dass Denksysteme oft ausschließlich im Dienste bestimmter Herrschaftsformen stehen. Jeder akademischen Disziplin muss misstraut werden. Die Ideensysteme, die uns als Wahrheit gelehrt werden, stützen die politischen und ökonomischen Systeme, in die sie eingebunden sind.
Glücklicherweise habe ich mich stets außerhalb der akademischen Welt bewegt und war materiell nie von ihr abhängig. Damit konnte ich unbefangen bleiben. Wonach ich mich leidenschaftlich sehne, ist soziale Veränderung. Als Mutter hoffe ich auf eine körperlich wie seelisch gesunde Zukunft für meine Kinder und die Kinder aller Mütter; auf eine Zukunft frei von der kollektiven Psychose des Patriarchats. Meine persönliche Genugtuung wäre es, zu einer solchen Zukunft beitragen zu können.
Ich hoffe, dass es mir gelingen wird zu zeigen, dass es eine feministische Sprachtheorie gibt, und dass ein großer Teil unseres Denkens neu gestaltet werden kann als etwas, das einer Praxis der Frauen entspricht. Es geht darum aufzuzeigen, dass es – versteckt hinter den Abstraktionen von Linguistik und Semiotik – ein anderes Paradigma/Prinzip gibt. Manche Feministinnen, die (verständlicherweise) an der männlichen Dominanz der Sprache verzweifelt sind, haben eine poetische Sprache und Schreibweise als Alternative gewählt. Manche haben sogar beschlossen zu schweigen, um sich dem patriarchalen Diskurs zu entziehen. Ich denke aber, dass wir sowohl Sprache als auch soziale Praxis von der patriarchalen Kontrolle befreien können, sobald wir das verborgene Prinzip finden und in unsere Arme schließen.
Trotz endloser Diskussionen haben PhilosophInnen auf die Frage: „Wie beziehen sich Wörter zur Welt?“ nie eine Antwort gefunden. Die Frage ist die letzte in einer Reihe von Fragen, die im Gewirr patriarchaler Philosophie gefangen sind – ein guter Ort, um mit einer unbefangenen Analyse zu beginnen. Alle Antworten, die je auf diese Frage gegeben wurden, waren geprägt von den patriarchalen Werten der Philosophen, die über sie nachdachten. Ihre Anschauungen wurden im Zuge von Denkprozessen geformt, die das Denken der Frauen ablehnten. Diese Prozesse dienten über Jahrhunderte hinweg dazu, patriarchale Hierarchien durchzusetzen und zu behaupten Es ist nicht meine Absicht, eine Sprachtheorie (zeitgenössisch oder vergangen) nach der anderen für obsolet zu erklären. Mein Buch würde auf diese Weise zu einem endlosen akademischen Unternehmen werden, das sich auf der Ebene jener abspielen würde, gegen die ich mich wenden will. Was ich stattdessen tun möchte, ist, eine alternative Sprachtheorie zu entwerfen.
Es gibt einige Fragen, die zunächst beantwortet werden müssen: Auf welche Weise bedeuten Wörter, Sätze oder Diskurse etwas? Wie beziehen sie sich aufeinander und zur Welt? Was ist die Bedeutung der Sprache für das Wesen des Menschen als Individuum und als Spezies? Warum ist es wichtig für uns, das zu wissen?
Es gilt hier vor allem eine Gefahr zu vermeiden: Wenn wir diese Fragen in der Terminologie abstrakter Systeme beantworten, assoziieren wir unsere Menschlichkeit mit abstrakter Denkfähigkeit, da wir davon ausgehen, dass der Sprache eine bedeutende Rolle in unserem Menschwerdungsprozess zukommt. Die Konsequenz wäre, dass diejenigen, die sich in abstraktem Denken besonders hervorzutun wissen, als „menschlicher“ gelten würden als andere.
In diesem Sinne schiene die „Überlegenheit“ der Männer gerechtfertigt aufgrund ihrer angeblich höheren Abstraktionsfähigkeit. Männer haben seit je her den Bereich der Vernunft für sich in Anspruch genommen, während Frauen jener des Gefühls zugeschrieben wurde. Sprachtheorien stützen Geschlechtstheorien – oder zumindest populäre Geschlechtskonzeptionen.
Das Problem erhält eine zusätzliche Dimension, wenn wir bedenken, dass das Verstehen von Syntax als einer Regelsammlung dem Menschen an sich ein Konzept der Reglementierung unterstellt. Auf diese Weise werden etwa unsere Rechtssysteme legitimiert, die als ebensolche Regelsysteme plötzlich natürlich erscheinen. Was in der akademischen Welt der Sprachtheorien passiert, kann weitreichende Konsequenzen für uns alle haben. Es verhält sich nicht anders als mit den akademischen Wirtschaftstheorien, die wesentlichen Einfluss darauf nehmen, wie Waren produziert und verteilt werden. Und selbst dort, wo es nicht zu unmittelbar wahrnehmbaren Konsequenzen kommt, beeinflussen die diesen Theorien zugrunde liegenden Voraussetzungen unser individuelles wie kollektives Verhalten in vielen Lebensbereichen. Sie ermöglichen und stützen bestimmte Formen sozialen Verhaltens und politischer Kontrolle in der gleichen Weise, in der etwa die Existenz des militärisch-industriellen Komplexes die US-Außenpolitik ermöglicht und stützt. Das Ändern dieser grundlegenden Voraussetzungen würde demnach hohe Wellen schlagen.
Die Co-Creation des Patriarchats
Es ist innerhalb der New-Age-Bewegung in den USA zum Gemeinplatz geworden, von der Co-Creation der Realität zu sprechen. Diesem Konzept zufolge können wir mittels unserer Ideen Wirklichkeit schaffen, indem wir bestimmte Dinge als wirklich gelten lassen und andere nicht. Ich hoffe, zeigen zu können, wie wir in diesem Sinne kollektiv eine patriarchale Wirklichkeit entstehen lassen, die eine biopathische (lebensfeindliche) ist – und ich werde dafür plädieren, diese Wirklichkeit zu überwinden. Unsere Werte – und die sich selbst legitimierenden Interpretationen der Welt, die wir auf ihrer Basis vornehmen – schaffen eine zerstörerische Illusion, die uns dazu veranlasst, auf zerstörerische Weise zu handeln und unsere Gesellschaft auf zerstörerische Weise zu organisieren. Doch ist dies nur eine Weise, auf die wir Realität schaffen können. Denn sobald wir unsere Rolle in diesem Schaffensprozess begreifen, verstehen wir auch, dass wir die patriarchale Wirklichkeit ändern und an ihrer Stelle eine andere schaffen können. Als erstes müssen wir dabei den Mut aufbringen, die grundlegenden Voraussetzungen zu verändern, die als Sicherheitsvorrichtungen dienen, um das System vor tief greifenden Veränderungen zu schützen.
Obwohl sich männliche Vorherrschaft in vielen (vielleicht fast allen) Kulturen finden lässt, möchte ich meine Aufmerksamkeit vor allem auf die Herrschaft des weißen Mannes richten. Ich denke, dass die Herrschaftsform des weißen Mannes viele verschiedene Herrschafts- und Unterwerfungsweisen einschließt, die sich historisch miteinander verknüpft haben. Diese Herrschaftsform wäre demnach die umfassendste, die wir kennen. Ich meine damit nicht, dass jeder weiße Mann Herrschaft ausübt, oder dass Herrschaft nur von weißen Männern ausgeübt werden kann. Was ich meine, ist, dass sich Geschlechts-, Rassen- und Klassenideologien in einer Weise verbunden haben, die es weißen Männern erlaubt, in verschiedensten Lebensbereichen Herrschaft auszuüben. So entsteht eine Herrschaftsform, die sich und die Werte, auf denen sie aufbaut, selbst legitimiert.
In der Geschichte Europas sind der Aufstieg von Kapitalismus und Technologie, die Hexenverfolgung, die Eroberung der Amerikas und der Genozid ihrer indigenen Bevölkerung, die Versklavung der AfrikanerInnen oder der Holocaust alle extreme Momente einer Kultur, in der besagte Geschlechts-, Rassen- und Klassenideologien in einem gigantischen Apparat zusammenwirken, um einigen Wenigen zahlreiche Privilegien zuzuschanzen – und anderen gar keine. Leider setzt dieser Apparat oft den Standard für andere Kulturen und legitimiert in diesen ähnliches Verhalten. Überall auf der Welt wandeln Diktatoren in den Fußstapfen ihrer weißen Brüder und begehen Gräueltaten.
Weiße Männer sind nach wie vor die wichtigsten Stützen des Patriarchats. Anhand von Mechanismen wie jenen des „freien Marktes“ dominieren sie weiterhin die globale Ökonomie. Es liegt deshalb in der Verantwortung ihrer FürsorgerInnen – also im Besonderen weißer Frauen – sich gegen das Patriarchat zu wehren und es in seinem Inneren zu sabotieren. Dies muss in gemeinsamer Aktion mit ihren Verbündeten geschehen: solidarischen nicht-weißen Frauen und Männern und solidarischen weißen Männern. Wir müssen alle aufhören, biopathisches Verhalten und biopathische Systeme zu honorieren. Frauen wie Männer müssen aufhören, das Patriarchat zu stützen.
Der Kapitalismus hat Vorteile für viele Frauen gebracht, vor allem weiße Frauen, insofern, als dass er ihnen erlaubt hat, strukturelle Positionen einzunehmen, die zuvor ausschließlich Männern vorbehalten waren. Teil der Lohnarbeiterschaft zu sein oder für Autoritätspositionen ausgebildet zu werden, hat Frauen erlaubt, eine Stimme zu erwerben, sich Gehör zu verschaffen und Probleme zu benennen – was enorm schwierig ist für Frauen, deren Existenzmöglichkeiten auf traditionelle, unter der Autorität von Männern stehende Familienrollen reduziert bleiben.
Viele Frauen nutzen ihre Freiheit, um sich gegen das System zu wenden, das sie „befreit“ hat; sie wenden sich gegen die Mängel dieses Systems, die schwer auf ihnen lasten: in Form niederer Löhne, fehlender Kinderbetreuung, oder der sich fortsetzenden Privilegiertheit der Männer. Sie verurteilen das System auch für die Ausbeutung ihrer Schwestern und deren Kindern in der so genannten Dritten Welt, für die Verschwendung von Ressourcen durch Waffenhandel und Krieg, und für die umfassende ökologische Zerstörung, für die es verantwortlich ist.
Ich denke, dass sich alle Frauen im Kapitalismus in einer Position befinden, von der aus sie durch dessen vermeintliche Vorteile hindurch sehen können. Der Grund ist, dass von uns – trotz aller Ermutigungen, die ökonomische Leiter hinaufzuklettern – nach wie vor erwartet wird, die Verantwortung der Kinderversorgung zu übernehmen. Die Widersprüche zwischen den Werten, die diese beiden Anforderungen zum Ausdruck bringen, lenken unsere Aufmerksamkeit auf die tief schürfenden Widersprüche des Systems selbst.
Therapie- und Medikationsformen haben meist die Absicht, uns zu einer Anpassung zu bewegen, indem sie uns erklären, wir selbst trügen die Verantwortung für unser Leiden. Es gibt allerdings viele Feministinnen, die sich gegen diese individuelle Pathologisierung wehren und sich „nach außen“ wenden, gegen das biopathische System. Wir wenden dabei aber nicht die gewalttätigen Methoden des Systems an, sondern suchen nach anderen Wegen, um es von innen heraus zu verändern.
Ich glaube, dass uns bisher deshalb kein Erfolg beschieden war, weil wir nicht realisieren, dass wir eine gemeinsame Perspektive haben, und dass die Probleme, denen wir uns gegenübersehen, systematische sind. Indem wir die Verbindungen zwischen verschiedenen Aspekten des Patriarchats aufzeigen und indem wir unsere gemeinsamen alternativen Werte entdecken und behaupten (es gibt sie ja bereits – wir müssen sie nur von ihren Hüllen befreien), können wir Frauen beginnen, das Patriarchat auseinander zu nehmen, die Wirklichkeit neu zu erschaffen, und allen den Weg vom Rande des Abgrunds zurück zu einer friedlichen Existenz zu zeigen.
Das Schenkprinzip
Es gibt ein grundlegendes Prinzip in unserem Leben, das nicht wahrgenommen und erkannt wird. Gleichzeitig findet es sich in allen Lebensbereichen. Es mag in der Zeit der Raumfahrt, der Computerisierung und der Gentechnologie seltsam erscheinen, dass etwas von solcher Wichtigkeit ignoriert bleibt, doch wir mögen uns an das Bild des „Elefanten im Wohnzimmer“ erinnern, von dem bei den Anonymen Alkoholikern gesprochen wird. Menschen, die Alkoholprobleme verleugnen wollen, sprechen einfach nicht von ihnen. Um die Dinge so zu lassen, wie sie sind, richten sie ihre Aufmerksamkeit auf anderes.
Ich glaube, dass das oben genannte Prinzip als entscheidender Aspekt unseres Lebens verleugnet und ignoriert wird. Dieser Aspekt steht – im Gegensatz zum Alkoholismus – für eine gesunde, natürliche Seinsweise; eine Seinsweise, von der wir uns abgewendet haben, um den patriarchalen Status quo als falsche Wirklichkeit aufrechtzuerhalten. Ich nenne diesen verborgenen Aspekt unseres Lebens das Schenkprinzip. Es handelt sich um eine Weise, Wirklichkeit zu schaffen und zu interpretieren, die der Mütterlichkeit entspringt; es ist ein Weise, die auf der Erfahrung von Frauen beruht – zumindest solange es die Frauen sind, die den größten Teil der Mütterlichkeit erfüllen.
Das Schenkprinzip betont die Wichtigkeit, zu schenken, um Bedürfnisse zu befriedigen. Es ist bedürfnisorientiert, nicht profitorientiert. Ein freies Beschenken der Bedürfnisse – was in der Mütterlichkeit Pflege oder Fürsorge genannt wird – wird in unserer Gesellschaft oft übersehen, nicht registriert oder als irrelevant abgetan, weil es auf Qualität anstelle von Quantität beruht. Was das Beschenken der Bedürfnisse jedoch schafft, sind starke Bindungen zwischen denen, die schenken, und denen, die beschenkt werden. Die Bedürfnisse anderer zu erkennen, und zu versuchen, sie zu befriedigen, versichert den Schenkenden die Existenz der anderen, während den Beschenkten in ihrer Erfahrung, etwas zu erhalten, das ein Bedürfnis befriedigt, dasselbe widerfährt.
Bedürfnisse ändern sich (auch durch die Weisen, auf die sie befriedigt werden), Vorlieben entwickeln sich, neue Bedürfnisse entstehen. Wenn Kinder älter werden, bilden sich z.B. Bedürfnisse nach Unabhängigkeit. Mütter können auch diese befriedigen – indem sie das Befriedigen anderer unterlassen.
Das Gegenteil des Schenkens ist der Tausch. Tauschen ist Geben-um-zu-Erhalten. Hier sind Kalkül und Berechnung notwendig, und was gegeben wird, muss mit dem, was dafür erhalten wird, verglichen werden.
Der Tausch beinhaltet ein logisches Moment, das auf das eigene Ego und nicht auf andere bezogen ist. Die Gebenden des Tauschs nützen die Befriedigung der Bedürfnisse anderer nur als Mittel, um eigene Bedürfnisse zu befriedigen. Ironischerweise beruht das, was wir heute „Ökonomie“ nennen (altgriech. oikonomia; aus oikos = das Haus, und nomia, von nomos = das Gesetz), auf dem Tausch, während das Schenken auf das eigene Heim reduziert bleibt. Im Kapitalismus regiert das Tauschprinzip uneingeschränkt als Eckpfeiler patriarchaler Realität.
Selbst unter jenen, die dem Kapitalismus kritisch gegenüberstehen, gibt es viele, die nur auf die Abschaffung des Geldes zielen. Sie wünschen sich eine barter economy (eine nicht-monetäre direkte Tauschökonomie), die immer noch dem Tauschprinzip verhaftet bleibt. Ich glaube, dass diese KapitalismuskritikerInnen die Trennlinie zwischen den Systemen an falscher Stelle ziehen: da sie das Geld und nicht den Tausch zu dem erklären, worüber sich das System definiert, können sie die Alternative, die das Schenken darstellt, nicht erkennen.
Legitimiert wird der Status quo und die Tauschökonomie anhand einer „menschlichen Natur“, die als egoistisch und konkurrenzorientiert definiert wird – Eigenschaften, die nur im Kapitalismus verlangt und gestärkt werden. Mütterlichkeit verlangt und stärkt das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein, Güte und Kreativität. Obwohl diese Eigenschaften notwendig sind, um Kindern die Welt zu eröffnen, wird es ihnen im Kapitalismus schwierig gemacht, sich zu entfalten – bis zu dem Punkt, wo wir für ihre Entfaltung persönliche Opfer bringen müssen. Der Grund für diese Schwierigkeiten ist, dass besagte Eigenschaften den meisten in der Tauschökonomie abhanden gekommen sind. Weder das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein, noch Güte, noch Kreativität werden im Rahmen des herrschenden Systems als Teil der menschlichen Natur betrachtet und bleiben somit aus dem Reich der Wirklichkeit verbannt.
Ich glaube, dass das Schenkprinzip überall in unserem Leben gegenwärtig ist, auch wenn wir uns daran gewöhnt haben, es nicht wahrzunehmen und nur dem Tauschprinzip mit seiner Verpflichtung zum Kalkül Rechnung zu tragen. Aber selbst eine Frage wie: „Wie geht es Dir?“ bedeutet letztlich nichts anderes als: „Was sind Deine Bedürfnisse?“ Ko-muni-kation bedeutet, sich gegenseitig zu beschenken (lat. munus = das Geschenk). Es ist dies die Weise, auf die wir Gemeinschaft als Ko-mun-alität schaffen.
Indem sie die Bedürfnisse der von ihnen abhängigen Kinder befriedigen, formen Mütter in einem ganz konkreten Sinn die Körper der Menschen, welche die Gemeinschaft ausmachen und zusammen in ihr leben. Es sind auch die Mütter, die sich um die gemeinschaftlichen Einrichtungen und Versammlungsorte kümmern. Wir kommunizieren miteinander durch das Schenken von Gaben, durch Kommunikation. Jedes Geschenk trägt etwas von den Gedanken und Werten der Schenkenden in sich und versichert den Beschenkten ihren persönlichen Wert – ein Moment, der dem Schenken von bedürfnisbefriedigenden Gütern und Diensten zwangsläufig innewohnt.
Der Tausch
Der Tausch ist selbstbezogen. Er erfordert ein Denken in Äquivalenzen. Der Wert, der anderen im Akt des Schenkens hätte versichert werden können, verliert sich im Tausch in der Erwartung einer reziproken Bedürfnisbefriedigung. Hier ist die Befriedigung der Bedürfnisse anderer nur ein Mittel zur Befriedigung der eigenen. Folgen alle diesem Prinzip, verändert sich unsere Kommunikation und wir lassen das Entstehen einer Gesellschaft zu, in der isolierte und autonome Egos voneinander getrennt existieren. Eine solche Existenzweise hat mit wirklicher Kommunalität nichts zu tun.
In ihrer Isolation beginnen die Egos, ihre Bedürfnisse nach Fürsorge und Verbundenheit künstlich zu befriedigen. Sie wenden sich Herrschaftsformen zu, um sich selbst jenes Gemeinschaftssinns und jener Identität zu versichern, die ihnen fehlen. Sie zwingen dabei andere, für sie zu sorgen, und wenden alle erdenklichen Methoden an – von persönlicher Gewalt bis zur Manipulation abstrakter Systeme – um diese Versorgung bzw. die Befriedigung ihrer Bedürfnisse sicherzustellen, da sie nicht länger imstande sind, diese Befriedigung im Rahmen kollektiv-partizipatorischer Schenkprozesse zu erfahren.
Wir müssen unsere Gesellschaft als eine betrachten, die beinahe jeder freien Geschenke und der Verbindungen, die diese schaffen, beraubt ist. Unser Mitgefühl ist blockiert, und es sieht fast so aus, als könnten wir nur überleben, wenn wir die Prinzipien des Schenkens und Beschenkt-Werdens ignorieren. Aber das Nicht-Schenken tötet jene, die schenken könnten, genauso wie das Nicht-Beschenkt-Werden jene tötet, deren materielle Bedürfnisse unbefriedigt bleiben. Um diese absurde Situation aufrechtzuerhalten, werden Gesetze erlassen und ein Polizei- und Militärapparat wird bezahlt, um diese zu schützen.
Unsummen werden für die Aufrechterhaltung des Rechtssystems, der Regierung, der Polizei und des Militärs ausgegeben, und es wird eine Gefühlsarmut geschaffen, die das Schenken praktisch verunmöglicht. Die Konsequenz ist, dass der Tausch zum notwendigen Überlebensmechanismus wird. Abstrakte Rechtssysteme und hierarchische Organisationen wie Regierung und Militär haben die Aufgabe, der Mehrheit die ihrer Bedürfnisbefriedigung dienenden Geschenke vorzuenthalten, um sie als Waren den Bedürfnisse einer elitären Gruppe von Tauschhändlern nutzbar zu machen, deren Egos auf eine Weise sozialisiert wurden, die den Hunger nach Mehr unersättlich werden ließ.
Auch wenn wir den Tauschhändlern (den Unternehmern) für das Schaffen von Arbeitsplätzen dankbar sein mögen, sollten wir uns bewusstmachen, dass das Schaffen von Arbeitsplätzen für diese nur ein Weg ist, das, was Karl Marx Mehrwert genannt hat, abzuschöpfen. Wir können den Mehrwert dabei als Geschenk der Arbeitenden betrachten, nämlich als das ihrer Arbeitszeit. Die Arbeitenden selbst wiederum müssen, um überleben zu können, zahlreiche Geschenke anderer in Anspruch nehmen. Im Rahmen der uns beherrschenden Hierarchie werden Geschenke von unten nach oben verteilt, von Arm zu Reich, von den Schenkenden zu den Tauschenden. Gleichzeitig gelingt es dem System, die Menschen glauben zu machen, die Verteilung würde umgekehrt geschehen.
Tauschverhältnisse wirken seit langer Zeit so natürlich, dass es kaum jemandem mehr in den Sinn kommt, sie zu hinterfragen. In Wahrheit jedoch sind sie künstlich, abgeleitet von einem Missbrauch der Kommunikation. Wenn wir Tauschverhältnisse nicht mehr als natürliche Eckpfeiler der Wirklichkeit ansehen, dann können wir aufhören, unseren Selbstwert über unsere Rolle in denselben zu definieren. Viele Frauen haben gedacht, dass das Ziel unserer Befreiung darin liegen muss, mehr in die gesellschaftlichen Verhältnisse integriert zu werden. In den USA sind diese Verhältnisse jene des kapitalistischen Patriarchats. Frauen fühlen sich in diesen aber oft unbehaglich und oft genug verurteilt uns genau das zur Erfolglosigkeit.
Die Lösung kann nicht darin liegen, uns dem Patriarchat mehr und mehr anzupassen – es sind im Gegenteil die gesellschaftlichen Verhältnisse, die sich mehr und mehr unseren Werten anzupassen haben. Das heißt zunächst, dass wir unsere Werte als lebensfähiger als jene des Patriarchats geltend machen und behaupten müssen. Wir müssen das Patriarchat verstehen und grundlegend kritisieren lernen, um zu realisieren, dass wir die Alternative bereits in unseren Händen halten.
Anstatt zu versuchen, uns den Respekt jener zu erheischen, denen im Rahmen des Systems Erfolg beschieden ist, müssen wir uns selbstbewusst außerhalb des Systems positionieren. Selbst der Respekt hat damit zu tun, „noch einmal nachzusehen“ (lat. spectare = sehen), abzuschätzen und zu vergleichen – alles Kriterien, die vom Tauschprinzip herrühren und nur dort von Wichtigkeit sind, wo nicht die Fürsorge als leitender Wert gilt.
Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf den Wert des Schenkprinzips richten und die Mängel des Tauschprinzips offenbaren, erscheint vieles in neuem Licht. Der patriarchale Kapitalismus, der die Quelle unseres Glücks zu sein scheint, wird als parasitäres System entblößt, in dem die oberen Schichten von den Geschenken ihrer unterworfenen FürsorgerInnen erhalten werden. Der Profit ist ein Geschenk, das den Tauschhändlern von anderen am Markt Teilhabenden, und von denen, die diese versorgen, gegeben wird. Der Mangel wohnt dem Tauschsystem notwendig inne und ist nicht Folge menschlichen Unvermögens oder ökologischer Krise.
In diesem Zusammenhang sollten auch die psychologischen Implikationen bestimmter von Philosophen und Linguisten verwendeter Begriffe in Betracht gezogen werden. Vor allem jene, die mit dem Schenken und mit Bedürfnissen zu tun haben, wie z.B. genetische „Ausstattung“, oder solche, die zu ökonomischen Schlagwörtern geworden sind, wie haves und have-nots. Diese Begriffe verraten die verborgenen psychosozialen Absichten des Patriarchats.
Anm. d. Übers.: „Co-Creation“ ist auch Bestandteil deutscher New-Age-Terminologie und bleibt in ihr in der Regel unübersetzt. Im Englischen ist der Begriff vage. In einem christlichen Kontext bezieht er sich auf die Schöpferrolle, die der Mensch mit Gott zusammen, als dessen „Ebenbild“, einnimmt. In einem New-Age-Kontext wird Gott durch die Natur, den Kosmos oder die Schöpfung selbst ersetzt und eine dynamische Epistemologie postuliert, die sich im Austausch von Mensch und Natur/Kosmos/Schöpfung ereignet.
Ich spreche nur vom euro-amerikanischen Raum. Ich kann nicht beanspruchen, all die Formen, in denen sich das Patriarchat in verschiedenen Kulturen ausgedrückt hat und weiterhin ausdrückt, hier mit einzuschließen. Vielmehr verwende ich die euro-amerikanische Form des Patriarchats als Beispiel, mit dem andere Patriarchatsformen verglichen werden können, um Gemeinsamkeiten wie Unterschiede auszumachen und zu bestimmen. Siehe dazu weiters Kapitel 5.
Anm. d. Übers.: Dieser Ausdruck ist innerhalb der deutschsprachigen AA-Gruppen nicht besonders geläufig. Im Englischen wurde er populär durch das 1984 erschienene Kinderbuch An Elephant in the Living Room (Jill M. Hastings und Marion H. Typpo), das sich als Unterstützungsmaterialie für Kinder versteht, die sich in ihren Familien mit Alkohol- oder anderen Suchtproblemen konfrontiert sehen. Der Ausdruck dient im Englischen mittlerweile als geläufige Beschreibung für ein kollektiv ignoriertes Problem, egal wo oder in welcher Form es auftritt.
Es wäre interessant, Anorexie nicht nur als Verweigerung von Nahrung zu betrachten, sondern auch als Verweigerung des Werts, der den Beschenkten im Akt der Fürsorge zugetragen wird. Vielleicht beruht Anorexie auf einer zu extremen oder zu frühen Verinnerlichung des Tauschprinzips.
Die weltweiten Rüstungskosten belaufen sich auf neunzehn Milliarden US-Dollar pro Woche. Mit diesem Geld könnten alle Hungernden der Welt ernährt werden. Da Rüstungsausgaben offensichtlich nichts zur Lebenserhaltung beitragen – das genaue Gegenteil ist der Fall –, unterminieren sie jede Ökonomie, die auf Fürsorge beruht.
Wir verwenden Sprache jeden Tag und es ist die Sprache, die unsere Gedanken prägt. Der Einfluss der Sprache auf unser Leben ist allgegenwärtig – nicht nur als Prozess oder Mittel, sondern auch als Modell. Die Sprache wurde uns dabei von den Vielen (den Anderen) geschenkt. Sie bezeugt, dass wir tief mit anderen Menschen verbunden sind. Sie ist ein wesentlicher Teil unserer Sozialisierung.
Die Tatsache, dass alle menschlichen Gemeinschaften Sprache kennen, impliziert nicht zwangsläufig, dass Sprache genetisch veranlagt ist. Es gibt etwas anderes, das alle Gemeinschaften teilen: die Fürsorge der Mutter. Diese soziale Konstante hängt dabei nicht so sehr von der biologischen Natur der Mutter ab, sondern von der des Kindes: dieses ist zur Gänze von der Fürsorge anderer abhängig. Wenn nicht irgendjemand seine Bedürfnisse befriedigt, leidet und stirbt es. Diese Bedürfnisbefriedigung muss dabei ohne Gegenleistung geschehen, da Kinder nicht zurückgeben können, was sie erhalten.
Diejenigen, die die Kinder versorgen, werden zu etwas gezwungen, das wir eine Art „funktionalistischen Altruismus“ nennen können. Die biologischen Fähigkeiten von Frauen – wie die Schwangerschaft, das Gebären oder die Laktation – werden gewöhnlich als „Funktionen“ interpretiert, denen zufolge es die Frauen sein müssen, die die Rolle der Fürsorgenden einzunehmen haben. Mädchen werden in diesem Sinne von Anfang an zu altruistischem Handeln ausgebildet.
Wenn wir Kommunikation als materielle Fürsorge oder als Schenken betrachten, das Gemeinschaft formt, dann können wir die Fürsorge der Frauen als die Basis der Gemeinschaftlichkeit der Familie betrachten. Die Nuklearfamilie – im besonderen die Beziehung zwischen Mutter und Kind – erinnert daran, wie eine auf extensivem Schenken beruhende Gemeinschaft einmal ausgesehen haben mag bzw. aussehen kann. Momente wahrer Gemeinschaft sind in unserer Gesellschaft so rar geworden, dass sich das Schenkprinzip nicht entfalten kann. Die Prekarität, in der die meisten von uns leben, macht das Schenken schwierig (ja verlangt oft genug Opfer) und daher „unrealistisch“.
Es gibt jedoch etwas, das wir im Überfluss haben und für dessen „Produktion“ beinahe alle die entsprechenden „Produktionsmittel“ besitzen. Dieses im Überfluss vorhandene Gut ist die Sprache, mit der wir ständig neue Sätze schaffen können. Auch wenn unser Vokabular begrenzt sein mag, sind dessen Verkettungsmöglichkeiten beinahe unbegrenzt. Wir erhalten Wörter und Sätze von anderen, ohne für sie bezahlen zu müssen, und reichen sie ebenso frei an andere weiter. Sprache funktioniert als Schenkökonomie. Wir erkennen sie jedoch nicht als solche, da wir dem Schenken in unserer Ökonomie keine Bedeutung beimessen. Die Aktivität der Fürsorge selbst nehmen wir für gewöhnlich nur in der Mutter-Kind-Beziehung wahr. Die Parallelen zwischen dem Schenken und der Sprache werden uns daher nicht bewusst. Dabei schaffen wir mithilfe der Sprache immer noch jene menschlichen Verbindungen, die wir über materielle Kommunikation (materielles Schenken) nicht mehr herzustellen wissen. Sprache erlaubt uns zu erfahren, was es heißt, einander im Überfluss zu schenken – eine Fähigkeit, die wir materiell verloren bzw. die wir uns noch nicht wieder angeeignet haben.
Sprache so zu denken, hat mich zu folgender Überlegung gebracht: Wenn es die Sprache ist, die die Entwicklung des Menschen ausmacht, dann liegt das Wesen der Sprache vielleicht im Aspekt des Schenkens-im-Überfluss und nicht in einem abstrakten System. Vielleicht würden wir uns weiterentwickeln, wenn es uns gelänge, wieder eine materielle Gemeinschaftlichkeit zu schaffen, die auf dem Schenken beruht – so wie es in der New-Age-Bewegung und von vielen anderen gehofft wird. Was dieser Entwicklung im Wege steht, ist die Tauschökonomie.
Die Logik der Mütterlichkeit verlangt, dass die Fürsorgenden sich der Bedürfnisse anderer bewusst werden. Die Belohnung dafür ist das Wohlbefinden der anderen. Es gibt viele unterschiedliche Arten von Bedürfnissen, und es ist manchmal eine Herausforderung, sie zu verstehen und zu befriedigen. Kontinuierliches Schenken und Empfangen schafft Erwartungen und Belohnungen, eine Kenntnis anderer und dessen, wie ein Bedürfnis befriedigt werden kann; es schafft außerdem ein Versprechen weiterer Fürsorge und die Erwartung, dass dieses gehalten wird. Es handelt sich um eine allumfassende Beziehung. Alle Beteiligten werden auf die ein oder andere Weise von der Erfahrung des Schenkens berührt.
Selbst dort, wo materielle Güter nicht erhältlich sind oder nicht verwendet werden, kann es ein Bedürfnis danach geben, sich mit einer anderen Person zu verbinden. Ich würde dies ein Bedürfnis nach Kommunikation nennen, nach Verbindung, nach Beziehung. Wörter sind die verbalen Güter, die kommunikative Bedürfnisse befriedigen. Wenn wir also Wörter zur Befriedigung kommunikativer Bedürfnisse verwenden, dann können wir Wörter als Geschenke betrachten. Die Mutter versorgt ihr Kind mit Gütern und Diensten, aber sie versorgt es auch mit Wörtern. Das Kind ist dabei sogar befähigt, mit der Mutter die Rolle zu wechseln: es kann ihr kommunikative Geschenke geben, bevor es ihr materielle geben kann.
Viele der Wörter, die wir verwenden, um über Sprache zu sprechen, verweisen auf Schenkprozesse: eine Eigenschaft kann „zugeschrieben“ werden, eine Bedeutung oder Nachricht „gesendet“, eine Information „übertragen“. Sprache als kollektives Ausdrucksmittel sagt viel über sich selbst, aber wir hören nicht hin, weil wir dem Patriarchat zuhören. Anstatt die Sprache zu verstehen, sehen wir sie demnach als postale Metapher für das Packen oder Codieren von Informationen, die geschickt und dann wieder ausgepackt bzw. dekodiert werden. Das Geschenk bleibt dabei verborgen.
Wir betrachten die Welt durch die Brille des Tausches und können daher auch einen solchen Rollenwechsel nur als Tausch sehen. Die Motivation des Rollenwechsels ist jedoch nicht erzwungene Reziprozität, sondern Teilen, alternierendes Schenken/Beschenkt-Werden und Kommunikation.
Wörter als Geschenke
Natürlich stellt sich das Problem der Materialität des verbalen Geschenks. Auch wenn wir ein Wort als wiederholbare Lauteinheit erkennen – und obwohl es diese Qualität mit anderen Wörtern teilt – kann es nur dazu verwendet werden, kommunikative Bedürfnisse zu befriedigen. Materielle Bedürfnisse können von ihm nicht befriedigt werden. Das Wort „Brot“ stillt kein Hungerbedürfnis. Kommunikative Bedürfnisse können der Befriedigung materieller Bedürfnisse jedoch indirekt dienlich sein. Zum Beispiel kann der Satz: „Es ist Brot im Kasten“ als eine Hilfeleistung für die Befriedigung eines Hungerbedürfnisses gesehen werden. Oder wenn wir „Brot!“ als Forderung aussprechen, so können wir das Wissensbedürfnis anderer danach befriedigen, was wir haben wollen. Unser Wortschatz könnte in diesem Sinne als Sammlung von Geschenken verstanden werden, die verschiedene kommunikative Bedürfnisse befriedigen. Jedes Wort ist eine Reihe von Phänomenen, eine Kette vokaler Verhaltensweisen, das von den kommunikativen Bedürfnissen, die es befriedigt, erkannt wird.
Wir können folgendermaßen unterscheiden: Ein Ei zu kochen ist eine Folge von Verhaltensweisen, die mit einer Reihe materieller Objekte zu tun haben und das Bedürfnis befriedigt, ein gekochtes Ei zu essen. Das Wort „Ei“ zu äußern ist eine Reihe vokaler Verhaltensweisen, die ein kommunikatives Bedürfnis befriedigen und über ein Ei (oder Eier) Beziehungen zu anderen herstellen.
Die Fähigkeit, Information zu vermitteln, kommt von der Beschreibung einer Erfahrung mithilfe dieser Wortgeschenke. Es werden dabei nicht nur Verbindungen zwischen den Wörtern selbst hergestellt, sondern auch zwischen unterschiedlichen Realitätsebenen: verbalen wie materiellen. Die Fähigkeit, Information zu erhalten, die auf der Verwendung von Wörtern beruht, erlaubt den Wörtern nicht nur kommunikative Bedürfnisse zu befriedigen, sondern auch materielle.
Ob Wortgeschenke nun Güter oder Dienste sind, gleicht der Frage, ob das Licht aus Teilen oder Wellen besteht. Die Arten der kommunikativen Bedürfnisse, die von den Wortgeschenken befriedigt werden, haben sich entwickelt, um von ihnen Gebrauch zu machen, so wie das Auge und der visuelle Cortex sich entwickelt haben, um vom Licht Gebrauch zu machen. Die Materialität von Wörtern irgendwo zwischen Gütern und Diensten anzusiedeln, macht auch insofern Sinn, als dass die Geschenke der nonverbalen Ebene, die von den Wörtern re-präsent-iert (Präsent = Geschenk) werden, ebenso von unterschiedlichen Materialitätsgraden sein können.
Vom Liebesakt bis zur Farbe Grün – vom Mond bis zum Kapitalismus: alle möglichen nonverbalen Dinge werden von verbalen repräsentiert. Dies schafft verbale Kommunikation, Linguistik, und manchmal materielle Gemeinschaft. Genauso wie materielles Schenken-und-Empfangen die physischen Körper der Menschen der Gemeinschaft formt, so trägt verbales Schenken-und-Empfangen zur Bildung der Menschen als soziale Subjekte bzw. zu deren psychologischer Identität bei.
Beziehungen
Das Schenken und Empfangen von Wortgeschenken – organisiert in Sätzen und Diskursen – schafft Beziehungen zwischen Menschen mit Bezugnahme auf Objekte. Das kommunikative Bedürfnis ist das Bedürfnis für eine Beziehung zu anderen Menschen mit Bezugnahme auf ein Drittes. Wir können uns nur selbst und nicht für eine andere Person auf dieses beziehen. Die andere Person hat diesen Bezug selbst herzustellen. Was wir allerdings tun können, ist, erstens, das Bedürfnis einer Person zu erkennen, sich auf etwas beziehen zu wollen, und zweitens, ihr entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen. Wenn Menschen über etwas sprechen, befinden sie sich unentwegt in solchen Situationen. Eine Person gibt einer anderen Wortgeschenke, welche für diese Person relevante Teile der Welt repräsentieren (wiedergeben). Sprache erlaubt uns also als soziale Wesen, andere in unsere Erfahrung der Welt mit einzubeziehen.
Wenn ich: „Schau dir den Sonnenuntergang an!“ sage, befriedige ich das Bedürfnis der Zuhörenden zu wissen, dass die Sonne gerade untergeht, und dass ich denke, dass es wert ist, sich das anzusehen. Indem ich ihnen dies mitteile, befriedige ich ihr vermutetes Bedürfnis nach einer Beziehung zu mir und zum Sonnenuntergang, genauso wie ich mein eigenes Bedürfnis nach einer Beziehung zu ihnen und zum Sonnenuntergang befriedige. Nachdem ich den Sonnenuntergang bereits erlebe, ist die Motivation meiner Aussage jene, die anderen Personen in dieses Erlebnis mit einzubeziehen bzw. das, was ich als ihr Bedürfnis verstehe – nämlich einen schönen Sonnenuntergang zu sehen – auf diese Weise zu befriedigen. Das Wort „Sonnenuntergang“ selbst stellt dabei ein Wortgeschenk dar, das uns allen geschenkt wurde, um unsere kommunikativen Bedürfnisse in Bezug auf Sonnenuntergänge befriedigen zu können.
Die Notwendigkeit der kreativen Aufnahme dieses Wortgeschenkes auf Seiten der Zuhörenden rückt diese – im gleichen Moment, in dem sich ihre Aufmerksamkeit auf den Sonnenuntergang richtet – in eine enge menschliche Beziehung zu mir. Schließlich finden wir uns alle verbunden in der gemeinsamen Bezugnahme auf ein nonverbales Ereignis.
Eine solche Bezugnahme ist in gewissem Sinne selbst ein Geschenk – jenes, das wir gewöhnlich „Information“ nennen. Während jedoch das gemeinsame Betrachten eines Sonnenuntergangs ein positives Erlebnis für alle Beteiligten sein kann und damit eine bedürfnisbefriedigende ästhetische Erfahrung, gibt es viele Informationen, die eindeutig negativ scheinen. Eine Aussage wie: „Ich hasse euch!“ setzt uns zum Beispiel in eine Beziehung mit anderen, die auf einer negativen Emotion beruht. Diese Emotion selbst ist mit Sicherheit kein Geschenk, aber es kann trotz allem nützlich sein zu wissen, dass sie existiert – insofern kann die vermittelte Information, trotz der Negativität des Inhaltes, immer noch als Geschenk verstanden werden.
Ich glaube, dass es viele Formen von Geschenken in unserem Leben und in der Sprache gibt, doch bleiben uns die meisten verschlossen. Wir können einander schenken, indem wir fürsorglich miteinander umgehen bzw. uns gegenseitig Positives mitteilen. Doch selbst wenn wir Negatives oder Neutrales sagen, gibt es für die Zuhörenden Wege, das, was ihnen gesagt wurde, in ein Geschenk zu verwandeln. Es hängt alles von unserem kreativen Vermögen ab.
Das Zitat Karl Marx’, mit dem ich dieses Buch eingeleitet habe, erkennt die Logik des Auf-Andere-Ausgerichtet-Seins als Logik der Kommunikation: „Die Sprache ist so alt wie das Bewusstsein – die Sprache ist das praktische, auch für andre Menschen existierende, also auch für mich selbst erst existierende wirkliche Bewusstsein...“ Das Zitat erinnert auch an die zweite Gralsfrage: „Wem dient der Gral?“, oder einfach: „Für wen ist er?“ Diese Frage – immer zentraler Teil des Schenkens – bleibt in unserer profitorientierten Gesellschaft oft ungefragt und damit auch unbeantwortet.
Das Oxford English Dictionary sagt, dass das Wort „thing“ (Sache) vom alten norwegischen Wort für „court“ (Gericht) kommt. Dies impliziert für mich ein kollektives kulturelles Werturteil. Ich denke, dass wir sowohl Wörter als auch Dinge im Sinne der kollektiven Werturteile, die ihnen zuteil werden, analysieren müssen.
Auf ähnliche Weise schreibt die Aussage: ”die kranke Frau”, einer Frau Krankheit zu und schafft dabei ein Thema, das „geschenkt“ werden kann, obwohl Krankheit selbst kein Geschenk ist.
Karl Marx / Friedrich Engels, Die Deutsche Ideologie, MEW 3, S.30.
Allgemeine und partikuläre Prozesse
Ein Aspekt sprachlicher Kommunikation ist, dass sie den unendlichen Möglichkeiten menschlicher Erfahrung in einem gemeinsamen Hier und Jetzt Ausdruck verleiht. Es kann dabei jedoch auf andere Orte und Zeiten verwiesen wird. Im Hier und Jetzt kann ein Thema berührt bzw. eine Geschichte erzählt werden, im Zuge derer wir uns vergangener Erfahrungen wieder erinnern und sie gemeinsam teilen können. Diese Themen und Geschichten sind Geschenke, insofern sie eine gemeinsame Basis schaffen, auf der unsere vielfältigen Subjektivitäten zueinander finden.
Ich glaube, dass Sprache über die Kombination allgemeiner und konstanter Elemente auf partikuläre und kontingente Weise funktioniert. Wir können die allgemeinen und konstanten Elemente erkennen, wenn wir sie aus dem Sprachfluss herausnehmen und isoliert betrachten. Ihr allgemeiner Charakter wird deutlich, wenn sie alleine stehen. „Hunde sind vierbeinige Schwanzwedler, die bellen“ lässt uns sowohl an Hunde als auch an das Wort „Hunde“ in deren jeweiliger Allgemeinheit denken. Gleichzeitig ist es die vielfache Verwendung ein- und desselben Wortes in unzähligen partikulären Sätzen, die ihm seine Allgemeinheit verleiht. Wörter werden kollektiv produziert, genauso wie die allgemeinen kommunikativen Bedürfnisse.
Wenn etwas innerhalb einer Gemeinschaft so wichtig oder wertvoll wird, dass es Menschen zum Bilden einer Beziehung veranlasst, wird dafür in sozialem Miteinander ein Wort geschaffen, das das entsprechende (Beziehungs)Bedürfnis befriedigt. Dieses Wort ist allgemein und konstant: es kann immer wieder angewandt werden, um ein kommunikatives Bedürfnis zu befriedigen, das sich auf das Etwas (das „Ding“), für das es steht, bezieht. Wenn ein Bedürfnis nur kontingent und flüchtig ist und wir kein eigenes Wort zur Befriedigung dieses Bedürfnisses haben, formen wir einen Satz: wir verbinden Wörter, die wir haben, zu einer Kombination, die die Bedürfnisse in Bezug auf das, worüber wir gerade sprechen wollen) befriedigen können.
Ein kontingentes und flüchtiges kommunikatives Bedürfnis kann jederzeit entstehen. Im Satz: „Nach dem Sturm brachte die Sonne die Wassertropfen zum Glitzern“ wird beispielsweise ein kontingentes kommunikatives Bedürfnis, das sich auf eine spezifische flüchtige Situation bezieht, erfüllt. Dies geschieht, indem Wörter verbunden werden, die auch in anderen Sätzen und mit Bezugnahme auf andere kontingente Situationen verwendet werden können. Dies kann wiederum deshalb geschehen, weil diesen Wörtern konstante Elemente innewohnen. „Die Sonne“ verweist nicht nur in dem flüchtigen Moment unseres Beispiels auf die Sonne und nicht nur Wasser kann „glitzern“. Diese Wörter sind immer wieder von Bedeutung für unsere Kommunikation, ungeachtet der unendlich vielen kontingenten und flüchtigen Kontexte, in denen sie verwendet werden können. Allgemein formuliert, kommen unsere Wörter davon, dass sich kollektive kommunikative Bedürfnisse in Bezug auf Dinge/Situationen entwickelt haben, und wir Wörter schufen, die diese Bedürfnisse befriedigen. Dabei kann ein einzelnes Wort auch verwendet werden, um sich auf verschiedene Objekte zu beziehen (Homonyme), und ein- und dasselbe Objekt kann von verschiedenen Wörtern wiedergegeben werden (Synonyme).
Bedürfnisse bauen aufeinander auf und kommunikative Bedürfnisse können sich auf verbale wie auf nonverbale Kontexte beziehen. Wenn es sich um eine komplexe Situation handelt, kann ein ganzer Diskurs geschaffen werden, um die entsprechenden kommunikativen Bedürfnisse zu befriedigen. Dies geschieht, indem wir Ausdrücke miteinander verbinden, die wir zur Befriedigung einer Reihe kontingenter kommunikativer Bedürfnisse verwenden, die für die in Frage stehende Situation von Relevanz sind. In Diskursen arbeiten Ausdrücke zusammen, um ein gemeinsames Thema zu diskutieren und eine Reihe kommunikativer Bedürfnisse zu befriedigen, die in diesem Zusammenhang entstehen.
Schenken als Ur-Logik
Linguisten und Philosophen haben manchmal versucht, Sprache anhand logischer Strukturen zu erklären, die ihr zugrunde liegen sollen – entweder in Form einer relativ einfach strukturierten Universalsprache (was immer noch nicht erklären würde, wie Sprache funktioniert) oder einer anderen elementaren Struktur bzw. eines anderen elementaren Prozesses. Ein solches zur Erklärung herangezogenes Modell war jenes von Ursache und Wirkung. Es wurde behauptet, dass es möglich sei, Strukturen von Subjekt, Verb und Objekt auf eine ihnen zugrunde liegende Struktur von Ursache und Wirkung zurückzuführen. Ein Beispiel, das oft verwendet wurde, war der Satz: „Johann tötet Maria“. Im Sinne der Ursache-Wirkung-Theorie wurde er „übersetzt“ als: „Johann war der Grund, warum Maria starb“. Ich bin oft entsetzt über die (wahrscheinlich unbewusste) Frauenfeindlichkeit, die in Beispielen von Linguisten zum Ausdruck kommt. Vielleicht zeigt dies die Schuld, die sie fühlen, das Prinzip der Mütterlichkeit (Maria?) nicht als Erklärung der Sprache anzuerkennen.
Die Ursache-Wirkung-Theorie wurde schließlich von den meisten Linguisten als ungenügende Erklärung des Phänomens Sprache verworfen. Sie war schlicht nicht besonders aussagekräftig. In jedem Fall implizierte sie Konsequenzen für unsere menschlichen Beziehungen, die nicht jene des Schenkprinzips sind.
Ich denke, dass das Schenken jener Prozess ist, mit dem wir Sprache erklären können. Nicht nur können auf diese Weise Wörter als bedürfnisbefriedigende Geschenke gesehen werden, sondern die syntaktische Struktur von Subjekt, Prädikat und Objekt lässt sich als Struktur von Schenkende-Geschenk-Beschenkte verstehen. Nehmen wir zum Beispiel den Satz: „Das Mädchen warf den Ball“. „Das Mädchen“ ist hier die Schenkende, „warf“ das Geschenk, „der Ball“ das Beschenkte. Die „Übersetzung“ wäre: „Das Mädchen schenkte dem Ball einen Wurf“.
Die Intentionalität des Schenkens spiegelt sich in vielen menschlichen Handlungen wider und auch in der Intentionalität des Sprechens. Das Gefühl von Bewegung und Ganzheit, das ein einfacher transitiver Satz in uns erwecken kann, ist der Bewegung und Ganzheit ähnlich, die sich im Schenken ereignen. Schenken ist in der Tat transitiv: etwas wird von einem Ort oder einer Person zu einem anderen/einer anderen bewegt. In dem passiven Satz: „Der Ball wird von dem Mädchen geworfen“, liegt die Betonung beispielsweise auf dem Beschenkten, nicht der Schenkenden.
Mütterlichkeit als sozialer Prozess ist am Beginn des Lebens unabdingbar. Zur gleichen Zeit findet das Lernen der Sprache statt. Mütterlichkeit ist kulturell universal. Sie wird, wie wir gesehen haben, von der Natur des Kindes verlangt, nicht jener der Erwachsenen. Während Mütterlichkeit von vielen als quasi natürlich begriffen wird, ist die Aufgabe der Fürsorge für die Mütter eine soziale. Die Fürsorge geschieht intentional. Die Fähigkeit der Frauen, Milch zu schenken, ist ein biologischer Aspekt, der die Betreuung der Kinder einfacher macht, doch findet diese trotzdem in einem kulturellen Kontext und unter bestimmten sozialen Bedingungen statt. Mütterlichkeit bedeutet einen intentionalen Transfer von Gütern und Diensten von Erwachsenen zu Kindern, von Schenkenden zu Beschenkten.
Für Kinder ist diese Erfahrung grundlegend, da buchstäblich ihr Leben von ihr abhängt. Sie ist jedoch auch wichtig und lehrreich für jene, die für die Kinder sorgen. Alleine schon wegen des Zeitaufwands. Es überrascht nicht, dass die Hälfte der Menschheit von Geburt an zur Fürsorge von Kindern ausgebildet wird, da diese Aufgabe ein großes Maß an Aufmerksamkeit und Hingabe erfordert. Das Buch The Language Instinct von Steven Pinker schrieb vor einigen Jahren unsere sprachliche Fähigkeit biologischen Faktoren zu. In ähnlicher Weise wurde Mütterlichkeit bis vor kurzem als Instinkt gesehen. In beiden Fällen ist es die Logik des Geschenks, die verleugnet wird.
Die Erfahrung der Fürsorge ist grundlegender als jede „Objektivität“. Die Erfahrung der Geschenke, die von der Mutter geschenkt und vom Kind empfangen werden, ist grundlegender für uns Menschen als jedes Wissen um Ursache oder Wirkung. Die Mütter sind die Schenkenden, ihre Fürsorge ist das Geschenk, und die Kinder sind die Beschenkten. Dieser Prozess ist derselbe, anhand dessen das Kind Sprache als syntaktische Struktur von Subjekt (das Schenkende), Prädikat (das Geschenk) und Objekt (das Beschenkte) erlernt.
Wenn Wörter sprachliche Geschenke sind, die im Rahmen einer zwischenmenschlichen Sprachsituation kommunikative Bedürfnisse befriedigen, dann sind die Sprechenden die Schenkenden, die Wörter/Sätze die Geschenke, und die Zuhörenden die Beschenkten. Sätze sind Kombinationen von Wörtern und befriedigen kontingente kommunikative Bedürfnisse. Es scheint nicht vermessen, auch den Kombinationsprozess der Wörter als einen Prozess zu sehen, der der Logik des Geschenks folgt.
Die Hypothese, dass Sprache auf Schenken und Beschenkt-Werden beruht, erlaubt uns, uns viele Ebenen des Schenkens näher anzusehen. Aspekte der Sprache, die zuvor mysteriös erschienen, können nun als Elemente eines Schenkprozesses erklärt werden. Zunächst gibt es die Ebene materieller Kommunikation: die Mutter schenkt dem Kind. Dann gibt es verbale Kommunikation: die Mutter spricht mit dem Kind. Drittens sind Wörter soziale Geschenke, die allgemeine kommunikative Bedürfnisse befriedigen. Viertens werden Wörter zu Sätzen kombiniert, die kontingente kommunikative Bedürfnisse befriedigen. Fünftens können auch die Nachricht oder das Thema eines verbalen Austausches als Geschenke betrachtet werden, etwa wenn wir jemandes Bedürfnis, etwas zu wissen oder über etwas zu sprechen, befriedigen. Sechstens spiegelt auf einer syntaktischen Ebene (innerhalb eines Satzes) die Beziehung zwischen Subjekt, Prädikat und Objekt die Beziehung zwischen Schenkenden, Geschenk und Beschenkten wider.
Es ist wichtig, diese syntaktische Beziehung als eine zu betrachten, die sich auf der Ebene der Wörter selbst vollzieht. Auf der Ebene der von den Wörtern repräsentierten Dinge kann das Geschenk nämlich durchaus negativ sein, wie in: „Der Junge schlug das Mädchen“ oder: „Johann tötete Maria“ (Übersetzung: „Johann schenkte Maria den Tod“). Auf der Ebene materieller Kommunikation ist solche Gewalt natürlich fürchterlich und verursacht schmerzhafte Bedürfnisse anstatt Bedürfnisse zu befriedigen. Nichtsdestotrotz kann sich der Schenkprozess auf der Ebene der Satzstruktur unabhängig davon vollziehen, was sich auf der Ebene der Erfahrung vollzieht. In diesem Sinne haben die Sätze: „Das Mädchen stieß den Ball“, „Die Mutter hat einen Kuchen gebacken“ oder „Johann tötete Maria“ alle dieselbe Struktur von Schenkende-Geschenk-Beschenkte – auch wenn sie auf der materiellen Ebene äußerst unterschiedliche Ereignisse beschreiben.
Auf der syntaktischen Ebene können wir auch die Beziehungen zwischen Adjektiv und Substantiv bzw. zwischen Adverb und Verb als Beziehungen zwischen Geschenken und Beschenkten betrachten. Im Satz: „Der braune Hund lief schnell zum Tor“ wird das Adjektiv „braun“ dem Substantiv „Hund“ geschenkt und das Adverb „schnell“ dem Verb „lief“. Philosophen pflegten zu sagen, dass „braun“ ein „Eigentum“ des Hundes sei, und „schnell“ ein Eigentum des Laufens. Aber „braun“ kann nur ein „Eigentum“ genannt werden, weil es dem Hund geschenkt wird. Dies geschieht, indem dem Wort „braun“ erlaubt wird, das Wort „Hund“ zu spezifizieren, wodurch beide Wörter als Geschenk und Beschenktes vereint werden – sie befriedigen dadurch ein kontingentes kommunikatives Bedürfnis, das von einem Hund dieser Farbe geschaffen wird.
Linguisten sind es gewohnt, einem mathematischen, algebraischen oder wissenschaftlichen Modell zu folgen, nicht einem des Lebens. Doch selbst sie sprechen von Wörtern als etwas, das zwischen anderen Wörtern in einem Satz „die Lücken füllt“. Wir können diese „Lücken“ als Bedürfnisse betrachten, und die Wörter als Geschenke, die sie befriedigen. Wenn ein Wort nur auf bestimmte andere Wörter bezogen werden kann (Artikel wie „der/die/das“ können zum Beispiel nur auf Substantiva bezogen werden), ist es auch ein Geschenk, dass nur bestimmten Wörtern gemacht werden kann, da nur diese ein Bedürfnis nach ihm („eine Lücke für es“) haben. Einige Wörter bzw. Wörtergruppen haben sich an andere anzuhängen, da sie nicht alleine schenken können, sondern dafür einer anderen Wörtergruppe dienen oder von einer anderen Wörtergruppe bedient werden müssen. Zum Beispiel muss der Ausdruck: „zum Tor“, dienen. Er kann nicht alleine stehen. Alleine „sagt er nichts“, ist er kein Geschenk, ja noch nicht einmal ein Schenkendes, sondern ein Geschenk an ein Geschenk.
Wie wir gesehen haben, werden zwischen Geschenken und Beschenkten Verbindungen geschaffen. Ähnliches geschieht zwischen Wörtern. Wenn etwa das Adjektiv „braun“ einem „Hund“ geschenkt wird, um das kommunikative Bedürfnisse zu befriedigen, das von einem braunen Hund kommt, so verbindet sich „Hund“ in diesem Augenblick mit dem Geschenk „braun“.
Die Bedürfnisse, die Idiome entstehen lassen, sind irgendwo zwischen der Beständigkeit des Wortes und der Kontingenz des Satzes angesiedelt. Die Tatsache, dass es Variationen gibt, was die Formen anlangt, in denen diese Funktionen in verschiedenen Sprachen in Wortstellung und Syntax ausgedrückt werden, relativiert nicht die Hypothese, dass Schenken und Empfangen universelle Verhaltensstrukturen darstellen, auf denen diese Variationen beruhen.
Es gibt eine Reihe nonverbaler Kommunikationsmuster, die das Spektrum zwischen materiellem Versorgen und verbalem Teilen abdecken. Wir müssen zunächst allerdings das abstraktere Ende des Sprachspektrums verstehen, um später auch nonverbale Kommunikationsformen
entsprechend verstehen zu können.Transparenz und Ausweichen
Es werden auf der verbalen Ebene Geschenke gemacht, die die Wirklichkeit interpretieren, indem sie diese in Begriffen des Schenkens repräsentieren. Tatsächlich sind diese Geschenke jedoch transparent. Im Beispiel des braunen Hundes hat der Hund bereits die Farbe, die wir anderen als „braun“ mitteilen. Die Transparenz der Schenkstruktur erinnert uns an ein weiteres Charakteristikum des Schenkens: die Schenkenden weichen aus, sie verschwinden, um den Beschenkten Wert zukommen zu lassen. Wir erkennen oft nur das, was wir sagen, als Geschenk (etwa wenn Information, die wir weiterreichen, von den Zuhörenden verstanden und verwendet wird). Wir erkennen nicht, dass auch die Weise, auf die wir etwas sagen, viele Aspekte des Schenkens impliziert.
Auf der Wirklichkeitsebene weichen materielle Dinge, die kommunikative Geschenke hätten sein können, großzügig aus, um für Wortgeschenke Platz zu machen. Viele von ihnen – abstrakte Ideen, materielle Objekte einer bestimmten Größe, Phantasiegebilde oder subjektive Zustände – hätten dabei niemals materiell von einer Person zu einer anderen übertragen werden können. Sie geben ihre Position ohne Widerstand auf und verleihen den Wörtern, die sie ersetzen, Wert.
Auf einer anderen Ebene werden die Emotionen, die sowohl in unserer Sprache als auch im Akt des Sprechens selbst ausgedrückt werden, jenen zugetragen, zu denen wir sprechen. Auch damit werden Verbindungen geschaffen. Allerdings bemerken wie gewöhnlich keine Schenkstrukturen in der Sprache, weil auch diese selbst ausweichen. Sie weichen aus, sowohl um dem Wert zu verleihen, das gesagt wird, als auch den Zuhörenden (denen, die verbale Geschenke erhalten). Ein weiterer Grund dafür, warum wir oft keine Schenkstrukturen sehen, ist, dass diese von definitorischen Tauschstrukturen verschieden und ihre Dimensionen andere sind. Definitorische Strukturen überwältigen Schenkstrukturen wie Militäreinrichtungen, die an Orten errichtet werden, die Frauen heilig sind.
Die interpretatorischen Möglichkeiten des Schenkens sind geleugnet worden, indem Interpretation als eine Art Penetration des Gehirns gesehen wurde. Phrasen wie: „die Art, in der Wörter an die Welt gekuppelt sind“ oder „Lücken-Füllen“ suggerieren Metaphern männlicher Sexualität. Von einer mütterlich-feministischen Perspektive aus können wir stattdessen die Beziehungen zwischen Wörtern und Welt als Beziehungen zwischen Geschenken auf verschiedenen Ebenen sehen. Die „Wirklichkeit“ ist dabei selbst ein Geschenk – in jeder Hinsicht, von „sensuellen Empfindungen“ zu „empirischen Tatsachen“. Die Welt wird Menschen eröffnet durch die vielfältigen Geschenke der Sprache: dem Senden von Nachrichten, dem Teilen von Ideen und Information, dem Weiterreichen von Kultur. In diesem Sinne könnten wir unsere Spezies homo donans anstatt homo sapiens nennen. Schenken und Empfangen stehen am Anfang unseres menschlichen Wissens und sind für dieses notwendig. Das Schenken ist die Basis einer universellen Grammatik – nicht nur der Sprache, sondern des Lebens.
Transitivität
Eine weitere Weise, auf die wir das Schenken betrachten können, ist die logischer Transitivität. Der Syllogismus, auf dem die wissenschaftliche Disziplin der Logik beruht, ist: „Wenn A B ist, und B C, dann ist A C.“ Dies kann gesehen werden als Verlagerung der Transitivität des Geschenks: „Wenn A B schenkt, und B C, dann schenkt A C.“ Wie die Sprache kann die Logik damit als etwas gesehen werden, das auf der Mütterlichkeit beruht, nicht auf der Abstraktionsfähigkeit. Verbale Konjunktionen (Artikel, Präpositionen, Präfixe, Suffixe, usw.) ändern die Art der Geschenke, die Wörter sind, indem sie mit ihnen verbunden werden. In diesem Sinne stehen Antworten auf Fragen nach dem Wie, Wo oder Wann von Ereignissen in direkter Verbindung zu den Fähigkeiten des Schenkens und Empfangens.
Auch wenn eine Erfahrung, die vermittelt wird, selbst keinen abgeschlossenen Schenkprozess darstellt, stellt ihre Mitteilung immer noch ein Geschenk dar. Die Botschaft des Satzes: „Der braune Hund lief schnell zum Tor“, ist beispielsweise nicht-transitiv. Niemand wird hier vom Hund beschenkt. Der Satz selbst schenkt uns jedoch nach wie vor die Vorstellung einer bestimmten Situation. Die zusätzliche Information, die von „zum Tor“ kommt, macht den Satz nützlicher, indem sie uns mitteilt, wohin sich das Laufen richtet. Die Wörterkombination „zum Tor“ dient dem Wort „lief“, indem sie ihm einen Referenzpunkt gibt und es spezifischer macht.
Das Patriarchat hat die Aktivität den Männern zugeschrieben und die Passivität den Frauen, da es der Kreativität des Schenkens und Empfangens gegenüber blind ist. Sowohl Schenken als auch Empfangen sind kreative Prozesse. Die Anwendung dessen, was uns geschenkt wird, ist notwendig, um es wirklich zu einem Geschenk zu machen. Wenn wir ein Geschenk nicht anwenden, ist es vergeudet, leblos. Die Tatsache, dass die Fähigkeit zu empfangen, genauso wichtig ist wie die Fähigkeit zu schenken, zeigt sich in unserem Vermögen, Sätze von der aktiven in die passive Form und umgekehrt zu übertragen. Die, die in einem Moment die Beschenkten sind, können dabei im nächsten Moment die Schenkenden sein: „Das Mädchen warf den Ball, der das Fenster durchschlug.“
Wir können sagen, dass Sprechende eine Erfahrung, die sie an Zuhörende weiterreichen, zuvor selbst als Geschenk erhalten haben. Sie sind Vermittelnde in einem Schenkprozess: „A schenkt B, und B schenkt C.“ Indem die Sprechenden (B) eine Erfahrung beschreiben, reichen sie ein Geschenk des Lebens (A) an die Zuhörenden (C) weiter. Das Geschenk beinhaltet dabei auch die Kreativität der Sprechenden: sie bearbeiten ihre Erfahrung in ihrer verbalen Repräsentation und trennen die für sie wichtigen Aspekte der Erfahrung von den für sie unwichtigen. Ihre Repräsentation verleiht somit den Teilen, die sie zur Mitteilung ausgewählt haben, einen besonderen Wert.
Die Zuhörenden selbst trennen wiederum Aspekte der ihnen als Mitteilung geschenkten Erfahrung in für sie wichtige und weniger wichtige. Auch sie arbeiten somit aktiv an der Gestaltung des Geschenks mit, das sie erhalten. Die Geschlechtsstereotypisierung und die Fixierung auf den Tausch, die unsere Gesellschaft kennzeichnen, verleihen einem großen Teil menschlicher (männlicher) Aktivität keinen Schenkcharakter, da diese Aktivität nicht bedürfnisorientiert ist. Wenn wir dem Schenkprinzip allerdings wieder zu seinem zentralen Platz innerhalb der Gruppe interpretatorischer Register verhelfen, anhand derer wir die Welt verstehen, dann werden wir sehen, dass der Großteil menschlicher Aktivität nach wie vor auf die Befriedigung von Bedürfnissen ausgerichtet ist. Sprache entsteht in jedem Fall nicht als mechanische Verkettung (verbaler) Aktivitäten, sondern als eine Sammlung von Geschenken und Formen des Schenkens und Empfangens. Diese stehen mit kommunikativen Bedürfnissen in Verbindung, die von unseren Erfahrungen geweckt werden und sich stetig vermehren, da sie auf unzählige Weisen befriedigt werden können.
Geschenke – egal ob verbal oder nonverbal – sind nicht willkürlich. Sie werden gezielt gegeben, um Bedürfnisse zu befriedigen und Verbindungen zu schaffen. Ersatzgeschenke (z.B. Wörter – siehe Kapitel 3) haben dabei allerdings nicht wie die Originale auszusehen oder zu klingen.
Die Logiken des Schenkens und des Tausches widersprechen einander, doch baut der Tausch auf dem Schenken auf. Er ist ein erzwungenes wechselseitiges Geschenk, da die Beschenkten den Schenkenden das, was sie erhalten haben, in gleichem Wert zurückzugeben haben. Das Produkt einer Person ersetzt das Produkt einer anderen Person. Ich glaube, dass diese Bedingungen der Gleichheit und des Ersetzens zum einen von unseren sprachlichen Benennungsprozessen abstammen (wie wir oben sehen konnten, nimmt in diesen Prozessen ein verbales Geschenk den Platz eines nonverbalen ein) und zum anderen von unseren Definitionsprozessen (in denen einige verbale Geschenke den Platz anderer verbaler Geschenke einnehmen). Im Tausch – der sich auf der materiellen Ebene abspielt – nimmt ein zurückgegebenes Geschenk den Platz des eigenen ein und schafft – so wie es das verbale Ersatzgeschenk tut – eine Verbindung zwischen den Tauschenden.
Gute Absichten können jedoch auch in den Abgrund führen, und so wird der Erhalt des Tausch-„Geschenks“ bald zur einzigen Motivation für das Geben des ersten „Geschenks“. Wenn der Schenkprozess auf diese Art in einen Tausch von „Gleichem“ transformiert wird, wird der gegenseitige Akt des Schenkens jedes altruistischen Moments beraubt. Die dem Tauschprozess zugrunde liegende „Gleichheit“ ist nichts anderes als die Gleichheit der Eigeninteressen der Tauschenden. Der Tausch wird zu einer Art magnetischer Struktur, nach der sich unsere Gesellschaft organisiert. Auch unser Denken richtet sich nach dieser Struktur und rechtfertigt sie – wahrscheinlich deshalb, weil sie den linguistischen Prozessen, von denen sie abstammt (und die wir weiterhin gebrauchen), so ähnlich ist (auch wenn sie das diesen Prozessen innewohnende Schenkprinzip in ein Tauschprinzip verwandelt hat). Außerhalb dieser Struktur wird weiterhin geschenkt, doch ist dieses Schenken unsichtbar geworden und kann den Menschen nicht mehr als ein Prinzip dienen, an dem sie sich orientieren könnten. Das Schenkprinzip weicht aus – es stellt sich dem Tauschprinzip nicht entgegen. Ja es findet sich in einer Situation, in der es den Tausch gar mit einseitigen („nicht zurückgegebenen“) Geschenken unterstützt und seinen vermeintlichen Wert somit zusätzlich stärkt.
Der Tausch ist auf sich selbst gerichtet und rechtfertigt sich selbst. Er hat eine symmetrische Form und die Bedingung der Gleichheit zwischen den Produkten untergräbt das tatsächliche Eingehen auf die Bedürfnisse anderer. Da der Tausch auf den Selbstinteressen der Tauschenden beruht und sie rechtfertigt, sind nicht nur die Produkte des Tausches gleich, sondern auch die dem Tausch zugrunde liegenden Motivationen. Indem sich die im Tausch involvierten Gleichheiten in diesem Sinne reproduzieren, beginnt ein infiniter Spiegeleffekt, der die Bedingungen für alle folgenden Tauschprozesse schafft, etwa jene des Marktes. Die Prozesse verbalen Ersetzens und die Prinzipien sprachlicher Gleichheit schwingen dabei immer noch mit und verleihen den Marktprozessen abstrakte Legitimation.
Die abstrakten Gleichungen, anhand derer in der Logik des Tauschprinzips die Selbstinteressen der Tauschenden geregelt werden, erhalten eine Unabhängigkeit, eine Art eigenes Leben. Alles, was von einem Äquivalent ersetzt werden kann, scheint Wert zu haben (einen Tauschwert), egal ob es ein Bedürfnis zu befriedigen vermag oder nicht. Ich glaube, dass die Idee, dass es viel an menschlicher Aktivität gibt, die nicht bedürfnisorientiert ist, von der Überbetonung der Gleichung und der gleichzeitigen Ignorierung des Schenkens herrührt. Auch die abstrakten Bedürfnisse des Tauschprozesses werden nicht als Bedürfnisse verstanden, sondern als Teil der Welt „wie sie ist“. Gleichzeitig wird die Befriedigung dieser Tauschbedürfnisse wichtiger als die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, und der Tausch löst das Schenken ab und präsentiert sich nunmehr selbst als vermeintliche Quelle menschlicher Werte. Es entsteht die unmenschliche und unmoralische marktgetriebene Kategorie der „effektiven Nachfrage“.
Da der Tausch einer Gleichung bedarf, die den Gleichungen des Marktes (und anderen Gleichungen) entsprechen, beinhaltet er eine Art eingebaute Meta-Ebene , die ihm erlaubt, sich selbst zu reproduzieren und zu behaupten. So wird das Schenken (das NachahmerInnen braucht, um als leitendes Prinzip wirken zu können) in den Hintergrund gedrängt und bleibt versteckt, auch wenn es auf vielfache Weise weiterhin stattfindet. Der Tausch selbst bleibt parasitär in die Prozesse des Schenkens eingebunden. In der Tat würde der Tausch ohne diese Prozesse nicht bestehen: er ist das Andere des Schenkens.
Die Funktion des Tausches beruht immer noch auf dem allgemeinen Charakter des Schenkens, doch wird dieses selbst nunmehr als schlechter oder fehlgelaufener Tausch definiert. Das Schenken wird in der Logik des Tausches als unvollständiger einseitiger Tausch verstanden, der als solcher nicht existieren kann. Auf diese Weise verhalten sich die Logik und Praxis des Tausches parasitär zur Logik und Praxis des Schenkens. Mithilfe der Geschenke, die sich das Tauschprinzip aneignet, gelingt es ihm, das Leben und die Weltanschauungen der Menschen zu kontrollieren: sowohl jener, die dem Tauschprinzip verhaftet sind, als auch jener, die dem Schenkprinzip folgen.
Der Strom der Geschenke fließt nach oben, gegen die Schwerkraft und hin zu den höchsten Ebenen der patriarchalen Hierarchien. Das heißt gleichzeitig, dass dieser Strom weg von den Bedürfnissen der Massen fließt. Die sich gegenseitig stützenden Schenk-Tausch-Hierarchien werden oft „soziale Reproduktion“ genannt. Es ist der Spiegeleffekt, der unzählige Reproduktionen derselben Struktur schafft. Diese gleichen einmal mehr den sprachlichen, doch erkennen wir sie nicht als solche. Die ewig reproduzierten Gleichungen lassen uns glauben, dass der Schlüssel zum Verständnis der Welt in der Reproduktion dieser Bilder vom Einen und den Vielen enthalten ist anstatt im Schenkaspekt der Sprache.
Zu guter Letzt wird das parasitäre Tauschprinzip auf die Ebene eines selbst-reproduzierenden Systems mit eigenem „Verstand“ gehoben – womöglich aufgrund der Überzeugungskraft, die die Reproduktion sich gleichender Strukturen auf den unterschiedlichsten Ebenen hat. Wenn diese Prozesse zur Formation individueller Strukturen beitragen – bewusst und unbewusst, zum Beispiel – dann scheint es gerechtfertigt, davon auszugehen, dass sie auch zur Formation unserer gesellschaftlichen Strukturen beitragen.
Die Selbst-Reproduktion wird erleichtert, wenn sich gleichende Bilder auf unterschiedlichen Ebenen gefunden oder geschaffen werden. Ich betrachte solche Parallelen zwischen patriarchalen Strukturen auf unterschiedlichen Ebenen nicht als Analogien, historische Isomorphismen oder Homologien, sondern als selbstähnliche soziale Strukturen, die der Transformation der sprachlichen Definitionsform in eine Geschlechtsdefinition (und umgekehrt) zugrunde liegen. Dieser wechselseitige Prozess ereignet sich auf vielen Ebenen.
Die Idee der Selbstähnlichkeit wurde von Benoit Mandelbrot im Zuge des Studiums fraktaler Geometrie entwickelt. Mandelbrot entdeckte, dass dieselben Strukturen auf den unterschiedlichsten Ebenen oder „Skalen“ reproduziert werden. Der Blumenkohl ist das meistverwendete Beispiel: jede Blume – und jeder ihrer Teile – sieht genauso aus wie der gesamte Kopf.
Ich denke, dass genau das Gleiche passiert, wenn wir von sozialen Strukturen sprechen. Fraktale Strukturen werden geschaffen, indem die Resultate einer Gleichung wieder in andere Gleichungen eingefügt werden, und so weiter: Millionen Mal. Sozial tun wir dasselbe: Wir fügen die Geschlechtsdefinition und ihre maskulinen Resultate wieder und wieder in soziale Definitionen ein und reproduzieren somit dieselbe Struktur auf unterschiedlichen Ebenen.
Eine Meta-Sprache ist eine Sprache, die über Sprache spricht. Begriffe wie „Hauptwort“ oder „Satz“ sind Teil der Meta-Sprache der Grammatik. Der vom Tausch erzeugte Spiegeleffekt bringt alle Gleichungen und die diese widerspiegelnden gesellschaftlichen Strukturen dazu, den Tausch zu legitimieren. Durch ihre Gleichheit scheinen diese Gleichungen und Strukturen zu definieren, was normal ist. Diese Selbstlegitimation verzerrt unseren Blick auf die ökonomischen und sozialen Verhältnisse. Sie lassen das Tauschprinzip als das einzig mögliche erscheinen, indem sie es dekontextualisieren bzw. vom Schenkprozess ablösen. In der Principia Mathematica präsentiert Betrand Russell seine Theorie logischer Typen, in der höhere logische Ebenen von einem anderen Typus sind als die Ebenen, die unter ihnen angesiedelt sind. So befindet sich zum Beispiel die Klasse aller Klassen als Meta-Klasse auf einer höheren logischen Ebene als die Teile/Individuen, die diese Klasse bestimmen. Meta-Nachrichten sind Nachrichten über Nachrichten und erklären uns, wie wir Nachrichten interpretieren können. Ich glaube, dass der Spiegeleffekt viele Meta-Nachrichten schafft, die uns an den Tauschprozess binden. Wir können diesbezüglich z.B. Gregory Batesons Steps to an Ecology of Mind betrachten. Bateson setzt sich darin mit den Möglichkeiten auseinander, schizophrene Doppelbindungen durch das Ändern von Meta-Nachrichten aufzulösen. Ich glaube, dass die Doppelbindungen von versteckten Tauschmotivationen und –prozessen auf einer Meta-Ebene bedingt werden. Das Schenken als den Kontext zu erkennen, in dem der Tausch und die ihm entsprechenden Klassifikationen stattfinden, könnte uns dazu bringen, unsere Ökonomie und unsere Logik zu überdenken, das Schenkprinzip anzuerkennen und zu unserem Heil zu gelangen.
Für eine hilfreiche Erklärung fraktaler Geometrie und Selbstähnlichkeit siehe auch James Gleick, Chaos: Making a New Science.
Ist Reziprozität ein Tausch oder ein Rollenwechsel?
Der homo oeconomicus, Protagonist neoklassischer Ökonomie, wird mit dem Tausch geschaffen. Das Wort homo selbst bedeutet „dasselbe“ und beinhaltet damit die Idee einer Gleichung. Wir lehren alle Buben eine bestimmte Art von Maskulinität, auf deren Basis sie dann als Männer um ökonomische und symbolische Vorherrschaft kämpfen. Wir lehren Mädchen, diesen Prozess zu unterstützen und ihre Kinder wiederum in diesem Sinne zu erziehen. Dies hat den Effekt, das in der Gesellschaft des „freien Marktes“ (ein Oxymoron) Männer vornehmlich tauschen, während Frauen vornehmlich schenken.
Wie unser ökonomisches System auf dem Tausch beruht, so beruht auch unser Studium des Tausches – in Form der Wirtschaftswissenschaften – auf dem Tausch. Der Kapitalismus praktiziert die Werte der Maskulinität und die Maskulinität die Werte des Kapitalismus. Nachdem wir hier von sozialen Rollen sprechen, können sie auch von Personen des anderen biologischen Geschlechts praktiziert werden. Dies ist allerdings nicht einfach, da die sozial auferlegten Geschlechterrollen stark sind und viele Hindernisse schaffen für den Erfolg in Bereichen, die gewöhnlich dem anderen Geschlecht zugeschrieben werden. Einer dieser Bereiche sind die Wirtschaftswissenschaften: die akademischen Disziplinen, die den Kapitalismus studieren.
Da das Studium der Produktion und Verteilung von Gütern in unserer Gesellschaft auf dem sich selbst Wert verschaffenden Tausch beruht und an ihm orientiert ist, wird das Schenken nicht als Ökonomie betrachtet. Schenken ist jedoch genau das: die Produktion und Verteilung von Gütern. Mikroökonomien des Schenkens finden in jedem Haushalt statt. Die nicht-monetäre, geschenkte Arbeit der Frauen blieb dabei für die Wirtschaftswissenschaften bis vor kurzem unsichtbar, da diese einzig von Menschen betrieben wurden, die zur Gänze dem Tauschprinzip verhaftet waren.
Heute studieren einige Wirtschaftswissenschaftlerinnen den Tausch auch von der Perspektive des Schenkens aus und machen ihren Einfluss geltend. Allerdings haben sie noch nicht damit begonnen, die Gültigkeit des Tauschprinzips selbst als eine Weltanschauung in Frage zu stellen – vielleicht weil sie selbst relativ erfolgreich innerhalb desselben operieren.
Das Schenkprinzip als die Lösung für die Probleme zu identifizieren, die der Tausch schafft, und für das Schenkprinzip einzustehen, ist am leichtesten für jene, die sich zumindest zum Teil außerhalb der Tauschlogik befinden. Diese „revolutionäre Avantgarde“ würde nicht nur Frauen beinhalten bzw. Hausfrauen und Mütter (egal ob sie auch monetärer Arbeit nachgehen oder nicht), sondern alle, die keinen Profit aus dem Tausch ziehen, sondern ihn stattdessen unbewusst mit ihren Geschenken stützen. Wir meinen damit alle Männer und Frauen, auf deren Schultern das parasitäre Tauschsystem aufbaut.
Viele von uns erkennen das Schenken deshalb nicht, da der Tausch in seiner Globalität und Selbstlegitimation so allumfassend scheint. Wir erkennen es oft noch nicht einmal dort, wo wir es selbst praktizieren. Wir reflektieren auf keiner Meta-Ebene über das Schenken und haben keine Meta-Sprache, in der wir über es reden können. Wir begreifen unsere Kultur ausschließlich in Begriffen des Tausches. Dasselbe gilt auch für andere Kulturen, weswegen wir deren Schenkprozesse genauso wenig verstehen können.
Die französische Schule der Anthropologie etwa, die auf den Arbeiten von Marcel Mauss aufbaut, widmet einen großen Teil ihrer Aufmerksamkeit dem Schenken. Im Rahmen dieser Schule werden dem Schenken drei wesentliche Momente zugeschrieben: Geben, Erhalten und Zurückgeben. Dieses Insistieren auf Reziprozität verleugnet jedoch den kommunikativen Charakter des Schenkens und Empfangens (das sich ohne Reziprozität vollzieht) und erlaubt diesen Forschern nicht, eine klare Unterscheidung zwischen Schenken und Tauschen als zwei sich widersprechenden Prinzipien zu machen.
Für diese Forscher stellt das Schenken somit nur eine Variante des Tausches dar – eine mit einer längeren Rückzahlzeit und weniger Betonung auf Gleichheit. In ihren Augen liegt dem Schenken immer noch eine reziproke Verpflichtung zugrunde, nicht der einfache Wunsch, ein Bedürfnis zu befriedigen. Wie die meisten Männer sind diese Forscher in ihrem Denken limitiert, da sie nicht dazu sozialisiert wurden, menschliche Bindungen im Sinne der (auf direkte Bedürfnisbefriedigung ausgerichteten) Mütterlichkeit zu schaffen. Das Schenken erscheint somit als etwas Seltsames und wird nicht als die auf der Mutter (als Fürsorgerin) beruhende Logik des Lebens selbst bzw. als Modell für soziale Transformation gesehen.
Vor Jahren initiierte Claude Lévi-Strauss’ Beschreibung des symbolischen „Frauentausches“ zahlreiche Studien, die sich dem Tausch widmeten. Die darin involvierten Wissenschaftler reichten von Anthropologen über Psychoanalytiker und Linguisten bis hin zu Semiotikern. Von der Warte des Schenkprinzips aus sind Frauen selbst die Quelle der Schenkens, sodass es sich um ein „Geschenk von Schenkenden“ handelt, wenn Frauen geschenkt werden – um ein Meta-Geschenk. Der Inhalt des von Lévi-Strauss beschriebenen „Tausches“ (aus der kapitalistischen Perspektive gesehen) bzw. „Rollenwechsels“ (anders gesehen) ist das Schenken selbst.
Es ist das Schenken und Empfangen – und nicht erzwungene Reziprozität – die Verbindungen zwischen Menschen schaffen. Der entscheidende Faktor ist dabei die Kreativität, die im Wechseln der Rollen von Schenkenden und Beschenkten (von Fürsorgenden und Versorgten) liegt – es geht in keinem Fall um die Verabschiedung oder das Einhalten eines Gesetzes oder die Gleichheit eines Tausches oder den Zwang der Reziprozität. In Gesellschaften, die weniger stark vom Tausch geprägt sind als die unsere, dienen Schenkpraktiken definitorischen Absichten und definieren die Beziehungen zwischen den Einzelnen. Diese Schenkpraktiken leiten sich von der Logik der Sprache ab – einer Logik, die wesentlich von jener des Tausches verschieden ist. Es ist das Schenken und Empfangen von Geschenken – Ko-muni-kation – das soziale Rollen definiert.
The International Association for Feminist Economics (IAFFE).
Vgl. etwa die Arbeiten von Jacques Godbout, Serge Latouche und der Zeitschrift MAUSS (Mouvement Anti-utilitariste des Sciences Sociales).
In einem einflussreichen Vorwort für die Neuausgabe von Marcel Mauss’ The Gift (in der Ausgabe von W.W. Norton, New York 1990) diskutiert Mary Douglas den Tausch – oder die Reziprozität – als den Aspekt des Geschenks, der für das Schaffen menschlicher Bindungen verantwortlich ist. Sie bezieht sich dabei auf ihre Erfahrung in einer Wohltätigkeitsorganisation, in der sie anscheinend gelernt hatte, dass „die Beschenkten die Schenkenden nicht leiden können, egal wie freundlich diese sind“. Douglas kommt zu dem Schluss, dass wir keine freien Geschenke geben sollten, da „die Ablehnung einer Gegenleistung den Akt des Gebens außerhalb wechselseitiger Verbindungen stellt“ (S. VII). Auch Frauen können also so vom Tauschprinzip eingenommen werden, dass sie glauben, dass Reziprozität und nicht die Befriedigung von Bedürfnissen die Grundlage menschlicher Bindungen bildet. Das einzige, was ich hier anmerken möchte, ist, dass das Schenken ein psychologisch komplexer Akt ist und dass Wohltätigkeitsorganisationen es oft auf eine paternalistische Weise praktizieren, die für die Beschenkten durchaus kränkend und erniedrigend sein kann – vielleicht war dies ein Grund, warum die Beschenkten die „freundlichen Schenkenden“ Douglas’ nicht leiden konnten.
Claude Lévi-Strauss, Anthropologie Structurale.
Frauen sind die Avantgarde
Es gibt Autoren, die, wie Lews Hyde oder Jerry Martien, historische und anthropologische Literatur neu interpretiert und in ihren Arbeiten zum Tausch die Idee des Geschenks wenigstens zum Teil von den Zwängen des Kapitalismus befreit haben. Gleichzeitig – vielleicht weil ihnen die Erfahrung der Mütterlichkeit fehlt – tendieren sie dazu, das Geschenk als etwas Poetisches und Vergangenes aufzufassen, als etwas, das vergessen, marginalisiert und begraben wurde. In sehr ähnlicher Weise wird die eigene Erfahrung des Schenkens (das wir als Kinder von unseren Müttern erfahren) begraben und bleibt nur im Unbewussten sowie in Mythen und Geschichten präsent. Wenn wir das Schenken weiterhin ausschließlich in Begriffen von Reziprozität verstehen – mit anderen Worten: in Begriffen des Tausches – halten wir den Diskurs des patriarchalen status quo aufrecht.
Frauen können die Allgegenwart des Schenkens besser erkennen, weil wir es in der Ausübung unserer sozialen Rolle als Erwachsene erleben (wie sehr diese auch sozial abgewertet sein mag). Das ist der Grund, warum Frauen die Avantgarde sind, die Trägerinnen des Schenkens als sozialen Programms, eines Wegs, die Gesellschaft jetzt und zukünftig zu organisieren.
Das Fehlen einer auf dem Schenkprinzip basierenden Sprachtheorie macht das Verstehen des Schenkens als eines Lebensprinzips schwieriger. Martien schafft wenigstens eine Brücke zwischen Sprache und materiellem Schenken, wenn er Geld als „Geschenk“ analysiert und das Wampum (das selbst eine solche Brücke war) als „Wort“ und „Sprechakt“. Martiens Arbeit erlaubt uns, das Wampum als ein Mittel materieller Kommunikation zu sehen (während es von europäischen Siedlern bloß als „primitive“ Form von Geld angesehen wurde). Die Bänder mit Muschelperlen wurden von Ort zu Ort geschickt, um dabei zu helfen, soziale Situationen zu definieren und spezielle Bedürfnisse nach Bindung, Aufmerksamkeit und Fürsorge zu befriedigen. So erhielten Menschen, die trauerten, spezielle Perlen, um ihr Bedürfnis nach Trost zu befriedigen, während spezielle Perlen gegeben wurden, um Abkommen zu schließen oder Versprechen zu halten. Das Wampum war eine materielle Sprache, die aus vielen Wörtern bestand und über die Definition hinaus ging, um Solidarität und Einheit zu schaffen. Geld hingegen bleibt auf einer Stufe, auf der alles quantitativ definiert wird, um (in ironischem Widerspruch des europäischen Urteils in Bezug auf das Wampum) „primitivere“ menschliche Beziehungen zu ermöglichen, die auf einem wechselseitigen Ausschluss basieren: zwischen denen, die privates Eigentum besitzen – und denen, die das nicht tun.
Genauso wie in der Erforschung anderer Kulturen taucht in unserem eigenen Leben die Frage auf, ob es möglich ist, dem Schenkprinzip zu folgen und es zu stärken, oder ob jede Form zwischenmenschlichen Gebens dem Prinzip des Tausches verpflichtet ist, weil wir alles, das wir geben, zurückhaben wollen. Dieses Problem ist ein Problem zweier unterschiedlicher Logiken, auch wenn es oft als moralisches Problem gesehen wird. So mögen wir etwa angesichts eines Geschenkes fragen: „Ist diese Person wirklich altruistisch oder will sie uns nur manipulieren?“ Doch dies verdunkelt das Bild – oder lässt uns gar für Akte der Liebe mit Scham bezahlen. Wir sagen mit Bitterkeit, dass „keine gute Tat jemals unbestraft bleibt“ (no good deed ever goes unpunished). Selbstinteresse erscheint als die grundlegende Motivation aller Menschen und die Armut als sein notwendiges Pendant. Adam Smith zufolge besteht das Gute für die Mehrheit aus der Summe aller Selbstinteressen, während das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein als unrealistisch und selbst aufopfernd gesehen wird. Reziprozität erscheint somit als Mittel, im Rahmen sozialer Interaktion den Selbstinteressen aller Genüge zu tun.
Der Brauch, ein bisschen mehr zurückzugeben als das, was wir bekommen haben, ist ein weiteres Merkmal unseres Alltagslebens, in dem das Schenkprinzip durchscheint (selbst wenn das Prinzip der Reziprozität auch diesen Akt oft als Teil des Tausches erscheinen lässt). Vom Tauschprinzip vereinnahmt wurde dieser Brauch in Form des Kreditzinses. Diejenigen, die Kredite gewähren, gewähren diese einzig in Erwartung dessen, dass ihnen mehr zurückgegeben wird, als sie gegeben haben. (Dies ist so normal geworden, dass dieser Tage ein zinsloser Kredit als Geschenk begriffen wird.)
AnthropologInnen haben – wie wir alle im Patriarchat – Schwierigkeiten, die Spiegelbrillen des Tauschprinzips abzulegen. Sie sprechen vom „Tausch von Geschenken“ und bringen damit die beiden Prinzipien von Anfang an durcheinander. Das Schenken erscheint ihnen bloß als eine unterentwickelte Version des Tauschens – in keiner Weise als ein anderes und lebenswürdigeres Prinzip sozialer Organisation. In so genannten primitiven Gesellschaften hat das Schenken oft eine symbolische Funktion. Ich glaube, das ist deshalb so, da – wie wir im Falle des Wampum gesehen haben – in der Imitation der Sprache spezielle materielle Ersatzgeschenke (in der gleichen Form wie verbale Ersatzgeschenke) auf organisierte Weise gegeben werden. Dies geschieht in der Absicht, spezifische Bindungen zwischen Schenkenden und Beschenkten zu schaffen.
Mit anderen Worten, sowohl der Austausch von Waren für Geld als auch der symbolische Tausch von Geschenken sind Variationen des Themas der Kommunikation. Sie stellen zwei alternative Gebrauchsweisen ineinander verwobener Modelle dar. Tatsächlich lassen sich sowohl Sprache als auch die Produktion und Verteilung materieller Güter in allen Gesellschaften finden und haben für Millennien zusammen existiert. Gesellschaften haben gelernt, ihre eigenen Prozesse in einer Vielfalt von Wegen zu nutzen, um neue Kommunikationsprozesse zu schaffen.
Sprache ist eine zweite (verbale) Schenkökonomie und Definitionen und Namensgebungen sind spezielle dekontextualisierte Sprachprozesse. Diese dekontextualisierten Sprachprozesse entwickeln sich zum Tausch, wenn sie auf die materielle Ebene verlegt werden, auf dem Menschen ein Produkt für ein anderes ersetzen und die beiden quantitativ vergleichen.
Die Einführung des Geldes stellt dabei ein allgemeines Äquivalent zur Verfügung: ein einzelnes Ersatzgeschenk, das die Rolle eines Wortes in der Sprache übernimmt und mit dem die Werte aller Produkte des Marktes ausgedrückt und bewertet werden können. Das Geld stellt allerdings nur ein zusätzliches abstraktes Moment im Tauschprozess dar. Es ändert nicht dessen grundlegende Logik. In diesem Sinne ist die direkte Tauschwirtschaft (barter) keine Lösung für die Probleme, die das Tauschprinzip schafft. Sie folgt derselben Logik wie monetäre Tauschwirtschaften – nur ohne Geld. Nur wenn wir die Unterscheidung zwischen Schenken und Tauschen als die grundlegende Unterscheidung zwischen zwei Prinzipien menschlichen Miteinanders verstehen, können wir eine Reihe verschiedener und scheinbar unzusammenhängender Probleme deutlich machen.
Viele Geschenke
Viele der irrationalen und schädlichen Aspekte des patriarchalen Kapitalismus kommen vom Aufeinandertreffen des Schenk- und des Tauschprinzips. Die Mehrarbeit (der Teil der Arbeit, der nicht bezahlt wird und dem Profit des Kapitalisten zugute kommt) kann als erzwungenes Geschenk der ArbeiterInnen verstanden werden. Die Praxis, Frauen für die gleiche Arbeit weniger zu zahlen als Männer kann als Versuch gewertet werden, Frauen auf eine Rolle des Schenkens festzuschreiben: es wird von ihnen erwartet, noch mehr unbezahlte (geschenkte) Arbeit zu leisten als ihre männlichen Kollegen. Aufgrund der Gleichheit des Tausches und des Wertes, dem wir ihm zukommen lassen (ihm „schenken“), haben wir die Tendenz, den Markt als „gerecht“ zu sehen, selbst wenn er uns bestraft (in etwa nach dem Motto: „der Vater hat immer recht“).
Es gibt Rechnungen, denen zufolge die unbezahlte Haushaltsarbeit von Frauen 40% oder mehr des Bruttosozialprodukts einzelner Nationen ausmacht. Diese Arbeit ist eines der augenscheinlichsten Beispiele nicht anerkannter geschenkter Arbeit. Dazu kommen die Geschenke von den Armen an die Reichen, vom Süden an den Norden, von (zumindest partiellen) Schenkökonomien an Tauschökonomien. Wechselkurse, unterschiedliche Lebensstandards ökonomische Unausgewogenheiten bedingen einen ständigen Fluss von Geschenken von den so genannten „Entwicklungsländern“ zu den „Industrieländern“.
Doch bleibt dieser Fluss nicht nur unerkannt – er wird oft genug im gegenläufigen Sinne interpretiert. Oft scheint es so als wäre es der Norden, der dem Süden schenkt: Materialien, Know-How, Technologie, Arbeitslöhne, Märkte, Schutz, sogar „Zivilisation“. Doch anstelle davon, aufgrund dieser „Geschenke“ reicher zu werden, wird der Süden immer mehr ausgebeutet und zerstört, da er das „Mehr“ zurückzugeben versucht, den Zins dessen, was ihm „geschenkt“ wurde. In Wahrheit sind die „Geschenke“ des Nordens nur Mittel, dem Süden mehr und mehr seiner wahren Geschenke zu entlocken. Die Verunmöglichung starker eigener Ökonomien ist das zwangsläufige Resultat.
Die Senkung des Lebensstandards in der so genannten Dritten Welt dient der so genannten Ersten Welt zum Beispiel dazu, Löhne niedrig zu halten. Das Differential von Billigarbeit und Rohmaterialien wird gleichzeitig in kollektive Geschenke transformiert, die von der Mehrheit im Süden über eine Minderheit im Süden an eine Minderheit im Norden gelangen. Der manipulative Gebrauch des Schenkens für Profit (der nie schenkt, aber immer Geschenke fordert) ist selbst ein Tausch. Wir vermischen die beiden Prinzipien, wenn wir Schenken als Tausch und Profit als „verdient“ verstehen. Dies geschieht nicht nur in der akademischen Welt, sondern überall. Diese Vermischung ist ein wesentlicher Beitrag zur Aufrechterhaltung ausbeuterischer Praxis.
Die vielen Beispiele der Sklaverei, die die Geschichte der Menschheit kennzeichnen, sind Beweise für die Neigung, Gruppen von Menschen in erzwungenen Schenkpositionen zu halten bzw. sie zu „besitzen“. Frauen aller Kulturen haben sich oft in dieser Position befunden – egal ob sie von ihren Männern offiziell besessen wurden oder nicht. Um Kapital zu akkumulieren, müssen von irgendwoher Mehrwertgeschenke kommen. Etwa (wie es in den Südstaaten der USA der Fall war) von der Ausbeutung von SklavInnen – ungeachtet des Leids, das dadurch erzeugt wird.
Tausch schafft einen effizienten Mechanismus für Akkumulation, indem er die Geschenke, die er erhält, hinter der Fassade einer Gleichung versteckt, die als „gerecht“ angesehen wird, bzw. hinter einer Transaktion, die auf einer „freien Wahl“ zu beruhen scheint (wobei die Tatsache, dass das Fehlen von Alternativen die Armen oft in eine Position rückt, die der Sklaverei nicht unähnlich ist, unbedacht bleibt). Kapital kann gesehen werden als eine Sammlung von Geschenken der Vielen: jener Geschenke, die ihnen vom Tauschprinzip entrissen wurden. (Das Tauschprinzip sieht sie freilich noch nicht einmal als Geschenke, sondern als den „gerechten Profit“ einer Investition. Gleicher Tausch produziert jedoch keinen Profit. Nur geschenkte Arbeit tut dies.)
Geschenkte Arbeit ist leicht zu übersehen, weil – wie wir es in Bezug auf die Sprache gesehen haben – das Schenken transitiv ist. Wenn A B schenkt, und B C, dann schenkt A C. Also: Wenn eine Frau ihrem Mann ihre (unbezahlte) Arbeit schenkt, und dieser seine Mehrarbeit einem Kapitalisten, dann wird die Arbeit der Frau transitiv (durch ihren Mann) dem Kapitalisten geschenkt. Darüber hinaus wird geschenkte Arbeit leicht übersehen, weil wir unseren Blick von der ursprünglichen Quelle des Geschenks abwenden. Wenn überhaupt, dann sehen wir wie B C schenkt. Gleichzeitig lassen wir uns hier jedoch von dem so genannten „gerechten Tausch“ zwischen B und C täuschen: dem Lohn, der vom Kapitalisten an den Arbeiter gezahlt wird. Dieser ist vom Marktpreis der verrichteten Arbeit determiniert.
Wenn wir unsere gesamte Aufmerksamkeit auf den Lohn als einen „gerechten“ Preis für Arbeit richten, können wir das Schenken, das gewissermaßen hinter ihm stattfindet, nicht erkennen. Der Tausch legitimiert und bestätigt sich selbst über die Tauschprozesse des Marktes. Er treibt auf der Oberfläche eines Sees, der aus verleugneten Geschenken besteht. Diese kommen von Frauen, ArbeiterInnen, den Unbezahlten, den Unterbezahlten, den Armen, den Arbeitslosen (die mit ihrem Bedarf nach Arbeit den Lohn niedrig halten) und all jenen Klassen und Ländern, die zu ständigen Geschenken an die privilegierten Klassen und Länder gezwungen werden.
Darüber hinaus gibt es weitere Geschenke, die das Tauschprinzip und den Kapitalismus aufrechterhalten: Zunächst die zahlreichen Geschenke der KonsumentInnen, die für vieles überhöhte Preise bezahlen, wie etwa für Öl, das relativ niedrige Produktionskosten hat, aber einen hohen Nutzen für Leute, deren Bedürfnisse von den Transportindustrien bestimmt werden. Dann die Geschenke der Vergangenheit, die zum einen im Mehrwert bestehen, der im gebundenen Kapital enthalten ist, und zum zweiten in den (meist von Frauen erbrachten) Geschenken, die die Aufrechterhaltung sowohl materieller (Immobilien oder Waren) wie kultureller (Sprache oder Kunst) Güter sicherstellen. Der Fluss unerkannter Geschenke von der Vergangenheit in die Gegenwart ist ebenso enorm wie jener, der von den Ländern des Schenkens in die Länder der Ausbeutung läuft.
Und schließlich gibt es die Geschenke der Natur – die Luft, das Wasser, den Sonnenschein –, zu deren kreativen Nutzen uns die Evolutionsgeschichte ausgebildet hat. Diese Geschenke werden heute zerstört und erschöpft. Sie werden dem Tauschprinzip geopfert, damit dieses Kosten sparen kann. Ungeborene Generationen werden gezwungen, ihren potentiellen Gebrauch der Geschenke der Natur an uns abzutreten. Profit zu machen ist für uns wichtiger als der Zukunft zu schenken. Die Kommerzialisierung infiltriert die letzten Bereiche, die noch Bereiche des Schenkens sind: von Fast-Food-Restaurants bis zu Waschsalons. In der Tat wird alles kommerzialisiert – die Industrie der Bio-Genetik versteht sogar, unsere biologischen Geschenke zum Profit für eine Minderheit auszubeuten.
Lewis Hyde, The Gift, Imagination and the Erotic Life of Property; Jerry Martien, Shell Game: a True Account of Beads in North America. Anm. d. Übers.: Perlen, die in indianischen Kulturen des Ostens Nordamerikas spezielle zeremonielle Bedeutung innehatten.
Jack Weatherford beschreibt in Indian Givers die Auswirkungen, die das Gold und Silber der Amerikas auf den europäischen Kapitalismus hatten, gemeinsam mit den zahllosen anderen (als solche nicht anerkannten) Geschenken, die die Welt von den indigenen Völkern der Amerikas erhalten hat.
Benennen und seine kompliziertere Form: Definieren, konstituieren besondere Momente der Sprache, in denen Wörter geschenkt werden, um meta-linguistische Bedürfnisse (Bedürfnisse, die die Sprache selbst betreffen) zu befriedigen. Wenn wir anderen Menschen Namen von Dingen mitteilen, oder ihnen Definitionen von Wörtern geben, dann statten wir sie gewissermaßen mit den Produktionsmitteln linguistischer Kommunikation aus. Dies spielt sich auf einer anderen Ebene als das gewöhnliche Sprechen ab, da Benennen und Definieren auf einer (zumindest teilweisen) Dekontextualisierung beruhen und ihren eigenen internen Prozessen folgen. Absicht ist, Menschen etwas zu schenken, das sie noch nicht haben: einen neuen Begriff, der ein allgemeines kommunikatives Bedürfnis befriedigt.
Das Bedürfnis, das vom Sprechen selbst befriedigt wird, ist das Bedürfnis nach einer momentanen und kontingenten Beziehung zu etwas. Dieses Bedürfnis wird befriedigt, wenn die Sprechenden den Zuhörenden ein verbales Produkt schenken, das Wörter (die, einzeln genommen, eine konstante Beziehung zu etwas konstituieren würden) in Sätzen vereint. Die Zuhörenden könnten diese Sätze im Prinzip selbst formen (sie haben die sprachlichen Mittel dazu), nur haben sie in diesem Fall noch nicht die Notwendigkeit erkannt, dies zu tun. Im Falle des Benennens oder der Definition wird den Zuhörenden im Gegensatz dazu in der Form neuer Wörter etwas gegeben, das sie noch nicht haben und noch nicht anwenden können. Ihr Bedürfnis gleicht dabei einem materiellen Bedürfnis nach Produktionsmitteln – nur dass es sich in diesem Fall um Produktionsmittel für verbale Geschenke handelt.
In den Prozessen des Benennens und Definierens leisten die Sprechenden den Zuhörenden einen Dienst. Sie müssen verstehen, welches sprachliches Ausdrucksmittel es ist, das den Zuhörenden fehlt, um ihnen ein passendes Wort zur Verfügung stellen zu können, und zwar auf eine Weise, auf die diese es auch gebrauchen können. Wenn wir einem Kind etwas erklären (oder einer Person, die sich eine fremde Sprache lehrt), dann können wir ein Wort direkt mit dem von ihm bezeichneten Objekt (als einer empirischen Gegebenheit) in Beziehung setzen. Wir können auf es zeigen, es aufheben, der anderen Person hinhalten, und so weiter. Wenn wir aber denken, dass die Zuhörenden bereits ein Wissen vom Vokabular der Sprache, die wir benutzen, haben, dann können wir stattdessen einen definierenden Satz formen, indem wir Begriffe verwenden, von denen wir glauben, dass die Zuhörenden sie verstehen.
Um das zu tun, müssen wir uns in die Position der anderen Person versetzen und deren Wissen abschätzen, deren Vokabular und Lebenserfahrung. Definieren verlangt das Ausgerichtet-Sein auf Andere. Bevor die Sprechenden etwas sagen können, müssen sie den Zuhörenden zuvor selbst zugehört haben; sie müssen wissen, welche Wörter diese bereits kennen. Auch wenn sie etwas für die allgemeine Öffentlichkeit definieren, müssen die Sprechenden (oder Schreibenden) Begriffe verwenden, von denen sie glauben, dass sie erkannt (verstanden) werden. Wenn eine geschriebene Definition nicht klar ist, müssen die Lesenden das weitere notwendige linguistische Wissen von einer anderen Quelle beziehen – z.B. von einem Wörterbuch. Doch selbst diese unpersönlich erscheinenden Wörterbuch-Definitionen verlangen, dass die, die sie verfassen, Wörter verwenden, die den Lesenden bekannt sind. Definitionen stehen nicht für sich selbst, wie Philosophen (von Gleichung und Tausch beeinflusst) zu glauben scheinen. Definitionen sind Wortgeschenke von einer Person an eine (oder mehrere) andere.
Das Definiens ist jener Teil der Definition, der als provisorisches Ersatzgeschenk für die definierte Sache fungiert. Es verdeutlicht die allgemeine soziale Relation der Sache zu ihrem Namen. Der Name ist das soziale Geschenk (das Wort), das das generelle kommunikative Bedürfnis befriedigt, das diese Sache betrifft. Die Sprechenden machen den Zuhörenden ein provisorisches Geschenk zugänglich. „Haariges, freundliches Lebewesen, das Tante Marias Haustier gleicht“ und „domestizierte Kleinkatze“ sind beide provisorische Geschenke, die Zuhörenden geschenkt werden können, um das Wort „Hauskatze“ zu definieren. Welche Variante wir wählen (von diesen beiden oder zahlreichen anderen möglichen), hängt vom Vokabular, der Erfahrung und dem kommunikativen Bedürfnis der Zuhörenden ab. Das Definiendum ist das dauerhafte soziale kommunikative Ersatzgeschenk für die Sache und eine beliebige Anzahl von Definiens. Kurz gesagt, das Definiendum ist das der Name einer Sache. (Siehe Grafik 3.)
Was das Definiens die Sache betreffend getan hat, kann das Definiendum auch tun – und mehr. In unseren Beispielen wählt „haariges, freundliches Lebewesen, das Tante Marias Haustier gleicht“ eine Beispielkatze, um „Hauskatze“ zu definieren, während „domestizierte Kleinkatze“ das Tier in einer Klassifizierungsordnung verortet, die ein komplexes System aufeinander bezogener Definiens und Definienda braucht, um der Definition Sinn zu geben. Das Definiendum „Hauskatze“ ist allgemeiner als jedes Definiens (jede definierende Phrase) und nimmt den Platz aller Definiens ein – es ist der Name für eine Sache, den alle teilen, die dieselbe Sprache sprechen.
Wenn im Zuge des Ersetzens des Definiendums mit einem Definiens – also im Zuge des Definitionsprozesses – ein Name zur Verfügung gestellt wird, reichen die Sprechenden den Namen auch als Geschenk weiter. Schließlich war er ihnen von anderen zuvor selbst geschenkt worden. Dieser Prozess des Schenkens, Empfangens und Weiterschenkens schafft menschliche Subjektivitäten in Beziehung zur Sprache, zu anderen Menschen und zu einer immensen Vielfalt an qualitativ unterschiedlichen Dingen, Ereignissen und Ideen. In dieser linguistisch vermittelten Beziehung finden wir Menschen uns als selbst konstituierende Spezies in der Lage, uns miteinander zu verbinden – auf beinahe so viele verschiedene Weisen, wie es Erfahrungen gibt. Wir verwenden also Schenkprozesse und verbale Geschenke, um uns miteinander zu verbinden, auch auf einer neu geschaffenen Ebene, auf der Erfahrungen verarbeitet werden: einer Ebene von Themen, die linguistisch geteilt werden können.
Die Definition kann als ein Paket gesehen werden, das mehrere Geschenke auf verschiedener Ordnungen beinhaltet. Indem sie ein Definiens schaffen (in der Form des Verbindens von Wörtern, die die Zuhörenden bereits kennen), leisten die Sprechenden den Zuhörenden einen Dienst. Sie beziehen etwas in der Welt über ein Definiens auf ein Definiendum und geben den Zuhörenden damit ein neues Wort. Die Objekte – zum Beispiel Hauskatzen – können jetzt dem Moment eines kommunikativen Geschenks weichen, da es nunmehr verbale Ersatzgeschenke (Definiens) für sie gibt – zum Beispiel „domestizierte Kleinkatze“. Daraufhin weichen die Definiens (bzw. die Kombination der Wörter, die sie konstituieren) dem Definiendum (in diesem Fall „Hauskatze“) aus und dieses nimmt ihren Platz ein. Sowohl eine empirisch gegebene Hauskatze wie ein entsprechendes Definiens weichen also dem Definiendum „Hauskatze“ als jenem verbalen Geschenk aus, das im Rahmen einer bestimmten Gemeinschaft (in unserem Fall: der deutschsprachigen) gewöhnlich verwendet wird, um über Hauskatzen zu kommunizieren.
Das Wort „Hauskatze“ wird von Menschen am häufigsten verwendet, wenn sie über Hauskatzen sprechen und es ist daher allgemeiner als die Definiens „domestizierte Kleinkatze“ oder „haariges, freundliches Lebewesen, das Tante Marias Haustier gleicht“ oder „haariges, freundliches Lebewesen mit langem Schwanz“. Definiens können jedoch verwendet werden, wenn ein kontingentes kommunikatives Bedürfnis verlangt, über Hauskatzen auf diese Weise – auf dieser Ebene von Spezifität – zu sprechen.
Alle Sprachgeschenke sind aneinander gebunden durch die meta-linguistischen kommunikativen Bedürfnisse der Zuhörenden und die bedürfnisbefriedigenden Dienste der Sprechenden. Die Sprechenden behalten ihr lexikalisches Sprachwissen nicht für sich selbst (auch wenn manche elitären Gruppen eine Ausnahme bilden), sondern sie schenken es den Zuhörenden und machen es sich zur Aufgabe, Definiens zu schaffen und zur Verfügung zu stellen, die die Zuhörenden verstehen können.
Obwohl sie ein Paket an Geschenken ist, repräsentiert die Definition den Schenkprozess nicht auf die gleiche Weise, wie es der transitive Satz tut, der sich nach dem Muster „Schenkende-Geschenk-Beschenkte“ bildet. Die Definition funktioniert anstelle dessen durch eine interne und externe Ersetzung. Sowohl ein nonverbales Gegebenes (Objekt) als auch ein sprachlicher Ausdruck (Definiens) weichen einem allgemeinen Wort: dem Namen, der nunmehr den Platz des Objekts und Definiens als ein dauerhaftes kommunikatives bedürfnisbefriedigendes Ersatzgeschenk einnimmt.
Das in der Definition enthaltende Verb „zu sein“ ist der Ersatz für die von Definiens und Definiendum vorgenommene Ersetzung. Sowohl Definiens als auch Definiendum weichen ihm in der Definition aus. Dies zeigt, dass Definiens und Definiendum in der Definition zueinander finden und von demselben Wort ersetzt werden können, das damit dem gesamten Definitionsprozess einen ewig gegenwärtigen Charakter verleiht. (Siehe Grafik 4.)
Die Beziehung von Wörtern zu Wörtern und von Dingen zu Wörtern in: „das Mädchen warf den Ball“, ist verschieden von der Beziehung von Wörtern zu Wörtern und von Dingen zu Wörtern in: „ein Ball ist ein runder Gegenstand, der für Spiele verwendet wird“. Im ersten Fall ist einerseits der gesamte Satz ein Geschenk, andererseits stellt innerhalb des Satzes das Prädikat ein Geschenk dar, das dem Objekt vom Subjekt gegeben wird. Die Geschenke sind unmittelbar. In der Definition hingegen wird Personen ein Wort geschenkt, indem es durch andere Wörter ersetzt wird. Es bedarf hier Ersatzgeschenken: Wörter, die die Zuhörenden kennen, ersetzen eines, das sie noch nicht kennen. Zum Beispiel kann „ein runder Gegenstand, der für Spiele verwendet wird“ das Wort „Ball“ ersetzen. Die Sprechenden sind dann die schenkenden Subjekte, die Definiens und Definiendum den Zuhörenden geben, die ihrerseits das Definiendum als permanente Bereicherung erfahren. Nachdem ein Objekt also einem Definiens gewichen ist, weicht dieses nun dem Definiendum, das damit zum Namen des Objekts wird.
Die Zuhörenden haben unmittelbare meta-linguistische Bedürfnisse nach Wörtern, die sie nicht kennen. Die Erinnerung und das Verstehen des oben beschriebenen phonetischen Musters der Definition konstituieren die Produktionsmittel, anhand derer andere (die in diesem Fall Sprechenden) diese Bedürfnisse befriedigen können. Geschieht dies, verbinden sich Sprechende und Zuhörende miteinander in Bezug auf ein Objekt ihrer (unserer) gemeinsamen Welt.
Ferdinand de Saussure unterschied in den Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft zwischen dem, was er langue nannte: der Sprache als Wortschatz, als Sammlung rein differentiell aufeinander bezogener Wörter ohne Kontext, und der parole: dem Sprechen. Benennen und Definieren mögen in diesem Sinne als Voraussetzungen des Sprechens erscheinen (obwohl wir Wörter auch einfach davon lernen können, anderen beim Sprechen zuzuhören). Ich will damit sagen, dass die Prozesse, durch die wir uns Wörter aneignen und sie an und für sich selbst betrachten, verschieden sind von den Prozessen, in denen wir sie im Kontext des Sprechens anwenden (wenn wir sie mit anderen Wörtern verbinden). Ich glaube, dass sich die internen Schenkprozesse des Definierens vom Sprechen selbst stark unterscheiden. Tatsächlich sind sie das versteckte Modell des Tausches. Sie sind, was Roman Jakobson „gleichsetzende Aussagen“ (equational statements) genannt hat. (Siehe: „The Speech Event and the Function of Language“, in: On Language.)
Ich werde den Begriff Definiens als Namen für die Phrase verwenden, die den Zuhörenden erlaubt, das zu identifizieren, was das neue Wort repräsentiert, und Definiendum für das neue Wort selbst (das, das definiert wird) bzw. für den Namen. In: „Eine Hauskatze ist ein Haustier mit einem langen Schwanz und spitzen Ohren“ ist „Hauskatze“ das Definiendum und „ein Haustier mit einem langen Schwanz und spitzen Ohren“ das Definiens.
Siehe Kapitel 9 für eine nähere Diskussion des Verbs „sein“.
Der Ursprung des Tausches
Ich glaube, dass der Tausch sich aus den Prozessen des Ersetzens und Ausweichens im Benennen und Definieren entwickelt hat. Im Tausch werden diese Prozesse jedoch in nonverbale Muster übersetzt. Dabei werden sie entstellt, um den Bedürfnissen des Privateigentums nach gegenseitiger Ausgrenzung zu entsprechen. Statistiken zeigen, dass ausgesprochen wenig Privateigentum – weltweit vielleicht ein Prozent – von Frauen besessen wird, obwohl diese sehr wohl in der Lage sind, zu benennen und zu definieren. Darüber hinaus ist Privateigentum eine Institution so genannter „entwickelter“ Gesellschaften, nicht so genannter „primitiver“ – doch Benennungs- und Definitionsprozesse kennen auch letztere. Eine auf dem Schenkprinzip basierende Sprache gibt es also vor dem Tausch und dessen Eigentumsbeziehungen. Während grundlegende Prozesse der Sprache (namentlich jene des Benennens und Definierens, die wesentlich auf Prinzipien des Ersetzens und Ausweichens beruhen) auf die materielle Ebene transferiert wurden, wurden sie – wie oben erwähnt – entscheidend verändert. Dies wird besonders deutlich im monetären Tausch, in dem das Geld die Rolle des Wortes als Ersatzgeschenk auf einer anderen Ebene reproduziert. Die Institution des Privateigentums beruht dabei freilich weiterhin auf dem Schenkprinzip, auch wenn dies verleugnet wird – doch ohne dieses würde es keine freie Befriedigung der Bedürfnisse der EigentümerInnen geben, auf denen ihr Besitz beruht.
Die Verwendung der linguistischen Prozesse des Benennens und Definierens, um das Tauschprinzip zu errichten und das ihnen eigentlich zugrunde liegende Schenkprinzip zu verleugnen, widerspricht dem grundlegenden Prinzip des Schenkens-und-Empfangens als des Prinzips des Lebens und der Sprache. Darüber hinaus werden frauenfeindliche und zerstörerische gesellschaftliche Strukturen geschaffen und von uns verlangt, dass wir uns an diese anpassen. Wir haben dies so gut getan, dass diese Strukturen mittlerweile als „natürlich“ erscheint und die Arten aggressiven und konkurrenzorientierten Verhaltens, die in ihnen zum Überleben notwendig sind, als „menschliche Natur“ (was sich angeblich „historisch“ gezeigt hat).
Die Existenz derselben Prozesse auf verbalen und nonverbalen Ebenen schaffen viele Rückkopplungen. In unserer gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaft zum Beispiel gibt es einen Rückkopplungseffekt zwischen verbalen Definitionen und nonverbalem Tausch, in dem erstere letztere legitimieren und letztere die Funktion ersterer übernehmen. Eine Person oder ein Produkt wird definiert von der Menge an Geld, das er/sie/es „wert“ ist. Namen, Kategorisierungen, Berufsbezeichnungen – von Polizistin bis Doktor – haben monetären Wert.
Menschen über Lohn zu kontrollieren – was einer monetären Definition von Menschen gleichkommt – heißt, Benennungs- und Definitionsprozesse in den Dienst der Kontrolle anderer zu stellen. Produktnamen und Markennamen legitimieren höhere Preise. Die „Bedeutung“ unseres Lebens hängt von ebensolchen definitorischen Prozessen ab. Wenn wir einen professionellen Rang haben, einen akademischen Titel, einen Ehenamen, dann „sind wir wer“. Doch dieses Definieren hat nichts mehr mit dem Schenken zu tun, dem unsere Sprache und unser Leben wirkliche Bedeutung verdankt.
Der Definition die Geschenke zurückgeben
Der Tausch lässt das Definieren steril erscheinen. Es wird zu einer intellektuelle Gleichung. Der Charakter des „Pakets von Geschenken“ ist verloren gegangen. Dabei beinhaltet das Definieren noch mehr Geschenksaspekte, als die, die wir bereits besprochen haben. Wir müssen etwa bedenken, dass das Definieren manchmal auch dazu dient, Wörter von einer Generationen zur nächsten oder von einer linguistischen Gruppe zu einer anderen weiterzureichen. Indem sie eine gemeinsame Sprache finden bzw. sowohl im Sprechen als auch im Definieren Wörter verwenden, die andere bereits kennen, wird es den Sprechenden und Schreibenden möglich, mit Menschen zu kommunizieren, die zeitlich und räumlich woanders sind. Es muss ihnen dabei gelingen, die Begriffe, die andere bereits haben, zu identifizieren, anzuwenden und/oder auf ihnen aufzubauen – während die anderen selbst die Anstrengung unternommen haben, sich diese Wörter bzw. ein Wissen über eine bestimmte Disziplin oder einen bestimmten Lebensbereich anzueignen (was manchmal einer eigenen spezialisierten Sprache bedarf).
Da das Bedürfnis für die Definition von Begriffen ein allgemeines ist, weil niemand von uns mit einem Wissen um diese geboren wird, sind Abhandlungen und Bücher voll von Definitionen. Auch die Erforschung der „Natur der Dinge“ folgt Definitionen. Wenn eine Definition gut gelingt, kann sie unabhängig von dem/der Definierenden weiter bestehen. Wörterbücher dienen der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung, die Definitionen leisten können.
Die Möglichkeit, diese Bedürfnisse unabhängig von den ursprünglichen Definierenden zu befriedigen, lässt es so erscheinen, als wären der menschliche Ursprung der Definition bzw. die Beziehung zwischen Schenkenden und Beschenkten unwichtig. Auf der einen Seite mag durchaus zugestanden werden, dass wir unsere verbalen Produktionsmittel von der Gemeinschaft erhalten, und dies uns erlaubt, mithilfe der Sprache menschliche Bindungen einzugehen – auf der anderen Seite wird dabei der bedingungslose und großzügige, unmittelbar zwischenmenschliche Dienst leicht vergessen, der dem Definieren ursprünglich zugrunde liegt.
Anm. d. Übers.: Diese sprachkritische Referenz kann im Deutschen nicht reproduziert werden. Das englische Wort für Geschichte: history, beinhaltet das männliche Pronomen his. Also history als his story (anstelle von her story).
Äquivalenz und Gleichung
Wenn der Dienst- oder Schenkaspekt der Sprache ignoriert wird, tendieren wir dazu, das Ersetzen von Wörtern durch andere als den wesentlichen Teil des Definitionsprozesses zu begreifen und nicht die Bedürfnisbefriedigung. Eine Art Fetischisierung entsteht, in der etwas Bedeutung erhält aufgrund bestimmter Beziehungen, die Wörter zueinander eingenommen haben und nicht Menschen, die diese Wörter gebrauchen, um auf konkrete Dinge zu verweisen, über die sich Beziehungen zu anderen Menschen herstellen. Seit Philosophen Definitionen verwendet haben, um uns über alles – von der Menschheit über Gott zum Sein – zu unterrichten, analysieren wir Definitionen, um die Beziehungen von Wörtern zur Welt zu erforschen. Dabei sehen wir jedoch nur Wörter, die in geschlossenen Systemen den Platz anderer Wörter einnehmen. Wir verstehen Fürsorge nicht als Kommunikation, und wir verstehen linguistische Kommunikation nicht als ein soziales Bedürfnis, das notwendigerweise von der Welt und von anderen Menschen kommt und dessen Befriedigung den Zweck verbaler und nonverbaler Interaktion zwischen Individuen hat.
Aufgrund der magnetischen Schablone der Tauschlogik sehen wir die Bedürfnisse anderer nur funktionell in Bezug auf unsere eigenen Bedürfnisse. Ihr Bedürfnis muss für uns „effektiv“ sein: sie müssen genug Geld haben, um unser Produkt zur Befriedigung kommunikativer Bedürfnisse monetär ersetzen zu können. Wir sehen nicht den Dienst-Aspekt der Definition, sondern nur ihre so genannte „Wahrheitsfunktion“: uns interessiert nur, ob ihre „Intension“ (ihre Bedeutung) mit ihrer „Extension“ (dem Vorkommen dieser Sachen in der Welt) korrespondiert. „Ein Junggeselle ist ein unverheirateter Mann“ wird dabei oft als Beispiel verwendet, da hier das Definiens völlig mit dem Definiendum zu korrespondieren scheint. Jeder Mann, der ein Junggeselle ist, ist auch unverheiratet. Definitionen dieser Art sind jedoch Geschenke, die nur das meta-linguistische Bedürfnis nach philosophischen Beispielen für Definitionen befriedigen. Der meta-linguistische Schenkaspekt des Definierens wird hier tatsächlich sekundär. Das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein ist irrelevant für die Äquivalenz von Intension und Extension. Es wird daher ignoriert, während die Definition stark erscheint, unberührt von menschlichen Komplikationen. Dieses Bild beginnt aber bereits dann zu wackeln, wenn die Zuhörende eine unverheiratete Frau ist. Warum ist sie, die Zuhörerin, nicht auch ein „Junggeselle“? Warum werden ihre materiellen und kommunikativen Bedürfnisse in der Definition nicht berücksichtigt? Warum wird ein unsensibler männlicher Definierer vorausgesetzt?
Unser Bild der Sprache wird von den Prioritäten des Tausches bestimmt, von der Notwendigkeit, Güter zu identifizieren und zu messen, sowie von dem sterilen und objektiven Wertvergleich, der für die Befriedigung beider Tauschparteien (oder der Gesellschaft insgesamt) notwendig erscheint. Die Korrespondenzen, die Verkauf und Einkauf prägen, werden zum Modell für die Korrespondenz zwischen Sprache (Preis) und Realität (Güter). Das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein als Selbstzweck wird sowohl im Tausch als auch in unserem Studium der Sprache ignoriert.
Nachdem Definitionen entstehen, indem Wörter durch andere Wörter ersetzt werden, scheint die Beziehung von Wörtern zur Welt von der Form unserer Definitionen abhängig. Diese Definitionen sehen im Rahmen des Tauschprinzips im Ersetzen einen Selbstzweck und ignorieren jede kreative Aktivität des Schenkens, Empfangens oder Ausweichens. Die Beziehung der Wörter zur Welt scheint von einer Gleichung (x = y) zu kommen, von den Wörtern selbst, oder vom Willen der Menschen, die sie aussprechen. Wenn wir uns aber auf das Ersetzen alleine konzentrieren, ohne dabei an das Schenken zu denken, ist es schwierig, wirklich von der Sprache zur Welt zurückzukehren. Bald erscheint es nur noch so, als wäre der Sinn eines Zeichens ein anderes Zeichen und so weiter, in einem unendlichen (wenn auch systematischen) Regress, der in uns eine Vorstellung prägt, der zufolge Wörter in keiner Weise auf die Welt bezogen sind.
Schenken auf zwei Ebenen
Es scheint so, als ist Re-präsent-ation ein Prozess ohne vorhergehende Präsentation. Repräsentation als „Platz-Einnehmen“ ist nur ein Moment des Schenkprozesses, der sowohl verbal als auch nonverbal ist. Wohl können wir ein Geschenk mit einem anderen ersetzen, aber der gesamte Prozess (von der Identifikation des Bedürfnisses zur Gestaltung des Geschenks – in diesem Fall eines Wortes oder Satzes) besteht aus viel mehr als einfachen Ersetzungen. Der Schenkprozess erfordert das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein sowie die Fähigkeit, die Bedürfnisse anderer zu erkennen und zu begreifen. Dies ist notwendig, um sie befriedigen zu können. Der Schenkprozess erfordert, sich selbst als jemanden zu begreifen, der die Bedürfnisse anderer befriedigen kann und nach entsprechenden bedürfnisbefriedigenden Mitteln sucht; er erfordert die Motivation, kommunikative Bedürfnisse zu befriedigen, auch wenn wir vielleicht keine materiellen befriedigen können; und schließlich erfordert der Schenkprozess auch, anzuerkennen, dass es anderer bedarf, um unsere eigenen Bedürfnisse befriedigen zu können. Eine patriarchale Perspektive auf die Welt sieht nur Dinge, um die wir uns streiten müssen – nie solche, deren Wert sich daraus bezieht, dass sie zur Befriedigung der Bedürfnisse anderer angewandt werden können.
Das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein ist wichtig, um Wörter anwenden zu können, die andere verstehen, und um uns in deren Position zu versetzen, um das, was sie nicht wissen, als Bedürfnis zu begreifen, das wir befriedigen können. Jedes Bedürfnis ist ein Thema mit vielen Variationen. Das allgemeine Bedürfnis, über Hauskatzen zu kommunizieren (bzw. menschliche Beziehungen über einen Bezug auf Hauskatzen herzustellen), umfasst alle Möglichkeiten, auf die Hauskatzen für Menschen von Bedeutung sein können. Individuell erkennen wir diese Möglichkeiten als Bedürfnisse, die sowohl von nonverbalen wie von verbalen Kontexten kommen und unsere Beziehung zu anderen mit Bezug auf Hauskatzen bestimmen. Das Wort „Hauskatze“ wurde uns dabei gemeinschaftlich als Mittel gegeben, einige dieser kommunikativen Bedürfnisse zu befriedigen (zumindest zum Teil).
Um in der Gegenwart schenken zu können, müssen wir in der Vergangenheit selbst beschenkt worden sein. Das heißt, uns muss das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein anderer zugute gekommen sein. Nun ist es an uns, neue Geschenke zu bilden – wie matchmaker müssen wir Wörter in Positionen rücken, in denen sie andere Wörter beschenken können. Außerdem müssen wir nach verbalen wie nach nonverbalen Verbindungen mit anderen streben, um sowohl unsere eigenen als auch deren soziale Subjektivitäten zu entwickeln. Das Schenken ist nicht nur der Inhalt für die Ersetzungsform, sondern der eigentliche Grund ihrer Existenz. Daraus zieht es seine Bedeutung als (mütterliche) Matrix.
Schenken und Ausweichen sind nicht als wirklich menschliche Verhaltensweisen verstanden worden. Im Patriarchat werden Gewinnen, Beherrschen und Platz-Einnehmen hochgehalten. Das Ausweichen ist jedoch eine notwendige Begleitung des Platz-Einnehmens. Ersetzt zu werden ist eine aktive und notwendige relationale Begleiterscheinung des Ersetzens. Auf ähnliche Weise ist das Empfangen die aktive, kreative Begleiterscheinung des Schenkens. In der Definition sind der Prozess des Ersetzens und des Ausweichens von Geschenken die funktionalen Elemente. In unserem Sprechen bleiben die Ersetzungsprozesse oft im Verborgenen und Schenkprozesse auf anderen Ebenen schaffen Transparenz.
Das Ersetzen und das Ersetzt-Werden sind die Prozesse, um die es im Benennen und Definieren geht. Was geschenkt wird, ist ein allgemeines Wort, ein soziales Geschenk für ein Objekt. Es wird geschenkt im Zuge einer Reihe von Ersetzungen. Das Bedürfnis, das dabei befriedigt wird, ist nicht primär ein kontingentes Bedürfnis für eine unmittelbare Beziehung zur Welt, sondern ein Meta-Bedürfnis nach Produktionsmitteln für Geschenke (Wörter), die sich auf Dinge beziehen. Vielleicht aufgrund der Stärke der Tauschstruktur (die, wie gesagt, ein Abkomme der Definition ist) richtete sich alle Aufmerksamkeit auf die Prozesse des Ersetzens und Ersetzt-Werdens und die so genannte „passive“ Seite der Beziehung wurde ignoriert. Ohne diese Seite jedoch scheint die Beziehung von Ersetzen und Ersetzt-Werden – oder Ausweichen und Platz-Einnehmen – überhaupt keine Beziehung zu sein. Sprache scheint überhaupt nichts mehr mit dem zu tun zu haben, das ersetzt wurde. Anstelle dessen erscheint sie als unilaterale, rein verbale Aktivität, ohne Beziehung zur Welt; als autarkes System, das arbiträre Laute verwendet, um, bestimmten Regeln folgend, „Bedeutungen“ zu vermitteln (die nicht verstanden werden).
Manchen Philosophen, die das Schenken ignorieren, erscheint die Beziehung von „Hauskatze“ zu Hauskatzen abstrakt, ein Akt sui generis der Sprechenden (oder der Gemeinschaft), die irgendwie „Hauskatze“ mit Hauskatzen gleichsetzen oder Hauskatzen „Hauskatze“ aufzwingen will, um sie von Vögeln oder Hunden zu unterscheiden (vielleicht aufgrund einer „genetischen Ausstattung“). Die einzige Absicht von Kommunikation schiene demnach Kategorisierung zu sein.
Was aber hat Kategorisieren mit Verstehen zu tun? Wir sehen uns mit einer Art des Denkens konfrontiert, die an die des Eigentums erinnert: das einzige, was zählt, ist, Sachen in Kategorien einzuteilen. Die wissensreichste Person ist die, die über die meisten Kategorien verfügt. Angeordnet sind die Kategorien in abgeschlossene und funktionale Hierarchien. Sie transformieren dabei bestimmte sprachliche Ausdrücke, indem sie allgemeine Namen mit immer spezifischeren ersetzen. Satzbäume entstehen, innerhalb derer jede Verbindung von Gesetzen oder Regeln gelenkt wird, die den Kategorien der Satzbäume angemessen erscheinen. Zu guter Letzt werden diese Hierarchien dann mit Verstehen gleichgesetzt.
Ohne Altruismus und dem Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein können wir weder Gemeinschaft noch Kultur schaffen. Es gibt keine Gruppe, die als Haufen isolierter EgoistInnen überleben kann. Sozialer Zusammenhalt kann nur vom Schenken und dem Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein kommen, Prinzipien, die immer und überall – egal wie versteckt sie sein mögen – von allen und vor allem von Frauen praktiziert werden. Oft genügt es uns heute nicht, das Bedürfnis der Zuhörenden schlicht in ihrem Verstehen befriedigt zu sehen. Wir fordern andere – „effizientere“ – Erklärungen für ihr kommunikatives Bedürfnis. Dies folgt der gleichen Logik, der zufolge Kaufende ihre materiellen Bedürfnisse monetär definieren müssen, da sie ansonsten für die Verkaufenden noch nicht einmal vorhanden sind.
Der Ansatz einer „unendlichen Semiose“ (unlimited semiosis), der von Charles Sanders Peirce stammt, hält seine (und de Saussures) dekonstruktive Nachkommen in einem unendlichen Regress gefangen, der sich innerhalb der definitorischen Haltung vollzieht, weit weg von der Ebene materieller, schenkender Kommunikation. Ketten von Ersetzungen verleugnen die Wichtigkeit des Präsenten, des bedürfnisbefriedigenden Geschenks.
Gandhis Ideale der Gewaltfreiheit demonstrierten die politische Wichtigkeit des Ausweichens und erlaubte allen zu sehen, was Frauen persönlich längst praktizierten. Das Ausweichen als Antwort auf das Platz-Einnehmen anzuwenden, brachte die Platz-Einnehmenden (unter anderem) dazu, die Auswirkungen ihrer Handlungen auf andere zu begreifen. Schenken und Ausweichen sind die Präsente, die den Beziehungscharakter der Re-präsent-ation unterstreichen.
Das Satzbaum-Diagramm (oder Wurzel-Diagramm)
Eine Kategorie ist eine Sammlung von Dingen, die wichtig genug ist, einen eigenen Namen zu haben. Auf einer meta-linguistischen Ebene etwa benennen Namen wie Nominalphrase (NP) oder Verbalphrase (VP) Arten von Phrasen, da LinguistInnen über diese sprechen müssen. Die Regeln der Syntax zeigen, wie Wörter und Phrasen einander schenken können. Satzbaumdiagramme visualisieren die Schenkbeziehungen als Abhängigkeiten. Diese Diagramme sahen dabei für mich immer so aus als wären sie auf den Kopf gestellt – bis ich realisierte, dass sie keine Baum-, sondern in Wirklichkeit Wurzelsysteme sind, in denen es einen Fluss von Geschenken von unten nach oben gibt (vom Besonderen zum Allgemeinen), und keinen von oben nach unten (vom Allgemeinen zum Besonderen).
Linguistische Kreativität – die Fähigkeit, immer wieder neue Sätze zu produzieren mithilfe einer limitierten Anzahl von Wörtern – wird begleitet und motiviert von der Fähigkeit, die Bedürfnisse zu erkennen, die diese Wörter und Sätze befriedigen sollen. Die kollektive menschliche Praxis der Bedürfnisbefriedigung in Bezug auf Dinge verleiht diesen Dingen Wert, was gleichzeitig für die Wortgeschenke gilt, die sie ersetzen. Sprache funktioniert nicht über eine kategorisierende Beziehung von oben nach unten, sondern über eine kreative Dynamik von Bedürfnisbefriedigung, die sowohl die Sprache als auch das Leben selbst bewegt.
Ich glaube, dass die Bedeutung in den Schenkbeziehungen innerhalb des Satzes liegt und nichts mit einem Zusammenspiel von Kategorien zu tun hat. Wir haben fälschlicherweise den sprachlichen Aspekt des Benennens und Definierens als Erklärung für die Dynamik missverstanden. Es ist nicht die Zuschreibung von Wörtern auf Dinge oder eine Bewegung von der Ebene der nonverbalen Erfahrung zu der Ebene der verbalen Praxis, die Bedeutung erzeugt. Der Prozess, der sich hier vollzieht, ist ein anderer – einer, den wir nicht richtig verstehen.
Im Benennen bzw. Definieren geben wir einer Gruppe von Dingen einen Namen, auf den sie sich beziehen können (weil er sie ersetzt). Wir geben dem Namen dabei auch etwas vom Wert dieser Dinge, nämlich das, was an ihnen für uns Menschen an Bedeutung ist. Wir tun dies, weil in Bezug auf Aspekte dieser Dinge kommunikative Bedürfnisse bestehen. Der Name (das verbale Ersatzgeschenk) hat die Aufgabe, dabei zu helfen, diese zu befriedigen. Dies mag durchaus auch für die Befriedigung materieller Bedürfnisse von Bedeutung sein. Deutlich wird das in Sätzen wie: „das Brot ist im Regal“, oder: „der Zug fährt vom Bahnsteig 12“. Es gibt hier einen nach oben laufenden Fluss an Bedeutung oder Wert, ausgehend von der Welt, deren Teil wir sind. Es handelt sich hier nicht nur um Zuschreibungen von oben nach unten oder um das Erstellen von Kategorien. Eine Meta-Sprache ist nur eine hierarchische Sammlung kategorisierender Begriffe, ein Sprachparasit, dem keine eigene Schenkdynamik zukommt.
Die Verästelung eines Satzbaumes sollte tatsächlich als das Zusammenkommen von Elementen gesehen werden, die einander schenken können, bzw. als eine kooperative Ansammlung von Begriffen. Wir können das Wort „das“ schenken, oder „das“ kann sich selbst dem Wort „Mädchen“ schenken. Diesen Geschenksakt nennen wir „Nominalphrase“. Dann kann diese das Verb „werfen“ jener Phrase schenken, die gebildet wird, wenn sich das Wort „den“ dem Wort „Ball“ schenkt. Wir können diese Phrasen in Diagramme zusammenfassen, indem wir ihnen Namen geben wie „Bestimmungswort“, „Nominalphrase“, „Verb“, „Satz“. Sie sagen uns, wer die Schenkenden, was die Geschenke und wer die Beschenkten sind. Wir können darüber hinaus sagen, dass wir Teile des Satzes – wie „das Mädchen warf den Ball“ – Wörtern wie „Nominalphrase“ schenken, damit diese sie ersetzen können.
Leider glauben wir, dass wir nur dann wirklich etwas wissen können, wenn wir eine Hierarchie erstellt haben. Wir wissen dann, wer wen kontrolliert, und wir können uns in einer solchen Ordnung besser orientieren. Doch hat dies zur Folge, dass wir den Geschenken und Werten gegenüber blind werden, die von unten nach oben fließen.
Der Satzbaum ist derjenige im Garten, den wir Adams Benennen verdanken. Wörter verbinden sich in Sätzen nicht, weil sie kategorisiert werden oder Regeln folgen, sondern weil sie einander schenken, miteinander in Beziehung treten und sich dann zusammen einem anderen Wort oder einem Teil des Satzes schenken. Sie können dies tun, weil sie zuvor selbst von Dingen (wie von Menschen) beschenkt wurden. Wenn wir den Fluss von unten nach oben leugnen, dann erscheint es so, als wäre das einzige, was es gibt, der Benennungsmechanismus von oben nach unten. Damit wird es für uns unmöglich zu erkennen, in welchem tatsächlichen Verhältnis das Benennen zur Welt steht.
Die Frage sollte nicht sein: „Wo teilt sich der (fraktale) Baum in Äste?“, sondern: „Wie entsteht das Wurzelsystem, das die Geschenke und die Werte nach oben klettern lässt?“ Die Fragen sind: „Wer trägt wen?“, und: „Wer versorgt uns (mit Wörtern)?“ Der Benennungsmechanismus? Oder der Schenkmechanismus?
Maskulisierung
Es mag so scheinen, als würden das Geheimnis der Beziehungen der (von der Syntax geregelten) Wörter in diesen selbst liegen. Ich glaube jedoch, dass dies eine Illusion ist, die von der Geschlechtsdefinition herrührt und die das Ersetzen weiter problematisiert.
Was passiert, wenn ein Bube als Kind lernt, dass er einem anderen Geschlecht zugeschrieben wird als seine schenkende Mutter? Wie in anderen Fällen des Benennens und Definierens wird er (als „Ding“) dazu veranlasst, dem Namen bzw. dem Definiendum „Bube“ als nonverbalem Geschenk Platz zu machen bzw. auszuweichen. Bevor er versteht, was die Erwachsenen sagen, denkt er, er sei so wie seine Mutter. Sobald er jedoch beginnt, die Implikationen des ihm zugeschriebenen Geschlechtsbegriffs zu begreifen, muss er erkennen, dass er nicht so sein soll wie sie. Sein Als-Bube-Definiert-Werden (bzw. die Implikationen sozialer Definitionen von „Männlichkeit“) veranlasst ihn dazu, das Schenkprinzip aufzugeben, um sich von seiner Mutter zu abzutrennen. (Siehe Grafik 5.) Seine Geschlechtsdefinition ist viel schädlicher als wir denken.
Nachdem sein Leben von der Fürsorge seiner Mutter abhängt, macht es dem Buben Angst, sich ändern zu müssen bzw. so zu sein wie sein Vater. Er soll nunmehr jemandem entsprechen, den er gewöhnlich nicht besonders gut oder nur als abstrakten Herrscher kennt. Auch das Wort „Bube“, das jetzt seinen Platz eingenommen hat und von nun sein Geschlecht und ein entsprechendes Verhalten bestimmen soll, ist ihm nicht vertraut. Das Ersetzen, das eigentlich nur ein Teil des Definitionsprozesses ist, rückt sich selbst ins Zentrum und nimmt den Platz des Geschenks ein, das seinerseits ausweicht. Die Kategorisierung wird mächtiger als die Kommunikation. Wörter sind nicht länger bescheidene kommunikative Geschenke, sondern magische Zauberstäbe, die die Identität des Kindes ändern.
Die Frage: „Was ist ein Mann?“ kommt wirklich von der Frage: „Wie unterscheidet sich ein Mann von seiner Mutter?“ Die Antwort ist, dass dies eine falsche Frage ist. Er unterscheidet sich nicht wirklich von seiner Mutter, er ist eigentlich wie sie: ein fürsorgliches Wesen, doch wird aufgrund seiner Geschlechtsdefinition gezwungen, die zu einer self-fulfilling prophecy wird, gezwungen sich zu ändern.
Nachdem es nur ein Wort ist, das den Buben auf andere Bahnen lenkt, erscheinen Wörter als äußerst mächtig. Und nachdem sein Vater vor ihm die gleiche Erfahrung hatte, finden Männer hier Gemeinsamkeit. Dem Buben – oder irgendwem sonst in der Gesellschaft – ist nicht klar, dass hier eine willkürliche und falsche Unterscheidung getroffen wird. Die Gesellschaft interpretiert den Unterschied des Buben zu seiner Mutter mit Verweis auf seine Genitalien bzw. auf das biologische Faktum, dass er einen Penis hat. Damit ist er dem Vater gleich, nicht der Mutter. Aber wenn Fürsorge die Basis für Kommunikation und Gemeinschaft ist, dann haben oppositionelle Geschlechtskategorien in Wirklichkeit weder Bedeutung noch Inhalt. Um diese Leere zu füllen, werden das Ersetzen, Definieren und Kategorisieren selbst der Inhalt der (maskulinen) Identität derjenigen, denen gesagt wird, dass sie keine Fürsorger sind.
Wörter sind in diesem Fall keine Geschenke, sondern sie werden sozial als mächtige abstrakte Kategorien auferlegt, die die Identität einer Person bestimmen und kontrollieren. Gemäß des Überlebensmechanismus, den Unterdrücker zu imitieren, werden die Buben dann wie das Wort – so wie es ihre Väter vor ihnen getan hatten. Männliche Geschlechtsidentität imitiert das Benennen oder den definitorischen Aspekt der Sprache sowie den Prozess des Platz-Einnehmens. Sie verleiht der Gleichung Gewicht, in diesem Fall mit Bezug auf den Vater, der nun sowohl den Platz der Mutter einnimmt (die ihrerseits ausweicht) als auch den anderer Männer. Der Penis spielt darin eine entscheidende Rolle, da es dieses physische Charakteristikum ist, dass den Buben in eine Kategorie mit dem Vater stellt.
Phallische Symbole sind überall, auch wenn wir gelernt haben, sie nicht wahrzunehmen und ihre Wichtigkeit zu negieren. Der Gleichung selbst – als Moment von Gleichsetzung und Tausch – wird von den meisten Menschen geschenkt: sie erhält deren Aufmerksamkeit und bezieht Wert von ihnen. Das Istgleichzeichen (=) besteht womöglich ursprünglich aus zwei kleinen phallischen Symbolen. Es ist dieses Charakteristikum (oder Eigentum), das der Bub hat und die Mutter nicht, welches ihn aus der Kategorie der Fürsorge (der Kategorie der Mutter) entfernt. Die psychosozialen Konsequenzen des Habens bzw. Nicht-Habens dieses physischen Charakteristikums sind enorm.
Der Bube erhält viele Privilegien. In der Tat wird ihm oft mehr Fürsorge zuteil, weil er männlich ist, als ihm zuteil geworden wäre, wäre er ein Mädchen gewesen (wie seine Mutter). Er wird oft als überlegen angesehen, selbst seiner Mutter gegenüber. Wie das Wort hat er die Fähigkeit des Platz-Einnehmens, was – in der Abwesenheit des Auf-Andere-Ausgerichtet-Seins und Schenkens – zu Verdrängung und Herrschaft führt. Diese Fähigkeit und diese Privilegien sind sein Lohn für die Aufgabe der fürsorglichen Identität.
Ich habe das Wort Maskulisierung für diesen Prozess geprägt, in welchem der Bube im Rahmen einer falschen, nicht-fürsorglichen Identität sozialisiert wird bzw. dem Wort („Bube“ – später: „Mann“), das ihn ursprünglich seiner selbst entfremdet hat, realen Ausdruck verleiht. Ich halte dies für einen entscheidenden Moment in der männlichen Entwicklung, doch wird er nicht erkannt und vermag sich daher in den unterschiedlichsten Lebensbereichen zu reproduzieren. Als Gemeinschaft hoffen wir unbewusst, uns im Zuge dieser Reproduktionen des selbst geschaffenen fatalen Makels entledigen zu können. Doch gleichzeitig gibt es eine Reihe von Mechanismen, die den Makel in Platz halten und uns davon abhalten zu sehen, was wirklich vor sich geht.
So wie die Sprache kann auch die Fähigkeit, Kategorien zu formen, entweder unserer genetischen Ausstattung oder unserer Sozialisierung zugeschrieben werden. Beide Möglichkeiten werden eifrig studiert. Manche ForscherInnen meinen, dass unsere Fähigkeit, Gleichheiten zwischen Dingen festzustellen, genetisch bedingt ist. Andere denken, dass wir Kategorien im Zuge empirischer Prozesse von Vergleichen und Verallgemeinern formen. Dabei gibt es die Theorie, dass sich diese Prozesse auf einen Prototyp beziehen – möglicherweise auf die erste Erfahrung, in der wir als Kind etwas in unserer unmittelbaren Umgebung als etwas anderem gleich erlebt haben. Durch wiederholte Vergleiche von solchen als gleich wahrgenommenen Objekten abstrahieren wir in der Folge deren gemeinsame Eigenschaften und schaffen Kategorien. In den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde vom sowjetischen Psychologen Lew Wygotski ein Experiment durchgeführt, das die Prototyp-Theorie begründete. Wygotski wird seither mit dieser identifiziert.
Das Eine und die Vielen
Wygotski beschrieb eine Reihe von Entwicklungsstufen, anhand derer Kategorien geschaffen werden. Die letzte Stufe ist die „des Einen und der Vielen“. Auf dieser nimmt der Prototyp eine fixe Beziehung mit einer Reihe von Objekten ein, die als mit ihm übereinstimmend gesehen werden, während Objekte, die als nicht mit ihm übereinstimmend gesehen werden, ausgeschlossen sind. Diese Beziehung ist eine zwischen Einem und Vielen. Die Beziehung zwischen den vielen Objekte rührt von ihrer Gleichheit mit dem einen Prototyp her. Dieser wird verallgemeinert und die gemeinsame Qualität der vielen Objekte spiegelt diese Verallgemeinerung wieder. Die vielen Objekte erhalten denselben Namen, der dem Prototyp, dem Einen, gegeben worden war.
E. Hanfmann und J. Kasanin beschreiben Wygotskis Experiment so:
„Das Untersuchungsmaterial, das im Kategorisierungsexperiment verwendet wird, sind 22 Holzblöcke verschiedener Farbe, Gestalt, Höhe und Größe. Es gibt fünf verschiedene Farben, sechs verschiedene Gestalten, zwei Höhen (hoch und nieder) und zwei Größen (groß und klein). Auf der Unterseite jeder Figur – die von der Testperson nicht gesehen werden kann – steht eines der vier folgenden Nonsense-Wörter geschrieben: „lag“, „bik“, „mur“, „cev“. Unabhängig von Farbe oder Gestalt steht „lag“ auf allen hohen und großen Figuren, „mur“ auf allen hohen und kleinen, und „cev“ auf allen niederen und kleinen.
Zu Beginn des Experiments werden alle Blöcke gut gemischt auf einem Tisch ausgebreitet. Die ExperimentsleiterInnen heben einen der Blöcke auf (den Prototyp), zeigen ihn, lesen der Versuchsperson den auf der Unterseite stehenden Namen vor und fragen sie daraufhin, all jene Blöcke auszuwählen, von denen sie meint, dass sie zur selben Kategorie gehören. Nachdem die Versuchsperson das getan hat, heben die ExperimentsleiterInnen einen der falsch ausgewählten Blöcke auf, zeigen der Versuchsperson, dass dies ein Block mit einem anderen Namen ist, und bitten sie um eine neue Auswahl. Nach jedem weiteren Versuch wird wieder ein falsch ausgewählter Block gezeigt, und so weiter. Mit der Zeit beginnt die Versuchsperson dann zu begreifen, auf welche Eigenschaften der Blöcke sich die Wörter beziehen.
Sobald die Versuchsperson diese Entdeckung macht, beginnen die Wörter also für bestimmte Eigenschaften der Objekte zu stehen (z.B. „lag“ für große hohe Blöcke, „bik“ für große flache, usw.) und neue Kategorien – für die es in der Sprache der Versuchspersonen bisher keine Namen gegeben hat – werden gebildet. Die Versuchsperson kann nunmehr die vier verschiedenen Arten von Blöcken so aufteilen, dass sie den von den Nonsense-Wörtern bestimmten Kategorien entsprechen. Dies zeigt, dass dem Gebrauch von Kategorien ein für die Lösung der Testanforderung funktionaler Wert innewohnt.
Ob die Versuchsperson tatsächlich kategorisches Denken anwendet, wenn sie das Problem zu lösen versucht, kann sowohl von der Art der Gruppen, die sie bildet, eruiert werden, als auch von der Weise, auf die sie diese bildet. Beinahe jeder Denkschritt der Versuchsperson wird vom Gebrauch der Blöcke reflektiert: die erste Herangehensweise an das Problem, der Gebrauch des Prototyps, die Reaktion auf die Korrekturen, das Finden der Lösung – all diese Stufen des Experiments stellen Informationsmaterial zur Verfügung, das es erlaubt, die Denkschritte der Versuchsperson nachzeichnen zu können.“ (Siehe Graphiken 6 und 7.)
Die kategorische Struktur des Einen und der Vielen ist in der kognitiven Psychologie von wesentlicher Bedeutung. Wygotskis Experiment lässt uns aufgrund seiner Demonstration ungewohnter („falscher“) Überlegungen in Bezug auf den Prototyp erkennen, was das Konzept des Einen und der Vielen nicht tut. Zwei ungewohnte Überlegungen zeigen dies deutlich: 1. Der Familiennamenkomplex, in dem der Prototyp unverändert bleibt, aber die Eigenschaften, aufgrund derer andere Objekte als gleich gesehen werden, variieren. 2. Der Kettenkomplex, in denen der Charakter des Einen und der Vielen verloren geht, da zwar zunächst ein Objekt aufgrund eines gemeinsamen Charakteristikums mit dem Prototyp in dieselbe Kategorie fällt, das nächste in diese Kategorie fallende Objekt jedoch nur noch ein gemeinsames Charakteristikum mit dem ersten zugeordneten Objekt aufweist, und so weiter. Diese „falschen“ Zuordnungen zeigen die Wichtigkeit der Unveränderlichkeit des Prototyps und dem andauernden direkten Vergleich der Objekte mit diesem selbst, um Allgemeinheit tatsächlich auf gleichen Eigenschaften aufzubauen. Idealiter wird der Prototyp schlussendlich überflüssig, da ein Objekt unmittelbar als Teil einer der vom Prototyp bestimmten Kategorie erkannt wird.
Ich habe über Wygotskis Experiment lange nachgedacht und bin darauf gekommen, dass es tatsächlich das Wort (der Name) ist, das den Platz des Prototyps ein- und seine Allgemeinheit übernimmt. Dies offenbart eine Eigenschaft des Wortes, die ich seiner Charakterisierung als kommunikatives bedürfnisbefriedigendes Geschenk hinzufügen möchte. In der Tat scheint es wenig überraschend, dass ein Wortgeschenk den Platz eines Prototyps einnimmt. Der Prototyp als solcher kann nicht immer konkret geschenkt werden und würde sich wahrscheinlich – außer als Bild – in den meisten Fällen sehr schnell seine Form ändern . Das Wort – mit seiner unendlichen Reproduzierbarkeit – kann jedoch tatsächlich immer als „dieselbe Sache“ erscheinen, selbst wenn es gleichzeitig in jedem Moment eine andere ist. Indem es vom Prototyp die Funktion des Einen und der Vielen übernimmt, hilft das Wort, die Kategorie so zu organisieren, dass ihre Teile genauso aufgrund ihrer gemeinsamen Beziehung zu ihrem Namen wahrgenommen werden wie aufgrund ihrer gemeinsamen Beziehung zum Prototypen.
Sobald einmal die Beziehungen der Dinge zueinander als gleich gemäß gemeinsamer Eigenschaften etabliert ist, ist der Prototyp selbst nicht länger notwendig und das Wort alleine kann uns an diese Gleichheit erinnern. Die Beziehungen des Einen und der Vielen schaffen eine Polarität, in der das Eine der Referenzpunkt ist und die Vielen – eines nach dem anderen – mit ihm verglichen werden. Das Wort, das den Platz des Einen einnimmt, hält diese Polarität aufrecht und verdeutlicht die Beziehungen der Vielen zueinander und zu sich selbst. (Siehe Graphiken 8 und 9.)
Die Eigenschaften des Prototyps müssen unveränderlich sein. Wenn sie das nicht sind, kann keine konsistente Kategorie konstruiert werden und unsere Gedanken wandern von einer Assoziation zur nächsten. Dabei kann jedoch jeder Aspekt einer Sache als das unveränderliche Eine gewählt werden. Sobald die Kategorie dann konstruiert wurde, kann dem Prototyp seine Position des Einen genommen und er zu einem einfachen Teil der Kategorie reduziert werden. Ich betone dies, weil ich denke, dass die Position des Einen (des Prototyps) missverstanden wurde in der Konstituierung unserer Geschlechtsdefinition. In diesem Falle wurde das Eine überbetont, mit speziellem Privileg ausgestattet und auf vielen verschiedenen Ebenen als selbstähnliches Modell in die gesellschaftlichen Strukturen projiziert. Der Vater und seine Familie, der König und seine Untertanen, der General und seine Armee, der Vorstandsvorsitzende und sein Unternehmen, usw., verkörpern die polare Beziehung des Einen und der Vielen, wie sie die Konstituierung von Kategorien prägt. Auch die Beziehung zwischen Geld und Produkt ist eine Verkörperung dieses Kategorisierungsprozesses, genauso wie die zwischenmenschlichen Beziehungen in unserer Gesellschaft oft Ausdruck der polarisierten Beziehung zwischen dem Einen und den Vielen sind. Selbst die Beziehung zwischen einer Person und ihrem Eigentum kann als Beziehung zwischen einem Einen und Vielen gesehen werden, die der Kategorisierungsstruktur entspricht (die in diesem Falle immer auch stark geschlechtlich bestimmt ist), obwohl die Beziehung zwischen Person und Eigentum vielleicht am ehesten dem Familiennamenkomplex entspricht.
Siehe Lev Vygotsky, Thought and Language.
E. Hanfmann / J. Kasanin: Conceptual Thinking and Schizophrenia, S. 9-10.
Siehe Marx’ Analyse des Geldes als des allgemeinen Äquivalents im ersten Band des Kapitals.
Das privilegierte Eine
Die Position des Prototyps zu privilegieren ist deshalb so gefährlich, da die Polarität und die Kategorien, die mit seiner Hilfe geformt werden, ursprünglich durchaus unschuldige und hilfreiche Formen sind, unsere Gedanken und Wahrnehmungen zu ordnen. Es handelt sich um eine sehr intime und grundlegende Art des Denkens, die von der Privilegierung der Position des Einen unterwandert wird. Weil sie so einfach ist, ist dieses Unterwanderung schwierig wahrzunehmen und wir projizieren sie außerhalb unser selbst, um mit ihr umgehen zu können. Da wir niemals daran denken, den Ursprung unserer seltsamen, das Modell des Einen und der Vielen reproduzierenden Verhaltensweisen auf die Entwicklung der kategorischen Strukturen zurückzuführen, setzen wir den Prozess auf vielen verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen fort. Dabei schaffen wir Strukturen, die miteinander interagieren, konkurrieren, sich gegenseitig stärken und sich immer wieder in neuen Hierarchien organisieren, die dem Modell des Einen und der Vielen folgen. Es sind diese Strukturen, die jene sich selbst reproduzierenden Systeme schaffen, die wir „Patriarchate“ nennen.
Was diesen Systemen zugrunde liegt, ist die männliche Geschlechtsidentität und die Maskulisierung. Männer gelten als Prototyp für die Kategorie „Mensch“. Die kategorische geschlechtliche Trennung der Buben von ihren Müttern verlangt von Männern, die Position des Einen einzunehmen, wenn sie überhaupt als Menschen gelten wollen. Frauen haben Männer darin unterstützt, sie sind ausgewichen und erscheinen nicht als das Eine, mit dem die Vielen verglichen werden, um ihre Menschlichkeit zu definieren. Frauen scheinen ein Defizit zu haben, ihnen scheint etwas zu fehlen, wenn sie mit den angeblich menschlichen Charakteristika verglichen werden, die Männer haben. Abstraktes Denken, Aggressivität, Individualismus, Führungsfähigkeit, Unabhängigkeit (Eigenschaften, die alle damit zu tun haben, um die Position des Einen zu kämpfen) scheinen „menschlich“, und Frauen scheinen demnach „unterlegene Menschen“ zu sein, weil sie diese Eigenschaften nie entsprechend ausgebildet haben.
Frauen ließen nie von der Ausübung des Schenkprinzips ab, außer wenn dies durch Mangel, Krieg oder individuell erfahrene Gewalt unmöglich gemacht wurde. In all den Jahrhunderten, in denen die Kategorie des Menschen von Philosophen studiert wurde, wurden die Frauen und ihre Aktivitäten nie als deren möglicher Prototyp in Betracht zogen. Gleichzeitig blieb das Schenkprinzip immer die eigentliche Quelle von Bedeutung, Gemeinschaft und Leben.
Was wir als definierende Charakteristika des männlichen Geschlechts sehen, sind in Wirklichkeit Charakteristika der Position des Einen, die in Verbindung stehen mit den Formen des Platz-Einnehmens, die wiederum der Rolle des Wortes im Benennen und Definieren entsprechen. Diese Charakteristika werden von Buben angenommen, um der self-fulfilling prophecy ihrer Geschlechtskategorie gerecht werden zu können, die eine andere als jene ihrer Mütter ist. Die Buben müssen die Position des Einen – die innerhalb der Familie vom Vater eingenommen wird – anstreben, um sich Männer nennen zu dürfen. Die ödipale Verfügung ist dabei weniger, den Vater zu töten, als seine Position des Einen einzunehmen.
Die einfache logische Überlegung, dass nicht jeder ein Eines in einem polaren Sinne sein kann, und dass dies ein austauschbares und unkonstantes Charakteristikum ist, mag Buben in einem frühen Alter nicht klar sein. Die Anforderungen des männlichen Geschlechts scheinen zu sagen: „Sei anders als die Frauen und werde so oder besser wie dein Vater, damit du seine Position übernehmen kannst und verdienst, ein Mann genannt zu werden.“
Bevor sie von den Anforderungen ihres Geschlechtsnamens heimgesucht werden, fühlen sich die Buben zum Prototyp ihrer fürsorglichen Mütter hingezogen. Es ist das Wort „Bube“, das sie aus dieser Kategorie entfernt. So gesehen, kommt die Rolle des Vaters als Platz-Einnehmers und Herrschers von der Fähigkeit des Wortes, die Buben der Identität ihrer Mütter zu entreißen. Es ist auch der Vater, dem die Fähigkeit zugesprochen wird, Kategorien zu formen – dies ist ein wesentlicher Aspekt seiner Rolle als Eines. Der Vater ist der Standard (wie das Geld), und dieser Standard (weil er die Rolle des Prototyps von der Mutter übernommen hat) wird zu dem Wort, das zu kategorisieren und aufzuteilen vermag. Jedes darauf basierende Urteil demonstriert die Macht, die dieses Wort (bzw. der Mann und sein Geschlecht) zu haben scheint: nämlich eine Unterscheidung zwischen männlich und weiblich zu treffen.
Die Buben verhalten sich zu ihren Vätern als Unterlegene. Ihre Beziehungen zu ihren Vätern entsprechen denen der Vielen zum Einen, des Eigentums zum Besitzer, der Dinge zum Wort bzw. dem Prototypen (der nicht länger ein Prototyp des Schenkens ist). Maskulisierung ist eine Art ursprüngliche Dehumanisierung, da die Rolle des Vaters objektiviert wird und dieser zu einem quasi unmenschlichen Ding avanciert. Frauen werden als das Gegenteil der Männer definiert, während alle Aufmerksamkeit den letzteren (denen, die in die männliche Kategorie fallen) zukommt.
Die biblische Geschichte von Josef und seinen Brüdern handelt vom gegenseitigen Kampf mehrerer Brüder um die Position des Einen, die sie vom Patriarchen erben wollen. Josefs Träume von den vielen Maisbündeln und der Sonne, dem Mond und den Sternen drücken diese Beziehung symbolisch aus. Wenn ein Bube den Vater als den Prototypen seiner eigenen Kategorie annimmt, wird er Teil der realen oder möglichen Vielen, die sich auf das Eine beziehen. Seine Geschlechtsidentität wird eine, die in Konkurrenz mit anderen Einzelnen desselben Geschlechts um die Position des Einen kämpfen muss. Sein Vater mag dasselbe in seinem Berufsleben tun. Auch das Platz-Einnehmen ist eine zentrale Anforderung seiner Geschlechtsrolle, da er als Mann den Platz von Frauen einnehmen und den männlichen Prototypen an die Stelle des weiblichen (des Schenkens) setzen muss.
Was Buben früh als ihre Geschlechtsrolle wahrnehmen, ist die Materialisierung der Prototypposition und eine teilweise Materialisierung des Wortes. Dem Prototypen zu entsprechen und den Platz anderer einzunehmen, wird wichtig für die männliche Identität, während das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein und das Schenken Prinzipien der weiblichen Identität bleiben. Indem der Mann der Prototyp für die Kategorie des Menschen wird, wird die Wichtigkeit des Schenkens negiert. Frauen (und auch einige Männer) schenken den Männern, deren Identitäten in dieser Weise geschaffen werden, freilich weiterhin, sie statten sie mit Privilegien aus und belohnen insbesondere jene, die die Position des Einen zu besetzen imstande sind. Das Schenken unterstützt also besagte Identitätskonstruktionen, selbst während es von diesen negiert und als „unterlegenes“, „instinktives“, ja sogar „nicht-menschliches“ Verhalten abgeurteilt wird. Das Schenken durchdringt immer alle menschliche Aktivität und bleibt etwa der einzige Weg, auf dem wir Güter und Nachrichten vermitteln, kommunizieren und Gemeinschaft formen können. Wir haben das Schenken dabei jedoch verändert und verzerrt, indem wir es für das Eine verwenden und gegen die Vielen. Wir werden alle von unseren ersten Tagen an gelehrt, den Weg des Schenkens zu negieren und ihm andere Namen zu geben („Aktivität“, „Hausarbeit“, „Freizeit“, „Mehrwert“, „Profit“). Sobald wir jedoch die Dynamik der Prinzipien des Tausches und des Schenkens erkennen, können wir dem Schenken den ihm angemessenen Wert und die ihm angemessenen Namen zukommen lassen.
Wygotskis Experiment demonstriert die Fähigkeit von Kindern in der Pubertät, Kategorien zu formen und kategorisch zu denken. Jüngere entwicklungspsychologische Arbeiten haben gezeigt, dass Kinder tatsächlich dieselben Methoden von Kleinkindsalter an verwenden. Ich glaube, dass Wygotskis Experiment nur eine bestimmte bewusste Anwendung von Kategorien untersuchte. Es ist interessant, was Carol Gilligan et al. über die Wahl geschrieben haben, die Mädchen in der Pubertät zwischen zwei Prinzipien machen. Diese Prinzipien scheinen mir denen sehr ähnlich, die ich Schenkprinzip und Tauschprinzip nenne. Siehe: Making Connections: The Relational World of Adolescent Girls at Emma Willard School, herausgegeben von Carol Gilligan, Nona P. Lyons und Trudy Hanmer. Vielleicht erreichen sowohl das Denken des Einen und der Vielen sowie die Privilegierung der Männer in der Pubertät eine neue Ebene.
Das materialisierte Wort
In der Maskulisierung materialisieren Männer sich selbst als Ersatzgeschenke, nehmen den Platz der Mutter ein, akzeptieren den Vater als Prototypen und geben das Schenken auf. Dies ist der Moment des Niedergangs: wenn die Buben realisieren, dass sie aufgrund ihrer Geschlechtsdefinition nicht an den Prozessen des Schenkens und Kommunizierens teilhaben können.
Vielleicht der größte (und dabei gleichzeitig kleinste) Fehler, den die Menschheit je gemacht hat, war, unseren Kindern unterschiedliche Geschlechtsnamen zu geben – ein unschuldiger, doch fürchterlicher Fehler, schwer wie der kleinste Teil der Feder der Maat. Wundern wir uns nicht manchmal, warum uns der Geist des Guten noch nicht zerstört hat, wenn wir all die Schrecken bedenken, für die wir verantwortlich sind? Genozid, Vergewaltigung, Genozid und Vergewaltigung, die Vergewaltigung und das Schlagen von Kindern, die Vergewaltigung und das Zerstören von Land und Wasser, das Morden von Spezies und Individuen, physische und mentale Folter? Vielleicht bleiben wir unbestraft, weil der Ursprung all dieses Schreckens eine so unschuldige Fehlinterpretation war, die so leicht begangen werden konnte.
Wir haben das Wort bzw. den Prozess des Benennens selbst materialisiert, und das Wort, das wir materialisiert haben, ist „männlich“. Es ist nur ein Wort, aber wir haben ihm erlaubt, unsere psychologischen und sozialen Strukturen zu formen und zu beherrschen. Wir haben es dazu verwendet, die halbe Menschheit der Idee des Schenkens zu entfremden.
Nachdem wir unsere Söhne der nicht-schenkenden Kategorie zugeordnet haben, statten wir (Mütter und Väter) sie – wie oben gesehen – mit Privilegien aus und belohnen sie. Wir schenken ihnen mehr als unseren Töchtern. Später versuchen wir sie dann durch autoritäre Moral oder religiöse Gebote bzw. durch Verweise auf Gesetze aller Art Altruismus zu lehren. Wir wundern uns, warum das so schwierig ist, und erklären es mit der angeblichen „Grausamkeit der menschlichen Natur“.
Es gibt eine kommunikative Notwendigkeit für uns, für die gesamte Menschheit: wir brauchen einen neuen Begriff für die Beziehungen, die wir mit unseren Kindern eingehen. Wir brauchen ein Wortgeschenk für alle diese kleinen Geschöpfe, die unser größtes Geschenk an andere sind, an die Zukunft und an uns selbst. Nur wenn wir einen Begriff für beide Geschlechter finden, können wir der Zerstörung unserer Spezies, unserer Mütter und unserer Mutter Erde Einhalt gebieten.
Dieser Übergang selbst entspricht dem Tauschprinzip, wie wir im Kapitel „Markt und Geschlecht“ sehen werden.
Kommunikation verbindet jene, die kommunizieren, indem gemeinsam auf einen Bereich ihrer Welt Bezug genommen wird. Das Benennen der Geschlechter teilt die Kommunizierenden jedoch von Anfang an in zwei sich ausschließende, oppositionelle Kategorien und widerspricht damit dem eigentlich integrativen Charakter der Kommunikation. Anstatt verbunden zu sein, verhalten sich die Geschlechter – wie das Schenken und der Tausch – ergänzend zueinander. Sie passen dabei freilich in keiner Weise perfekt zusammen. Die Rolle der Herrschaft auf der Seite des Tausches schließt den integrativen Charakter des Schenkens – mit den kreativen Dimensionen, die sowohl dem Schenken als auch dem Empfangen innewohnen – aus. Manchmal werden dafür das Verhältnis von Herrschaft und Unterwerfung als integratives Modell (und Lösung des Widerspruchs) präsentiert, doch erscheinen solche Versuche nur absurd. In jedem Fall wird den Herrschenden weiterhin geschenkt (was etwa in den Erwartungen der so genannten „Family Values“ zum Ausdruck kommt).
Als Folge der Geschlechtertrennung werden jene Aspekte der Sprache, die sich auf das Schenken und Ausweichen beziehen, als biologische Eigenschaften von Frauen identifiziert, während die Aspekte des Ersetzens und Kategorisierens Männern zugeschrieben werden. Diese Unterscheidung führt dazu, die Fürsorge ihrer Kraft zu berauben und Tausch/Herrschaft als soziales Paradigma zu etablieren. Es ist die Sprache selbst , welche den gegenseitigen Ausschluss der beiden Geschlechter grundlegt. „Weiblich“ und „männlich“ werden in ihr als direkte Gegensätze gesehen. Der gegenseitige Ausschluss wird dabei so stark, dass es für ein Verständnis dessen, welche Verhaltensweisen für unser jeweiliges Geschlecht als angemessen gelten, genügen würde, das andere Geschlecht zu beobachten und das genaue Gegenteil zu tun.
In einem grundlegenden Text zu den Universalien der Sprache schreibt Joseph Greenberg über die „gekennzeichneten“ und „ungekennzeichneten“ linguistischen Kategorien von gegensätzlichen Begriffen, die sich auf phonologischen, terminologischen und grammatikalischen Ebenen finden lassen. Begriffe wie „kurz“ oder „lang“, „breit“ oder „eng“, „oben“ oder „unten“ implizieren Vorstellungen mit gegensätzlichen Endpunkten. Gewöhnlich fungiert dabei einer der beiden Endpunkte als die linguistische Norm. Wir fragen: „Wie alt ist das Mädchen?“ und nicht: „Wie jung ist es?“ „Alt“ ist die Norm, das, was LinguistInnen den „ungekennzeichneten“ Begriff nennen. Greenberg zufolge ist etwa „Mann“ ein „ungekennzeichneter“ Begriff und „Frau“ ein „gekennzeichneter“.
Mir kommt es so vor, als seien die meta-linguistischen Ausdrücke „gekennzeichnet“ und „ungekennzeichnet“ vertauscht. Ich denke, dass der allgemeinere, mehr einschließende Begriff der gekennzeichnete sein sollte (bzw. der, der mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht) und der weniger einschließende der ungekennzeichnete. Stattdessen hat der weniger wichtige Begriff ein Extra-Kennzeichnen, ein Präfix oder Suffix, während der wichtigere Begriff, der auch ein „Nullzeichen“ genannt wird, keine Zusätze hat. Im Englischen hängen wir etwa ein „s“an das Singular, um den Plural zu bilden. Der Plural ist die gekennzeichnete Kategorie, das Singular die ungekennzeichnete. Die zwei Begriffe selbst haben ihre Bedeutung auf seltsame Weise überkreuzt. „Gekennzeichnet“ ist ungekennzeichnet, während „ungekennzeichnet“ gekennzeichnet ist.
Greenberg zitiert Jakobsons Aufsatz, der die Unterscheidung definiert: „Die allgemeine Bedeutung einer gekennzeichneten Kategorie bestätigt die Präsenz eines bestimmten Eigentums (A); die allgemeine Bedeutung der korrespondierenden ungekennzeichneten Kategorie bestätigt nichts, was die Präsenz von A betrifft, und wird prinzipiell – wenn auch nicht ausschließlich – verwendet, um auf die Abwesenheit von A hinzuweisen.“ Dann setzt Greenberg fort: „Auf diese Weise bestätigt nach Jakobson der Begriff ‚Frau’ die Präsenz der gekennzeichneten Kategorie ‚weiblich’, während ‚Mann’ prinzipiell – wenn auch nicht ausschließlich – dazu verwendet wird, auf die Abwesenheit des ‚Weiblichen’ hinzuweisen.“
Diese Analyse scheint der Intuition von Frauen entgegenzulaufen, die auf dem harten Weg lernen mussten, dass der wichtigste Besitz jener der Männlichkeit ist und dass wir als Frauen darüber definiert werden, dass uns dieser nicht zukommt. Greenberg: „‚Man’ (im Englischen sowohl ‚Mann’ als auch ‚Mensch’ – Anm. d. Übers.) hat demnach zwei Bedeutungen: zum einen verweist es auf die explizite Abwesenheit des ‚Weiblichen’ in der Definition ‚männliches menschliches Wesen’, und zum anderen verweist es auf ‚den Menschen im Allgemeinen’.“ Greenberg zufolge schließt also der Begriff, der auf die Abwesenheit des Weiblichen verweist, Frauen ein, wenn er allgemein verwendet wird. Frauen werden auf diese Weise eingeschlossen, nachdem das Weibliche aus dem Begriff ausgeschlossen wurde.
Wir könnten uns fragen, wie es wäre, wenn Männer und Frauen Wörter wären? Dann wären es wohl die Männer, die gekennzeichnet wären, mit dem Präfix des Phallus. Sie wären dann weniger wichtig als die Frauen bzw. „anders“. Frauen hingegen würden das Nullzeichen sein, ohne Präfix, wichtiger, die Norm. Wenn es wahr ist, dass „Mann“ über die Abwesenheit des Charakteristikums des Weiblichen definiert wird, was ist dann dieses Charakteristikum? Nichts als die Abwesenheit einer distinktiven Eigenschaft, eines Kennzeichens, sowie die Abwesenheit einer Eigenschaft im Sinne des Privatbesitzes. Ich denke, dass Frauen die tatsächliche Norm sind – sie sind die verschwundenen und verleugneten Prototypen der menschlichen Spezies.
Männer definieren sich selbst und die Menschheit auf der Basis der Negation des weiblichen Prototypen. Der Phallus ist das doppelte Negativ, die Abwesenheit der Abwesenheit. (Jacques Lacan spricht vom „Fehlen des Fehlen“.) Es überrascht nicht, dass sowohl Kinder als auch LinguistInnen verwirrt sind. Im Englischen ist das Wort wo-man selbst man mit einem Präfix. Dieses verschleiert vielleicht die Tatsache, dass die Mutter physisch keines hat. Dies wird hier jedoch nicht als Norm verstanden, sondern als Mangel, als ein Fehlen in Bezug auf die Norm. Das Wort „Menschheit“ demonstriert dieses Problem: indem der Phallus als das Kennzeichen der Männer genommen wird und Männer als die Prototypen der Spezies, erscheinen Frauen als „defekt“, als Teil einer unterlegenen Art.
Die Norm zu sein, ist selbst zu einem männlichen Geschlechtsmerkmal geworden, und der Phallus ist – paradoxerweise – ein Kennzeichen dieser Norm. Das Wort „männlich“ und alle anderen Wörter, die für Herrschaft durch Definition verwendet werden, werden phallisch gekennzeichnet aufgrund der formalen Verwandtschaft der männlichen Geschlechtskonstruktion mit dem Modell der Definition (von der erstere abstammt). Das Wort „männlich“ nimmt den Platz von Männern ein, das heißt von diejenigen, die ein Kennzeichen haben, Platz-Einnehmende sind und ihr Kennzeichen nutzen, um zu herrschen. Dadurch in Positionen von Autorität gerückt, verwenden sie ihre Wörter, um zu definieren und zu erobern.
Verbale Kommunikation zwischen Männern und Frauen muss versuchen, diese kulturell definierten polaren Oppositionen zu überwinden. Wir müssen uns alle jenseits dieser Oppositionen verbinden und zueinander finden. In den polaren Oppositionen wird ein Pol als dem anderen überlegen angesehen – für die Geschlechtspolarität heißt das, dass ein Geschlecht (das männliche) als die gekennzeichnete Norm und der Prototyp für die Spezies gilt. Die logischen Widersprüche, die hier am Werke sind, schaffen bedrohliche Double Binds (siehe unten), die die Gesellschaft noch nicht gelöst hat. Die meisten Meta-Aussagen, die das Geschlecht betreffen, sind ego-orientiert, bauen auf der Tauschlogik auf und untermauern die Überlegenheit des männlichen Geschlechts. Dieses Buch bemüht sich um alternative, auf dem Schenkprinzip beruhende Meta-Aussagen, die dem Bedürfnis dienen sollen, die herrschenden Geschlechtskategorisierungen zu überwinden.
Anm. d. Übers.: Dieses Wortspiel kann im Deutschen nicht entsprechend wiedergegeben werden. Ein entscheidender Begriff in diesem Kapitel ist jener des „Kennzeichens“, des englischen mark: „Marxist“ wird damit zu „Marksist“.
Für Saussure ist die Sprache (langue) ein System rein differentieller und oppositioneller Einheiten. Jedes Wort bezieht sich auf andere Wörter einzig aufgrund seiner Exklusivität und identifiziert sich einzig darüber, nicht so wie die anderen zu sein. Wenn der Signifikant und das Signifikat zusammen berücksichtigt werden, kommen auch andere Gegensätze und Assoziationen zum Tragen wie etwa binäre Oppositionen oder reguläre paradigmatische Variationen. (Siehe Saussure, Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, Kapitel 4.)
Joseph Greenberg, Language Universals.
Vgl. Roman Jakobson, On Language, Kapitel 8: “The Concept of ‘Mark’”.
Die Überbewertung des Ersetzens
Dass maskulisierten Männern in unserer Gesellschaft mehr Wert zukommt, bedeutet, dass die ersetzenden Aspekte der Sprache überbewertet werden. Damit wird es diesen ersetzenden Aspekten möglich, die schenkenden Aspekte der Sprache zu überlagern. Eine Reihe von sich selbst widerspiegelnden Strukturen entwickelt sich, die die sprachliche Geschlechtsopposition ausdrücken und fortsetzen. Das Ersetzen und das Platz-Einnehmen werden dominant, reproduzieren sich und nehmen den Platz das Schenkens ein, von dem sie gleichzeitig versorgt werden. Während das Männliche den Platz des Weiblichen als Prototyp der Menschheit einnimmt, setzen Frauen damit fort, Männern zu schenken und dem männlichen Modell Wert zuzuschreiben. Gleichzeitig nehmen die männlichen Verhaltensweisen der Herrschaft und Konkurrenz den Platz der Nicht-Konkurrenz, des Schenkens und des Ausweichens ein. Diese Verhaltensweisen spiegeln Aspekte von den Dienst- und Ersatzmechanismen wieder, die wir vom Modell der Definition her kennen. Das Wert-Schenken ist ein Aspekt des Schenkens, der die Dynamiken von Unterwerfung und Herrschaft in unserer Gesellschaft stützt.
Auf der Ebene der Sprache schenken wir den Wörtern als Ersatzgeschenken Wert, während wir auf der Ebene der Geschlechter dem Männlichen, das den Platz des Weiblichen (und auch den anderer Männer) einnimmt, Wert schenken. Unsere Aufmerksamkeit richtet sich nun auf die Platz-Einnehmenden und nicht mehr länger auf die Mutter Erde, die Mutter überhaupt oder auf irgendwelche Schenkenden – auf nichts und niemanden, deren Platz eingenommen wurde. Das Schenken erscheint nun unterlegen (schließlich kommt ihm kein Wert zu) und dem Ersetzen werden alle seine Schenkaspekte genommen, damit es als vollkommener Gegensatz des Schenkens erscheinen kann. In der Ökonomie ersetzt der Tausch – der ein Mechanismus des Ersetzens und Platz-Einnehmens ist – zur Gänze das Schenken. Dieses weicht aus. (Siehe Graphik 10.)
Ein weiterer Ausdruck von Maskulisierung ist der Gebrauch des Benennens und Definierens, um das Verhalten anderer durch Befehl und Gehorsam („Ausweichen des Willens“) zu kontrollieren. Nachdem der Hälfte der Menschheit das Mandat gegeben wurde, nicht-fürsorglich zu sein, ist es schwierig, sie davon zu überzeugen, dass sie es zumindest in geeigneten Momenten und zumindest in eingeschränktem Maße sein sollten. So können Kinder paradoxerweise dafür geschlagen werden (ein physisches „Platz-Einnehmen“), dass sie nicht schenken und ausweichen, oder dafür, dass sie ungehorsam und respektlos sind. Moral und Gesetz werden den Prinzipien des Befehls und des Gehorsams entsprechend geformt und vom Wort dominiert. „Gerechte Strafe“ wird als ein Tausch für das Brechen des Gesetzes gesehen. Das Schenken wird als unrealistisch dargestellt. Was wir angesichts dessen wirklich bräuchten, ist keine „Gerechtigkeit“ auf der Basis von Definition, Maskulisierung und Tausch, sondern Güte und die Restaurierung des Schenkprinzips und der Mütterlichkeit.
Eine geteilte Gemeinschaft
In menschlichen Gemeinschaften wechseln praktisch alle sich in ihren Rollen als Sprechende und Zuhörende (als linguistische Schenkende und Empfangende) ab. Dies gilt für die Kommunikation mit dem „anderen“ Geschlecht ebenso wie für die Kommunikation innerhalb des „eigenen“. Jedes Geschlecht entwickelt dabei seine eigene Form von Gemeinschaftlichkeit, die das andere Geschlecht ausschließt und die Regeln dafür bestimmt, wie mit dem anderen Geschlecht kommuniziert werden kann.
Es kommt zu zwei unterschiedliche Arten von Identitätsbildung (auf denen auch unsere individuellen Identitäten beruhen): Auf der männlichen Seite bildet sie sich primär über Kommunikation mit dem eigenen Geschlecht – auf der weiblichen Seite bildet sie sich primär über Kommunikation mit dem anderen. Mit anderen Worten: Die Schenkenden (die Frauen) schenken sowohl anderen Schenkenden als auch denen, die nicht nur ihren Platz einnehmen, sondern darüber hinaus den Platz aller anderen Platz-Einnehmenden einzunehmen suchen (den Männern). Die grundlegenden funktionalen Prinzipien der Kommunikation – Schenken und Ersetzen – werden somit in zwei gegensätzlichen Geschlechterrollen ausgelebt.
Der Missbrauch der Prozesse des Benennens und Definierens – die allgemein relativ neutrale und kollektiv nützliche linguistische Prozesse sind – wird möglich aufgrund der Unsichtbarkeit des Schenkens (in der Sprache wie im Leben). Diese Unsichtbarkeit ist sowohl Grund als auch Resultat der Maskulisierung bzw. der Auslöschung der Mütterlichkeit. Die Bedeutung des Schenkens für unsere Sprache und unser Leben wieder zu betonen (und damit auch die Aspekte des Dienstes und der kommunikativen Bedürfnisbefriedigung für das Definieren und Benennen), wird den verobjektivierten und dehumanisierten patriarchalen Definitionsprozess unterminieren und das Wort von seinen phallischen Besetzungen befreien.
Family Values
Der einzige Ort, an dem das mütterliche Modell noch hochgehalten wird, ist in der Familie. Doch auch hier wurde es seiner Kraft beraubt. Vor allem in der ideologischen Rechten wird es dem dominanten Vatermodell untergeordnet. Familien, die auf solchen unterdrückenden „Family Values“ aufgebaut sind, sind die Grundpfeiler des Patriarchats. Die Frau als Fürsorgende und Schenkende ist in diesen in einem permanenten Dienstverhältnis zu jenem gefangen, der sie dominiert und die Rolle des Beispiels für ihre Söhne übernommen hat, was sie gleichzeitig zu einem Beispiel von Schwäche und Unterordnung für ihre Töchter werden lässt. Dieser Prozess ist verheerend, da die Mütterlichkeit und das Schenken eigentlich die einzig angemessene Basis für lebenswürdige soziale Institutionen und eine lebenswürdige soziale Ordnung darstellen.
Ich meine damit nicht, dass der patriarchale Staat die Fürsorge so vereinnahmen sollte, wie er es bereits auf viele Weisen – meist verkleidet in Form von Hilfs- und Wohlfahrtsprogrammen – getan hat. In den USA ist Hilfe an die „Dritte Welt“ (inner- und außerhalb des Landes) beinahe immer ein versteckter Tausch, der den „Schenkenden“ Nutzen bringt und den „Beschenkten“ Erniedrigung. Die „Fürsorge“ des männlichen Modells funktioniert nicht – auch nicht die seiner kollektiven Form, wie viele kostspielige Beispiele von Kommunismus (Staatskapitalismus) und Bürokratie gezeigt haben.
Regierungen sollten reorganisiert werden, um sie vom Herrschaftswettbewerb zu befreien. Individuen und relativ kleinen Gruppen sollte stattdessen erlaubt werden, einander selbständig zu versorgen. Dies würde auch das Schaffen von Überfluss durch das Ende von Verschwendung bedeuten. Gegenwärtiger Mangel wird künstlich erzeugt aufgrund verschwenderischer Ausgaben für Produkte, die das Leben nicht bereichern: Waffen, Drogen, symbolische Luxusgüter. Diese Ausgaben beuten die Massen aus und zerstören deren eigene Ökonomien, um die patriarchalen sozioökonomischen Systeme von Privilegierung und Herrschaft zu stützen.
Ich halte es für wichtig, die Sprache im Zuge unserer Suche nach gesellschaftlicher Transformation zu studieren, da Sprache das Charakteristikum hat, sowohl individuell wie kollektiv zu sein, sowohl in uns selbst zu existieren als auch in unseren Gemeinschaften. Als ein wesentlicher kreativer Faktor in der Formation unserer individuellen wie kollektiven Identität hilft Sprache, den Graben zwischen den Einzelnen und der Gemeinschaft zu überbrücken.
Der Tausch – konstituiert von einem Mechanismus des Ersetzens und Ausweichens als einer Verschiebung des Definitionsmodells – ist eine sehr starke selbst reflektierende Vorlage, die uns leicht dazu verleitet, alles in seinem Bild zu interpretieren, während wir gleichzeitig das Schenken ignorieren. Wenn wir aber die Mechanismen des Tausches aufzeigen, verstehen und demystifizieren bzw. das Schenkprinzip des Überflusses wieder in unserer Vorstellung von Sprache restaurieren, dann können wir uns an der Sprache orientieren, um auf unserer Mutter Erde eine mütterliche Gesellschaft zu schaffen. Das Schenken und seine Werte sind bereits vorhanden. Wir müssen nur unsere patriarchalen Brillen ablegen, um sie erkennen zu können.
Obwohl der Kommunismus als ein Versuch gesehen werden kann, Bedürfnisse zu befriedigen, wurde er, so wie der Kapitalismus, von patriarchalen Strukturen unterminiert. Marx und männliche Ökonomen, die ihm folgten, haben die freie Arbeit der Frauen nicht als Wert produzierende Arbeit verstanden. Wenn die Arbeit der Frauen aber mitgerechnet würde (siehe z.B. Marilyn Waring, If Women Counted, A New Feminist Economics), müssten wir beispielsweise mindestens 40% zum BSP der meisten westlichen Nationalstaaten dazurechnen – und sogar mehr in Ländern der „Dritten Welt“. Ökonomen, die solche makroskopischen Elemente beiseite lassen, müssen zu fehlerhaften Analysen gelangen. Sie arbeiten so wie ForscherInnen, die das Sonnensystem untersuchen und dabei 40% der Planeten ignorieren. Dies erfordert natürlich das Kreieren anderer Erklärungen für die untersuchten Phänomene, z.B. Unregelmäßigkeiten in den Planetenbahnen. In jedem Fall wäre das Resultat eine für erfolgreiche Reisen im Weltraum absolut unzureichende Karte. Im sozialen Feld erlaubt der Feminismus in diesem Sinne eine tiefere und weiter reichende Analyse als der Kommunismus. Der Feminismus ist eine bessere Basis für soziale Planung sowohl als Kapitalismus als auch als Kommunismus, da er im Gegensatz zu diesen die freie Arbeit mit einzurechnen versteht.
Geschlechtslose Kategorien
Selbst wenn wir über das Gute oder die Gerechtigkeit sprechen, die wie ungekennzeichnete und geschlechtsneutrale Begriffe wirken, haben wir es mit männlichen Modellen zu tun. Das Gute bezieht sich meist auf Bilder männlicher Götter, während die Gerechtigkeit gewöhnlich auf einem männlichen Gesetz und männlichen Richtern beruht. Auch die Gleichheit – als wichtiger Faktor des Konzepts des Einen und der Vielen sowie der Prinzipien von Maskulisierung und Tausch – perpetuiert das männliche Modell. (Die Babys, die von Müttern versorgt werden, sind ihnen nicht „gleich“ – sie sind von ihnen verschieden.) Überall werden die Werte der Männer, die ihnen sozial gegeben wurden, sowie das Privileg ihres Kennzeichens reproduziert.
Die scheinbar neutralen Kategorien des Guten, usw., werden mit solchem Wert ausgestattet, dass es als tugendhaft erscheint, ihnen zu entsprechen. Sie kommen einem artifiziellen ungekennzeichneten Zustand des Seins gleich, den Männer als Erwachsene wieder anstreben können, nachdem sie als Buben zum Verlassen der ungekennzeichneten Kategorie ihrer Mutter gezwungen worden waren. So gesehen, verspricht dieses Streben das Wiedererlangen eines ungekennzeichneten Zustands, ohne sich der illusorischen Gefahr der Kastration aussetzen zu müssen. Indem sie sich den Gesetzen, Geboten, Regeln und Vorschriften ihrer Väter untergeordnet haben, können die Buben ihnen gleich werden. Angeblich haben auch ihre Mütter diese Möglichkeit, da die Regeln für alle die gleichen sein sollen – doch haben die Männer immer mehr Autorität.
Wenn sie erwachsen sind, können sich die Buben zum Teil von der konstruierten Differenz befreien, die ihre ursprüngliche Identifikation und Einheit mit der Mutter zerstört hat. Diese Identifikation und Einheit war die wahre Erfahrung der Buben, die sie verleugnen mussten, als sie in eine andere Kategorie gezwungen wurden. (Dies ändert sich nicht dadurch, dass ihre Mütter und andere Frauen heute formal auf ihre Ebene gehoben werden, vielfach denselben Regeln folgen und angeblich dieselben Privilegien haben.)
Die „neutralen“, „objektiven“, „unvoreingenommenen“ Kategorien versprechen eine Art von Utopie, die Kinder realisieren können, wenn sie sich „richtig“ verhalten bzw. wenn alle das tun. Wenn es uns gelingt, zur Kategorie des Guten zu gehören (oder selbst zu einer wie „DemokratIn“ oder „US-AmerikanerIn“), scheinen wir eine Möglichkeit zu haben, die ursprüngliche Entfremdung zu überwinden, die im Kennzeichen oder dem Fehlen desselben – kurz: in der Geschlechterdifferenz – begründet lag.
Ich will hier darauf bestehen, dass dies eine traurige und unnotwendige Entwicklung ist, da die ursprüngliche Entfremdung selbst unnotwendig ist. Es ist die soziale Interpretation des Geschlechts, welche den kleinen Buben – aufgrund seines Kennzeichens – seiner Mutter entfremdet. Eine soziale Interpretation lässt sich jedoch ändern. Denn als kleiner Bube ist der Bube – genauso wie das kleine Mädchen – Teil einer Menschlichkeit, die auf dem Schenkprinzip und der Mütterlichkeit beruht. Und in diesem Sinne ist das Kennzeichen (sein Penis) für die Kategorie des Menschlichen absolut irrelevant.
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Kinder werden sozialisiert, indem sie den Erwachsenen und deren Anweisungen folgen. Sobald Buben gesagt wird, dass sie „Buben“ sind, müssen sie die Identität des Vaters anstreben und sich von der fürsorglichen und schenkenden Identität, die sie jeden Tag mit ihrer Mutter erleben, lösen. (Das Problem verschlimmert sich nur, wenn es noch nicht einmal persönlichen Kontakt zum Vater gibt und Männer zu Rollenbildern für Buben werden, die sie nur von der Straße oder gar dem Fernsehen kennen.) Wir Erwachsenen trennen mit dieser Benennung die Identität der Buben von ihrer Erfahrung, da die Sprache in Bezug auf sie selbst den gleichen Einfluss hat wie auf alles andere: sie definiert Dinge (in diesem Fall: sie selbst) für sie. Gleichzeitig lernt ein kleines Mädchen von der Gesellschaft, dass die Kategorie zu der sie und ihre Mutter gehören, unterlegen ist, ja dass sie oft noch nicht einmal als Kategorie erkennbar ist, und dass ihre Mutter, als ihr Rollenbild, wahrscheinlich den Mann mit seinem Kennzeichen mehr schätzt als sie selbst (die Tochter), sich selbst (die Mutter) und ihr Geschlecht (alle Frauen).
Ein weiterer Effekt der Maskulisierung ist das Privileg, das auf die eine oder andere Weise mit dem Kennzeichen verbunden zu sein scheint: Geld, Autos, Besitztümer funktionieren als Kennzeichen von Klasse, während Hautfarbe, Größe und andere physische Unterschiede als Kennzeichen für ethnische oder kulturelle Kategorien funktionieren. All diese Kategorisierungen lassen sich dabei auf das phallische Kennzeichen zurückführen bzw. auf das Definieren des Unterschieds zwischen den Buben und ihren Müttern als eines physischen. Die Kategorisierungen stützen die Vorstellung einer privilegierten Besonderheit. In jedem Fall wird von uns erwartet, uns der Maskulisierung hinzugeben, sobald wir uns auf irgendeine Art auf ein Kennzeichen bezogen sehen (bzw. eines besitzen).
Geld ist – wie der Phallus – ein Kennzeichen, das eine Norm bestimmt. Es wertet dabei das Schenkprinzip, dessen Platz es eingenommen hat, ab. Es lässt die, die kein Geld haben, als unterlegen erscheinen. Andere Arten von biologischen Charakteristika – wie weiße Haut – können als kulturell auferlegte Kennzeichen der Norm erscheinen, die andere Hautfarben als „abweichend“ oder „weniger normal“ kategorisieren. Wir alle verhalten uns gemäß unserer Definitionen wie Buben und Mädchen das tun. Wir folgen blind den self-fulfilling prophecies der Namen unserer Kategorien mit ihren destruktiven sozialen Interpretationen unserer physischen und nicht-physischen Unterschiede. Manchmal haben wir mit dem Einlösen der Prophezeiungen unsere Schwierigkeiten und widersprechen ihnen. Es wäre jedoch um vieles leichter, einfach die Definitionen selbst zu ändern anstatt die sozialen Muster, anhand derer sie sich unserer Leben bemächtigt haben.
Sowohl Frauen als auch Männer können lernen (und viele tun es bereits), mit ihren Kindern auf einer Meta-Ebene über Geschlechterrollen zu sprechen. Sie können ihnen Sachen erklären wie: „Die Wörter, die wir anwenden, um über uns selbst zu sprechen, sind nicht ganz richtig; wir sind ein wenig anders, als es klingen mag. Obwohl wir ‚männlich’ und ‚weiblich’ sagen, ‚Bube’ und ‚Mädchen’, ‚Mama’ und ‚Papa’, sind wir alle Menschen. Wir sind in Wirklichkeit Teil derselben Kategorie.“ Wenn Kinder klein sind, müssen sie auch andere physische Unterschiede (so wie Größe) übersehen, um die Kategorie „Mensch“ und sich selbst als Teil derselben zu begreifen. Mit Sicherheit würden sie in diesem Sinne auch den Unterschied zwischen ihren Genitalien übersehen, wenn wir ihnen diesen nicht als wesentlichen Unterschied lehren würden.
Betrachten wir etwa, wie Menschen über das Geschlecht von Kleinkindern sprechen: Bekleidet sehen Buben und Mädchen sich sehr ähnlich. Trotzdem ist das Geschlecht das erste, wonach Menschen fragen: „Ist es ein Bube oder ein Mädchen?“ Die Praxis, Babys nach den Farben zu unterschieden, in denen sie gekleidet sind – traditionell rosa und blau – spricht Bände. Wir sollten unseren Kindern keine Stereotype aufzwingen, sondern ihnen erlauben, im Sinne des Schenkprinzips aufzuwachsen und ihre Identität im Zuge dieses Prozesses selbst zu bilden. Wir könnten Kindern erlauben, ihr Geschlecht in der Pubertät selbst zu wählen, gemäß ihrer sexuellen Präferenz, und ihre Wahl könnte durch Rituale und Feste gestärkt werden. Wir sollten sie in jedem Fall nicht mit einer self-fulfilling prophecy belasten, die sie von uns wie von sich selbst entfremdet.
Wir mögen denken, dass Kinder nicht klug oder logisch genug sind, um die frühen Geschlechtsunterscheidungen zu verstehen. Aber wenn dies so zu sein scheint, dann nur deshalb, weil wir sie von Anfang an mit falschen Geschlechtsunterscheidungen verwirrt haben. Dies passiert nicht nur individuell von Seiten der Eltern, sondern ist Teil und Produkt des gesamten misogynen sozialen Projekts. Das Kategorisieren selbst ist ein Werkzeug der Unterdrückung geworden, die mit der monetär-ökonomischen Bewertung von allem zusammenhängt. Es ist im Zuge der Maskulisierung überbewertet worden. Für das Wohlsein der Menschheit wichtiger als Kategorisierung sind freilich Schenken und Bedürfnisbefriedigung.
Wir können Maskulisierung unter anderem dadurch vermeiden, dass wir Geschlechtsbegriffe für Kinder allgemein abschaffen. Wir könnten Kinder z.B. hums nennen, als Kurzform des englischen humans. Auf die Frage: „Ist dein Kind ein Bube oder ein Mädchen?“ könnten wir sagen: „Es ist ein hum.“ Oder wir könnten einfach nur summen (to hum im Englischen – Anm. d. Übers.). Auch Erwachsene könnten anfangen, sich so auf sich selbst zu beziehen. Dies würde die Probleme einer separaten maskulisierten Identität lösen, der Definition von Frauen als unterlegen oder der Überbewertung des so genannten Neutralen und Objektiven. Und zwar einfach deshalb, weil wir von Anfang an keine falschen Unterscheidungen machen würden. Der Penis wäre kein spezielles Geschenk oder Kennzeichen einer überlegenen Kategorie mehr. Er wäre nur noch ein Körperteil.
Ich meine damit nicht, geschlechtlichen Unterschieden ihre positiven und lebensbereichernden Dimensionen zu nehmen. Aber ich meine, dass diese Unterschiede nicht stereotypisiert und kategorisiert werden dürfen. Im Speziellen nicht im Rahmen besessener Maskulisierung, die uns und unsere Mutter Erde tötet. Können wir etwa nicht hören, wie die Erde sagt: „Du bist wie ich! Du bist Ausdruck des Schenkprinzips!“ Können wir sie vielleicht aufgrund unserer Besessenheit mit der Maskulisierung nicht hören? Als Spezies haben wir uns als etwas (als Mensch – man im Englischen; Anm. d. Übers.) definiert, das anders ist als die Mutter, und nun haben wir uns der self-fulfilling prophecy entsprechend zu verhalten.
Wir haben in Bezug auf die Mutter Erde dasselbe getan, was wir als kleine Buben in Bezug auf unsere menschlichen Mütter getan haben. Wir haben unsere Einheit mit ihr geleugnet und uns selbst als etwas anderes identifiziert, aber wir wissen nicht wirklich, was das ist (und so enden wir damit, uns einfach mit dem Wort selbst zu identifizieren). Unser Prototyp wurde ein männlicher Gott, der uns sehr ähnlich scheint und oben im Himmel weilt – größer und wichtiger als unsere Mutter. Wir versuchen ihm zu folgen und eine hierarchische Kette von Sein, Platz-Einnehmen und Ausweichen zu schaffen, während wir die schenkenden Impulse unserer Herzen vergessen.
Wie Maria Montessori zeigte, werden Kinder enorm intelligent und kreativ, wenn sie gemäß ihres eigenen Inspiration spielen dürfen. Die Definitionen von uns selbst sollten demnach auf den Erfahrungen entspringen dürfen, die auf unseren freien Aktivitäten beruhen: Spielen, Träumen, Interagieren, Schenken. Unsere entscheidenden Lernperioden müssen von lebendiger Eigeninitiative geprägt sein. Wir dürfen nicht versuchen, unsere Kinder dazu zu zwingen, sich vorherrschenden Geschlechtskategorien anzupassen. All dies wird natürlich umso einfacher, je mehr Reichtum es gibt und je weniger das Leben der Kinder (bzw. ihre Erfahrung) von Armut und Gewalt bedroht ist.
Hum könnte vielleicht auch für „Humus“ stehen, Teil der Erde, Grund, der wir und unsere Kultur füreinander sind, Grund, von dem wir wachsen und zu dem wir zurückkehren. Vielleicht könnten wir dort endlich dem Schenken gemäß handeln, in einer Fortsetzung der Mutter-Kind-Beziehung. Dieser selbst könnten wir dann endlich erlauben, ruhig und uneingeschränkt das gesamte soziale Feld zu prägen.
Die Geschlechter gemäß der Farbe ihrer Kleidung zu unterscheiden ist so wie Rassen gemäß ihrer Hautfarbe zu unterscheiden und zu privilegieren.
Ein persönliches Experiment
Es ist wirklich nicht schwierig, die Sprache zu ändern, die wir Kindern lehren. Ich habe dies in den 60er Jahren selbst mit meinem ältesten Kind, Amelia, versucht. Ich habe es vermieden, mit ihr Possessivpronomen zu gebrauchen. Ich lehrte sie keine Wörter wie „mein“, „dein“, „sein“ oder „ihr“. Nachdem die Mutter der ursprüngliche Prototyp ist, lernt ein Kind besser von dem, was sie sagt, als von dem, was andere sagen. Trotzdem bat ich auch andere, die mit uns waren, Possessivpronomen zu vermeiden. Amelia hörte sie somit nur selten, etwa wenn wir mit Menschen waren, die wir nicht gut kannten, oder im Radio. Ich umschrieb die Pronomen auf Weisen wie: „Papa verwendet das“ anstelle von „das gehört Papa“. Es war interessant zu beobachten, dass Amelia keine Possessivpronomen anwendete, bevor sie drei Jahre alt war, obwohl sie sehr gut sprach.
Ich weiß, wie Amelia die Possessivpronomen schließlich lernte. Sie wollte mit ein paar Tellern spielen und eine andere Person sagte zu ihr: „Fass die nicht an – die gehören deiner Mutter!“ Ich fühlte immer, dass dieser unzulängliche Grund (Amelia sollte nicht mit den Tellern spielen, weil sie zerbrechen könnten – wem sie gehörten, war irrelevant), verbunden mit der Tatsache, dass die Person, der die Teller gehörten, ich war: die Mutter, meine Tochter dazu brachte, Kategorien von Besitz zu verwenden. Es ist schwierig zu sagen, ob das Nicht-Lernen der Possessivpronomen meine Tochter großzügiger gemacht hat als sie es sonst wäre, oder ob es in der Tat irgendeine Auswirkung gehabt hat. Das Experiment endete zu früh, es gab zu viele Variablen, und es alleine durchzuführen war nicht gerade besonders effektiv.
Auf der anderen Seite hat es ihr sicherlich nicht geschadet. Besitz ist nicht so grundlegend wie Geschlecht, und außerdem: der Prozess des Lebens vermag jede Negativität, die involviert gewesen sein mag, zu absorbieren. Geschlechtsbegriffe in einem frühen Alter zu vermeiden, könnte jedoch wirklich einen weitreichenden Effekt im Selbstverständnis von Kindern haben, zumindest wenn es in deren sensibelsten Sprachlernperioden getan wird.
In Kinderkrippen und Kindergärten könnten androgyne Begriffe verwendet werden. Wir könnten mit Kindern über Geschlechtsbegriffe von einer Meta-Ebene aus sprechen, etwa in der Sesamstraße oder in der Sendung mit der Maus. Mütter und Kinder (Buben und Mädchen) könnten im Fernsehen auftreten, um geschlechtsneutrale Begriffe zu verwenden und sich selbst als Teil einer gemeinsamen Menschheit zu definieren. Ich glaube, dass auch hier der Prozess des Lebens alle negativen Aspekte korrigieren würde, derer wir uns in diesem Experiment nicht bewusst wären.
Frauen haben in den letzten Jahrzehnten enorme Unterschiede in unserer Sprache bewirkt. Viele sexistische Ausdrucksformen wurden eliminiert. Mit Sicherheit könnten wir demnach auch Wege finden, mit und über unsere Kinder in einer Art zu sprechen, die es ihnen erlauben würde, stereotypische Geschlechtskategorien zu vermeiden und sich stattdessen mit uns als Müttern zu identifizieren. Dann könnten wir vielleicht alle unsere Verwandtschaft miteinander, mit unseren Müttern und mit unserer Mutter Erde erkennen und würdigen – und endlich zum Schenkprinzip zurückkehren.
Mithilfe der Sprache findet jedes Individuum seine eigene Antwort auf die wichtigste philosophische Frage unserer Zeit: ”Was ist die Beziehung der Einzelnen zu der Menschheit im Gesamten?” Die Beziehung des Individuums zu seiner Kultur und von dieser zu den sechs Milliarden anderer Menschen, die heute die Erde bevölkern, ist sehr verschieden von der Beziehung des Individuums zu seinem Dorf oder seiner sozialen Gruppe in vergangenen Zeiten. Wir leben heute mit medialen Bildern und Informationen über Milliarden von Menschen, die wir niemals persönlich sehen oder treffen werden. In ähnlicher Weise haben wir Bilder von unserem Planeten, wie er inmitten von Millionen anderer Galaxien und Milliarden anderer Sterne bzw. all derer Planeten liegt. Während unser Wissen um die Menschheit und das Universum gewachsen ist, hat sich unsere Bedeutung als Individuum – im Verhältnis zum Ganzen – erheblich verringert. Für uns selbst stehen wir jedoch nach wie vor im Vordergrund und wirken ausgesprochen wichtig, da unser Blick auf uns selbst gerichtet bleibt.
Aus der Perspektive des Schenkprinzips sieht die Antwort auf die oben gestellte Frage in etwa so aus: Jeder Mensch ist Teil einer Gemeinschaft, da seine Identität im Zusammenspiel mit dem geformt wird, das die Gemeinschaft zur Verfügung stellt, das heißt mit deren linguistischen und kulturellen Geschenken, die uns allen von anderen geschenkt werden und die wir allen an andere schenken. Unsere physischen und psychischen Subjektivitäten werden mithilfe dieses Materials geschaffen, dieser Matrix (oder Mutter), die wir selbst wieder als Vorlage für andere reproduzieren. Wir sind alle ein Punkt oder Ort, ein Stich im Gewebe, der von der Weitergabe unzähliger Geschenke bedingt ist. In diesem Gewebe schafft der kollektive Prozess – durch Geschenke auf allen möglichen Ebenen – Beziehungen zwischen Dingen und Wörtern, Wörtern und Wörtern, Dingen und Dingen und schließlich zwischen uns und allen anderen.
Die Reproduktion der Maskulisierung auf verschiedenen Ebenen hat die Konfiguration dieses kollektiven Prozesses geändert und richtet seinen Fluss hin auf eine Gruppe von Herrschenden, die versuchen, ihre individuelle Wichtigkeit auszudehnen, indem sie Kontrolle über das Kollektiv und seine Geschenke übernehmen. Diesen Individuen wird oft von anderen gedient, die dadurch indirekt in eine Beziehung mit den Vielen durch ihre Beziehung zum Einen eintreten, der die Vielen beherrscht. Es wäre wohl denkbar, dass die Herrschenden ihre Geschenke den Vielen zurückgeben. Nur verträgt sich dies nicht mit ihrer Geschlechtsrolle. Leider hat die Herrschaftsstruktur des Einen über die Vielen ihre mögliche Konsequenz in der Zerstörung der Vielen durch den Einen. In jüngerer Zeit hat vor allem die Möglichkeit nuklearer Zerstörung diese Gefahr offensichtlich gemacht (und manche Eine haben bereits mit ihr gespielt). Wir müssen die wirklichen Grundlagen der Motivation zu herrschen, offen legen und uns selbst neu erschaffen durch die Prozesse des Schenkens und Empfangens. Nur so können wir einen Weg zu finden, uns aufeinander als Fürsorgende zu beziehen: als Ein(zeln)e unter Vielen wie als Viele unter Vielen.
Ökologische Nischen
Eine ökologische Nische ist ein Geschenk, das denen, die es erhalten, erlaubt, sich zu entwickeln. Die Bedürfnisse, die sich in diesen Nischen entwickeln, sind solche, die von der Nische erfüllt werden können. Sprache ist ein Produkt (und ein Nebenprodukt) des Lebens vergangener Generationen, das an gegenwärtige Generationen und Individuen weitergegeben und von diesen genutzt werden kann. Sprache ist in diesem Sinne eine kollektiv geschaffene kulturelle ökologische Nische.
Wir müssen uns miteinander in Bezug auf Dinge verbinden, weil sie für uns auf verschiedene Weisen kollektiv wertvoll sind. Und wir müssen in der Lage sein, Dinge kollektiv und individuell auf verschiedene Weisen anzuwenden, um ihren Wert fruchtbar werden zu lassen. Andere in der Gesellschaft haben viel zum Wert dieser Dinge beigetragen, aber das Gleiche gilt für den Wert der Wörter. Zumindest die Erklärungen dafür, wie die Dinge in unserer unmittelbaren Umgebung am besten anwendbar sind, werden uns gewöhnlich geschenkt. Sie sind einfach da und wir brauchen sie nur aufzuheben – und wenn nicht, erhalten sie uns von unseren Müttern. Dieses Wissen – sowie das Wissen um die unseren Zwecken dienlichen Anwendungen der Dinge – wird uns von den anderen der Gemeinschaft vermittelt. All unsere materielle Kultur existiert nur, weil sie von anderen über Jahrhunderte hinweg geschaffen und mithilfe der Sprache weitergegeben wurden. Dabei gab es jedoch viele Verdrängungsprozesse: Frauen und die Dinge selbst wurden aus dieser Überlegung meist prinzipiell ausgeschlossen und Philosophen haben die Leben und Geschenke der Vielen der Vergangenheit (und Gegenwart) oft genug ignoriert, weil sie Wörter über Dinge schätzten und die Welt von einem dekontextualisierten, maskulisierten Blickwinkel aus betrachteten. Sexismus reicht viel weiter als die Geschlechterfrage. Er verursacht Verleugnungen und Verdrehungen von Perspektiven, was vieles andere beeinflusst. Der Sexismus drängt sich in die Dialektik von Wörtern und Dingen, Definierenden und Definiertem, und ändert damit wesentlich unsere Perspektiven und unsere Weltbilder.
Der Tausch hat einige Sprachprozesse falsch aufgefasst („falsch genommen“ – „mis-taken“) und, indem er sie auf eine andere Ebene gehoben hat, eine Situation geschaffen, in der das Geschenk tatsächlich von der Anforderung eines äquivalenten Gegengeschenkes ersetzt wird. Diese artifizielle Situation wird erzeugt, indem jener Teil der Sprachstruktur reproduziert wird, wo das Wort den Platz eines Dings einnimmt und damit das Schenken des Dings unnotwendig macht für die Kreation einer menschlichen Beziehung: Ich brauche dir diese Blume nicht zu geben, um eine menschliche kommunikative Beziehung mit dir zu schaffen – ich brauche einfach nur „Blume“ zu sagen. Das Wort nimmt damit auch die Rolle eines Prototypen ein. In der Beschreibung des Kategorisierungsprozesses sahen wir, dass der materielle Prototyp nicht länger notwendig ist, wenn das Wort seinen Platz einnimmt, um zu demonstrieren, was in die entsprechende Kategorie gehört. Gleichermaßen löscht auf der Ebene des Tausches das Gegengeschenk den Geschenkcharakter des ersten Geschenks aus und ersetzt es mit dessen „Wert“. Das Geschenk wird demnach von nun an von seinem Gegengeschenk re-präsent-iert. Dies wird besonders deutlich, wenn das Gegengeschenk Geld ist.
Geld nimmt den Platz eines Produktes als Gegengeschenks ein, indem es als dessen Äquivalent fungiert. Es ersetzt das Produkt auf diese Weise bzw. löscht es aus. Geld misst und re-präsent-iert den Wert des Produktes im Tausch also als Ersatzgeschenk (siehe Kapitel 3). (Interessanterweise funktioniert Geld – der Schiedsrichter des Tausches – nur, wenn es gegeben wird.) Geld löscht dabei sowohl den qualitativen Wert eines Produktes aus als auch dessen Schenkwert (die Implikation, dass die Person, der geschenkt wird, dadurch auch Wert geschenkt wird) und ersetzt sie mit quantitativem Wert und Tauschwert. Damit kann das Produkt nunmehr mit allen anderen Produkten auf dem Markt verglichen werden.
Der fürsorgliche menschliche Akt des Schenkens wird manipuliert und der Kategorisierungsprozess wird verwendet, um die Segregation des Privateigentums einzurichten. Dieser Gebrauch des Kategorisierungsprozesses (und einer manipulierten Linguistik) erlaubt allen Tauschenden von nun an die Charakteristika des Definitionsprozesses zu realisieren, um das Ersatzgeschenk Geld zu geben und zu erhalten. Die Tauschenden können damit etwas geben, ohne wirklich etwas zu verlieren. Wert kommt nur noch den Dingen zu bzw. deren Ersatz: dem Geld – nicht mehr anderen Personen. Geld ist das Kommunikationsmittel, durch welches das Produkt definiert wird, und die Kaufenden lassen es den Verkaufenden auf sehr ähnliche Weise zukommen wie die Definierenden das Definiendum den Zuhörenden. Wie im Definitionsprozess das Ding, das es zu definieren gilt, wird im Tausch das Produkt aufgegeben (hier von den Verkaufenden). Im Kategorisierungsprozess wird der Geschenkwert des Produkts also ausgelöscht und von dem Geldbetrag ersetzt, mit dem es getauscht wird und den wir daher seinen „Tauschwert“ nennen. Sobald das Produkt das Eigentum der Kaufenden wird, verlässt es den Marktprozess und erhält einen „Gebrauchswert“.
Wenn der Prozess des Tausches denjenigen, die etwas erhalten, den Wert vorenthält, der ihnen im Schenkprozess zukommt, bzw. wenn er den Schenkwert des Produktes auslöscht, so geschieht dies auf eine Weise, die gewöhnlich nicht erkannt wird. Dies deshalb, da im Gebrauchswert, der dem Tauschwert folgt, keine sozialen Dimensionen enthalten sind. Wenn wir für ein Produkt bezahlt haben, interessiert uns nicht mehr, woher es kam. Ob das Produkt, das wir anwenden, von unterbezahlten ArbeiterInnen in der so genannten Dritten Welt, von Kindern oder von US-Gewerkschaftsmitgliedern produziert wurde, spielt für uns gewöhnlich keine Rolle. Das Produkt ist fertig, um von uns gebraucht zu werden. Denen, die es produziert haben, wird weder Dank noch Anerkennung zuteil. Und genauso wenig wird das Produkt als fürsorgliches Geschenk direkt von den Produzierenden erhalten, was den Erhaltenden als Beschenkten Wert geben würde. Anstelle dessen werden Anerkennung und Dank denen zuteil, die am Tausch Geld gemacht haben, und vielleicht den Kaufenden oder den Verkaufenden oder dem Marktprozess selbst. Es gibt also einen unsichtbaren, logischen Unterschied zwischen Gebrauchswerten, die einem Tauschprozess entspringen, und Gebrauchswerten, die davon herrühren, dass Menschen etwas direkt für andere produzieren und es ihnen als Geschenk zukommen lassen. Ein Schenkwert wird den Produkten zusätzlich zuteil, wenn sie zur Bedürfnisbefriedigung anderer angewendet werden – doch der Schenkwert, der direkt von den Produzierenden kommt, wird im Tauschprozess unwiederbringlich ausgelöscht bzw. in Profit für andere verkehrt.
Von der Welt ausgehen
In seiner Analyse von Geld und Waren (Produkten im Tausch) erklärte Marx die Waren zum Ausgangspunkt. Er meinte, dass frühere Denker falsch gelegen hätten, als sie in ihren ökonomischen Betrachtungen vom Geld ausgingen. Wir können eine ähnliche Überlegung anstellen hinsichtlich der Beziehung zwischen Wörtern und der Welt: Wenn wir unsere diesbezüglichen Fragen formulieren, nehmen wir gewöhnlich die Wörter als Ausgangspunkt. Dies bringt uns von Anfang an auf den falschen Weg. Wir müssen von der Welt ausgehen, nicht von den Wörtern – von der materiellen Kommunikation, nicht von der verbalen. Die Antworten finden sich in der Aktivität des Schenkens. Wenn wir jedoch von den Wörtern ausgehen, können wir weder den Schenkcharakter von Wörtern nochvon Dingen sehen, da dieser heute aus mehreren Gründen verborgen bleibt: wegen der Transparenz des Wortes, wegen der Belastung des Wortes mit der Maskulisierung und wegen der Überbewertung des Platz einnehmenden Elements im Definitionsprozess (und verwandten Prozessen).
Nachdem sie sich den maskulisierten Männern gegenüber in einer unterlegenen, schenkenden Position befinden, ist die Position der Frauen in Bezug auf die Wörter der Position von Dingen ähnlich. Es ist daher für Frauen einfacher, Sprache aus der Perspektive der Dinge zu begreifen, während Männer gewöhnlich die Perspektive der Wörter einnehmen. Natürlich können alle Menschen auch Dinge sein, die auf Wörter bezogen sind, wenn über sie gesprochen wird: „die Person da drüben“, „der nächste in der Reihe“, „Janas Freund“. Weil aber das Wort vom männlichen Geschlecht besetzt gehalten wird, befinden sich Frauen in ihrer Beziehung zum Wort in derselben Rolle wie die Dinge. Frauen wissen, was es heißt, wenn über eine Person gesprochen wird anstatt sie selbst sprechen zu lassen; sie wissen, was es heißt, denen Platz zu machen, die den ihren beanspruchen und sie öffentlich repräsentieren, während sie zuhause weiter schenken.
Frauen sind ständig aktiv, erledigen die Aufgaben von Instandhaltung des Heims, Fürsorge, Kinderbetreuung (all die Aufgaben, die ihnen zuteil wurden) und verleihen ständig anderen Wert. Dinge hingegen tun das nicht. Zumindest nicht auf die gleiche Weise. Sie setzen sich nicht in Beziehung zu Menschen. Woher kommt dann ihre aktive Dimension? Sie kommt von der Aktivität und kreativen Aufnahmefähigkeit des Kollektivs, die jenseits des Individuums liegen, nämlich im unsichtbaren Hintergrund, in den die Vielen verbannt sind und in dem wir Frauen uns Jahrhunderte lang aufhielten. Unser unanerkanntes Schenken, unser direktes und indirektes Für-Andere-Sorgen, sind sowohl Ursache als auch Wirkung einer endlosen kollektiven Dialektik, die sich im Austausch mit den materiellen Dingen ereignet. In dieser Dialektik wird direkt geschenkt, aber sie produziert auch eine Reihe an Geschenken als „Nebenprodukte“. Das Patriarchat lässt es dabei freilich manchmal so aussehen, als wären Frauen selbst (und andere Menschen im Hintergrund) Nebenprodukte von Männern, ausgestattet mit einem Wert, der ihnen – wie den Dingen – nur vom Kollektiv gegeben wird und der keiner ist, der von ihrer eigenen Aktivität, von ihrem Schenken kommen würde. Frauen werden mit Dingen auch in dem Sinne gleichgesetzt, dass sie Wörtern erlauben, ihren Platz einzunehmen.
Die Behandlung von Frauen als Dingen, die im Rahmen einer Beziehung des Einen zu den Vielen jenen Männern ausweichen (um sie gleichzeitig zu versorgen), die ihren Platz einnehmen und sie besitzen oder kontrollieren, reproduziert die Beziehung zwischen Dingen und Wörtern, die immer so schwierig für die männlichen Philosophen zu verstehen war, weil sie ständig von ihrer eigenen Position ausgingen, also der Position der Platz-Einnehmenden, Besitzenden und Kontrollierenden, der Einen, die den Vielen gegenüberstehen. Frauen, die als Dinge behandelt werden, können jedoch von der Position der Dinge ausgehen bzw. der Position der Vielen – derer also, die schenken und ausweichen.
Jemand mag fragen: Schenken Dinge wirklich und weichen sie Wörtern auf die gleiche Weise aus wie Frauen Männern ausweichen? Wir können dann weiterfragen: Werden Dinge in dem Gewebe der unzähligen Geschenke, die das Leben des Kollektivs ausmachen, lebendig durch unsere magischen Hände und machen wir sie zu Pinocchios, die endlich dem Wort des Vaters hörig sind? Oder ist das alles Projektion? Geppettos Wörter einmal beiseite gelassen, fühlen Hexen (und die blaue Fee) das Leben in Dingen vielleicht deshalb, weil sie die Dinge wie sich selbst sehen: belastet mit dem Fluch der Objektivierung. In jedem Fall sind unsere Wörter anders, weniger leer als die der maskulisierten Männer – weil wir auch Dinge sprechen (because we also speak things).
Von den Wörtern ausgehen
Von den Wörtern auszugehen bzw. Wörter auf Dinge zu beziehen, teilt das Wort in zumindest zwei Teile: das „Mittel“ (Laut, Signifikant, Zeichen, Schrift, Geste) und die „Bedeutung“ (Idee, Signifikat, Referent, designatum). Ich glaube, dass wir dabei den Wert eines Dings auf die Bedeutung des Wortes, das wir für dieses Ding verwenden, übertragen. Daraufhin werden die Dinge vom Wort getrennt und ihres Kommunikationswerts beraubt. Weder die Aspekte des Auf-Andere-Ausgerichtet-Seins von Dingen oder von Wörtern werden dabei erkannt und wertgeschätzt. Wörter haben nicht so sehr Wert in und an sich selbst, sondern als ein Ersatzgeschenk, das die Werte der Dinge in die Kommunikation überträgt und dort nutzbar macht. Dies trägt dazu bei, Gemeinschaft in all ihrer Vielfalt zu formen, indem es uns allen möglich wird, uns mit anderen auf spezifische Weisen zu verbinden, wenn wir uns gemeinsam auf Etwas (ein „Ding“) in der Welt beziehen. Der Wert der Dinge liegt darin, allgemein für andere zu existieren.
In der Gemeinschaft, die von der Maskulisierung korrumpiert wurde, reproduziert die Beziehung zwischen den Geschlechtern jene zwischen Dingen und Wörtern (was sie nicht begreifen). Es ist zu diesem Problem gekommen, weil Menschen besser auf Definitionen als self-fulfilling prophecies zu reagieren imstande sind als Dinge – egal wie belebt diese auch erscheinen mögen. Männer üben die Rolle des Wortes aus, Frauen jene der Dinge. Indem die Männer den Platz der Frauen einnehmen, werden sie zu Ersatzgeschenken, die Frauen für andere repräsentieren, womit ihnen in der Kommunikation im Rahmen der Gemeinschaftsform, die wir Patriarchat nennen, jener Wert zukommt, der eigentlich derjenige der Frauen ist. Frauen helfen dabei mit, diese Form von Gemeinschaft zu etablieren und aufrechtzuerhalten. Männer sind gewissermaßen die kollektiven Ersatzgeschenke der verborgenen individuellen Geschenke der Frauen. Auch die Dinge haben einen verborgenen Geschenkaspekt, der den Wörtern zugeschrieben wird, die ihren Platz einnehmen. Männer und Wörter erscheinen somit selbstbezogen und Frauen und Dinge nicht. Die Ursache dieser Verwirrung ist das Auseinanderfallen der menschlichen Gemeinschaft integrierter, sich selbst und andere schaffender Sprechender und Zuhörender (und Schenkender und Beschenkter) in zwei isolierte und entgegen gesetzte Geschlechtskategorien.
Bedeutung
Wenn wir von den Dingen anstatt den Wörtern ausgehen, können wir Bedeutung in den Dingen selbst erkennen – in all ihrer Vielfalt von Erscheinungen und Anwendungen und in ihren Beziehungen zu Wörtern als ihren Ersatzgeschenken im Rahmen menschlicher Kommunikation. Unterschiedliche Dinge, die auf ein- und dasselbe Wort bezogen sind (was wir gewöhnlich die unterschiedlichen Bedeutungen des Wortes nennen), haben auch Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel kann sich das Wort „süß“ auf den Geschmack von Honig beziehen, oder den eines Kuchens, oder auch auf eine Person mit einer herzlichen Erscheinung. Sowohl der Honig als auch der Kuchen als auch die Erscheinung haben dabei Relevanz für uns Menschen in und an sich selbst. Wenn die drei nicht auf ein- und dasselbe Wort bezogen wären, wären sie auf verschiedene Wörter bezogen. Selbst wenn sie auf überhaupt kein Wort bezogen wären (keinen Namen hätten), könnten sie auf Sätze bezogen werden, deren Wörter sich auf einige ihrer Charakteristika beziehen. Die Tatsache, dass Dinge auf ein Wort bezogen sind (dass sie einen Namen erhalten haben), impliziert nur, dass sie (oder Dinge wie sie) verwendet worden sind, um kollektive kommunikative Bedürfnisse zu befriedigen. Es kommt ihnen ein bestimmtes Maß an Allgemeinheit zu. Es sind dabei aber nicht nur die Wörter, die allgemein sind, sondern auch die Dinge selbst. Im Kategorisierungsprozess wird die Fähigkeit der Dinge, auch für andere anwendbar zu sein, deutlich durch die Allgemeinheit des Prototyps und die Polarität des allgemeinen Wortes. Die Tatsache, dass es für ein Ding ein Wort gibt, drückt die Allgemeinheit dieses Dings aus, nicht nur die des Wortes. In der Tat ist das Wort an sich selbst nichts – es ist abhängig von der Beziehung, die die Dinge zu ihm einnehmen.
„Bedeutung“ ist der von oben nach unten gerichtete und auf dem Wort basierende Begriff für die Beziehung zwischen Dingen und Wörtern. Diese Beziehung wird in permanenten Prozessen von Menschen füreinander geschaffen, individuell wie kollektiv. Wir glauben gewöhnlich nur an Wort-Ding-Beziehungen, aber es sind tatsächlich die Ding-Ding- und die Ding-Wort-Beziehungen, die Wörtern für Menschen Wert verschaffen. Die Ding-Wort-Beziehung ist auch aus einigen anderen Gründen wesentlich für das Schaffen unserer Identitäten: Menschen sind füreinander auch Dinge, die auf die Welt bezogen sind (wir sprechen beispielsweise über uns selbst – siehe oben); wir versorgen einander auf vielen Ebenen materiell und linguistisch; und – wie wir gesehen haben – folgen auch unsere Selbstkonstituierungsprozesse linguistischen Prozessen.
Wir haben diese linguistischen Prozesse sowohl in die ökonomische und politische Organisation der Gemeinschaft projiziert als auch in die Familienstruktur. Die Projektionen bestärken und belohnen einige Verhaltensweisen und werten andere ab; sie dressieren uns und beeinflussen unsere Identitäten. Sie schaffen die Kontexte, in denen wir leben, und sie legen uns die Parameter der Wirklichkeit auf, in der unsere selbst konstituierten artifiziellen Identitäten zu operieren haben (und die wir „Patriarchat“ nennen). (Siehe Graphiken 11 und 12.)
Nicht nur nehmen Frauen in den USA den Namen ihrer Ehemänner an, sondern – wie in Traditionen andernorts – sie überlassen Männern auch ihren Platz in der Öffentlichkeit und erlauben ihnen, für sie zu sprechen und für sie Entscheidungen zu fällen. Die Identität der Frauen wird definiert über jene, zu denen sie in Beziehung stehen. Wie wir gesehen haben, müssen wir von den Dingen selbst ausgehen, wenn wir etwas über die Beziehung zwischen Dingen und Wörtern wissen wollen. Genauso wie uns der Feminismus gelehrt hat, dass wir von den Frauen ausgehen müssen, wenn wir etwas über die Beziehung zwischen Frauen und Männern wissen wollen.
Männer haben Jahrhunderte lang über Dinge von Wörtern ausgehend nachgedacht, genauso wie sie von sich selbst ausgehend nachgedacht haben, wenn sie versuchten, Frauen und Kinder zu verstehen. Es sieht für mich so aus, als dass diejenigen, die nach dem Sinn des Lebens suchen, genauso wie die, die nach dem Sinn von Wörtern suchen, einen auf dem Wort beruhenden Zugang von oben nach unten wählen. Anstelle dessen sollten wir jedoch alle vom materiellen Schenken ausgehen und nicht vom linguistischen, ersetzenden, repräsentierenden Schenken. Wir müssen Dinge selbst schenken, um die materiellen Bedürfnisse anderer zu befriedigen, um Reichtum für alle zu schaffen, um wirklich zu ko-muni-zieren und um physische Subjektivitäten (Körper) zu formen. Wörter reichen dazu nicht aus. Sie können nur helfen, linguistische oder psychologische Subjektivitäten von Kommunalität zu formen. Wir aber müssen die systematischen Änderungen durchsetzen, die wieder allgemeine materielle Kommunikation auf allen Ebenen möglich machen wird.
Parasitäre Beziehungen
Altruismus mag heute manchmal geheuchelt erscheinen, doch liegt der Grund dafür nur darin, dass das maskulisierte Tauschego Altruismus ohne das Vorbild der Mütterlichkeit auszuüben versucht. Die Folge sind paternalistische Wohlfahrtseinrichtungen, die Almosen verteilen – gerade genug, um einigen Individuen etwas das Leben zu erleichtern. Sozial wirklich verändert wird nichts. Unsere Wohlfahrtssysteme bewahren Kontrolle über ihre „Geschenke“ und die von ihnen „Beschenkten“ mit Vorstellungen von „Vertrauenswürdigkeit“, denen zufolge sich die Beschenkten ihre Geschenke gewissermaßen verdienen müssen. Auch Frauen (selbst Mütter) akzeptieren dieses Prozedere heute als Wohltätigkeit und Norm altruistischen Handelns. Wenn wir Frauen aber damit fortfahren, die Mütterlichkeit zu diskreditieren und unseren Blick nur noch auf die sich selbst legitimierenden Prinzipien von Maskulisierung und Tausch richten – egal ob das aufgrund unseres eigenen zunehmenden Erfolgs innerhalb des System geschieht oder einfach weil wir uns mit dem männlichen Anderen identifizieren, das uns unterdrückt – dann werden wir das revolutionäre (das „re-evolutionäre“) Potential verlieren, das das Herz der weltweiten Frauenbewegung ausmacht.
Nachdem wir Jahrhunderte lang ein männliches Warengesetz akzeptiert haben, demzufolge wir unterlegen bzw. „Dinge“ waren, und nachdem wir jetzt ein Warengesetz akzeptieren, dem zufolge wir dem männlichen Modell „gleich“ sein sollen, riskieren wir den Verlust unserer Verbundenheit mit der Mutter Erde, den Verlust unserer Möglichkeit, sie vor den Spiegeln des Tauschprinzips zu retten, den Verlust unserer Mütter, von uns selbst, von unseren Töchtern und unseren Söhnen. Die Menschheit scheint als Spezies in der Lage, sich selbst auszulöschen, weil es das Beispiel der im Überfluss schenkenden Mutter nicht wertschätzt, ja es oft genug noch nicht einmal wahrnimmt. Wir haben das Schenken, das die Quelle des Lebens und der Freude ist, zum Sklaven eines artifiziellen maskulisierten Egos und seiner ökonomischen, politischen und ideologischen Ausdrucksweisen gemacht. Dies führt dazu, dass die Geschenke der Menschheit nur einer Minderheit zukommen, deren Ausschweifungen mit Bedürfnisbefriedigung nichts zu tun haben und stattdessen in phallischer Aufrüstung enden – in tödlichen Kennzeichen, anhand derer eine Gruppe ihre Überlegenheit über eine andere zu demonstrieren vermag (bzw. die privilegierte Position des Prototyps im Kategoriebildungsprozess besetzt hält), die ihrerseits dazu gezwungen wird auszuweichen.
Auf diese Weise werden die den Massen abgezwungenen Geschenke für Unternehmen verschwendet, die nichts mit Fürsorge zu tun haben, sondern nur mit Zerstörung. Millionen von schenkenden Herzen, Geistern und Körpern werden dabei geopfert. Indem die Zerstörung sich gegen die Gemeinschaft wendet, wendet sich die Kommunikation gegen sich selbst. In den Teilen der Welt, die nicht direkt von Krieg betroffen sind, wird dabei jener Reichtum zerstört, der uneingeschränktes Schenken ermöglichen würde. Dies geschieht, da der Reichtum zur Aufrüstung der Kriegsgebiete verwendet wird. Letztlich werden nur die Bedürfnisse des Krieges befriedigt bzw. das phallische Tauschprinzip versorgt.
Wir haben eine Reihe von Beziehungen geschaffen, in denen eine kleine Minderheit an Menschen zu Parasiten im Körper der Massen wird und damit das Privileg reproduziert, das geschaffen wurde, als die Hälfte unserer Babys einer linguistisch vermittelten, nicht-fürsorglichen, „überlegenen“ Kategorie zugeschrieben wurden. Diese Kategorie wird mit speziellem Wert ausgestattet und von den Fürsorgenden gepflegt, da ihr das Mandat zukommt, der Prototyp sozialer Kategorisierung zu sein. (Wobei die Position des Prototypen nur ein konzeptioneller Mechanismus ist, der die Organisation unserer Wahrnehmungen bestimmt – sie hat nichts mit Liebe oder Überflüsse zu tun.) Es liegt an den Massen, sich von den Parasiten zu befreien – wir dürfen es nicht länger zulassen, dass diese uns ihre Wege aufzwingen.
Das Parasitentum besteht aus Spiegeln – Tauschhandlungen, Definitionen, Urteilen – und braucht für seine Aufrechterhaltung Energie, Geld, Essen und Zeit. Es muss also von irgendwoher versorgt werden, um zu wachsen, um ein privilegiertes Eines zu sein, das den Vielen überlegen ist. Dieser traurige Zustand ist nicht irgendjemandes Schuld. Tatsächlich sind Schuld und Schuldzuweisung nur Teile des Tauschprinzips – sie sind Mechanismen, die andere zum „Zurückzahlen“ zwingen sollen. Das Tauschprinzip lässt sich nicht dadurch überwinden, dass es wieder und wieder auf es selbst angewendet wird. Unsere Gefängnisse und elektrischen Stühle fließen über mit Menschen, die für ihre Fehler „bezahlen“. Wir brauchen keine „Gerechtigkeit“ – wir brauchen Güte. „Gerechtigkeit“ ist ein Versuch, ein Verbrechen zu definieren, um es in Zukunft zu vermeiden. Wir versuchen, diese Definition in Form eines Tausches auszuführen, weil der Tausch von der Definition kommt. Das Bezahlen involviert eine aufgezwungene materielle Kommunikation, wobei der Verbrecher dazu gezwungen wird, etwas aufzugeben und auszuweichen. Vielleicht glauben wir, dass wir auf der materiellen Ebene mehr Einfluss auf die Verurteilten haben können, weil wir dort von ihnen Waren, Zeit oder selbst ihr Leben in einem „gleichen Tausch“ verlangen können. In diesem Sinne wird versucht, die Schwere eines Verbrechens mit Bezug auf andere Verbrechen zu bewerten bzw. zu quantifizieren. Die Verbrecher werden aufs Neue maskulisiert, physisch distanziert (dekontextualisiert) und mit einem term oder einem sentence als „Andere“ kategorisiert.
Wir sollten fragen: ”Für welche anderen ist es?” Wir geben Wörtern Qualitäten von Dingen und Dingen Qualitäten von Wörtern. In dem Beispiel der Linguisten: „Mann = erwachsen + männlich“, hat „Mann“ nicht die Qualität des Erwachsenseins oder der Männlichkeit, da „Mann“ ein Wort ist, während ein Mann keines ist. Wir verdunkeln die Beziehung von Dingen zu Wörtern mit der Idee von auf Wörtern basierenden Kategorien, denen Qualitäten geschenkt werden. Wir übertragen damit die Qualitäten von Männern in eine Formel, die auf Addition und Subtraktion beruht, wobei Addition und Subtraktion die quantifizierten Anwendungen von Schenken und Empfangen sind und eine „unfreundliche Bedeutung“ schaffen (an un-kind mean-ing – unübersetzbares englisches Wortspiel: kind = gut, nett, freundlich; mean = böse, gemein, unfreundlich – Anm. d. Übers.): Aktivität ohne Schenken. Wem nützt diese Zuschreibung? Wenn wir das Schenkprinzip restaurieren, dann könnten wir „meaning“ vielleicht „kinding“ nennen.
Ich finde es faszinierend, dass die weibliche Brust in unserer Gesellschaft sowohl abgewertet als auch sexuell objektiviert wird. Bis vor kurzem waren unsere Babyflaschen phallisch – ein weiteres Symptom des Übels der Ersetzung der Mütterlichkeit mit dem Modell des Vaters.
Anm. d. Übers.: Die Doppeldeutigkeit des Englischen kann hier im Deutschen nicht wiedergegeben werden. „Term“ kann sowohl „Begriff“ als auch „Gefängnisstrafe“ (prison term) bedeuten, „sentence“ sowohl „Satz“ als auch (juristisches) „Urteil“.
Viele Beziehungen des Einen und der Vielen
Im Nachdenken über die hier besprochenen Fragen kam ich zu dem Schluss, dass wir es mit drei Arten von Beziehungen zu tun haben: Waren verhalten sich zu Geld (1) wie Dinge zu Wörtern (2) und wie Frauen zu Männern (3). Jede dieser Beziehungen kann anhand der anderen erklärt werden.
Zunächst sind alle nach dem Prinzip des Verhältnisses des Einen zu den Vielen aufgebaut. Waren sind als Viele bezogen auf das Geld als das Eine, das als Äquivalent der Waren funktioniert. Auch deren Preis ist im Verhältnis zu ihnen das Eine. Wenn wir von der Beziehung von Dingen zu Wörtern sprechen, zeigt sich das Verhältnis des Einen zu den Vielen auf mehrere Weisen: die Dinge sind die Vielen im Verhältnis zur Sprache, die nur ein Ding ist; die Dinge sind die Vielen im Verhältnis zu einem einzelnen Wort (zum Beispiel dem Wort „Ding“); und die Dinge (einer Kategorie) sind die Vielen im Verhältnis zu dem Wort, das sie (als Dinge dieser Kategorie) „bedeuten“ oder „repräsentieren“. Frauen wiederum werden als das unterlegene Geschlecht als Viele zu jedem Mann als einem Einen bezogen.
Alle diese Beziehungen beinhalten dabei freilich auch potentielle Beziehungen von Einem zu Einem. Das menschliche Paar ist eine solche Beziehung, ebenso wie die mehr flüchtige Beziehung des Tausches eines Produkts für Geld oder Saussures Vorstellung des Zeichens als einer Einheit von Signikant und Signikat. Variationen und Änderungen der Beziehungen von Einem zu Einem lassen sich in den Beziehungen zwischen Frauen und Männern finden, speziell in der familiären Beziehung zum Vater. Die Mutter selbst stellt zunächst ein Eines dar, auf das sich die Kinder (als Viele) beziehen können, doch wird sie bald ersetzt vom Vater (dem „Kopf“ der Familie). Phänomene wie das Don-Juan-Syndrom oder die Polygamie implizieren freilich wieder Beziehungen nach dem Muster des Einen und der Vielen. Und in der Beziehung des Vaters zu seiner Familie als seinem Eigentum haben wir es gar mit einer klassischen Beziehung zwischen dem Einen und den Vielen zu tun, nämlich mit jener zwischen dem Besitzer und seinem Besitz.
Weitere solche klassischen Beziehungen sind die zwischen dem König und seinen Untertanen, zwischen gewählten RepräsentantInnen und ihren Wahlkreisen, zwischen PräsidentInnen und ihren Nationen, zwischen Bossen und ihren Angestellten. Darüber hinaus gibt es sukzessive Beziehungen von Einen zu Vielen, zum Beispiel wenn sich KatholikInnen zunächst auf ihre Priester beziehen, dann diese auf ihre Bischöfe, dann diese auf ihre Kardinäle, dann diese auf den Papst. Armeen sind auf dieselbe Weisen zunächst auf ihre Offiziere bezogen und schließlich auf ihre Generäle, usw. Überlappungen von Strukturen des Einen und der Vielen schaffen gigantische Mechanismen.
Die gegenwärtigen Strukturen des Patriarchats der Ersten Welt haben dieses herrschaftlicher und tödlicher als je zuvor gemacht. Es ist mit seinen Nuklearwaffen in der Lage, die Vielen auszulöschen – mit seiner phallischen Pilzwolke als Beweis seiner Position des Einen (1).
Die hier beschriebenen Beziehungen von Wörtern zu Dingen, von Geld zu Waren und von Männern zu Frauen bestimmen unser Denken und Handeln seit langem. Die Erklärung dafür scheint für mich zu sein, dass die Tauschökonomie sich auf das individuelle Ego konzentriert und dem Einen als dem abstrakten isolierten Bewusstsein Wert und Wichtigkeit verschafft. Die Bedeutung (und der Gebrauch) des kollektiven Bewusstseins, des Gruppenbewusstseins, des Auf-Andere-Ausgerichtet-Seins und der darin implizierten Schenkerfahrung können damit nicht erkannt werden. Alles, was wir kennen, ist, von uns selbst als isolierten Individuen auszugehen. Und nur denen, die als solche isolierte Individuen erfolgreich sind, wird Glaubwürdigkeit und die Autorität zu sprechen zugeschrieben. Der Fokus auf das Ego kommt von der Maskulisierung, der selbst reflektierten Tauschlogik und dem von oben nach unten gerichteten hierarchischen Modell. Er entspricht dem Kapitalismus, speziell dem Bild des „unabhängigen Produzenten“ oder des „unternehmerischen Helden“. AkademikerInnen sind nicht freier von diesem Syndrom als andere, obwohl sie es vielleicht gerne wären. Das Wettbewerbsprinzip – in der Gestalt bestimmter Formen von Kreativität und Cleverness (deren Belohnungen die Bestätigung des Egos sowie Autorität und Prestige sind) – beeinflusst sie und ihre Weisen, die Welt zu sehen, genauso sehr wie das in anderen Bereichen unserer Gesellschaft der Fall ist. Sprache ist dabei zu einem Machtinstrument geworden, und die, die sie studieren, sind gewöhnlich nicht frei von den egozentrischen Strukturen, auf denen diese Macht aufbaut.
Kinder können an vielen dieser Beziehungen auf verschiedenen Ebenen mitwirken. Die Eigentumsbeziehung sieht in etwa so aus wie Wygotskis Komplexe. Sie ist ein Verhältnis des Einen zu den Vielen, ist dabei aber nicht von der Gleichheit abhängig. Das Kind selbst kann ein/e EigentümerIn sein – auch schon in frühem Alter (etwa von Spielsachen) –, während es gleichzeitig vom Vater der Familie besessen wird. Assoziative Komplexe oder deren Inkarnationen im Eigentum oder in der Familie mögen auch von dem zusammengehalten werden, was Carl Jung in Bezug auf Wortassoziationen und psychologische Komplexe einen „fühlenden Ton“ nennt. Der fühlende Ton von Kategorien wäre dann von der Maskulisierung beeinflusst. Vgl. Carl Jung, „Die psychologische Analyse des Tatbestands“.
Licht und Schatten
Auch wir Frauen können ein selbst fokussiertes Ego schaffen, aber wir bleiben trotzdem zu einem gewissen Grad auf Andere ausgerichtet, weil wir weiter für unsere Kinder sorgen. Außerhalb wie innerhalb des akademischen Apparates neigen unsere Sichtweisen der Welt dazu, breiter zu sein als jene der Männer, im Speziellen wenn wir uns intellektuell nicht dem Patriarchat unterworfen haben. Da wir einen Fuß in beiden Lagern haben, ist es für uns leichter, die Widersprüche des Systems zu sehen. Wir bemerken, dass wir uns halb im Schatten und halb im Licht befinden. Selbst während wir am Wettbewerb der Tauschökonomie teilhaben und darin erfolgreich sind, fühlen wir uns oft noch der Masse von Frauen zugehörig, die unerkannt bleiben.
Unser eigener Platz im Schatten erlaubt es uns auch, die anderen im Schatten zu sehen, die Menschen, Kulturen, Frauen, Kinder und Männer, die vom maskulisierten Ego in den Hintergrund gedrängt wurden. Dazu all die Dinge, Tiere, Lebewesen, Pflanzen, Erfindungen, Kunstgegenstände, Werkzeuge, die wir Jahrhunderte lang gepflegt, verwendet und erhalten haben – all die geputzten Tische, all der gemahlene Mais, all die gesäten Felder, all die gefütterten Pferde, Kühe und Hühner, all der geschaufelte Schnee, all die gelegten Dächer, all die bearbeiteten Fliessbänder, all die gereinigten Abflussrohre, all die getanzten Tänze, all die versorgten Kinder. Mit all diesen Aktivitäten haben wir Dingen Wert verliehen und ihnen das Prinzip des Lebens geschenkt, das andere nun frei nutzen können. Selbst wenn uns unsere Aktivität vieles gekostet hat – menschlich wie ökonomisch – sind ihre Früchte für andere immer frei. Die Prinzipien der Fürsorge kennen nichts anderes. Die Früchte bestehen dabei sowohl aus materiellen Realitäten (die Häuser, in denen wir gelebt und die wir gepflegt haben, bestehen bis heute – die, die verlassen wurden, sind verschwunden) als auch aus Beispielen fürsorglicher Praxis sowie aus unmaskulisierten, Wert schenkenden Herzen und Köpfen.
Das männliche Ego fürchtet den Tod notorisch und liebt gleichzeitig, wovor es sich fürchtet. Indem es seine Sicht von anderen weg richtet, verleugnet es, was es von diesen erhalten hat, ja sogar ihre Existenz und ihre Bedeutung. So wird es für das männliche Ego leicht, sich selbst als die einsame Quelle dessen zu sehen, was ihm in Wirklichkeit von anderen gegeben wurde: von den ihm vorangegangenen Generationen über die ArbeiterInnen in den Fabriken und auf den Feldern bis zu seiner Mutter, seiner Frau, seiner Schwester, seinem Kind und manchmal selbst seinem Bruder. Letzteres geschieht jedoch nicht zu oft, denn das Old Boys Network bzw. der männliche Zusammenhalt im Allgemeinen dienen gewöhnlich nur dazu, den Sinn der Macht und Autonomie des isolierten männlichen Egos weiter zu vergrößern. Männer lernen, das selbst reflektierende männliche Bild zu erkennen und sich gegenseitig wertzuschätzen.
Die Position des Einen wird umso stärker, je mehr es verleugnet, von anderen beschenkt worden zu sein. Das Ego sieht alles unter dem Gesichtspunkt des Nehmens – oder zumindest unter dem, dass es das, was es erhält, auch verdient. (Das „Verdienen“ ist ein weiterer Begriff des Tausches, der auf einer Gleichung zwischen vergangenen Aktionen und gegenwärtigen Belohnungen beruht.) Die Betonung, die wir auf die Monetarisierung der Arbeit im Kapitalismus gelegt haben, hat unsere Aufmerksamkeit auf diesen Bereich reduziert bzw. auf jene Formen menschlicher Beziehungen, die damit zu tun haben, „Geld zu machen“. Nachdem das Ego glaubt, dass seine Wahrnehmungen, seine Welt und seine Fähigkeiten alle von ihm selbst kommen, bleibt ihm sein eigener sozialer Charakter verborgen und es läuft Gefahr, solipsistisch zu werden.
Sich Sprache von dem Blickwinkel des Schenkprinzips aus anzuschauen, ist eine gute Therapie für Solipsismus. Wenn wir jedes Wort als ein Nebenprodukt der linguistischen Prozesse früherer Generationen sehen – Prozesse, anhand derer diese ihre gegenseitigen kommunikativen Bedürfnisse befriedigten und die uns geschenkt wurden – sehen wir uns selbst in Kontakt mit Millionen von schenkenden und kommunizierenden Menschen. Schließlich haben wir unsere Wörter, unsere Kultur und unsere materiellen Güter von diesen erhalten. Der Solipsismus ist weniger eine philosophische Position denn eine psychologische und politische. Er erlaubt Grausamkeit ohne Verantwortung bzw. die Freude an unserem eigenen Wohlergehen im Angesicht des Schmerzes anderer. Unser Mitleid zieht sich zurück und trocknet aus und unsere Seelen werden zu Gefangenen unserer eigenen Egos. Wir erlauben unseren Regierungen, andere Menschen zu töten und sterben zu lassen bzw. ökonomischen und militärischen Genozid zu betreiben, während wir in unserem sicheren Heim sitzen und uns wundern, ob diese anderen Menschen überhaupt wirklich existieren.
Menschen, die davon sprechen, unsere eigenen Wirklichkeiten zu schaffen, sind vielleicht unwissentlich inspiriert von der unendlichen Kreativität und magischen Qualität des Geschenks der Sprache, ohne dass sie dabei jedoch je andere als die Quelle des Geschenks anerkennen würden. Menschen, die religiösen Einstellungen folgen – sowohl progressiven als auch konservativen – neigen oft dazu, sich der Menschheit entziehen zu wollen: anstatt sich unter den Vielen machtlos zu fühlen, wollen sie zur privilegierten Position des (in diesem Falle religiös definierten) Einen gehören. Wenn wir uns aber nur auf Gott beziehen (der selbst oft genug als maskulisiertes Eines und daher als uns isolierten Individuen gleich angesehen wird) und nicht auf die Menschheit und den Planeten, tendieren wir dazu, größenwahnsinnig und paranoid zu werden. Wir verhalten uns dann mitleidlos und ignorieren die Menschen außerhalb unseres unmittelbaren Fokus – obwohl deren Spiritualität genauso groß (oder genauso klein) wie unsere sein sollte. Wenn wir dies ändern wollen, müssen wir uns in einer Form neu schaffen, der zufolge wir verstehen, dass uns von anderen Menschen geschenkt wurde und geschenkt wird, beginnend mit unseren Müttern. Wenn wir das tun, dann sind wir nicht länger abgeschieden und machtlos. Was uns wirklich machtlos macht, ist, uns selbst als maskulisierte Egos zu sehen, die von anderen nichts erhalten außer das, was sie „verdienen“. Dann müssen wir überkompensieren.
Freilich wird der Solipsismus alleine dadurch widerlegt, dass wir in Sprache denken, die wir von anderen erhalten haben. Es gab eine kreationistische Theorie, der zufolge die Dinosaurierknochen von Gott begraben worden seien, um unseren Glauben an die biblische Schöpfungsgeschichte zu testen. Solipsisten müssten in ähnlicher Weise behaupten, eine Gottheit hätte Sprache in unseren Gehirnen implantiert, um zu suggerieren, dass es tatsächlich andere Menschen gäbe. Unsere Erde ist so komplex und verschiedenartig, dass wir nie als Individuen alleine auf ihr leben könnten. Wir brauchen die gemeinsame Wahrnehmung der Vielen, um unseren individuellen Leben eine Art realen Kontext geben zu können. Die Gemeinschaft ist wie das Auge einer Fliege, das, indem es seine vielen Facetten zu einem Kollektiv zusammenfügt, das ganze Bild sehen kann. Die Wahrnehmung und Vermittlung dieses Bildes wird von der Sprache ermöglicht. Die Vermittlung stellt dabei eine Art enormes kollektives Trommelfell dar, das immer dann vibriert, wenn wir auf etwas stoßen, dem eine bestimmte Wichtigkeit oder Intensität jenseits individueller Grenzen zukommt. In kollektiven Prozessen werden die kulturellen Werte der Dinge so in Wörtern gelagert und als Geschenke für alle am Leben erhalten und verwendet.
Das patriarchale Ego schaut nur auf jene Dinge, die in seinem unmittelbaren Fokus liegen. Auf diese scheint sein Licht. Menschen, vor allem in der so genannten Ersten Welt, leben mit der Einstellung, dass wir den Fluss der Waren, des Geldes und des Wertes von der so genannten Dritten Welt (im eigenen Lande und außerhalb dessen) zu uns ignorieren können. Wenn das CIA nicht direkt Dritte-Welt-Regierungen destabilisiert oder die USA faschistische Tyrannen finanziert, dann übernimmt das Patriarchat der „Ersten Welt“ ökonomische Kontrolle. Während unsere Medien sich auf uns selbst konzentrieren, wenden unsere Regierungen unser Geld an, um mit ihrem Einfluss und ihren Waffen das Leben jener im Schatten zu zerstören. Big Business siedelt sich in der Dritten Welt an und verursacht wirtschaftliches und ökologisches Desaster, während manche von uns zuhause die Profite abschöpfen und andere ihre Jobs verlieren. Wenn diese Geschäfte nicht mehr verheimlicht werden können, wird alles mit Lügen zugedeckt und das, was passiert, als „Entwicklung“ (re)definiert. Um den Anschein zu wahren, Hilfe zu leisten, wird plötzlich auf heuchlerische Weise das Schenkprinzip bemüht, um das zerstörerische Tauschprinzip zu verschleiern und die Ausbeutung, die real geschieht, zu verleugnen. Das Schenkprinzip wird dabei als etwas anderes dargestellt als es ist und mit jenen Männern identifiziert, die am weitesten von ihm entfernt sind – speziell in der Regierung und im Big Business. Diese Männer haben praktisch nie jemanden individuell versorgt und haben immer nur innerhalb des Tauschmechanismus operiert.
Die Bedürfnisse unserer „Ersten Welt“ werden für keine oder eine nur sehr geringe Kost von den Menschen der „Dritten Welt“ befriedigt. Die ökonomischen Differenzen erlauben den Geschäftemachern, das meiste dessen, was im Tauschhandel bezahlt wird, selbst einzustecken und in ihre Banken zu transferieren, um den Wert ein weiteres Mal von den have-nots zu den haves zu verschieben: vom Schatten ins Licht, vom Unsichtbaren ins Sichtbare. Wie von einer Schleuse wird der Fluss des Wertes zunächst blockiert und dann auf eine höhere Ebene transferiert. Die Ökonomien der Ersten Welt haben Enormes von den Ökonomien der Dritten Welt erhalten. Individuell mag es schwierig sein, dies zu sehen, und wir mögen das Erhaltene nicht direkt fühlen. Doch der Wert, die bei uns zirkuliert, kommt von einem ungleichen Tausch, der in der Praxis einem freien Geschenk von der Dritten Welt an unsere Erste gleichkommt.
Unsere kurzsichtige Profitgier, die der Denkweise des privilegierten Egos entspricht, lässt die Menschen im Schatten (jene der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft) in Armut, Verwüstung und Krieg leben. Es sind die Menschen im Schatten, die für das, was im „Licht“ liegt, nämlich unser eigenes Wohlbefinden, bezahlen. Das diesen Realitäten zugrunde liegende Problem ist nicht moralische Verwahrlosung oder ein pathologischer Hang zur Gier, sondern eine Weltsicht, eine Egostruktur und eine Ökonomie, die als normal gelten, zusammenpassen und miteinander funktionieren – zu unser aller Schaden. Ich denke, dass wir uns individuell dessen, was hier passiert, wirklich nicht bewusst sind. Ich denke, dass wir sonst aufhören würden, so zu handeln, wie wir handeln, bzw. dass wir uns gegenseitig dazu bringen würden aufzuhören. Doch unser Bewusstsein befindet sich in einer kollektiven Verleugnung, und das macht es schwierig, zu einem individuellen Bewusstsein zu gelangen. Desto dringender brauchen wir einen Prinzipienwechsel.
Die Anforderung, den Platz anderer einzunehmen und – indem wir besitzen und dominieren – das Eine zu sein, wird auf jeder Ebene unserer Gesellschaft gestellt. Die Armut, die artifiziell von den herrschenden Mächten geschaffen wird, um das Tauschsystem aufrechtzuerhalten, verschärft zunehmend die Strafen dafür, innerhalb dieser Anforderung nicht erfolgreich zu sein. Wir verstehen nicht, dass es logisch unmöglich ist, dass alle ein Eines sind und dass es für viele Männer jenseits der Maskulisierung selbst keinen Erfolg im Leben geben kann. Erfolgversprechende Arbeit, Ausbildung und Unterhaltung werden beinahe ausschließlich ökonomischen haves angeboten. Für viele andere sind Gangs und kriminelles Verhalten die einzigen Möglichkeiten, ihre Anforderungen der Maskulisierung zu erfüllen. (Obwohl für Männer auch Gewalt gegen Frauen immer eine Option bleibt, sich selbst als dominantes Eines zu bestätigen.) Während wir uns gegen all diese Aktivitäten als „falsche“ wenden müssen, kann davon alleine nicht die Lösung des Problems kommen. Diese kann nur auf einer neuen Sichtweise der Welt und einer neuen Definition unserer Gesellschaft beruhen.
Wir haben das grundlegende Prinzip unseres Lebens zu ändern und alle die Werte der Fürsorge zu lehren. Unsere Buben dürfen nicht maskulisiert und in eine Egostruktur gezwungen werden, die sie dazu führt zu glauben, sie könnten nur in Form von Privileg und Herrschaft die Anforderungen ihrer Geschlechtsidentität erfüllen. Wir müssen das mütterliche Modell für alle restaurieren und auch unsere Buben müssen lernen, Schenkende zu sein – und zwar von Anfang an. Denn wenn sie die Mutter einmal aufgeben und gelernt haben, nicht fürsorglich zu sein, wie sollen sie es da später werden können? Wie sollen sie „gut“ werden können, wenn es für sie nichts anderes mehr gibt als die Regeln der Verhaltenssyntax, die auf der Geschlechtskategorisierung basiert? Wie sollen sie „gut“ werden, wenn sie nur noch dem Gesetz des Vaters folgen?
Anm. d. Übers.: Ein Begriff, der ursprünglich in Zusammenhang mit Männerbunden verwendet wurde, die exklusiven britischen Bubenschulen entstammten, bezeichnet das Old Boys Network heute im Englischen allgemein Netzwerke, in denen Männer sich gegenseitig in ihren sozialen, politischen und ökonomischen Machtpositionen stützen.
Obwohl die meisten von uns eine effektive linguistische Kompetenz erreichen, werden ökonomisch benachteiligten Menschen nach wie vor viele der damit verbundenen Geschenke aufgrund mangelnden Zugangs zu Ausbildungsmöglichkeiten und vielfältiger kultureller Erfahrung vorenthalten.
Es herrscht Krieg zwischen den haves und den have-nots. Ich denke, dass die Wurzeln des Problems in dem liegen, was ich Kastrationsneid nennen will. Das Privateigentum ist ein Produkt einander ausschließender Geschlechtskategorien, verbunden mit der privilegierten Position des Kategorieprototyps. Die Buben finden sich in der Kategorie, die dem Schenken gegenübersteht, weil sie etwas haben (den Penis), während die Mutter als weiblich definiert wird, weil sie schenkt (fürsorglich ist) und keinen Penis hat. Eine Kategorie des Habens steht einer Kategorie des Schenkens gegenüber. Schenken und Nicht-Haben werden miteinander identifiziert und damit, weiblich zu sein. Nachdem der Bube in derselben Kategorie wie sein Vater ist, in der dieser den privilegierten Kategorieprototyp, das Eine, darstellt, muss der Bube zunächst einer der Vielen sein, einer der Dinge, einer derer, die Platz machen, einer der Schwachen. Erst später kann er als Erwachsener selbst ein Prototyp bzw. ein Eines werden. Die Rolle des Buben gleicht jener der Ware, die wieder und wieder mit einem allgemeinen quantitativen Standard verglichen wird. Doch während das Haben den Buben in eine Konkurrenzsituation rückt, die durchaus schwierig sein kann, wird er von der Tatsache getröstet, dass er zu dem privilegierten Geschlecht gehört, dem unentwegt geschenkt wird.
Eigentum und Geld
Geld ist das materielle Ersatzgeschenk für die Ware und der Prototyp für die Kategorie des Wertes. Es ersetzt alle anderen Kategorien, wenn es um die Wertbestimmung von Produkten im Tausch geht. Der Besitzer verhält sich dabei zum Eigentum wie das Geld zur Ware, wie der Vater zu den Kindern, wie der Penis des Vaters zum Penis des Buben und wie der Prototyp zu den Vielen, die mit ihm verglichen werden.
Es ist der Mann, der das Kennzeichen hat, das ihn sowohl als potentiellen Prototypmann als auch – in der Form einer Beziehung des Einen zu den Vielen – als potentiellen Eigentümer markiert. Der Penis ist vielleicht das Paradebeispiel des Eigentums. Aber er ist unübertragbar – der Mann kann und will ihn nicht aufgeben. In Bezug auf seine Familie befindet sich der patriarchale Vater in einer ähnlichen Besitzbeziehung. In gewissem Sinne kann sich seine Kontrolle über die Familie daraus erklären, dass in Zeiten des Mangels die Schenkenden nichts haben werden, wenn sie nicht selbst beschenkt werden, während jene, die nicht schenken, in jedem Fall das haben, was sie nicht herzugeben bereit sind. (Es gibt hier auf jeden Fall auch einen analfixierten Aspekt.) Der Vater kann zudem Mütter und Kinder dazu bringen, nicht außerhalb der Familie zu schenken, die Bedürfnisse anderer weder sexuell noch materiell zu befriedigen. Die, die haben, werden demnach wahrscheinlich auch Zeiten des Mangels überleben. Indem er große Summen an Geld besitzt, stellt der Prototyp (das Eine, der have) mehr Fürsorge für sich selbst und die ihm Nahen sicher.
Im Tausch wird ein Objekt mit einem Standard verglichen. Es wird Äquivalenz verlangt. Das Objekt tritt damit in den Prozess der Kategorisierung ein. Dieser Prozess reproduziert sich in vielen Lebensbereichen: in der Maskulisierung der Buben, in Messungen und Tests aller Art, in Schulzeugnissen, in sportlichen Rekorden, in Schönheitswettbewerben, in Vorbildsrollen. Die Beziehungen von PräsidentInnen zu BürgerInnen, von Musik- und Filmstars zu Fans oder von preisgekrönten Ebern zu Ferkeln sind alle Variationen dieses Themas.
Der Struktur des Tausches entspricht auch das westliche Hochzeitsmodell, in der die Frau als Objekt von jener Familiengruppe, die sich auf ihren Vater als den Prototypen/das Eine bezieht, in eine neue getauscht wird, in der ihr Ehemann dieselbe Rolle einnimmt. Dieses Hochzeitsmodell ändert sich ein bisschen in den USA, aber es beeinflusst uns trotz allem weiterhin. In vielen Teilen der Welt reglementiert es den Familienbildungsprozess nach wie vor streng. Obwohl ihr Hochzeitstag der glücklichste Tag ihres Lebens sein soll – ein „Prototyptag“ – und obwohl die Frau an diesem Tag als Prototyp für andere Frauen gesehen wird, spielt sie die Rolle des Prototyps nur im Kontext des Ausweichens für ihren neuen Ersatz, den Ehemann. Dieser nimmt als solcher die Rolle des Wortes ein. In diesem Sinne scheint es nur logisch, dass die Frau auch seinen Namen annimmt.
Eine neue sich selbst reproduzierende Familieneinheit wird geformt, in der Buben wieder lernen werden, eine männliche Identität anzunehmen und den Schenkprozess zu verleugnen (und manchmal zu bestrafen und abzuwerten), und in der Mädchen weiterhin lernen werden, ihre Geschenke und ihre Treue dem männlichen Beispiel zukommen zu lassen. Wie das Eigentum basiert die Ehe auf dem gegenseitigen Ausschluss der Einen. So wie sich alle Eigentümer zu ihrem Eigentum als das Eine zu den Vielen verhalten, so verhalten sie sich auch zueinander auf diese Art. Alle Eigentümer stehen in sich gegenseitig ausschließenden Beziehungen mit allen anderen Eigentümern. Das Geld vermittelt als Prototyp des Wertes, auf den Produkte bezogen und anhand dessen sie ersetzt werden, zwischen den Eigentümern auf ziemlich ähnliche Weise wie der Priester zwischen Vater und Ehemann vermittelt, um die Übergabe der schenkenden Frau von einer Familienkategorie zur anderen zu regulieren. Ein Objekt vom Beispiel der Kategorie, der es zugerechnet wird, zu lösen, um es einer anderen (oppositionellen) Kategorie bzw. einem anderen Prototyp zurechnen zu können, verlangt ein bestimmendes Wort – dieses kann im einen Fall vom Priester ausgesprochen werden, während es im anderen Fall die Form des materiellen Wort- und Wertbeispiels, kurz: die Form des Geldes anzunehmen hat. Urkunden, Lizenzen oder Verträge sind bleibende Repräsentationen des materialisierten bestimmenden Wortes.
Im Tausch nimmt das Geld solange den Platz des Eigentümers für Waren (also den Platz des Kategorieprototypen, auf den Waren als Werte bezogen werden) ein, bis diese auf ihren tatsächlichen neuen Eigentümer bezogen werden. Wir können sagen, dass hier eine Eigentumsbeziehung des Einen und der Vielen vorübergehend von einer Wertbeziehung des Einen und der Vielen ersetzt wird.
Siehe Annette Weiners Buch zu der transkulturellen ökonomischen Logik des Nicht-Schenkens: Inalienable Possessions, The Paradox of Keeping-While-Giving.
Ich denke, dass das Old Boys Network (siehe Kapitel 7) genauso wie die Gruppe von Grundeigentümern den Differenzialwert von Wörtern verkörpert, die einander in der langue gegenüberstehen. Frauen und Kinder wurden historisch auf ihre Ehemänner und Väter bezogen wie Eigentum auf seine Eigentümer und Dinge auf Wörter, die für sie stehen. Jedes Mitglied der Kategorie der Ehemänner/Väter steht in einer differenziellen, sich gegenseitig ausschließenden Beziehung mit allen anderen, während sie in Hinsicht auf ihre eigene Familie das Eine in einer Beziehung von Einem und Vielen sind. Der Ehemann/Vater muss die anderen Einen davon abhalten, seinen Platz einzunehmen. Grundbesitzer müssen sich derselben Herausforderung stellen. Und in der langue steht jedes Wort in einer differenziellen Beziehung zu allen anderen, während es als Name, auf den sich Dinge beziehen, auch das Eine in einer Beziehung von Einem und Vielen ist. Wir haben oben gesehen, dass, wenn der Prototyp für das Formen einer Kategorie nicht länger notwendig ist, selbst nur zu einem ganz normalen Teil dieser Kategorie wird. Es kann seine Position als Prototyp jedoch auch deshalb verlieren, weil es von einem Wort vereinnahmt oder von ihm subsumiert wird, was einer Art Logifizierung gleichkommt. Männer (speziell solche in „überlegenen“ Kategorien) scheinen Wörter zu sein, während Frauen (und andere in “unterlegenen” Kategorien) Dinge zu sein scheinen, die ”vergegenständlicht” wurden. (Siehe Graphik 12.)
Arbeit und Geld
Der Verkauf von Arbeitszeit vollzieht sich auf sehr ähnliche Weise, obwohl Familienmitgliedern und FreundInnen Arbeit meist geschenkt wird. Überhaupt charakterisieren Geschenke und freie Dienste viele Bereiche des Lebens, sodass Arbeit im Allgemeinen flexibler ist als Privateigentum. In Zeiten von Prekarität scheinen ironischerweise Arbeitsplätze (monetarisierte Tauscharbeit) Geschenke zu sein. Dies deshalb, da wir uns im Tauschprinzip über Geld definieren müssen, um unser Überleben zu sichern. Viele Frauen und Männer erhalten dabei keine Arbeitsplätze geschenkt. Monetarisierung (bzw. ihr Fehlen) ist ein Machtinstrument. Es schreibt einer Gruppe von Menschen ökonomische Relevanz (einen Tauschwert) zu, einer anderen nicht. Diejenigen, die nicht der ökonomisch privilegierten Kategorie angehören, könnten ihr durchaus angehören (so wird behauptet), wenn sie nur vertrauenswürdig, effizient und gut genug ausgebildet wären. Der Erfolg oder das Scheitern von Menschen scheint von Qualitäten abzuhängen, die sie haben oder nicht haben. Die Wichtigkeit des Tauschwerts liegt darin, das er Zugang verschafft zu jener ökonomischen Kategorie, die genug Geld zum Überleben verspricht. Allerdings wird gleichzeitig Mangel (Nicht-Haben) produziert, der notwendig ist, damit der Tausch als Prozess bestehen und die monetarisierte Kategorie (die Kategorie des Habens) privilegiert bleibt.
Maskulisierte Männer wünschten sich traditionellerweise Frauen, die nie gefördert wurden und denen nie das Geschenk zukam, zu einer privilegierten Kategorie zu gehören oder ein akademisches Diplom oder einen Titel zu haben (eine weitere verbale Maskulisierung). Ja noch nicht einmal eine bezahlte (monetarisierte) Arbeit sollten Frauen haben, was ihnen dabei geholfen hätte, sich im Konkurrenzkampf um die am höchsten bezahlten (monetarisierten) Kategorien besser behaupten zu können. Genau hier ist der Punkt, an dem der Kapitalismus und das Patriarchat mit jenen eine Einheit bilden, die sie als „anders“ definieren. Das gesamte patriarchal-kapitalistische System braucht und gebraucht die individuellen Bedürfnisse derer, die außerhalb der Kategorie der bezahlten Arbeit stehen. Zum Beispiel braucht der Berufsmarkt Arbeitslose, um die Arbeitslöhne niedrig halten zu können. Weiters brauchen diejenigen, die bezahlter Arbeit nachgehen, die freie Arbeit derer, die das nicht tun – sie leben von dieser freien Arbeit und diese erlaubt es ihnen, ihrer eigenen bezahlten Arbeit freie (geschenkte) Arbeit hinzuzufügen (z.B. in Form der Überstunde). Die bezahlten Arbeitenden sind bereit, dies zu tun, aufgrund der Angst, andernfalls entlassen und Teil der have-nots zu werden. Das System belohnt diejenigen, die bezahlter Arbeit nachgehen, indem sie ihr relatives Wohlergehen mit dem Leiden der Arbeitslosen vergleicht, deren Bedürfnisse nicht befriedigt werden. Auf ähnliche Weise wird die Zugehörigkeit zur maskulisierten Kategorie für Männer (jene, die das Kennzeichen haben) noch bedeutender aufgrund der Misshandlungen, die Frauen und Mädchen erfahren (und die in manchen Kulturen bis zum Aussetzen und Sterben-Lassen neugeborener Mädchen reichen), da sie Angst haben, ansonsten Ähnliches erleiden zu müssen wie die weiblichen have-nots.
Der ursprüngliche Fehler
Wir können den folgenden unbewussten Prozess vermuten: Wenn ein Bube aufgrund seines Penis der nicht-fürsorglichen Kategorie zugeschrieben wird, dann könnte er diese Entfremdung durch Kastration wiedergutmachen. Der Bube wünscht sich daher seine Kastration, um wie seine fürsorgliche Mutter zu sein. (Freud zeigte, dass wir oft das fürchten, was wir begehren.) Gleichzeitig zeigt ihm die Gesellschaft in ihrer Misogynie, dass Mädchen – die bereits „kastriert“ geboren werden – noch härter als er bestraft werden und dass er demnach das, was er hat, wertschätzen muss. Sein Kastrationsneid wird in diesem Sinne geheilt durch die schlechte Behandlung der have-nots. Und je mehr Güter er von diesen erhält, desto größer ist sein Haben und desto weniger will er vermutlich sein wie sie bzw. desto weniger beneidet er sie vermutlich um ihren angeblichen Mangel.
Wir können einen weiteren Prozess vermuten: Vielleicht will der Bube – als Konsequenz des eben beschriebenen Prozesses – zunächst seiner Mutter seinen Penis schenken, damit auch sie Teil der überlegenen Kategorie sein kann. Doch schlussendlich behandelt er ihn als einen unentbehrlichen Besitz bzw. als etwas, das zuviel Wert hat, um hergeschenkt zu werden. Kurz, er behält seinen Penis, und es ist in diesem Moment, in dem er dem Schenkprinzip entsagt. Er zeigt, dass er das Schenkprinzip für entbehrlich hält bzw. als weniger wichtig erachtet als seinen Penis. Diesen zu behalten, nicht kastriert zu werden und fest in der Kategorie des „Mannes“ verankert zu sein, wird seine Priorität. Er stellt seine genitale Identität über das Prinzip der Fürsorge, so wie die Gesellschaft insgesamt den ökonomischen Tausch über das Prinzip des Schenkens stellt.
Als Erwachsener kommt dem jetzt zum Mann gewordenen Buben die Möglichkeit zu, über das Verteilen seines Geldes und Besitzes fürsorglich zu sein. Wenn er wirklich wohlhabend wird, kann er in solchen Mengen schenken, dass er sich als noch fürsorglicher vorkommen kann als seine Mutter, die ihm, wie er meint, ohnehin nur als Kleinkind half. Manche Männer machen sich diese Möglichkeit, als Fürsorgende zu erscheinen, zunutze. Sie schenken dabei jedoch in der Regel nur einigen Wenigen; solchen, denen sie helfen wollen, in die Kategorie der Privilegierten einzutreten, so wie sie selbst es einst getan haben. Die von der Tauschlogik getragene patriarchal-kapitalistische Struktur bleibt damit aufrecht: die Kategorie der haves steht jene der have-nots gegenüber.
Ein weiteres Problem des mütterlichen Ausweichens bzw. des Aufgebens ihrer Beispielrolle ist, dass der Bube sich als nicht besonders wertvoll empfinden muss, da er offenbar als aufgegeben werden konnte (schließlich wird er im Ausweichen der Mutter dem Vater übertragen). Es mag sogar so aussehen, als hätte die Mutter ihren Penis aufgegeben, ja sogar, als hätte sie ihm dem Buben geschenkt. Der Vater hat diesen Mangel nicht. Er hat seinen Penis behalten und so kann der Bube in seine Geschlechtskategorie eintreten. Es sieht so aus, als hätte der Vater gewusst, dass er nichts herschenken sollte. Wenn der Vater nur die Mutter gewesen wäre – so mag der Bube denken – dann hätte sie den Penis und der Bube würde noch immer wie sie und immer noch ein potentieller Fürsorger sein.
Diese Überlegungen sind natürlich rein hypothetisch, da es letztlich nicht der Penis selbst ist, der den Buben der Kategorie der Mutter entreißt, sondern dessen soziale Interpretation und die sich daran hängende Geschlechtskonstruktion bzw. die Opposition der geschlechtlichen Kategorien. Es ist ein sozialer Prozess, indem der Bube aufgrund seines Penis als „männlich“ bezeichnet wird. Fürsorge hat nichts mit körperlichen Voraussetzungen zu tun. Wenn ein Bube fürsorglich bleiben will – was er als kleiner homo donans auch tun sollte – muss er dazu seinen Körper nicht ändern oder seinen Penis aufgeben. Alles, was er tun müsste, wäre die gesellschaftlichen Geschlechtsbenennungen und -kategorien zu ändern – eine beschwerliche Aufgabe, aber sicherlich weniger beschwerlich als das Verlieren eines Körperteils. Diese sprachliche Befreiung würde den Buben auch davon abhalten, das zu wollen, was er fürchtet: seine Kastration. Die Gesellschaft würde damit aufhören, dem Haben Wert zuzuschreiben und das Nicht-Haben zu bestrafen – sowohl in Hinsicht auf männliche Genitalien wie auf Geld oder alle anderen Formen von Besitz.
Die Idee des Kaufens und Verkaufens von Arbeitszeit scheint einfach genug, aber es gibt viele Unterschiede zwischen der Verfügung über unser Leben und dem Besitzen von Eigentum. Unsere Beziehung zu unserem Leben ist nicht die von Einem zu Vielen, wie es unsere Beziehung zum Eigentum ist – selbst wenn wir unser Leben in verschiedene Zeitperioden unterteilen können und wir markttaugliche Qualitäten oder Fähigkeiten haben mögen.
Die Institution der Wohlfahrtsfürsorge definiert die ausgeschlossene Kategorie als „arm“ und administriert minimales Schenken von Seiten des patriarchalen Staates. Dies ist eine paradoxe Maskulisierung von Menschen als have-nots, die zwangsläufig erniedrigend ist, da die Unterklasse glauben gemacht wird, dass ihre Armut auf persönlichen Fehlern bzw. Mängeln beruht.
Vielleicht ist die monetäre Unterstützung, die er seiner Frau zukommen lässt, ein Weg, ihr etwas zu schenken, nachdem er seiner Mutter nichts hatte schenken können.
Puerarchat
Reiche Menschen fürchten sich meist davor, nichts zu haben. Gleichzeitig wollen sie von der Schenkökonomie der have-nots profitieren. Dieselben Privilegien, welche Buben über Mädchen stellen, stellen Reiche über Arme. So befällt die Furcht vor der (symbolischen) Kastration auch die Reichen als Gruppe. Sie nehmen die Bedürfnisse anderer als Verlangen wahr, ihnen (den Reichen) ihre Besitztümer zu nehmen, sie in diesem Sinne zu kastrieren und sie in die Kategorie der Unterprivilegierten zu verbannen. Reiche Frauen sind in einer widersprüchlichen Lage, da sie zwar Geld und Eigentum haben, aber nicht das männliche Kennzeichen des Privilegs. Das mag der Grund sein, warum sie sich oft teurer sichtbarer Äußerlichkeiten (wie Schmuck) bedienen, um zu signalisieren, dass sie Mitglieder der privilegierten Kategorie sind.
Waffen sind Kennzeichen, die die phallische Gleichung wiederherstellen und es armen Menschen manchmal ermöglichen, den Reichen Geschenke durch Raub abzuverlangen. Die Reichen verlangen den Armen oft Geschenke mithilfe der Macht niederer Löhne und anderer Ausbeutungsmechanismen ab. Allerdings definieren sie das nicht als Raub, sondern als Profit. Dieses Profitsystem wird dann von polizeilichen und militärischen Hierarchien verteidigt, die selbst mit Waffen ausgestattet sind. Während die Armen für ihr Nicht-Haben bestraft werden, werden die Reichen für ihr Haben belohnt.
Der zunehmende Mangel der Bedürfnisbefriedigung der Armen demonstriert die Notwendigkeit einer umfassenden Schenkökonomie. Allerdings bedeutet das Aufgeben des Geldes das Aufgeben des Penis (Kastration) sowie das Aufgeben der privilegierten Kategorie und damit der Möglichkeit, in Überfluss zu leben. Überfluss selbst ist eine gute Sache, aber nicht dann, wenn er nur dazu genutzt wird, das Haben bzw. das Nicht-Schenken zu belohnen. Das Gleiche gilt für die Arten der Kategorisierung, der Definition und des Verdiensts, die von der Maskulisierung kommen. Indem er weit verbreitet Mangel schafft, schafft der Kapitalismus gleichzeitig die Bedingungen, in der die Tauschökonomie sich behaupten kann. Das Geburtsrecht aller auf ein Leben im Überfluss wird zur Belohnung einiger glücklicher Auserwählter – genauso wie das großzügige Schenken der Mütter aufgrund der Maskulisierung nicht mehr allen gleich, sondern vor allem den als Buben kategorisierten Kindern zukommt. Die Beziehung zwischen den haves und den have-nots reflektiert das Verhältnis von Furcht vor und Verlangen nach Kastration, das von den falschen Kategorisierungen der Maskulisierung herrührt. Die Besorgnis unserer Buben hat sich über unsere gesamte Gesellschaft ausgebreitet und richtet unglaublichen Schaden an. Es ist schwierig für uns, diese Situation anzuerkennen, und wir fühlen unbewusst, dass wir für den Schaden, der angerichtet wird, zahlen müssen. Dies heißt jedoch, weiterhin im Sinne des Tauschprinzips zu denken. Denn es gibt keine Bezahlung, die den Schaden, der angerichtet wurde, wiedergutmachen könnte. Wir müssen auf jeden Fall vergebend sein, wenn wir in das Schenkprinzip eintreten wollen. Beginnen müssen wir damit, das System neu zu definieren, als etwas, das geändert werden muss, und nicht nur als etwas, das „so ist, wie es ist“. Dann können wir unser Bedürfnis nach Veränderung explizit machen und das Patriarchat im Licht des Schenkprinzips als einen bösen Traum reinterpretieren und ganz von neuem beginnen. Vielleicht sollten wir das System, das auf dem Kastrationsalptraum der Buben beruht, neu benennen: „Puerarchat“ statt „Patriarchat“ – die Herrschaft des Buben (lat. puer = der Bube). Oder sogar: „‚Puer’-archat“ – die Herrschaft des Wortes „Bube“.
Misogynie
Die Unterdrückung der Frauen kann als eine Vergeltungsmassnahme gegen die Mutter gesehen werden – eine Vergeltung dafür, dass sie den Buben dem anderen Geschlecht überlassen hat. Dieser Tausch (als ein „Begleichen von Rechnungen“) ist nicht nur eine Söldnerattacke, sondern Teil des Versuchs, Kategorien zu schaffen, die körperlichen Eigenschaften folgen und nach Prinzipien von Einbeziehung und Ausschluss funktionieren.
Dieser Versuch war nie zur Gänze erfolgreich, obwohl die Verbannung der have-nots aus der Kategorie der haves immer größere Dimensionen annahm. Die haves sind heute knapp 250 Millionen Menschen, die have-nots fünfeinhalb Milliarden. Ein Grund für diese Entwicklung ist, dass die Übertragung des Habens bzw. Nicht-Habens des Penis in die ökonomischen Begriffe des Habens und Nicht-Habens überlebensnotwendiger Güter unzählige neue Probleme geschaffen hat. Außerdem hilft diese Übertragung dabei, die gemeinsamen Ursprünge aller Menschen (haves wie have-nots) vor der kindlichen Geschlechtskategorisierung zu verschleiern. Hier – anders als im Alptraum der Buben, in dem die Mütter ihnen ihre Penisse schenken – schenken die ökonomischen have-nots den ökonomischen haves tatsächlich, auch wenn dies von der Überbetonung des angeblichen Werts und Verdiensts der haves verschleiert werden mag. Diese behalten in jedem Fall ihre auf der Basis von Konkurrenz und Herrschaft erworbenen und von hierarchischen Strukturen gesicherten Positionen als Eine.
Die falschen Konzeptionen, die von dieser Travestie der Werte geschaffen werden, reichen tief, aber sie wirken in ihrer Offensichtlichkeit gleichzeitig so unschuldig, dass sie praktisch nicht wahrgenommen werden. Dabei ist das Problem im Prinzip einfach: es ist die Maskulisierung und das Abwenden von der Mütterlichkeit, die uns lehren, den Tod und die Zerstörung über das Leben und das Wohlergehen aller zu stellen. Was geschehen müsste, ist, dass die haves damit beginnen, den have-nots zu schenken, um deren Bedürfnisse zu befriedigen. Die Verbannung oder gar das Morden der have-nots als Strafe dafür, dass sie nichts haben (oder als Garantie für die haves, dass ihre Besitztümer, Jobs, Geldmengen und Phallusse noch mehr wert sind) muss aufhören.
Ich versuche hier nur, Strukturen zu beschreiben, von denen ich denke, dass sie unseren Problemen zugrunde liegen. Ich will damit nicht leugnen, dass viele Männer ihre Kinder lieben oder dass Buben fürsorglich sein können (vielleicht „greift“ die Maskulisierung bei manchen einfach nicht). Ich denke jedoch, dass diese Strukturen für die tiefen Gräben in unserer Kultur, für die Befangenheit ihrer Institutionen und für das erschreckende Ausmaß ihrer Zerstörung verantwortlich sind.
Das Pflegen des Tausches
Die Abstraktion: Bube = Vater, wird in der internen (marginalen ) Prioritätsliste der Eltern wichtiger als die konkrete, fürsorgliche Beziehung. Ein sichtbares physisches Kennzeichen wird für die Identität des Buben wichtiger als seine Verhaltensweisen oder als auf der Liebe basierenden Konstruktionen seines Selbst. Stattdessen konstruiert der Bube sein Selbst nun im Zuge der Unterwerfung seiner Mutter und dem Beanspruchen ihrer Dienste. Die Gleichheit des Buben mit dem Vater wird sowohl durch Spiegeleffekte bestätigt (der sich bereits selbst reflektierende Vater reflektiert sich noch einmal im Kind, wodurch er seine Rolle als Prototyp/Eines erfüllt, auf das sich der Bube zu beziehen hat) als auch durch weitere kategorisierende Mechanismen.
Schenken bestätigt die Anderen. Gegenwärtig versorgt es jedoch leider den Tausch als sein Anderes und bestätigt somit die Prinzipien der Äquivalenz und des Ersetzens. Das Schenken versorgt somit das ihm widersprechende Prinzip, es versorgt die Prozesse seiner eigenen Ersetzung durch die phallische Gleichung. Die schenkenden Mütter schenken dem Tauschprozess als dem, das sich zu ihnen als das Andere verhält. Sie machen weiters ihre Buben zu ihrem Anderen, indem sie dem Vaters erlauben, sie als Prototyp zu ersetzen und den Buben Prozesse der Maskulisierung aufzuzwingen. Kurz, ein Prozess des Auf-Andere-Ausgerichtet-Seins schenkt einem selbstzentrierten Prozess.
Die Mutter anerkennt, stützt und pflegt die Gleichheit des Buben mit dem Vater und sie bestätigt damit die Wichtigkeit beider als Männer. Dies vielleicht auch deshalb, da sie selbst (offensichtlicher aber auch unerkannter Weise) keine Gleichheit mit dem Buben einfordern muss, um ihm nahe zu sein – schließlich steht sie in einer konkreten Beziehung zu ihm: sie nährt und versorgt ihn – ihn, der von ihr verschieden ist, erstens, weil er ein Kind ist, und zweitens, weil er zur Männlichkeit gezwungen wird.
Die Privilegien des Buben und die Aufmerksamkeit des Vaters hängen von seiner Gleichheit mit dem Vater ab, vielleicht von seiner Größe und vielleicht sogar von der Größe seines Penis, der in jedem Fall nicht wirklich jenem des Vaters gleicht (die Gleichung ist rein „programmatisch“ – sie war nie „faktisch“). Der Vater wiederum versucht seine Vaterschaft zu unterstreichen, und somit können auch andere physische Ähnlichkeiten des Buben – wie Gesichtszüge, Haar- und Hautfarbe – besondere Aufmerksamkeit (Privilegiertheit) erfahren. Dies kann selbst für Verhaltenscharakteristika gelten.
Das Gehorsam dem Wort des Vaters gegenüber garantiert, dass der Bube sich dem Gesetz des Vaters gemäß verhält. Auf diese Weise wird gezeigt, wem das Kind gehört. Der Aspekt des Gehörens ist auch für das Mädchen wichtig. Auch das Mädchen muss dem Vater gehören und seinem Gesetz gehorchen (selbst wenn sie schlussendlich wie die Mutter sein soll). Dies wird deshalb verlangt, da sich das Eigentum und die Kategorisierung als Strukturen des Einen und der Vielen gleichen. Nachdem der Vater nicht der geschlechtliche Prototyp für das Mädchen sein kann, wird hier seine Rolle als Eigentümer sogar noch wichtiger. Mädchen folgen als Eigentum des Vaters dem Beispiel ihrer Mutter und setzen damit fort, die männlichen Beziehungsstrukturen des Einen und der Vielen zu pflegen und ihnen Wert zu geben.
Um das gegenwärtige Verhältnis des Schenkprinzips und des Tauschprinzips aufrechtzuerhalten, ist es für die Tauschenden oft notwendig, sogar den bloßen Anschein des Schenkens zu vermeiden. Doch wird innerhalb des Tauschprinzips andauernd geschenkt, etwa in Form von Überstunden, von Hilfsleistungen, oder einfach aufgrund betrügerischer Ausbeutung. Selbst Inflation, Wechselkurse oder das Drucken neuer Geldscheine schaffen für manche Geschenke. All dies wird aber vom Anschein des Tausches verdeckt, der unseren Blick an den Anschein der Gleichheit bindet, der die wirklichen Geschenke und das Überbrücken von Differenzen im Verborgenen hält. Und was den geschlechtlichen Kategorienwechsel, den der Bube durchzumachen hat, betrifft, so hält seine angebliche Gleichheit mit dem Vater das verborgen, was er aufgeben musste, um zu seinem Privileg zu gelangen: nämlich das Schenkprinzip. Dieses wurde ihm genommen – und damit auch die Quelle dessen, was wirklich wertvoll ist.
Wenn das Schenken einmal aufgegeben ist, dann verhält sich die Gesellschaft so, als würde sie versuchen, ihre Verluste durch Kompromisse in Grenzen zu halten. Der „gleiche Tausch“ erscheint nun als das Bestmögliche, und so richten wir unsere Aufmerksamkeit auf dessen Geschenke. Diese repräsentieren jedoch nur die Werte des Patriarchats: Sicherheit unter der Herrschaft des ehrwürdigen und (zumindest manchmal) wohlwollenden Patriarchen bzw. Sicherheit in „Gleichheit“ und „Gerechtigkeit“. Die wirklichen Werte des Schenkens und des Reichtums für alle werden dabei verleugnet und unterdrückt: das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein, Güte, Toleranz, Vielfalt, und der Sprung der Liebe über den Abgrund.
Marginalität in ökonomischer Theorie basiert auf der Überlegung der relativen Übertragbarkeit und Nicht-Übertragbarkeit von Besitztümern. Tauschende haben vermutlich sich selbst zu fragen, was sie gewillt sind aufzugeben.
Das Bedürfnis, das von einem Wortgeschenk befriedigt wird, richtet sich nicht direkt auf das materielle Objekt. Deshalb müssen wir die Dinge, über die wir sprechen, nicht mit uns herumtragen, wie es etwa die die Philosophen in Jonathan Swifts Gullivers Reisen tun. Das Leben lässt immer wieder neue Bedürfnisse danach entstehen, um uns mit anderen Menschen kommunikativ zu vereinen. Diese Bedürfnisse können sich auf alle Aspekte unserer Welt beziehen und werden durch verbale Geschenke befriedigt. Materielle Geschenke sind dazu nicht notwendig. Wir transformieren im verbalen Schenken gewissermaßen eine „objektiv“ scheinende Welt in eine schenkende Welt. Im Bereich der Sprache verhalten sich Menschen zueinander unentwegt im Sinne des Schenkprinzips. Das verbale Schenken ist immer Teil unseres Lebens, egal, was wir tun – selbst wenn unsere materiellen Beziehungen von Unmenschlichkeit gekennzeichnet sind. Tatsächlich ist es so, dass wir den Grundstein für eine blühende menschliche Gemeinschaft legen würden, wenn es uns nur gelänge, unsere Handlungen in der materiellen Welt unserem Schenken in der Sprache anzupassen.
Wortgeschenke sind in vielerlei Hinsicht leichter zu geben als materielle Geschenke. Zum ersten sind sie leicht zu produzieren und aufzubewahren. Zum zweiten werden die unterschiedlichen Teile eines Wortes von uns zusammen als ein Wort verstanden. Dieses Zusammenfassen verschiedener Lautmomente in einen ermöglicht, dass ein Wort für uns alle ein- und dasselbe bedeutet. Es erlaubt dem Wort außerdem, an zwei oder mehreren Orten gleichzeitig zu sein. Drittens erlaubt diese Allgemeinheit des Wortes, dass es immer und immer wieder von uns verwendet werden kann. Wir können uns so oft wir wollen mit seiner Hilfe auf ein Ding beziehen und in diesem Prozess Verbindungen mit anderen Menschen herstellen. Ein Wort kann von allen geschaffen und von allen erhalten werden.
Das Ersetzen materieller Geschenke – genauso wie mancher immaterieller: Ereignisse, Situationen, Ideen – durch verbale Geschenke ist eine spezifisch menschliche Eigenschaft. Das Wort ist eine spezielle Art eines Ersatzgeschenkes. Die kommunikativen Bedürfnisse, die es befriedigt, sind speziell menschliche Bedürfnisse, die sich den Mitteln ihrer Befriedigung angepasst haben. Wenn wir unsere kommunikativen Bedürfnisse mit der Zahl der Dinge multiplizieren, die von uns als wichtig genug empfunden wurden, um für sie ein eigenes Wortgeschenk (einen Namen) zu schaffen, dann erhalten wir linguistische Geschenke in immenser Vielfalt und Verknüpfungsmöglichkeiten. Jedes Wort nimmt an diesen Schenkprozessen als ein Wort von vielen teil und alle Mitglieder der Gemeinschaft können es sich potentiell zunutze machen.
Meta-Sein
Es gibt ein abstraktes Wort, nämlich das Verb „sein“, das PhilosophInnen viel zu denken gegeben hat. Obwohl es nicht in allen Sprachen verwendet wird, kommt ihm dort, wo es verwendet wird, besondere Bedeutung zu. Seine quantitative und logische Übersetzung in Form des Zeichens „=“ scheint ebenso weit verbreitet wie die Marktwirtschaft. Ich glaube, dass im Rahmen der Definitionsstruktur das Verb „sein“ ein Wortgeschenk ist, das ein kommunikatives Bedürfnis befriedigt, das von genau dem Satz kommt, in den es eingebettet ist. Es ersetzt die Ersetzungen (die verbalen Geschenke), die von anderen Wörtern in der Definition ausgeführt werden. In: „Eine Hauskatze ist eine domestizierte Kleinkatze“ ist „ist“ gleichzeitig das Ersatzgeschenk für „Hauskatze“ als auch für „domestizierte Kleinkatze“. Dadurch dass „ist“ diese beiden Wortgeschenke (diese verbalen Ersetzungen) gleichzeitig ersetzt, können sie von uns miteinander gleichgesetzt werden. In diesem Sinne kann das Verb „sein“ als ein Meta-Teil des Satzes betrachtet werden. (Siehe Graphik 14.) Dies erklärt auch den Gegenwartscharakter von „sein“, da die Objekte, auf die es sich bezieht, im (Definitions)Satz unmittelbar zugegen sind. Die Ersetzung, die von „sein“ vorgenommen wird, ist – wie jede verbale Ersetzung bzw. jedes verbale Geschenk – ein Dienst an anderen. Er befriedigt quasi das kommunikative Bedürfnis nach einem Meta-Satz – das Bedürfnis nach einer Repräsentation dessen, was sich im Satz ereignet. Damit schafft „sein“ eine unmittelbare und aktuelle Verbindung zwischen Personen in Bezug auf das, worum es im Satz geht. Dieser Einschnitt innerhalb des Satzes, der einen Art Meta-Moment konstituiert, bezeichnet die definitorische Funktion von „sein“, indem es dem Definiendum erlaubt, das Definiens zu ersetzen.
Wenn Sprache dem Schenkprinzip folgt, impliziert das, dass sich unentwegt zahlreiche definitorische Ersetzungen ereignen müssen, da diese die Grundlage für die verbalen Geschenke der Sprache bilden. Die definitorische Ersetzung ist dabei eine sehr allgemeine. Das Wort, dessen wir uns in ihr bedienen – „sein“ – ist das allgemeinste aller Wörter. Es gibt keine anderen Wörter, die das Prinzip der Gleichheit stärker ausdrücken. Gleichzeitig ist das Wort bescheiden und lässt sich im Überfluss anwenden.
Aufgrund seiner einzigartigen Position ist es schwierig, „sein“ zu definieren. Wir versuchen es trotzdem, weil wir es gleichzeitig als ein Wort wie jedes andere sehen. Doch wenn wir Dinge sagen wie: „das Sein ist“, werden unsere Köpfe orientierungslos und scheinen sich gleichzeitig auf die ganze Welt auszudehnen wie auf die unmittelbare Gegenwart zusammenzuziehen. Vielleicht liegt der Grund darin, dass „Sein“ – bzw. das Verb „sein“ – ein Meta-Wortgeschenk ist. (Wie wir gesehen haben, bezeichnet es nicht einfach eine gewöhnliche Ersetzung, sondern die Ersetzung anderer verbaler Ersetzungen.) Nicht nur ist es sehr allgemein, sondern es ist auf seiner Ebene der Allgemeinheit alleine – keine anderen Wörter haben einen allgemeinen Wert, der mit dem von „sein“ verglichen werden könnte.
Damit Wörter – und die kommunikativen Bedürfnisse, die sie befriedigen – sich entwickeln können, braucht es eine verbale Ebene in unserem Leben, die als Platz der Allgemeinheit aufrechterhalten wird. Wenn Dinge auf der nonverbalen Ebene für uns wichtig genug werden, erhalten sie ein permanentes kollektives kommunikatives Geschenk auf der verbalen Ebene in der Form eines Wortes. Wir gebrauchen dieses Wort, wenn unser Schenken von der nonverbalen auf die verbale Ebene wechselt. Auch dieser Wechsel kann als Ersetzung gesehen werden: das verbale Geschenk wird nun anstelle des nonverbalen Geschenks (oder in der Definition anstelle anderer verbaler Geschenke) verwendet, um Verbindungen zu anderen Menschen zu schaffen. Es ist dieser Wechsel – bzw. der Akt des Ersetzens selbst – den wir bezeichnen, wenn wir „ist“ sagen. Deshalb können wir „ist“ sowohl dann verwenden, wenn wir über Nonverbales sprechen bzw. auf es verweisen (Deixis – Beispiel: „das ist eine Katze“), als auch wenn wir ein verbales Definiens verwenden (Beispiel: „eine Katze ist ein haariges Tier mit einem langen Schwanz“). In beiden Fällen repräsentiert „ist“ den Wechsel von einem nonverbalen zu einem verbalen Geschenk. Der erste Wechsel vollzieht sich von der Ebene der Wirklichkeit zu der des Verbalen (anhand des relativ leeren Platzhalters „das“), der zweite von der Ebene der Wirklichkeit auf ein konstantes Element der Ebene des Verbalen (das Wort „Katze“).
Wie wir in Kapitel 2 gesehen haben, kombinieren Sätze die allgemeinen und kollektiven Wörter (Wortgeschenke), um kontingente und partikuläre kommunikative Bedürfnisse zu befriedigen. Für sich selbst genommen, kann jeder einzelne Aspekt einer Situation oder eines Ereignisses auf sein Wortgeschenk, also auf seinen Namen, bezogen werden. Als Reihe betrachtet (was LinguistInnen die „Achse der Metonymie“ nennen), arbeiten die Wörter als einzelne Teile in wechselnden Rollen von Schenkenden und Empfangenden zusammen, um kommunikative Bedürfnisse zu befriedigen. Gemeinsam bestimmen sie auf provisorische und flüchtige Weise einige Momente der Welt als relevant und andere als nicht-relevant. Um kommunikative Bedürfnisse in Bezug auf die relevanten Momente befriedigen zu können, steht uns dann eine Kombination von Wörtern zur Verfügung – zumindest in dem Augenblick unseres Bedürfnisses.
Die Beziehung zwischen Wörtern und Dingen, wie wir sie dargestellt haben, ereignen sich – ebenso wie der von uns skizzierte Kategorisierungsprozess – auf dem, was LinguistInnen die „Achse der Metapher“ nennen. Hier beziehen sich Wörter nicht in einer Reihe aufeinander, sondern auf verschiedenen Ebenen. Dieser Bezug vollzieht sich auf der Basis einer Äquivalenz und der Fähigkeit des Elements einer Ebene den Platz des Elements einer anderen Ebene einzunehmen. Die Achse der Metapher beinhaltet dabei oft die Polarität des Einen und der Vielen.
Metonymie und Metapher arbeiten sowohl im Diskurs als auch in Definitionen zusammen. Was die Metonymie anlangt, so entstehen Wörterreihen auf der Basis wechselseitiger Schenkbeziehungen. Gleichzeitig befinden sich in diesen Wörterreihen viele einzelne Wörter in Bezug auf die Dinge, die sie repräsentieren, in metaphorischen Beziehungen des Einen zu den Vielen. Ein Wort als ein Ersatzgeschenk zu schenken ist selbst eine besondere Art von Dienst.
Das Verb „sein“ befindet sich an der Kreuzung zwischen den Achsen der Metonymie (Zusammenhang) und der Metapher (Ersatz). Als Ersatz für den Akt des Ersetzens ist es Metapher – aber als Ersatz für die anderen Teile (Wortgeschenke) des Satzes ist es Teil einer Reihe und formt eine metonymische Folge. Wie wir oben gesehen haben, kann ein Satz auf der Achse der Metonymie im Prinzip Schenkbeziehungen reproduzieren, die auch auf der nonverbalen Ebene stattfinden können. Doch unterscheidet sich die Definition von anderen Arten von Sätzen, weil sie der Logik der Ersetzung folgt, in denen das Definiens als ein provisorisches Wortgeschenk (bzw. als eine aus Wortgeschenken zusammengesetzte Phrase) dem Ding dient, das definiert wird, während das Definiendum den Platz des Definiens als konstanter und allgemeiner Name dieses Dings einnimmt. Die Definition ist ein Dienst, den die Sprechenden den Zuhörenden erweisen, und das Wortgeschenk, das diesen Dienst ausmacht, schafft einen Moment des Schenkens und der Verbundenheit, der für die Zuhörenden ein ganzes Leben lang von Bedeutung sein kann.
Wenn Konjunktionen wie „sowohl-als-auch“, „entweder-oder“ oder „nicht“ dem Verb „sein“ geschenkt werden, können sie es auf verschiedene Weisen modifizieren: sie können es zu einem Ersatzgeschenk für die Ersetzung von zwei oder mehr Objekten machen („eine Hauskatze ist sowohl eine Katze als auch ein Haustier“); oder von einem von zwei Objekten („eine Hauskatze ist entweder eine Kleinkatze oder eine Großkatze“); oder von etwas anderem als dem erwähnten Objekt („eine Hauskatze ist keine Großkatze“ bedeutet, dass der erste Begriff nichts mit dem kommunikativen Bedürfnis zu tun hat, welches der zweite Begriff befriedigt, und dass der erste den zweiten daher nicht ersetzen kann). Das syllogistische „Wenn-dann“ („wenn alle As Bs sind und alle Bs Cs, dann sind alle As Cs“) besagt, dass A, B und C Ersatzgeschenke für dasselbe Ding sind. Das Prinzip des Geschenkersatzes: das Ändern von Ebenen, funktioniert sowohl zwischen Sprache und Welt als auch innerhalb der Sprache selbst: in der Definition und auf einer Meta-Ebene des Verbs „sein“.
In der Beschreibung nimmt „sein“ eine andere Rolle ein als in der Definition. Im Satz: „Der Hund ist braun“ gebrauchen wir das „ist“ beispielsweise, um dem Substantiv „Hund“ das Attribut „braun“ zu schenken (bzw. zuzuordnen). Der Hund hat demnach die Eigenschaft (oder das „Geschenk“) des Braun-Seins (ob ihm dieses vom Universum oder von einer Malerin geschenkt wurde, spielt dabei keine Rolle – woher die Farbe kommt, ist hier irrelevant). Eine umfassende Diskussion aller Möglichkeiten, die Sprache im Sinne des Schenkprinzips zu begreifen, würde dieses Buch zu lang und zu akademisch werden lassen – wenn sie auch zweifelsohne faszinierend wäre. Ich möchte demnach nur einige dieser Möglichkeiten streifen, um danach von diesen ausgehend zu einer Untersuchung des Geldes als Tauschmittel zu gelangen.
Die Definition unterscheidet sich von diskursiven Sätzen in der Explizität, mit der sie sich auf den verbalen Ersetzungsprozess bezieht. Sie nimmt eine meta-linguistische Geschenkfunktion ein, die das Bedürfnis der Zuhörenden für ein Wort befriedigt, das sie nicht haben. Die schenkenden Aspekte der Definition werden jedoch seit Jahrhunderten von Philosophen und Linguisten verleugnet. Für diese drückt die Definition sterile „objektive“ Beziehungen zwischen Wörtern aus anstelle von Beziehungen zwischen Menschen. Diese objektiven Beziehungen zwischen Wörtern werden als abstrakte syntaktische Gesetze gedacht, die jenen abstrakten Gesetzen entsprechen, die unsere maskulisierte Gesellschaft regeln.
Wir können dem Schenkprinzip jedoch in der Sprache wieder Geltung verschaffen und erkennen, dass die Schenkbeziehungen zwischen Menschen sich in der Sprache fortsetzen und von der menschlichen Ebene auf die verbale übersetzt werden. Wenn uns die Misogynie die Augen verschließt, ist es uns freilich nicht möglich, überhaupt Schenkbeziehungen zwischen Menschen zu erkennen, schon gar nicht in der Sprache. Anstelle dessen meinen wir, abstrakte und willkürliche Gesetze ausmachen zu können, die mit jenen der Reglementierung und Maskulisierung des Patriarchats korrespondieren. Es stellt sich die Frage, ob unsere Gesetze einer Syntax folgen, die der Regulierung der Souveränität isolierter, verdinglichter (männlicher) Wörter dient, oder ob unsere Syntax unseren Regeln von Herrschaft, Befehl und Gehorsam folgt. In jedem Fall sieht es so, als würde das Verb „sein“ den Satz seines Schenkcharakters berauben, genauso wie die Maskulisierung die Gesellschaft ihres Schenkcharakters beraubt.
Ich denke, dass diese Missinterpretation des Verbs „sein“ darauf beruht, dass es mit der Definition verbunden ist (die ein ursprünglich harmloser Prozess ist), in welcher der Mechanismus des Ersetzens in einer (internen) Weise gebraucht wird, die sich von seinem Gebrauch in der Rede unterscheidet. In der Definition findet das Schenken auf einer meta-linguistischen Ebene im Ersetzen von Wörtern durch andere Wörter statt. Nachdem sich dieser Prozess vom Schenkprozess der Rede (in der Wörter Dinge ersetzen) unterscheidet, mag sein Schenkcharakter nicht offensichtlich sein und die übernehmende Funktion des Definiendums mag als Schuld vom Verb „sein“ erscheinen. Vor allem ist es jedoch die Rolle, die die Definition in der Maskulisierung spielt (wo die unterschiedlichen Ebenen der Ersetzung zum Spiegeleffekt beitragen), die sich negativ auf das Verb „sein“ auswirkt und ihm einen schlechten Ruf verleiht. Einige dem General Semantik gehorchende Menschen haben gemeint, dass wir die Verwendung des Verbs „sein“ überhaupt vermeiden sollten und sie haben es aus ihrem Vokabular gestrichen. Doch es ist nicht das Verb „sein“, das sich parasitär zur Menschheit verhält, sondern das Puer(Patri)archat. Zum Schenkprinzip zurückzukehren – in der Wirtschaft wie in der Sprache – wird uns (unter vielem anderen) erlauben, dem Verb „sein“ wieder zu seinem rechten Platz als Teil der Mutter Sprache zu verhelfen.
Am ehesten vielleicht das Verb „existieren“.
In der Definition trägt eine beständige Spannung (Polarität) zwischen dem, was gesagt wird, und dem, was nicht gesagt wird – bzw. zwischen dem, was als Äquivalent präsent ist, und dem, was ausgeschlossen ist – dazu bei, relevante Elemente von nicht relevanten zu unterscheiden. Wenn ich z.B. sage: „eine Hauskatze ist ein vierbeiniges Tier“, brauche ich nicht zu sagen: „eine Hauskatze ist kein zweibeiniges Tier“, oder: „zweibeinig ist nicht vierbeinig“, da das Attribut „vierbeinig“ das Attribut „zweibeinig“ bereits ausschließt. Diese Trennung von Elementen, die sich stufenweise in der Formation von Kategorien (und zu einem geringeren Grade in der Definition) vollziehen, ist schlicht Teil der Weise, auf die wir kommunikative Bedürfnisse befriedigen.
Metapher und Metonymie (Ersatz und Zusammenhang) sind zwei Pole sprachlicher Funktion, die auch in der Aphasie (im Verlust von Sprache) gefunden werden können: in einer „Wortfindungsstörung“ oder einer „Kombinationsstörung“. Siehe Roman Jakobson, On Language, Kapitel 7.
Wir sollten Objektivität als eine Verdinglichung oder Fetischisierung verstehen, die mit dem phallischen Eigentum und seinen Entsprechungen zu tun hat: von Spielzeugautos bis zu Spielzeugwaffen. Die männliche Identitätskonzeption des Buben und das Privateigentum bezeichnen kategorische Beziehungen zwischen Dingen, im Unterschied zu den ad hoc Identitäten, zu denen es im Schenkprinzip kommt. In diesem Sinne wird die maskulisierte Identität von einer Kategoriebeziehung konstituiert und nicht von Subjektivitäten, die sich in Prozessen von Schenken und Empfangen bilden. Wenn Dinge, denen ihr Schenkcharakter genommen wurde, als Geschenke „re-präsent-iert“ werden sollen, ist keine schenkende Verbindung zwischen verschiedenen Ebenen mehr wahrnehmbar. „Präsenz“ scheint dann nur noch an die Zeit zu erinnern, nicht mehr an das Geschenk. Allerdings kommt der zeitliche Aspekt der Präsenz womöglich von der Tatsache, dass die Befriedigung von Bedürfnissen auf das Hier und Jetzt konzentriert ist.
To Be or Not: An E-Prime Anthology, San Francisco: ISGS 1992.
Sein und Geld
Wir können die Geschichte des monetären Tausches mit jener der Definition vergleichen. Auch hier wird ein Ersatz für den Akt des Ersetzens selbst eingeführt: anstelle der Ersetzung eines Produktes durch ein anderes kommt es zu einer monetären Ersetzung. Diese Ersetzung kann stattfinden, auch wenn die Produkte partikulär sind (eine Person tauscht nur ein partikuläres Exemplar eines Produktes, nicht das Produkt in seiner Allgemeinheit). Das Geld schließt den Ersetzungsprozess dabei nicht ab. Wie das Verb „sein“ in der Definition, formt es im Tausch eine metonymische Reihe mit dem, das es ersetzt – aber es tut dies, indem es den Ersetzungsakt unterbricht, sich selbst als Vermittler installiert und das erste Produkt ablöst. Ist dies einmal geschehen, kann das Geld von der Achse der Metonymie auf jene der Metapher wechseln und das Produkt physisch ersetzen und getauscht werden.
Die Ersetzung eines Produktes durch das Geld antizipiert die Ersetzung eines anderen Produktes durch das Geld und eine Umkehrung der Rollen von Kaufenden und Verkaufenden. Nachdem Geld den Platz aller Produkte als deren allgemeines Äquivalent einnimmt, hat es einen Charakter von Allgemeinheit, den diese nicht haben. Jedes Mal, wenn es deren Platz einnimmt, ist es die Allgemeinheit des Geldes, die uns erlaubt, mit anderen in Verbindung zu treten. Und jedes Mal, wenn es getauscht wird, wird diese Verbindung wieder aufgelöst. Der Ersatz eines direkten Tauschakts durch einen monetären tut im ökonomischen Rahmen, was das Verb „sein“ in der Definition tut. Es schafft einen metonymischen Moment. Doch da sich die AkteurInnen (Definiens/Definiendum bzw. Verkaufende/Kaufende) in ihren Rollen abwechseln, blockt diese Symmetrie die metonymische Folge und hält sie davon ab, sich in Sätzen jenseits der Definition fortzusetzen.
Im Tauschverfahren wird gekauft, um zu verkaufen und um die Quantität des allgemeinen Äquivalents zu erhöhen. Die linguistische Achse der Metonymie wird reproduziert in der Form quantitativ wie qualitativ ähnlicher Einheiten („eins und eins und eins und ...“) und ein numerisches System entsteht, anhand dessen der Wert eines Produktes von dessen Kaufpreis bestimmt wird. Dies erlaubt das Akkumulieren von Geld und die Entwicklung des Kapitels.
Nachdem es den Charakter des materiellen Geschenks und des Kategoriebeispiels in die Institution des Privateigentums übersetzt hat, muss das Geld Produkte physisch ersetzen und an deren Stelle gegeben bzw. erhalten werden (Achse der Metapher). Wenn das Geld präsent ist, sind die Produkte es nicht – wenn diese präsent sind, ist es das Geld nicht. Wenn wir die Produkte anderer nicht mit eigenen Produkten ersetzen, sondern mit Geld, dann müssen wir dieses anstelle der Produkte mit uns herumtragen. Der Prozess der linguistischen Ersetzung erreicht somit seinen Abschluss: das Wort wird reinkarniert und Swifts Phantasie Wirklichkeit. (Auch wenn wir nicht wissen, dass es letztlich das Verb „sein“ ist, das in unseren Taschen klimpert.) Ich glaube, dass das Unbewusste neben den Wörtern, die wir wählen, auch unsere Symbole beeinflusst. In diesem Sinne scheint mir die verblüffende Ähnlichkeit des englischen is mit dem Dollarzeichen $ den identischen Charakter von „sein“ und Geld zu bestärken.
Geld ersetzt das Produkt der Verkaufenden und der monetäre Tausch ersetzt den Akt des Ersetzens zweier Produkte (der sich vollzieht, wenn die Verkaufenden selbst zu Kaufenden werden). Wenn die Situation eine von direktem Tausch (barter) gewesen wäre, dann wäre das Produkt unmittelbar von einem anderen ersetzt worden. So aber erhalten die Verkaufenden anstelle dessen das artifizielle Produkt Geld. Eine solche Ersetzung antizipiert freilich eine weitere Ersetzung, damit die Verkaufenden als Kaufende zu ihrem tatsächlichen (materiellen) Produkt kommen können, und so weiter. Der monetäre Tauschprozess nimmt also den Platz des direkten Tauschprozesses ein, der wiederum den Platz des Schenkens eingenommen hat. Der monetäre Tausch schafft dabei einen Bruch in der metonymischen Reihe des direkten Tausches: Geld, das für ein Produkt getauscht wurde, muss nicht unmittelbar wieder getauscht werden – es kann Tage oder Jahre lang aufbewahrt werden, bevor es wieder getauscht wird. Es konzentriert zahlreiche Aspekte des Tausches auf sich und schafft seinen eigenen sozialen Raum: den Markt. Der Tausch bemächtigt sich darin aller Produkte und der „materiellen Wörter“, die sie kontextunabhängig definieren (bzw. physisch dekontextualisieren). Dies geschieht auf eine Weise, die dem dekontextualisierenden Aspekt der Definition folgt.
Nachdem das Geld Wert bestimmt, funktioniert es auf der Achse der Metapher (des Ersatzes) in diesem Sinne auch als Wort. Es definiert, indem es die Frage „was ist es?“ mit einem Preis beantwortet. Der Markt mag als der soziale Rahmen gesehen werden, in dem Produkte (und ihre Preise) dekontextualisiert werden, damit wir sie definieren, evaluieren und tauschen können. Diese Koexistenz verschiedener Ebenen und die Bewegungen zwischen ihnen sowie der Gebrauch verbaler Mechanismen in nonverbalen Räumen erlauben die Einführung von Variablen, die es im Schenken oder im direkten Tausch nicht gibt.
In der Situation des direkten Tausches wird das Produkt, das eine Person hat, mit dem Produkt einer anderen Person verglichen. Beides sind individuelle Produkte und gehören zu einer Dyade. Sie ersetzen einander nur und es kann – auch wenn sie den gemeinsamen Charakter eines Ersatzproduktes haben – keine allgemeine Kategorie in Bezug auf sie geformt werden, da dazu eine Eines-Viele-Beziehung notwendig wäre. Sobald jedoch der monetäre Tausch den Platz des direkten Tausches einnimmt, kommt ein Kategorisierungsprozess in Gang, der alle individuellen Produkte zu allen anderen in Beziehung setzt und ihren allgemeinen Wert definiert.
Im vom Privateigentum definierten konkurristischen Überlebenskampf wollen die Tauschenden nur Produkte „gleichen Wertes“ tauschen. Es muss ihnen somit möglich sein, deren Preis zu kennen und zu wissen, was für einen monetären Wert sie haben, um zu wissen, was sie „sind“. Die linguistische Dialektik kommt dabei wieder zum Tragen: was sie (im Tausch: die Produkte – in der Sprache: die Wörter) für die Gesellschaft (die Allgemeinheit) sind, bestimmt auch, was sie für die Individuen sind (bzw. welchen Preis sie in dieser haben). Ein soziales Bedürfnis für diese Wertbestimmung (und für das Ersatzäquivalent, in dem es vorgenommen wird: das Geld) beginnt schließlich als kommunikatives Bedürfnis zu existieren – monetäre Wertbestimmung wird im Rahmen einer vom Privateigentum (und dessen Tausch) bestimmten Gesellschaft notwendig für menschliche Kommunikation und Interaktion.
Die Folge ist, dass es bald so zu sein scheint, dass wir das Geld um seiner selbst Willen benötigen, nicht um es für Produkte auszutauschen. Was ein linguistisches kommunikatives Bedürfnis war, ist ein materielles Bedürfnis auf einer ökonomischen Ebene geworden. Dies geschah, indem das Privateigentum die schenkende Gemeinschaft aufgelöst und uns – als EigentümerInnen von Produkten – voneinander isoliert hat. Unser Mangel an materieller Kommunikation schafft eine Situation, die mit der eines isolierten Bewusstseins ohne Sprache verglichen werden kann. Wir können nunmehr unser gemeinsames Bedürfnis nach Kommunikation und Interaktion nur noch im Rahmen der Logik des Privateigentums befriedigen. Das einzige Kommunikationsmittel, das uns dabei zur Verfügung steht, ist das, was das materielle Schenkprinzip ersetzt hat: das Geld. Der Tauschwert ist der Wert (die Relevanz) des Produktes im Rahmen einer manipulierten, vom Privateigentum bestimmten Form materieller Kommunikation: dem Tausch. Quantitativ gewichtet wird der Tauschwert durch das materielle Prototypäquivalent und das Ersatzgeschenk – $.
Der Satz, in der das Geld die Rolle des Verbs „sein“ einnimmt, komplettiert sich durch eine Wiederholung (zum Beispiel wenn ein T-Shirt mit $20 gleichgesetzt wird, die wiederum mit fünf Kilo Bohnen gleichgesetzt werden). So gesehen, scheint es tatsächlich so, als würden die Tauschenden schlicht gegenseitige Bedürfnisse befriedigen und anderen geben, was diese nicht haben, um von ihnen zu erhalten, was sie selbst brauchen. Das Geld wäre damit einfach ein Ersatzgeschenk, das von einer Person einer anderen gegeben wird, um das kommunikative Bedürfnis zu befriedigen, das jedes Mal auftritt, wenn eine Person entscheiden muss, was sie von einer anderen haben will. Doch handelt es sich hier um eine „objektive“ Verklärung. Denn wenn das Produkt einer Person nicht verkauft werden kann, fällt es außerhalb des Marktes (so als wäre es außerhalb der Grenzen einer Kategorie) und existiert nach der Definition des Tausches nicht mehr. Es kann weder von einem anderen Produkt noch vom Geldverb $ ersetzt werden. Das Gleiche gilt für die Arbeit einer Person: wenn diese keinen vom Tausch definierten Wert besitzt, ist die Entscheidung der Person, was sie im Tausch für sie haben will, bedeutungslos, da sie nichts dafür bekommen wird. Ihr Wunsch nach Arbeit bzw. die diesem zugrunde liegenden Bedürfnisse (die im Tausch nur über Geld – Lohnarbeit – zu befriedigen sind) korrespondieren mit keinem „effektiven Angebot“ und verlieren damit quasi ihre Existenzberechtigung (und die Notwendigkeit, befriedigt zu werden), da im Tausch Bedürfnisse nicht mehr einfach um ihrer selbst Willen befriedigt werden, sondern sich ihre Befriedigung „verdienen“ müssen. Dies ist die Konsequenz des Verlusts des Schenkprinzips bzw. der Ersetzung des Schenkens durch den Tausch.
Im direkten Tausch bleibt der Tausch eine besondere Dyade und steht in keinem Verhältnis zu einem allgemeinen Äquivalent. Eine direkte Tauschwirtschaft impliziert jedoch viele Momente, die Berechnungen von Äquivalenz verlangen – etwa in Bezug auf Zeit oder andere Standards. Es ist wichtig, direkten Tausch nicht mit Schenken zu verwechseln. Direkter Tausch ist immer noch Geben-um-zu-Erhalten, während Schenken direkt auf die Bedürfnisse anderer ausgerichtet ist. Die Logiken sind unterschiedlich. Die direkten Tauschwirtschaften und alternativen Währungsformen, mit denen gegenwärtig von verschiedenen kapitalismuskritischen Gruppen experimentiert wird, können zwar als Schritt hin zu einer Schenkökonomie gesehen werden, bleiben selbst jedoch dem Tauschprinzip verhaftet und reproduzieren dessen Fehler – an erster Stelle das Ersetzen des Schenkprinzips. Ich möchte wirklich betonen, dass direkter Tausch und Schenken nicht dasselbe sind. Das Geld abzuschaffen, ist so, wie das Wort „sein“ abzuschaffen: auf diese Weise kann das Problem, das von Maskulisierung und Tausch produziert wird, nicht gelöst werden. Geld ist tatsächlich ein Symbol in dem Sinne, dass jedes einzelne Exemplar einer Münze oder eines Geldscheines als vollkommen gleich angesehen werden kann – was dem Geld auch erlaubt, an vielen Orten gleichzeitig zu sein (so wie das Wort).
Sowohl der Markt als auch die Sprache untersuchen Dinge (bzw. Wörter) danach, ob sie „gleich“ sind bzw. „denselben“ Wert haben – im einen Fall handelt es sich um einen kulturell-linguistischen Wert, im anderen um einen ökonomischen. Die Bestimmung eines Preises für ein bestimmtes Produkt ist ein kollektiver Prozess, der der kollektiven Bestimmung eines Namens für ein bestimmtes Ding entspricht.
Das Sein und die abweichende Norm
Die ähnlichen Funktionen des Verbs „sein“, des Phallus und des Geldes suggerieren eine Verbindung zwischen den Bereichen der Sprache, der Sexualität und der Ökonomie. Diese Verbindung ist eine „genetische“, in dem Sinne, dass die Maskulisierung die Genese sowohl des Phallus als auch des Geldes als auch der phallischen Besetzung von „sein“ markiert. Wenn der Vater nicht den Platz der Mutter als Kategorieprototyp für den Buben eingenommen hätte, dann gäbe es keine Möglichkeit, eine Ersetzung zu ersetzen, weil es nie eine Ersetzung gegeben hätte. Die Maskulisierung würde nicht existieren, um den Tausch auf die Gesellschaft als deren ökonomische Form zu projizieren, und in Folge gäbe es weder ein kommunikatives Bedürfnis nach Geld noch hätte dieses die Funktion des Wortes. Und das Verb „sein“ wäre nie vergegenständlicht worden, da es nie vom Phallus besetzt worden wäre. Die Verbindungen zwischen „sein“, Phallus und Geld existieren, doch sie sind artifiziell, da die Maskulisierung selbst ein artifizieller, unnotwendiger und schädlicher Aspekt der Sozialisierung der Buben ist. Der Phallus, das Geld und das Verb „sein“ bestätigen gemeinsam diese unglückliche Entwicklung – oder um es auf eine andere Weise zu sagen: sie sind alle Kennzeichen der „abweichenden Norm“ (Maskulisierung, Tausch).
Vielleicht ist das wirkliche Problem die frühzeitige phallische Genitalisierung, die die orale Phase des Buben ablöst. Der Penis bzw. Phallus nimmt den Platz der Brust als besetztes Objekt ein. Das Kennzeichen des Buben schenkt ihm das Privileg der überlegenen Kategorie auf manipulierten Umwegen (nach dem Motto: „x = y“), während ihm die Brust der Mutter direkt schenkte. Wenn wir bedenken, dass die Erotisierung der Brust mit der Entfremdung des Buben von seiner Mutter und dem Eintritt in die privilegierte Kategorie derjenigen, die nicht versorgen, sondern versorgt werden, einhergeht, so erscheint es nicht nur so, als hätte der Bube die Brust aufgegeben und einen Penis erhalten, sondern der Schenkprozess scheint mit den innerlichen Empfindungen des Essens und der Defäkation (also der oralen Phase) verbunden, während der Kategoriewechsel mit der Genitalisierung und dem Penis (einem äußerlichen Teil des Körpers) verbunden scheint. Die Geschlechtsidentität des Buben hängt in der Folge von einer polaren Gleichung mit dem (größeren) Vater ab, der als Prototyp der Genitalisierung fungiert. So ersetzt die Identifikation des Buben mit einem polarisierten Äquivalent das Schenken, den Rollenwechsel und die spielerische Konstruktion von Identität in Bezug auf seine Mutter. Gleichzeitig setzen die Mechanismen der Quantifizierung ein, da es die Quantität (die Größe) des Phallus ist, die dem Vater, und nicht dem Buben, die polarisierte Position des Einen zuschreibt. Die phallische Quantität wird zur wichtigsten „Qualität“.
Quantitative materielle Kommunikation
Es ist nicht ein qualitatives Wort bzw. eine qualitative Evaluation, die im Tausch gegeben werden, sondern ein quantitatives Wort bzw. eine quantitative Evaluation. Die Rolle, die das Wort auf der verbalen Ebene spielt, wird also auf der materiellen Ebene vom Geld eingenommen und Preise drücken materielle kommunikative Bedürfnisse in monetären Quantitäten aus. Das kommunikative Bedürfnis, das von Preisen ausgedrückt wird, ist dabei das Bedürfnis nach einem Kommunikationsmittel, das die Verkaufenden nicht haben. Dieses Kommunikationsmittel ist das Geld, das nunmehr die Rolle des Wortes als Geschenk übernimmt. Doch ist der Tausch nicht die Sprache: die Tauschenden (die „Kommunizierenden“ des Tausches) haben sich, um an Geld zu kommen, die Produkte, die von Geld repräsentiert werden, erst zu beschaffen, um sie dann für Geld tauschen zu können. Das Geld ist wie die männliche Identität ein verkörpertes Wort, das im Zuge seiner Transformation auf die materielle Ebene verzerrt wurde: der ursprüngliche Gebrauch eines Wortes liegt letztlich nur darin, anderen geben zu können – das Geld jedoch kann behalten und angehäuft werden.
Da das Geld der allgemeine Ersatz für den Akt des Ersetzens ist, beeinflusst es jeden Teil dieses Aktes (bzw. des Tausches), indem es ihn zu allen anderen in Beziehung setzt. Geld ist das Mittel, in dem die Werte der Produkte in Relation zu anderen Produkten und zu uns quantitativ ausdrückbar werden. Als solches funktioniert es tatsächlich wie Sprache, in der die Wörter das Mittel sind, die qualitativen Werte aller Teile unserer Welt auszudrücken und zueinander und zu uns selbst in Beziehung zu setzen. Das Geld ist eine (materielle) Sprache, die aus einem Wort besteht. Diejenigen, die dieses Wort nicht haben, können demzufolge nicht „sprechen“; sie gehören nicht zur „Spezies“, zur Kategorie der haves.
Im Rahmen dieser Theorie repräsentiert der Phallus die Ersetzung der Mutter mit dem Vater. Damit ist seine Funktion der des Verbs „sein“ ähnlich, mit dem allgemeinen symbolischen Charakter, von dem Lacan glaubte, dass er normal war. Siehe zum Phallus und dem Geld als dem allgemeinen Äquivalent: Jean Joseph Goux, Symbolic Economies: After Marx and Freud. Ich möchte Goux’ Buch wirklich empfehlen, was einen mehr psychoanalytischen und historischen Zugang zu vielen der hier besprochenen Fragen anlangt, zumindest zu jenen, die vom Tausch handeln. Jerry Fodor meint, dass Wygotskis Vorstellung der Kategorie zu philosophisch sei. Fodor kritisiert Wygotskis Glauben, dass die Kategorie die Abstraktion einer „sensorischen Beständigkeit“ verlangt. Wir haben jedoch gesehen, dass das männliche Kennzeichen durchaus als sensorische Beständigkeit der privilegierten Kategorie funktioniert und von unseren pädagogischen Praktiken abstrahiert wird. Geld ist wiederum die sensorische Beständigkeit für die privilegierte Kategorie derjenigen, die es geschafft haben, ökonomische Eine zu werden. Siehe J. A. Fodor, „Some Reflections on L.S. Vigotsky’s Thought and Language“.
Wie Jerry Martien in Shell Game gezeigt hat, war das Wampum eine materielle Sprache, die aus vielen Wörtern bestand. Es überrascht jedoch nicht, dass EuropäerInnen das Wampum als Geld (fehl)interpretiert haben, da ihre eigene materielle Sprache nur aus diesem einen Wort bestand.
Stellen wir uns einen prähistorischen Moment vor, in dem es zum Kriterium für die Aufnahme in die Gemeinschaft wurde, sprechen zu können, und in dem die, die das nicht konnten, ausgeschlossen und zum Sterben verurteilt wurden – gewissermaßen als Konsequenz einer grausamen „evolutionären“ Logik. Es scheint so, als würden wir heute diesen prähistorischen Moment wiederholen. Die, die „das Wort“ haben sind privilegiert, und die, die es nicht haben, scheinen Ausschluss und den Tod zu verdienen. Von denen, die von den alten Griechen als „Barbaren“ bezeichnet wurden, weil sie nicht Griechisch sprachen, zu jenen, deren Sprache heute eine andere als Standardenglisch ist, bleiben diejenigen, die keine „EigentümerInnen“ der „Prototypsprache“ sind, von der privilegierten Kategorie ausgeschlossen.
„Gracias a la Vida“
Wenn wir das Schenken ernst nehmen, können wir mehr über unsere Beziehung zur Wirklichkeit als Gegebenem verstehen. Ich glaube, dass es ein bestimmtes „Saatkorn“ unserer Erfahrung gibt, das von der Fähigkeit kommt, zu schenken und zu empfangen. Wir haben uns so entwickelt, dass wir Dinge auf dieser Ebene wahrnehmen. Zum Beispiel nehmen wir Äpfel nicht als eine Sammlung von Atomen wahr, sondern als runde, rote Objekte wahr, die wir von einem Baum pflücken und anderen zu essen geben können. Wir tun dies deshalb, da wir die Äpfel nicht als Atome schenken und empfangen können, sondern nur als runde, rote, schmackhafte Objekte. Es ist wohl vorstellbar, dass wir uns auch Atome zukommen lassen (durch Osmose etwa), aber es wäre sehr schwierig, gegenseitige Fürsorge auf Atomen aufzubauen. Wie würden wir etwa Atome an einen anderen Ort transportieren, sie lagern, bearbeiten, einer anderen Person schenken, usw.? Auf der Ebene der Wahrnehmung, sowie der körperlichen Integrität und der körperlichen Fähigkeiten, die wir uns im Laufe unserer Entwicklung angeeignet haben, können wir hingegen relativ leicht gegenseitige Fürsorge aufbauen. Wir brauchen dazu nur Dinge einer bestimmten Art und Größe. Mithilfe der Sprache lässt sich unser Saatkorn des Schenkens und Empfangens weiter ausdehnen. Die Sprache gibt ihm zusätzliche Dimensionen kollektiver Bedeutung, Begrifflichkeit, Allgemeinheit, Vorstellung, Raum, Zeit.
Es könnte eine Theorie des Wissens entwickelt werden, die Wissen unmittelbar mit Dankbarkeit verbunden sieht. Dankbarkeit, die von den Individuen als Empfangende der Geschenke des Lebens, der Natur, der Kultur und anderer Individuen erfahren wird. Dankbarkeit, mit der wir auf unsere unaufhörliche Lebenserfahrung antworten und aufgrund derer wir uns sowohl der Geschenke als auch ihrer Quellen erinnern: der Nahrung, die wir zu uns nehmen, der Wörter, die wir lernen, der Menschen, die uns schenken, und der Kulturen, derer diese Menschen entstammen.
Menschen, denen die guten Dinge des Lebens aufgrund von Armut, Grausamkeit oder Krankheit vorenthalten werden, wird damit auch ihr Menschenrecht auf Wissen vorenthalten, ebenso wie jenes, die Geschenke des Lebens mit Dankbarkeit erfahren zu dürfen. (Das Lied „Gracias a la Vida“ von Violeta Parra drückt die Dankbarkeit aus, die alle von uns, reich oder arm, für die einfachsten Geschenke des Lebens empfinden können.) Leider haben wir die Dankbarkeit von der Mutter auf den Vater übertragen und bauen auf diese Übertragung und den Tausch. Wir sind des Vaters und des Tausches bewusster als des Schenkens, dem gegenüber wir gelernt haben, undankbar zu sein. Wir sehen den Tausch und das Ego als überlebensnotwendig und sind dankbar für eine Chance, am Markt teilhaben zu können.
Kreative Empfänglichkeit und das schenkende Saatkorn
Wenn wir Empfänglichkeit als passiv auffassen (und Passivität als empfänglich), dann werden wir niemals unsere Wechselbeziehungen mit unserer Umwelt, unserer Sprache und unseren Mitmenschen verstehen. Dinge haben Qualitäten, die für uns wertvoll sind, weil wir auf sie antworten bzw. sie empfangen können. (Es ist nicht so, dass sie nur existieren, weil wir sie empfangen können, doch ihre Nützlichkeit kommt davon, dass wir sie für unsere Bedürfnisse verwenden können.) Ein Apfel scheint uns rot, rund und schmackhaft zu sein, weil wir physisch, psychisch und sozial die Fähigkeit entwickelt haben, ihn kreativ zu empfangen. Gleichermaßen haben wir physisch, psychisch und sozial die Fähigkeit entwickelt, auch das Wort „Apfel“ kreativ zu empfangen, da es Äpfel in der Kommunikation als Wortgeschenk ersetzt (obwohl es selbst weder rot noch rund noch schmackhaft ist).
Wenn wir dazu fähig wären, Äpfel als Sammlungen von Atomen zu schenken und zu empfangen, hätten wir vielleicht auch die Fähigkeit entwickelt, sie als solche wahrzunehmen. Aber wir haben keine Fähigkeit, mit ihnen als Sammlung von Atomen umzugehen oder sie als solche zu schenken. Anstelle dessen haben wir in Verbindung mit unserer Sprache die Fähigkeit entwickelt, sie als rund, rot und schmackhaft wahrzunehmen. Vielleicht können wir insgesamt sagen, dass die Weisen sensueller Wahrnehmung, die wir entwickelt haben, den Komplexitätsebenen unserer Aktivitäten entsprechen. In diesem Sinne nehmen wir auch Laute als Laute wahr und nicht als Luftvibrationen.
Phänomene, die auf einem sehr feinen Saatkorn beruhen, z.B. eine Sammlung von Atomen oder die Aktivitäten von Enzymen, sind für uns genauso schwierig zugänglich wie jene, die auf einem sehr groben Samen beruhen, z.B. die Migration von Menschen. Wir haben weder für erstere noch letztere die Mittel, sie zu schenken bzw. kreativ zu empfangen. Sowohl Messinstrumente für Feinheiten (z.B. Mikroskope) als auch Untersuchungsmethoden für Grobes (z.B. soziologische Statistiken) wurden entwickelt, um Phänomene auf Ebenen zu studieren, die uns nicht unmittelbar zugänglich sind. Es geht dabei immer darum, Bedürfnisse zu befriedigen, die selbst auf einer uns unmittelbar zugänglichen Ebene liegen. Heute bestehen diese Bedürfnisse gewöhnlich darin, Profit abzuschöpfen. Das Studium der Enzyme wird somit zur Produktion von Medikamenten verwendet und die soziologischen Studien zur Ausbeutung von MigrantInnen als Billigarbeitskräften. Wenn wir keine wissenschaftlichen Informationen haben, müssen wir auf die Einflüsse feinerer oder gröberer Realitäten passiv reagieren. Somit nehmen wir Essen nicht länger als Geschenk wahr, wenn es einmal in unseren Magen eingetreten ist, sondern werden passiv und lassen dem automatischen Prozess der Enzyme seinen Lauf.
Unsere Sprache und die Welt, die wir wahrnehmen, sind abgestimmt auf eine Ebene, auf der wir ohne spezielle Instrumente wie Mikroskope oder Teleskope und ohne Untersuchungen oder Statistiken einander schenken und voneinander empfangen können. Wenn wir diese Ebene unabhängig von der Sprache betrachten, dann ist es die Ebene der sensuellen Daten, die Ebene der Welt als „Gegebenes“. Wir können sie aber nur so betrachten, wenn wir gleichzeitig Sprache haben. Wenn die Sprache ursprünglich von schenkender materieller Kommunikation kommt, dann ist ihr Saatkorn mittlerweile um vieles feiner geworden als jenes der materiellen Geschenke, die von Menschen einander gegeben werden. Wir können über die Farbe Rot miteinander kommunizieren und darüber, dass sie sich auf der Brust des Rotkehlchens befindet, das im Baum singt – aber wir können weder die Farbe selbst noch ihre Verortung schenken.
Viel wissenschaftliche und philosophische Anstrengung geht in die Untersuchung unserer sensuellen Daten und dessen, was erfahrungsmäßig gegeben ist. Diese Untersuchung findet jedoch statt, nachdem wir unsere kommunikativen Weisen des Schenkens und Empfangens bereits als Kleinkinder entwickelt haben, mit anderen Worten: nachdem wir uns bereits Sprache angeeignet haben. Sensuelle Daten und Erfahrungen werden als Gegebenes untersuchbar, nachdem die Fürsorge das grobkörnige Element des Schenkens und Empfangens bereits als wichtig etabliert und die Sprache den Untersuchenden das feinkörnige Element der Analyse geschenkt hat, das in einem gemeinschaftlichen Lebensprozess entwickelt wurde.
Die Ausdehnung der Zahl der Ersatzwortgeschenke, die uns helfen sollen, die vielfältigen Aspekte unserer Erfahrung abzudecken, die nicht direkt zugänglich sind, schafft die kollektive Feinkörnigkeit, die „unschenkbare Geschenke“ als „feinkörnige Gegebenheiten“ verstehbar werden lässt. So können wir die Farbe Rot, den momentanen Ort des Rotkehlchens, die detaillierten geologischen, botanischen, biologischen oder auch kulturellen Phänomene dieser Welt als „gegeben“ begreifen, da wir über sie kommunizieren und unsere gegenseitigen kommunikativen Bedürfnisse in Bezug auf sie befriedigen können. Mit anderen Worten: Wir können mithilfe der Sprache menschliche Beziehungen in Bezug auf diese Phänomene schaffen, obwohl wir sie nicht materiell schenken können.
Es gibt verschiedene Gründe, warum es nicht zu materiellem Schenken kommen kann. Ein Berg kann beispielsweise nicht geschenkt werden, weil er zu groß ist. Die Farbe Rot kann nicht geschenkt werden, weil sie nicht unabhängig von anderen Objekten existiert: wir können einen roten Ball schenken – aber nicht die Farbe Rot ohne den Ball (genauso wenig wie wir den Ball ohne irgendeine Farbe schenken könnten). Darüber hinaus ist die Wahrnehmung der Farbe Rot oft subjektiv (etwa in Form eines Nachbilds). Schließlich können Momente oder Ereignisse nicht geschenkt werden, da sie vergänglich und flüchtig sind. Beispielsweise kann der Moment eines im Baum singenden Vogels nicht geschenkt werden, da sich seine Komponenten leicht ändern können: der Vogel kann jederzeit aufhören zu singen, wegfliegen und einen neuen (oder viele neue) Moment(e) schaffen.
Wir können Momente und Ereignisse als Gegebenes und als Geschenk weitergeben, wenn wir ihre konstanten und reproduzierbaren Teile (den Vogel, den Gesang, den Baum) auf die Wörter beziehen, die ihnen in unserer Gesellschaft gewöhnlich als Ersatzgeschenke gegeben werden. Wenn wir diese kombinieren und ordnen (zusammen mit einigen Bestimmungswörtern oder „Kennzeichen“ wie „der/die/das“ oder „in“ oder „-end“), bringen wir sie dazu, einander zu schenken und voneinander beschenkt zu werden, indem wir kontingente Ersatzgeschenke in Form von Sätzen bilden. Diese können wir dann anderen Personen schenken und somit wird mit ihrer Hilfe materiell Unschenkbares schenkbar. So wird Gemeinschaft geformt. Es sind die Geschenke, die wir einander geben, die es uns ermöglichen, unsere sich ständig ändernden Erfahrungen als einen kollektiven Grund zu begreifen, der uns allen gemeinsam geschenkt wurde.
Wenn wir einmal gelernt haben, zu kommunizieren und Sprache zu gebrauchen, ist es nicht nötig, den beschriebenen Prozess ständig zu wiederholen. Wir können die Sprache dann oft beiseite lassen und sensuelle Daten einfach als gegeben begreifen. Doch heißt das nicht, dass wir das tun könnten, wenn wir uns nie Sprache angeeignet hätten. Der Akt, Sprache zu vermeiden, setzt Sprache voraus. Die Welt, die wir erfahren, ist ein Geschenk und ein Gegebenes, da wir, dank unserer Sprachfähigkeit, ihre Teile kreativ empfangen und schenken können. (Die meisten Dinge wurden wahrscheinlich nicht als Geschenke gegeben, aber in der Anwendung unserer Schenkstruktur können wir sie zu solchen machen.)
So wie das Empfangen kann auch das Ausweichen kreativ sein und anderen Wert zuschreiben. Dinge weichen Wörtern als Geschenken aus, weil wir sie dazu zwingen , indem wir sie ersetzen. Aber wir zwingen auch Wörter dazu, das zu tun, was wir wollen. Das Ausweichen schreibt anderen auf implizite Weise Wert zu, auf dieselbe Weise, auf die das Schenken den Wert anderer impliziert. Dem Wert, der Wörtern von Dingen gegeben wird, die ihnen erlauben, ihre verbalen Ersatzgeschenke zu sein, wird entsprochen von dem Wert, den Menschen Wörtern geben als einem Mittel, die kommunikativen Bedürfnisse anderer zu befriedigen. Wörtern wird damit von zumindest zwei Richtungen Wert zugeschrieben (zusätzlich zu ihrem Positionswert in der langue). Im gemeinsamen momentanen Ausweichen erscheinen die Dinge, die von den in einem Satz kombinierten Wörtern ersetzt werden, von besonderer Wichtigkeit und wir lassen ihnen unsere Aufmerksamkeit zukommen, während wir ihr Umfeld vernachlässigen.
Die verbale Vermittlung einer Wahrnehmung oder einer Erfahrung konstituiert ein sekundäres Geschenk, das uns gemeinsamen Zugang zur Wahrnehmung oder Erfahrung als Wert bzw. als kommunikatives oder materielles bedürfnisbefriedigendes Gut verschafft. Wir können uns auf verschiedene Weisen zu diesem Gut verhalten, wir können es einander schenken, es alleine konsumieren, es herumreichen, es mit anderen Gütern kombinieren, es auseinander nehmen, es aufbewahren, usw. Wir können es auch einfach dazu verwenden, kommunikative Bedürfnisse zu befriedigen und uns in diesem Sinne alle von ihm beschenken lassen – von Äpfeln zum Beispiel. Die Sprache hilft uns, über Äpfel nachdenken zu können, auch wenn keine Äpfel präsent sind – ja wir können das schlussendlich auch tun, ohne sie direkt auf Wörter zu beziehen. Unser Denken bleibt dabei immer auf Gemeinschaft ausgerichtet , weil es immer kommunikative Bedürfnisse gibt und den Bedarf nach Wortgeschenken. Dieser Bedarf kann nur kollektiv gedeckt werden.
Der Wert, der auf der Ebene des Sprachvorrats (der langue) Wörtern von Dingen und Dingen von Wörtern geschenkt wird, ist grobkörniger als der Wert, der von Sätzen geschenkt wird. Wörter wie Dinge sind allgemeine kulturelle Geschenke, die sowohl vom Kollektiv als auch von den Individuen kreativ empfangen werden (die Vielen sind mehr als eine bloße Sammlung von Einen). Mit Ausnahme der speziellen Fälle des Benennens, Definierens und Sprachlehrens schafft der Gebrauch von in Sätzen kombinierten Wörtern Geschenke von Individuen, die von anderen kreativ empfangen werden. Damit befriedigen Sätze kommunikative Bedürfnisse auf feinkörnigere Weise als einzelne Wörter. Das gleiche gilt für die Wertzuschreibung.
Es finden hier zwei unterschiedliche Prozesse statt: Zum einen wird das meta-linguistische Geschenk eines Wortes durch Benennen und Definieren gegeben (darauf bauen Maskulisierung und Tausch auf) – zum anderen nutzt die Sprache Schenkprozesse, um ständige Kommunikation, sowie die Entwicklung des sozialen Subjekts und Objekts, sowie ihrer Gemeinschaft, ihrer Welt und ihrer Weltanschauung, zu ermöglichen. Die Existenz unterschiedlicher Ebenen erlaubt individuelles Schenken und Empfangen auf der Basis sozialen Schenkens und Empfangens – ein Wechselspiel zweier unterschiedlicher Saatkörner.
Dinge, die wichtig oder wertvoll sind, verlangen unsere kreativ-empfängliche Aufmerksamkeit. Wir schätzen einerseits den Wert, den sie bereits haben, und schreiben ihnen andererseits weiteren Wert zu. Wertschätzung und Wertzuschreibung sind dem kreativen Schenken und Empfangen ähnlich. Dankbarkeit ist ein Aspekt von beiden. Wir verwenden Dinge, um Bedürfnisse zu befriedigen, und schreiben anderen (oder uns selbst) Wert zu, indem wir sie befriedigen.
Die unzähligen Werte, die die Welt für die menschliche Gemeinschaft hat, werden in der Sprache reflektiert. Auf ähnliche Weise wird der Tauschwert von Gütern im Geld reflektiert. Wenn unsere Bedürfnisse von anderen befriedigt werden und uns dadurch Wert geschenkt wird, scheint es angemessen, uns sowohl dem gegenüber, das uns geschenkt wurde, als auch denen gegenüber, die es uns geschenkt haben, dankbar zu zeigen. Wir können jedoch gleichzeitig die eigentlich Quelle unserer Geschenke ignorieren und uns selbst als den Grund unseres Wohlergehens sehen. In jedem Fall können wir verbale (und andere auf Zeichen beruhende) Kommunikation dazu verwenden, Ansichten zu teilen und bestimmten Dingen gemeinsamen Wert bzw. Aufmerksamkeit zu schenken. Das bedeutet, dass wir sie aus unseren ständigen Erfahrungen als für uns relevante Erfahrungen ausgewählt haben und sie einander schenken, indem wir die Wortersatzgeschenke verwenden, die den Platz dieser materiellen (oder auch immateriellen) Geschenke (dieses Gegebenen) einnehmen.
Was wir Wert schenken wird zum Zentrum unserer Aufmerksamkeit und kreativen Empfänglichkeit. Was wir nicht Wert schenken, bleibt außerhalb unserer Aufmerksamkeit. Unsere Motivation, einer Sache Wert zu schenken, hängt von unseren Bedürfnissen ab und von einer Synthese früherer Werterfahrungen, Wertzuschreibungen und Wertanerkennungen. Die kollektiven Mittel, Wert in Form des kollektiven Geschenks, das ein Wort darstellt, zuzuschreiben, sind uns jederzeit zugänglich. Wir können sie verwenden, wann auch immer wir ein Bedürfnis nach ihnen haben. Dieses Bedürfnis ist an sich zwischenmenschlich, doch können wir Wörter auch dazu verwenden, unsere eigenen kommunikativen Bedürfnisse zu befriedigen – etwa wenn wir nachdenken oder Wörter auf verschiedene Teile unserer Erfahrung beziehen, um unsere Aufmerksamkeit auf diese zu richten.
Macht es einen Unterschied, wenn dies nur eine Projektion ist, solange den Wörtern Wert geschenkt wird? Im Patriarchat glauben wir, dass Frauen passiv sind, indem sie Männern ausweichen – doch sie schenken Männern dabei immer noch Wert. Die Arten des Ausweichens, die von Äpfeln, Bergen, einem in einem Baum singenden Vogel oder einem Mädchen, das einen Ball wirft, vollzogen werden, sind ähnlich genug, um den Wortgeschenken Wert zu verleihen, die ihren Platz einnehmen, selbst wenn sich diese Arten des Ausweichens auf ausgesprochen unterschiedliche Teile der Welt beziehen. Abstrakte Ideen (z.B. Gerechtigkeit) oder Fantasiefiguren (z.B. Einhörner) leisten noch weniger Widerstand dagegen, dass ihr Platz eingenommen wird.
Während ich die philosophischen Überlegungen zur fürsorglichen Arbeit der Frauen studierte, wurde mir endlich bewusst, was für mich in Marx’ Aussage über Sprache als praktisches Bewusstsein, das für andere und damit erst für mich selbst existiert, am Interessantesten war: nämlich dass das praktische Bewusstsein eigentlich die Fürsorge ist und die Sprache einer ihrer allgemeinen Aspekte. In Bezug auf die Fürsorge, siehe: Sara Ruddick, Maternal Thinking. Für die Diskussion eines spezifischer ökonomischen Kontexts: Nancy Folbre, Who Pays for the Kids?
Wert, ein Meta-Geschenk
Wert kann als eine Art Meta-Geschenk definiert werden, ein Schenken von Aufmerksamkeit an etwas. Dadurch werden weitere Geschenke veranlasst bzw. beeinflusst. Wir wählen etwas aus, dem kreativ-empfängliche Aufmerksamkeit zukommt, und schreiben dem Objekt unserer Aufmerksamkeit oft die Qualität dessen zu, wichtig für andere und daher auch wichtig für uns selbst zu sein. Nachdem das Schenken unsichtbar und wertlos gemacht wurde, denken wir meist nicht mehr daran, Wert mit dem Prozess des Schenkens zu verbinden, und das Schenken ist mysteriös geworden. Der Tauschwert hat die Kategorie des Werts übernommen und fungiert als sein Prototyp. Das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein löst sich im Tausch nicht völlig auf, aber es wird versteckt und den Absichten des Egos unterworfen. Das Schenken wird auf diese Weise vom Tausch vereinnahmt und dazu gebracht, sich selbst zu widersprechen. Dieser logische Twostepp verlangt von uns, die Befriedigung der Bedürfnisse anderer mit unseren eigenen abzuwägen und dann beide mit der Norm zu vergleichen. Alle Bedürfnisse werden abhängig von diesem widersprüchlichen Prozess ihrer Befriedigung.
Der Tausch ist zu einer omnipräsenten Tatsache des Lebens geworden und wir sehen ihn als Voraussetzung für das Überleben aller und schreiben ihm entsprechenden Wert zu. Indem wir dies tun, verstecken und diskreditieren wir das Schenken und verleugnen den Aspekt des Werts, der auf Andere ausgerichtet ist und auf dem Schenkprinzip basiert. Wenn dieser Aspekt unsichtbar gemacht wird, kann Wert nicht richtig verstanden werden, und die Verbindungen zwischen dem Tauschwert und anderen Wertformen werden obskur. Der Wert wird beherrscht, dadurch dass er geteilt wird. Um das Rätsel des Werts zu lösen, müssen wir dem Schenken Wert verleihen und das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein restaurieren.
Im Grunde ist Wert ein Hilfsmittel, um Geschenke zu verteilen. Er ist ein Geschenk von Energie und Aufmerksamkeit an andere Geschenke, das uns hilft, diejenigen, die wir für andere wir für uns selbst am wichtigsten erachten, auszuwählen. Indem wir den Tauschwert überbetonen, manipulieren wir den Wert als Hilfe der kollektiven Verteilung von Geschenken. Wir führen ihn weg vom Schenken und von den Bedürfnissen, um seine Aufmerksamkeit auf eine limitierte Zahl von Dingen zu richten, die ausschließlich für Tausch und Markt wertvoll sind. Egoismus (bzw. der Wert und die Aufmerksamkeit, die wir ihm zukommen lassen) kann als notwendige Konsequenz dieser Entwicklung gesehen werden. Gleichzeitig wird diese Manipulation als „natürlich“ präsentiert: Tausch und Markt seien demnach „natürliche“ Konsequenzen menschlichen Egoismus und menschlicher Gier. Diese Ansicht und die Werte (die Form der Geschenkverteilung), die von ihr gefördert werden, spielen eine wesentliche Rolle für die Aufrechterhaltung des Monopols des Tauschprozesses.
Wertformen
Wert wird sowohl zugeschrieben als auch anerkannt. Er wird Menschen, Dingen und Wörtern geschenkt und von diesen empfangen. Dies mag einen individuellen Aspekt beinhalten, in dem Sinne, dass wir etwas Wert schenken, indem wir es auswählen und uns darauf konzentrieren. Wir wenden uns dem Ausgewählten mit unserer kreativen Empfänglichkeit zu und schätzen seinen Wert. Dabei kann es passieren, dass wir unsere Rolle im Wertschätzungsprozess vergessen.
Etwas aus einer Reihe möglicher Dinge auszuwählen, unsere Aufmerksamkeit darauf zu richten, es in Bezug zur Befriedigung von Bedürfnissen zu bringen, es anderen für deren Bedürfnisbefriedigung zu schenken, usw., sind alles Prozesse, in denen wir Wert zuschreiben und diesen Wert bestätigen. Dies kann auch indirekt geschehen, indem wir anderen Dinge schenken, die ihnen helfen können, ihre Bedürfnisse selbst zu befriedigen. Einen Ersatz für ein Geschenk zu geben und uns in diesem Sinne mit anderen in Beziehung zu setzen, schenkt selbst Wert und bestätigt diesen Wert über das, was wir geschenkt, und über die Beziehung, die wir hergestellt haben. (Wir können anderen auch direkt Wert zuschreiben, einfach indem wir ihnen unsere Aufmerksamkeit schenken.)
Es gibt vier Hauptformen der Wertzuschreibung, Wertbestätigung und Wertanerkennung: Fürsorge, Sprache, Maskulisierung und Tausch. Ich glaube, dass zwei von diesen die Norm sind (Fürsorge und Sprache) und zwei die Abweichung (Maskulisierung und Tausch). Wenn wir die Norm betrachten, verstehen wir die Abweichung besser. Wenn wir die Abweichung und ihre Konsequenzen betrachten, erlaubt uns das, die Norm besser zu verstehen.
Fürsorge und Wertzuschreibung
Glücklich zu sein – und nicht alleine das Streben danach – ist ein Recht aller. Doch es ist nicht nur ein Recht. Es ist eine epistemologische Notwendigkeit, wenn Dankbarkeit als grundlegende Komponente von Wissen gesehen wird. Etwas zu „begreifen“ wird gewöhnlich mit Verstehen assoziiert und als für Wissen notwendig erachtet, aber es ist nur ein kleiner, spezifischer Teil des Empfangens, der notwendig wird aufgrund des Mangels. Indem Menschen Reichtum vorenthalten wird, und damit die Möglichkeit zu schenken und zu empfangen, wird ihnen ihre Menschlichkeit vorenthalten. Homo donans (und recipiens) gehen homo sapiens voraus. Dies deshalb, da das, was wir ursprünglich kennen, Geschenke sind, und unser Wissen die dankbare Antwort auf diese ist – egal ob es sich um Milch von der Brust unserer Mutter handelt, um empirisch Gegebenes, um Wörter oder Sätze, um Konversationsthemen, um Güte, um Babys, um Unwetter, um neue Autos, Kunstwerke oder Apfelkuchen. (Wir sind auch für Geschenke mit negativem Inhalt dankbar, da das mit ihnen vermittelte Wissen uns dienlich ist, uns in der Welt zurechtzufinden.) Wenn jemand unsere Bedürfnisse befriedigt, sind wir für den Wert, den sie für uns haben, dankbar und verleihen ihnen gleichzeitig selbst Wert. Teil unserer Dankbarkeit ist es, denjenigen Fürsorge zukommen zu lassen, von denen wir Fürsorge erfahren haben. Dies geschieht nicht im Sinne eines Tausches, sondern in dem Sinne, dass wir diejenigen, die wir als Fürsorgende erlebt haben, als Beispiel für uns selbst anerkennen.
Fürsorge verschafft denen, die versorgt werden, Wert als Implikation des Akts der Fürsorge selbst. Die Schenkenden selbst verschwinden dabei oft, was uns dazu führen kann anzunehmen, dass der Wert oder die Wichtigkeit der Beschenkten der Grund für das Geschenk sind. Eine Mutter glaubt z.B. ihr Baby zu versorgen, weil das Baby wertvoll ist, nicht weil sie selbst wertvoll ist. Wenn sie sich selbst jedoch keinen Wert zuschreibt und sich selbst nicht auch versorgen würde, würde das Baby sterben. Eigene Wertzuschreibung ist ein wichtiger Schutzmechanismus, sowohl für das Individuum als auch für die Gemeinschaft. Unser Alltagsleben beruht auf ständigen Wertzuschreibungen. Das ist vielleicht der Grund, warum ihm (endlich) die Aufmerksamkeit von Philosophen zukommt.
Wir schenken anderen unter anderem auch dadurch Wert, dass wir in ihnen Bedürfnisse wecken und diese pflegen, verstärken, spezifizieren und ausbilden. Mütter können etwa fasziniert sein, wenn ihre Kinder beginnen, feste Nahrung zu sich zu nehmen und verschiedene Speisen zu probieren, um herauszufinden, was sie mögen. Und andere Menschen etwas zu lehren kann allgemein als ein Prozess verstanden werden, in ihnen Bedürfnisse nach Wissen zu wecken.
Das Wissen um die Mittel der Fürsorge, das von Großmüttern an Mütter und Töchter weitergegeben wird, schreibt Wert zu und bestätigt ihn in materieller Kultur. Diese Werte – und die Weisen, ihn zuzuschreiben – gehen verloren, wenn die Fürsorge vom Tausch vereinnahmt wird. Heute werden unsere Wünsche vom Kommerz geschaffen, nicht von der Liebe, der Intelligenz oder der auf Andere ausgerichteten, bedürfnisbefriedigenden Kreativität unserer Großmütter. Wir erhalten unseren persönlichen Wert nicht mehr länger von Fürsorge und Mütterlichkeit, sondern vom Markt – es geht darum, was wir verdienen bzw. was uns, wenn wir den Anforderungen des Marktes nicht entsprechen, vom Staat, der die Rolle der Fürsorgenden eingenommen hat, überlassen wird.
Ursprünglich wurde Dingen von uns Wert zugeschrieben, wenn wir glaubten, dass sie für andere oder für uns selbst von besonderem Nutzen waren. Dann schätzten wir den Wert dieser nützlichen Dinge. Diese Form der Wertzuschreibung war ein Geschenk unserer ursprünglichen Neigung, fürsorglich zu sein. Sie war ein Element unserer Dankbarkeit. Wertschätzung ist ein Element der Wertzuschreibung, der auch das Element der Dankbarkeit beinhaltet. Diese beiden Einstellungen sind miteinander verbunden, obwohl die Wertzuschreibung aktiver und auf das Schenken bezogen ist, während die Wertschätzung empfänglicher und damit auf das Empfangen bezogen ist.
Der Gebrauchswert ist eine Kategorie des Marktes, die in Opposition zum Tauschwert definiert wird und ebenfalls dem Schenken entnommen ist. Geschenke sind Güter mit einer Quelle und einem Bestimmungsort, Teil einer menschlichen Beziehung. Doch nur aus der Perspektive des Tauschprinzips sehen wir in ihnen so etwas wie einen Gebrauchswert. Wir meinen damit das allgemeine und indifferente Potential eines Dings, ein menschliches Bedürfnis zu befriedigen, das mit Geld „benannt“ und als Eigentum objektiviert werden kann. Der Gebrauchswert nimmt die Dinge des Schenkprozess und siedelt sie außerhalb des schenkenden Saatkorns an. Er ist die Voraussetzung des Tauschwerts. Aus der Perspektive des Schenkprinzips wären Gebrauchswerte Teile eines einheitlichen Prozesses, der Menschen beinhaltet. Während es wahr ist, dass Menschen nach dem Tausch die getauschten Produkte gebrauchen können, um Bedürfnisse zu befriedigen, ist die Beziehung zu den Produzierenden als der ursprünglichen Quelle der Produkte meist verloren gegangen. Darüber hinaus produzieren Produzierende im Kapitalismus Gebrauchswerte nicht als Geschenke, sondern als Objekte, für die Menschen zahlen müssen. Unser Dank wird dann dem Markt und dem Tauschprozess selbst zuteil. Dass die Schenklogik jedoch immer noch stark ist, zeigt sich im Phänomen der brands: der Marken, die die Quelle der Produkte mit einer bestimmten Firma identifiziert, so als wären sie Geschenke, die von dort kämen. Eine artifizielle menschliche Beziehung zu den Schenkenden schiene demnach wieder möglich. Doch geht es hier letztlich nur darum, dass die „Beschenkten“ mehr kaufen. Ähnliche Absichten werden mit Sonderangeboten, Schlussverkäufen oder Werbegeschenken verfolgt.
Praktiken der Essensteilung waren weit verbreitet unter den Menschen der Ur- und Frühgeschichte. Maskulisierte Archäologen sehen jedoch gewöhnlich das Jagen als den entscheidenden Aspekt menschlicher Entwicklung.
V.N. Volosinov schreibt in Marxism and the Philosophy of Language: “Jeder Schritt in der Entwicklung einer Gesellschaft hat seinen eigenen spezifischen und eingeschränkten Kreis von Gegenständen, die alleine Zugang zu der Aufmerksamkeit der Gesellschaft haben und aus dieser Wert beziehen. Nur Gegenstände innerhalb dieses Kreises werden Zeichen zugeschrieben und nur sie können zu Objekten semiotischer Kommunikation werden.“ Jeder dieser Gegenstände „...muss mit den vitalen sozioökonomischen Voraussetzungen der Existenz dieser Gruppe verbunden sein.“ (S. 21-23) Ich denke auch an die prähistorischen Höhlenmalereien, die (wie jetzt geglaubt wird) mundmalerisch angefertigt wurden: die Farbe wurde auf die Mauern gespuckt. Manche HöhlenmalerInnen der australischen Aborigines machen das immer noch so: die Farbe wird auf die Mauer gespuckt (ihr „zugeschrieben“), dann wird sie betrachtet. Dies scheint mir ein noch stärkeres Beispiel für unbewusste Wertzuschreibung zu sein, als es das Malen mit Händen oder Pinseln ist, denn hier kommt die Form von der physiologischen Mischung von Atem und Speichel im Spucken der Farbe. Eine Beschleunigung des Atems oder eine Vermehrung des Speichels mag als ein physiologischer Anker für Wertakzente bzw. Wertzuschreibungen fungieren, die unsere gesamte Erfahrung prägen, derer wir uns jedoch nicht einmal bewusst sind. In diesem Fall geht die sprachliche Zuschreibung und Anerkennung (und Projektion) des Wertes einher mit der Änderung des Atems. Das Atmen selbst impliziert schenken (ausatmen) und empfangen (einatmen).
Vgl. das Kapitel „Tauschen“ in Michel Foucaults Die Ordnung der Dinge für eine ähnliche Analyse des Werts im Rahmen des Tauschprinzips.
Sprachliche Wertzuschreibung
Dinge werden für uns Menschen relevant, weil wir sie für die Befriedigung unserer Bedürfnisse verwenden. Bedürfnisse vermehren und vervielfältigen sich gemäß den Weisen, auf die sie befriedigt werden. Sie werden auch, bis zu einem gewissen Grad, von den Dingen bestimmt, die sie befriedigen. In der Sprache schreiben wir vieles vom kommunikativen bzw. qualitativen Wert eines Dings dem Wort zu, das den Platz eines (gewöhnlicher Weise) nonverbalen Prototyps einnimmt und als Ersatzgeschenk funktioniert, um menschliche Beziehungen zu formen. Das Ding weicht also als Geschenk aus und das Wort (das auch eine Wertposition in der langue hat) vermittelt seinen Wert in der Kommunikation, z.B. im Etablieren oder Modifizieren menschlicher Beziehungen, die sich auf dieses Ding beziehen. Allgemein gesagt: Das Wort wird zum Vermittler des Werts der Dinge für das Etablieren oder Modifizieren menschlicher Beziehungen. Weil jedes Ding (and damit jedes Wort) einen Wert hat, der es qualitativ von anderen unterscheidet, indem es auf spezifische menschliche Bedürfnisse bezogen ist, kann die Kombination von Wörtern (in jeder beliebigen Aussage, die der Schenkstruktur folgt) dazu dienen, spezifische Informationen zu übertragen.
Wir wählen Teile unserer Erfahrung als Gegebenes, dem wir unsere Aufmerksamkeit schenken, und wir formen neue Geschenke, indem wir alte umarrangieren. Wir befriedigen in diesem Moment die kommunikativen Bedürfnisse der Zuhörenden und damit auch unsere eigenen. Gleichzeitig erinnern wir uns daran, was in einem bestimmten Moment ausgewählt wurde und Aufmerksamkeit erfuhr, und wenden das dadurch erworbene Wissen in zukünftiger Kommunikation an. Keine Codes, sondern die Logik und Praxis des Schenkens sind die Basis unseres Verständnisses.
Ein Code ist nur eine Sammlung abstrakter Kennzeichen. In kryptographischem Sinne dient er dazu, etwas zu verschleiern, nicht dazu, etwas mitzuteilen. Sprache ist jedoch, wie das Leben, bedürfnisgetrieben. Die Fähigkeit, die Bedürfnisse anderer zu befriedigen, ist der Aspekt des Lebens, der Gemeinschaft bildet und zu kultureller Entwicklung (und vielleicht sogar zu biologischer) führt. Wir verwenden unsere Geschenke dabei nicht, um ein Äquivalent zurückzubekommen (wie das im Tausch geschieht), sondern um anderen etwas für ihr Leben zu geben, etwas, das in diesem Moment für sie von Wert ist. Dies erlaubt uns, in Bezug auf das Geschenk zueinander zu finden. Wenn wir etwas schenken, wissen wir, was diejenigen, denen wir schenken, in diesem Moment haben wollen. Dieses Wissen kommt von der Erfahrung früherer Bedürfnisbefriedigung – die Wörter, die uns zur Verfügung stehen, um Bedürfnisse anderer zu befriedigen sind dafür ein Beispiel. Im Schenken eines verbalen Ersatzgeschenks wird einem Ding von Schenkenden und Beschenkten im gleichen Moment ein gemeinsamer Wert zugeschrieben und sie können ihre Einstellungen und Handlungen in Bezug auf dieses Ding gemeinsam koordinieren.
Die Auswahlverfahren, die wir in unserer Erfahrung treffen, sind den Auswahlverfahren des Kategorieformationsprozesses ähnlich. Im auf der Erfahrung basierenden Diskurs schenken wir jedoch auf vielen anderen Ebenen, da wir hier eher präsente und kontingente kommunikative Bedürfnisse befriedigen im Vergleich zu den allgemeinen Bedürfnissen der Kategorie oder den meta-linguistischen Bedürfnissen der Definition. Im Diskurs treten manche Dinge verbal und nonverbal in den Vordergrund (und werden so zu „Gegebenem“), während andere Dinge in den Hintergrund geschoben (und zu „Nicht-Gegebenem“ gemacht) werden. Selbst wenn wir etwas so Einfaches sagen wie: „das Mädchen warf den Ball“, dann beruht dies auf einem komplexen Auswahlverfahren. Wir hätten stattdessen genauso gut: „der Himmel war blau über dem Baseballstadion“, oder: „eine Nachtigall sang“, sagen können. Wenn wir der Aussage: „das Mädchen warf den Ball“, dann die Aussage: „der Ball durchschlug das Fenster“, hinzufügen, bauen wir auf dem Gegebenem auf, das das Geschenk von „das Mädchen warf den Ball“ darstellt.
Kommunikative Bedürfnisse (und Wünsche) entstehen, wenn Menschen gemeinsam Bezug nehmen auf Aspekte von Dingen, über die manche noch kein ausreichendes Wissen haben. In diesem Moment können wir sagen: „Es mag da ein Geschenk geben!“ Im Befriedigen des entsprechenden kommunikativen Bedürfnisses wird dann ein gemeinsamer Vordergrund geschaffen, in dem die Dinge (bzw. deren Aspekte), denen wir unsere Aufmerksamkeit zukommen lassen, angesiedelt sind, und ein (mehr oder weniger) gemeinsamer Hintergrund, in dem sich die Dinge (bzw. deren Aspekte) befinden, denen diese Aufmerksamkeit momentan nicht zukommt. Diese Unterscheidung wird von Sprechenden und Zuhörenden gemeinsam getroffen. Sie erklären bestimmte Elemente einer Situation für relevant und andere für irrelevant. Sie beziehen sich auf dieselben Dinge (bzw. Aspekte von Dingen). Vordergrund und Hintergrund können dabei ständig wechseln. Was einmal im Vordergrund ist, kann im nächsten Moment in den Hintergrund treten und umgekehrt. Wichtig ist nur, dass in der kommunikativen Bedürfnisbefriedigung (dem verbalen Geschenk) Sprechende und Zuhörende einen präsenten Moment teilen. Sie schaffen damit eine Beziehung in Bezug auf das Geschenk, das in diesem Fall die Sprechenden geschenkt haben, das aber auch die Zuhörenden – vorausgesetzt, ihnen stehen generell die gleichen Wörter zur Verfügung – hätten schenken können. (Dies unterscheidet sich vom Befriedigen materieller Bedürfnisse, wo wir generell etwas geben, das die Beschenkten nicht haben.) Auch wenn in gewissem Sinne die Beziehung zwischen Sprechenden und Zuhörenden von den Sprechenden geschaffen wird, haben die Zuhörenden – etwa in Form ihres nicht verwendeten Sprachpotentials – genauso viel Einfluss auf die kommunikative Situation.
Auch was den Tausch betrifft, besteht die Matrix aus einer Wechselbeziehung. Nur zeigen die anderen hier, dass sie unserem „Ding“ (in diesem Falle: „Produkt“) Wert beimessen, indem sie einen entsprechenden Geldbetrag dafür zahlen. Das Geld (mit seiner abstrakten sozialen Qualität) wird dann das verborgene, aber mächtige Modell unseres Verständnisses von Sprache und Leben. Das ist nicht nur der Fall, da Geld von der Sprache abstammt, sondern auch weil die aktuelle Gleichheit der Prozesse reproduziert wird: Wert wird dadurch geschenkt, dass etwas anderes geschenkt wird.
Sowohl die Sprache als auch die Erfahrung können weitere Wertzuschreibungen und weitere kommunikative Bedürfnisse veranlassen. Außerdem hängen die Arten der Dinge, derer wir uns annehmen, und die Arten der Werte, die wir entdecken und zuschreiben, von einer ständigen Synthese unserer früherer Lebenserfahrungen ab, die denen anderer Menschen gleich oder von ihnen sehr verschieden sein können. Was in einem Moment irrelevant erscheint, mag im nächsten relevant erscheinen, je nach Person und Ding, sodass letztlich immer alles potentiell wertvoll bleibt, auch wenn es im Moment als irrelevant ausgeschlossen sein mag.
Diese ständige Potentialität lässt Erfahrung zu einem Garten Eden werden, in dem wir Früchte sammeln und teilen, und zwar immer nur genau die, die wir im Moment brauchen, und nur in genau der Menge, in der wir sie benötigen. Wir leben in fantastischem Überfluss. Der materielle Mangel, in dem viele Menschen heute leben müssen, verschleiert diesen Schenkcharakter des Lebens und verbannt viele aus dem Garten. Wieder allen ein Leben im Überfluss zu erlauben, würde es uns auch ermöglichen, Wert wieder gemäß kollektiver und individueller Erfahrungen zu schenken, anstatt das Individuum gegen das Kollektiv auszuspielen – so wie es im Tausch geschieht, der auf dem Mangel aufbaut. Unsere Ökonomien könnten mit dem humanisierenden und verbindenden Teil unserer Sprache in Einklang gebracht werden, anstatt ihn zu bekämpfen aufgrund des exzessiven Werts, den wir (unbewusst) der Definition und der Maskulisierung zuschreiben.
Siehe Karl Marx, Kritik der Politischen Ökonomie, für eine Analyse des relationalen Charakters von Produktion und Konsumption, der Spezifizierung der Bedürfnisse durch die bedürfnisbefriedigende Produktion und der Spezifizierung der Produktion durch die zu befriedigenden Bedürfnisse.
Ich glaube, dass diese Beziehung auf verschiedene Bedürfnisse die rein differentiellen Werte unterstreicht, die Saussure als das abstrakte Organisationsprinzip der langue erkannt hat. Unterschiedliche Dinge werden in unterschiedlichen Schenkprozessen verwendet, um unterschiedliche Bedürfnisse zu befriedigen, und sie weichen unterschiedlichen Wörtern aus, die ihren Platz als kommunikative Geschenke einnehmen. Fälle von Hononymie und Synonymie sind nicht problematisch, solange der wechselseitige Ausschluss auf der phonetischen Ebene aufrechterhalten bleibt und die befriedigten Bedürfnisse klar voneinander unterschieden werden. Die sich gegenseitig ausschließenden Positionswerte, die in der langue zu finden sind, werden in der Struktur der Institutionen reproduziert, die auf der Maskulation beruhen, wie etwa das Old Boys Network oder das Privateigentum. Hierarchien haben Strukturen, die jenen der Begriffe ähnlich sind, die sich in Hyperonyme und Hyponyme aufteilen, gemäß den Regeln der Allgemeinheit und Eingeschlossenheit. Zum Beispiel ist ein Hyperonym wie „Pflanze“ allgemeiner als die Begriffe „Blume“, „Baum“ oder „Kletterpflanze“, die es alle mit einschließt, während „Blume“ als Hyperonym fungiert, das allgemeiner als „Rose“, „Gänseblümchen“ oder „Mimose“ ist.
Die postale Metapher: AbsenderIn (CodiererIn) – Paket (Nachricht) – EmpfängerIn (DecodiererIn) ist das Schenken als Post gesehen. Ein Code ist eine geteilte Sammlung von Kennzeichen, die eine Gruppe hat („kennt“) und eine andere nicht. Das Codieren und Decodieren, das Schicken und Empfangen einer Nachricht sind Metaphern für das Verpacken und Öffnen eines Geschenks. Ein weiterer Aspekt, der – neben der Mütterlichkeit – die Präsenz der Schenkökonomie in unserer Gesellschaft bestätigt, ist das Senden und Empfangen von Geschenken an Geburtstagen, zu Weihnachten, usw. Siehe diesbezüglich David Cheal, The Gift Economy.
Ich denke, dass das, was SemiotikerInnen „natürliche Zeichen“ nennen, auch als Geschenke interpretiert werden können, selbst wenn sie Tieren auf weniger komplexe Weise von Nutzen sein mögen als uns. Blumen geben mit ihrer Farbe und ihrem Geruch Insekten zu verstehen: „Hier gibt es Nektar!“ Die Farbe und der Geruch sind sekundäre Geschenke, die zum materiellen Geschenk des Nektars führen. Ohne die Empfangenden könnte das Geschenk dabei nicht als solches existieren – die schwarze Wolke ist nur dann ein Geschenk (in Form eines natürlichen Zeichens), das uns erlaubt, nachhause zu gelangen, bevor es zu regnen beginnt, wenn wir sie richtig zu interpretieren wissen. In diesem Sinne ist beispielsweise ein Baum, der im Wald fällt, ein Geschenk für alle, die ihn zu verwenden wissen. (Ich habe kürzlich ein Lied der Ökologiebewegung gehört, das vom Fallen der Bäume im Regenwald handelte.)
Maskulisierte Wertzuschreibung
Das Ego, das für den Tausch nützlich ist, ist das maskulisierte Ego. Das Wertesystem, das dieses Ego stützt, stärkt es durch ökonomische Belohnungen und Strafen bzw. dadurch, dass es ihm Eigentum zukommen lässt oder nicht. Was seine Begierden anlangt, ist das Ego der kommerziellen Welt, insbesondere der Werbung, unterworfen. Es mag so scheinen, als würde einer Person, die ihre Begierden oder Bedürfnisse auf dem Markt befriedigt findet, Wert übertragen. Tatsächlich wird der Wert jedoch auf die Verkaufenden übertragen, die die Konsumierenden dazu gebracht haben, ein Produkt aufgrund einer Wahrheitsmanipulation zu erwerben. Der Positionswert, der einer Person durch Vergleiche ihres Habens mit dem Haben anderer zukommt, kann als ihr Status begriffen werden. Dieser hat jedoch nicht wirklich viel mit der Befriedigung der subjektiven Bedürfnisse des Individuums zu tun, da diese nur vom Schenken befriedigt werden. Die Konsumierenden brauchen immer mehr, da ihr Haben ihnen nicht wirklich Wert verleiht, sondern nur zum ökonomischen Wert der Verkaufenden beiträgt.
Während es oft so ist, dass sich Männer ohne ein technologisches Instrument (oder phallisches Werkzeug) kein Bild der objektiven Welt formen können, da sowohl sie selbst als auch ihr Instrument außerhalb des Saatkorns des Schenkens und Empfangens liegen, sind Frauen aufgrund ihrer fürsorglichen Rolle oft Teil dieses Saatkorns. Wir Frauen sind daher eher dazu geneigt, unser Wissen über das uns erfahrungsmäßig Gegebene mit Dankbarkeit zu verbinden.
Ohne Objekt gibt es kein Instrument. Frauen werden neben ihrer Subjektrolle als menschliche Wesen zu Objekten des patriarchalen Systems. Zum Beispiel sind der Penis und die Vagina die psychologischen Archetypen für das Instrument des Wissens (der Penis) und das Objekt des Wissens (die Vagina). Wenn die Absicht der Sexualität eine andere ist als die, zu schenken und zu empfangen bzw. die Bedürfnisse anderer zu befriedigen, dann behandelt das instrumentelle Wissen das Objekt als wäre es ein nicht-lebendiges, nicht-kreatives empfängliches Ding, das mit Macht „penetriert“ werden muss. Die Dankbarkeit, die in diesem Fall von dem maskulisierten phallischen Wissenden erfahren wird, dient nur der Bestätigung seines Ego in seiner Position des Einen, des Übernehmers, dessen, der die Erde beherrscht. Es ist keine Dankbarkeit oder kein Wissen, das auf andere bezogen wäre. Es gleicht eher der Akkumulation von Eigentum im Tausch.
Das instrumentelle phallische Wissen der objektiven Welt ist entstammt den Profitmotiven des Egos und zeigt seine Grenzen. Das In-den-Hintergrund-Drängen der menschlichen Bedürfnisse der Vielen hat ihm die zerstörerische Macht der Aneignung durch Gewalt oder nicht-fürsorglicher Gleichgültigkeit gegeben. Jene, die die Welt durch das schenkende Saatkorn sehen, widersprechen den Produkten wissenschaftlichen Wissens, die die Möglichkeit aller bedrohen, zu schenken und zu empfangen. Keine vorgeblich harmlosen Anwendungen von Nukleartechnologie, genetischer Manipulation oder chemischer Vergiftung kann die negativen Aspekte dieser Technologien kaschieren und sie zu einem Teil des schenkenden Saatkorns werden lassen, genauso wenig wie sie diejenigen, die wirkliche Bedürfnisse befriedigen, davon überzeugen können, dass sie (die Technologien) Geschenke an die Menschheit sind.
Frauen kennen die Vagina – das „Objekt“ – und sind dafür dankbar. Sie brauchen dazu kein männliches Instrument. Es ist interessant zu denken, dass wenn Frauen vergegenständlichte „Dinge“ sind, die Vagina dann zum „Ding an sich“ werden würde, das für Philosophen angeblich unerkennbar ist. Im Sex würde es dann für die anderen und damit auch für uns selbst zu seinem Ausdruck kommen.
Als Fürsorgende, die Dinge für die Bedürfnisbefriedigung anderer verwenden, wissen wir mehr über diese Dinge als diejenigen, die keine Bedürfnisse mit ihnen befriedigen. Wir können auf Heilpflanzen verweisen, auf Pflegemethoden, aber auch auf Kurzschlüsse in Argumenten für Gewaltanwendung. Unsere Lebensenergie ist oft direkt in die Pflege und Erhaltung der Körper anderer und unserer eigener involviert – ohne Tausch und ohne eine zwischengeschobene Definition oder Bewertung, die auf Tausch beruht.
Tauschwert
Der Tauschwert ist kommunikativer Wert innerhalb der manipulierten Kommunikation, die Tausch ist. Der Tausch ist wie die Definition, die etwas auf einen Namen festschreibt und damit in Bezug auf alles andere verortet. Die Tatsache, dass etwas einen Namen hat, beruht auf dem kulturellen Wert dieses Dings für Menschen. Der spezifische Name hängt von der Totalität der langue ab. Diese differentielle Beziehung ist im Tausch in monetären Systemen quantifiziert worden.
Der Wert zuschreibende Prozess der Sprache wird im Tausch verwendet, wenn wir als Individuen Produkten den Wert geben, der ihrem allgemein definierten Wert entspricht. Wir tun das jedes Mal, wenn wir sagen: „ein Pfund Bohnen = ein Dollar“. Die Tatsache, dass eine Person die Bohnen hergibt und die andere einen Dollar, zeigt, dass beide den Bohnen und dem Dollar denselben Wert beimessen. Die Bohnen haben diesen Preis im Kontext aller Tauschhandlungen, die in diesem Moment auf dem Markt stattfinden, im Besonderen, was Bohnen betrifft. Auf ähnliche Weise hängt der Gebrauch von Wörtern davon ab, wie sie von anderen verwendet werden, die dieselbe Sprache sprechen.
Das Tauschprinzip ist do ut des: „Ich gebe, damit du geben wirst.“ Es wäre dem Prinzip der schenkenden Kommunikation nicht unähnlich, wäre es nicht für einen alles entscheidenden Unterschied: das Schenken bringt Menschen zusammen – der Tausch trennt sie. In der Kommunikation, die auf dem Schenken beruht, gibt eine Person und eine andere mag geben oder auch nicht. Und wenn sie gibt, dann geht es um Aufmerksamkeit und Wert in Bezug auf ein gemeinsames Thema bzw. die Kommunizierenden selbst. Sowohl Sprechende als auch Zuhörende haben ein Bedürfnis nach einem Mittel, das in der Lage ist, etwas gemeinsam Wert zu schenken. Wörter erfüllen diese Aufgabe und die Kommunizierenden schenken sich gegenseitig Wert, indem sie die Wörter anwenden. Im Tausch schenken Menschen sich gegenseitig nur Wert, indem sie sich auf einen Preis einigen. Die Konsequenzen der Kommunikation und des wechselseitigen Schenkens von Wert zwischen Sprechenden und Zuhörenden sind andere als die zwischen Verkaufenden und Kaufenden. Noch einmal, die verbale Kommunikation vereint, während der Tausch trennt. Im Tausch verlangt das materielle Prinzip des do ut des, dass diejenigen, denen gegeben wurde, das, was ihnen gegeben wurde, in Form eines Äquivalents zurückgeben.
Der Altruismus des Schenkens lässt allen denselben Wert zukommen, um Verbindungen zwischen ihnen über einen Bezug auf Dinge herzustellen. Der „Altruismus“ des Tausches dient nur unserem Ego. Die Ähnlichkeit von Schenkprozess und Tauschprozess hat dazu geführt, dass die schenkende, altruistische Seite der Kommunikation hinter dem Tausch verschwunden ist, nachdem der Tausch eine so dominante Rolle in unserer Gesellschaft eingenommen hat. Wir geben heute nur noch unter der Bedingung, dass uns ein Äquivalent zurückgegeben wird. Wir leben in einem System, das auf Mangel und Markt beruht und in dem wir uns selbst in den Begriffen von Quantität und Tauschwert begreifen müssen, die für unser Leben notwendig sind.
Alles, was wir geben oder ausgeben, jeder Wert, den wir zuschreiben, scheint unsere Quantität – „das Leben, das wir uns schaffen“ – im Sinne unseres Eigentums und/oder Lohns zu verringern. Der Tausch ist wie eine Sprache, in der Dinge aufgegeben werden, wenn Wörter gesprochen werden (und die Wörter werden auch aufgegeben). Wir rechnen immer, ob wir genug haben (genug „sind“) und leben unter ständigem Erfolgs- und Wettbewerbsdruck. Es wird uns ökonomisch Wert verliehen anhand eines ökonomischen (maskulisierten) Namens, nämlich dem Lohn, den wir erhalten. Es scheint so, als würden Menschen nicht existieren (oder nicht zu existieren verdienen), wenn sie nicht maskulisiert sind. Und wenn sie nicht existieren, verdienen sie auch nicht zu essen und können dies nur tun, wenn sie auf einen maskulisierten Einen bezogen sind – beispielsweise als Ehefrau.
Sowohl individuell wie auch kollektiv investieren wir unsere Energie in das, was wir als wertvoll erachten, selbst wenn dies zu unserer eigener Degradierung und der von anderen beiträgt. Zum Beispiel investieren wir Energie und Geld in Drogen und Gewalt. Wir schreiben diesen Aktivitäten Wert zu, vielleicht weil sie zu kurzfristiger Lust und der Stärkung unseres Egos beitragen können. Unsere Gesellschaft mag diese Aktivitäten nicht bewusst gutheißen, doch fördert sie trotzdem die Vorstellung des maskulisierten Egos, das mit diesen Aktivitäten zusammenhängt. Der Hedonismus entspricht der Maskulisierung: er hat mit Selbstzentriertheit zu tun, nicht mit einem Ausgerichtet-Sein auf Andere. Wir geben uns der Vorstellung hin, dass wir durch das Akkumulieren von Kapital mehr Wert als andere erlangen können und dass es dafür praktisch keine Grenze gibt. Diese Vorstellung verschafft dem artifiziellen Ego die Legitimation, die es braucht, um immer mehr anzuhäufen. Das Ausüben von Macht über andere, das als Vorrecht der Prototypposition erscheint, wird verwendet, um immer weitere Legitimationen des maskulisierten Egos zu schaffen. Die sozialen Beziehungen, die das Schenken kennzeichnen, bleiben jedoch im Verborgenen am Leben. Sie sind dabei um so vieles befriedigender als die vom Tausch geschaffenen Beziehungen, dass sie oft als „Nebenprodukte“ des Erfolges vereinnahmt werden.
In jedem Fall erscheint der Tauschwert als der wertvollste, ja überhaupt der einzige Wert. Die Gesellschaftsform, die auf ihm beruht, behauptet, das allgemeine Wohl zu steigern, indem sie es mit der Summe ego-orientierter Werte gleichsetzt und diese fördert. Dies schließt Werte und Menschen, die sich nicht dem Tauschprinzip verschrieben haben, ebenso aus wie jene, die einfach keinen Erfolg im System haben. Die Sicht des Old Boys Networks vom homo economicus als Modell, das alleine das allgemeine Wohl bringen kann, wird mittlerweile von feministischen Ökonominnen explizit in Frage gestellt. Ich denke, dass die Deutung des Tauschwerts als des wichtigsten – oder gar einzigen – Werts, uns von einer wirklich radikalen Kritik des homo economicus abhält. Wir müssen die Priorität in der kulturellen Rolle sehen, die Dinge für Menschen haben; in der Rolle, die durch das Schenken geschaffen und in der Sprache – die dem Schenkprinzip gemäß funktioniert – ausgedrückt wird. Der Tauschwert kann dann als eine Entstellung des Wert schenkenden Prozesses gesehen werden.
Anm. d. Übers.: Im Original: to make a living – diese Phrase kann im Deutschen nicht entsprechend wiedergegeben werden. Die Zeitschrift der International Association for Feminist Economics (IAFFE), Feminist Economics, wird von Diana Strassman seit 1995 herausgegeben und von Routledge veröffentlicht.
Re-präsent-ation
Das Schenken bleibt in der Sprache bewahrt – selbst wenn unsere Erfahrung auf eine Ökonomie reduziert wird, die auf Tausch beruht, und wir nicht länger materiell kommunizieren. Unsere von Profitgier getriebene Technologie lenkt unsere Wahrnehmung in andere Richtungen und führt sie jenseits des Schenkens, zu einer Art inhumaner Objektivität. Unser Blick wird sowohl unter die Ebene möglicher Geschenke gerichtet, wo wir Eindrücke elektrochemischer Reaktionen erhalten, als auch über diese Ebene, wo Teleskope uns erlauben, nach den Ursprüngen des Universums zu suchen. Oft arbeitet die Technologie dabei konkret gegen die schenkende Gemeinschaft, etwa indem sie ihr Wissen verwendet, um konventionelle, biologische, chemische und nukleare Waffen zu schaffen. Und auch wenn die Ebenen „objektiver Wirklichkeit“, die von der Technologie jenseits der konkreten Schenkebene entdeckt wurden, manchmal vielleicht tatsächlich zur menschlichen Bedürfnisbefriedigung beitragen mögen, richten sie allzu oft nur enormen Schaden an. Die Technologie ist ein patriarchales, vom Tausch angetriebenes Unternehmen. AkademikerInnen, die sich diesem nicht schenkenden Saatkorn verpflichten (der ihnen als ForscherInnen ein nützliches Einkommen im Rahmen der Tauschökonomie beschert), neigen dazu, jene, die nicht bereit sind, das schenkenden Saatkorn aufzugeben, als „naive RealistInnen“ abzutun. (Aufgrund ihrer Armut haben die naiven RealistInnen in den meisten Fällen gar keinen Zugang zu der Technologie, der sie die Dinge vielleicht anders sehen ließ.) Wenn dem Schenken das gegenwärtige Geschenk (the present – hier sowohl „Präsenz/Gegenwart“ als auch „Präsent/Geschenk“; Anm. d. Übers.) durch Tausch genommen wird, wird die Verbindung zwischen Leben und Sprache verdunkelt. Dann scheint die Re-präsent-ation – und nicht das Patriarchat – postmodernen DenkerInnen der Grund der Tyrannei.
Linguistischer Wert und ökonomischer Wert haben beide mit Repräsentation zu tun – das heißt, mit Kommunikation, die auf einem System von Ersatzgeschenken beruht. Wir haben ihre Gemeinsamkeiten zu erkennen, um den Wert selbst zu verstehen. Es war im Nachdenken über diese Gemeinsamkeiten, dass ich die Maskulisierung als einen Ableger der Repräsentation zu verstehen begann, als eine Fehlrepräsentation der Identität des Buben, die ihn in ihrem Bild formte, ihm deshalb besonderen Wert verlieh und diesen Mechanismus dann auf die Gesellschaft im Ganzen übertrug. (So als würde der gebrochene Teil eines Filmprojektors zusammen mit dem Film auf die Leinwand projiziert.) Maskulisierung ist eine Manipulation des Wert zuschreibenden Prozesses. Sie findet auf derselben Ebene wie der Tausch statt und geht diesem voraus. Sie läuft dann durch den Tausch und die Misogynie zurück in die Repräsentation, indem sie das Modell des Einen und der Vielen betont sowie das hierarchische Übernehmen und das Verleugnen des Schenkens.
Der Tauschwert ist Fürsorgewert bzw. Schenkwert, der durch den Anti-Schenkprozess des Tausches gefiltert wird, der dem Modell der Maskulisierung entstammt. Die Maskulisierung wertet das Schenken ab und gibt stattdessen dem Modell des Einen und der Vielen Wert bzw. seinen Verkörperungen in Hierarchien und Konkurrenz. Viele der Geschenke und ein großer Teil der von der Maskulisierung geförderten Werte fließen durch die Maskulisierung hindurch, kommend von den Fürsorgenden, die vorzüglich Männern und dem Maskulisierungsprozess schenken. Normale, unmanipulierte Fürsorge lässt Bedürfnissen (und damit auch den Beschenkten und den Mitteln der Bedürfnisbefriedigung) Wert direkt zukommen. Die Sprache ermöglicht ein verbales Schenken, das auf kollektiven Werten beruht, feinkörnig ist und feinfühlige Zwischenmenschlichkeit und Kooperation mit sich bringt. Dadurch schafft sie in Folge einen Wert, der von den Vielen, die gemeinsam arbeiten, geschenkt wird und wesentlich zur Ausbildung der individuellen physischen wie psychischen Subjektivitäten der Kommunizierenden beiträgt.
Wir sehen nicht-ökonomischen Wert als die verdeckte Norm, nicht als eine Art Subkategorie des ökonomischen Werts. Da wir unsere Vorstellung nicht-ökonomischen Werts auf linguistischem Wert aufbauen, unsere Vorstellung von Sprache auf dem Schenken, und unsere Vorstellung von linguistischem Wert auf der vielfältigen Bedeutung der Geschenke der Welt an die Gemeinschaft, erhalten wir eine andere Perspektive als die vorherrschende. Diese Perspektive wird uns erlauben, nicht nur den ökonomischen Wert anders zu sehen, sondern auch das, was gewöhnlich die „moralischen Werte“ genannt wird.
Indem es den Wert geteilt, ihn in verschiedene Arten aufgespalten und das Schenken verleugnet hat (oder es als Kuriosität darstellt, die auf einer „irrationalen“ Neigung zur Fürsorge beruht), hat das Patriarchat der gesamten Gesellschaft die Werte der Maskulisierung auferlegt. Das Patriarchat praktiziert Herrschaft durch Kategorisierung, indem es jene Maskulisierung überall reproduziert, die Buben in ihrer Geschlechtsdefinition widerfährt, in der sie als besonders und überlegen kategorisiert werden. In dieser Situation kommen moralische Werte dem Versuch gleich, den Schaden der Abgetrenntheit zu regulieren, ihre negativen Affekte zu mäßigen und das Schenken nachträglich wiedereinzuführen – als eine Art „Hilfe“. Doch das Schenken ist keine „Hilfe“ – es ist die Basis für das Schaffen einer Gemeinschaft, in der alle ohne Repressalien aufeinander zugehen und füreinander sorgen können.
Ästhetische, historische, spirituelle oder kulturelle Werte entspringen ursprünglich alle dem Kontext der Fürsorge und der Sprache, doch sind auch sie von Maskulisierung und Tausch manipuliert worden. Welche Werte jenseits dieser Manipulation liegen, werden wir sehen, sobald es uns gelingen wird, das Patriarchat zu überwinden. Doch selbst viele der manipulierten Werte beinhalten nach wie vor Elemente, die die Hoffnung auf eine bessere Welt in sich tragen. Sie können in diesem Sinne als Geschenke der Vorstellungskraft gesehen werden, die das Leiden, das der Menschheit im Laufe der Jahrhunderte widerfahren ist, immer wieder ein wenig zu lindern vermag.
Wenn wir, um zu kommunizieren, Wörter anstelle materieller Geschenke gebrauchen, wechseln wir zwar auf eine andere Ebene (die Ebene der Sprache, die wir selbst geschaffen haben), doch unsere kommunikativen Prinzipien bleiben sehr ähnlich. In unserem Wechsel vom materiellen Schenken zum ökonomischen Tausch wechseln wir jedoch unsere Logik: wir wechseln von der Logik des Schenkens zu der Logik des Ersetzens. Tatsächlich handelt es sich um zwei parallele Ersetzungen: nicht nur wird eine Logik mit einer anderen ersetzt, sondern auch ein Produkt mit Geld. Der Übergang, der hier stattfindet, reicht somit weiter als wir oft denken. Die Kluft zwischen Schenken und Tauschen ist weiter als jene zwischen Dingen und Wörtern. (Die erste Kluft wird mit Vorstellungen von „Verdienen“ gefüllt; die zweite mit Vorstellungen von Korrespondenzen zwischen Wörtern und Dingen: dem, was wir manchmal „Wahrheit“ nennen.) Die selbstähnlichen Strukturen der Ersetzung und des Tausches verursachen eine Bewegung vom Mikroskopischen zum Makroskopischen. (Siehe Graphik 15.)
Die selbstähnlichen Strukturen schaffen eine Art Verwirrung des Geistes, einen Sog, der uns hineinzieht in die neue Mentalität des Tausches. (Die Mentalität des Tausches ist neu in Bezug auf das Schenken, das ihm ontogenetisch und phylogenetisch vorausgeht.) Dieser neuen Mentalität gelingt es, Wertzuschreibungen auf sich zu ziehen.
Aufgrund ihrer Ähnlichkeit und Verwandtschaft (auf unterschiedlichen Ebenen) schenken wir der Ersetzung der Logik des Schenkens durch die Logik des Ersetzens genauso viel Vertrauen, wie wir der einfachen Ersetzung eines Dings durch ein anderes Vertrauen schenken. Was sich nunmehr auf der neuen, grobkörnigen, materiellen Ebene abspielt, ist uns durchaus bekannt, da wir auf der feinkörnigen Mikroebene im Erlernen der Sprache und Definieren von Dingen ständig unbewusst Ersetzungsprozesse verwenden. Auch das Wechseln von Ebenen haben wir bereits erlebt, nämlich mit unserer Aneignung von Sprache – das „Haben von Sprache“ hat letztlich alles vermittelt, was wir jetzt sind.
Viele Implikationen des Übergangs zum Tausch entsprechen dem Prozess der Maskulisierung: der Erhalt eines neuen Namens in Form eines Preises; das Aufgegeben-Werden seitens des „Produzenten“ (im Maskulisierungsprozess: seitens der Mutter); oder der aufgezwungene Wechsel vom Prinzip des Schenkens zum Prinzip des Ersetzens. Alle diese Aspekte bestätigen sich gegenseitig und tragen dazu bei, dass wir in den Tausch hineingezogen werden. Das Tauschprinzip reißt die Kontrolle an sich und nimmt den Platz aller anderen möglichen Modelle menschlicher Interaktion ein.
Wenn dem Tausch nicht kontinuierlich mehr Wert als allem anderen zugeschrieben würde, würde er nicht weiter existieren können. Genauso wenig würde der maskulisierte Mann weiter existieren können, wenn ihm nicht mehr Wert als allen anderen Menschen zugeschrieben würde. Das Schenken bzw. die Ausdehnung und Wertschätzung des Schenkprinzips würden den Tausch unnotwendig machen. Im Moment jedoch trägt das Schenken seinen „Konkurrenten“ gewissermaßen auf seinen Schultern (Konkurrenz ist natürlich ein Aspekt des Tauschprinzips, nicht des Schenkprinzips). Die Logik und die Praxis des Tausches brauchen diese Unterstützung. Und sie wird von allen geleistet. Selbst von jenen, die das Schenken praktizieren. Indem dem Tausch der höchste Wert zugeschrieben wird, wird er zum einzigen Weg, unsere Existenz zu sichern. Er besetzt das soziale Feld, durchdringt unser Leben und marginalisiert seine Alternativen.
Die soziale Institution des monetären Tausches zwingt uns, jedes Mal, wenn wir kaufen und verkaufen, unsere Prinzipien zu wechseln. Der Wechsel selbst wird so gewöhnlich, dass wir ihn nicht bemerken. Er begleitet unser Leben in jedem Moment. Sowohl das neue Prinzip des Tausches als auch dieser Wechsel werden natürlich und normal für uns. Das frühere Prinzip des Schenkens, das Prinzip der freien Güter und Dienste, wird bagatellisiert und wertlos gemacht – obwohl es weiterhin funktioniert.
Ego-orientierte Menschen schreiben dem Tausch nicht nur Wert zu, weil sie meinen, ihn zum Überleben zu brauchen, sondern auch, weil sie sich über ihn individuellen Extra-Wert verschaffen wollen. Dieser soll „selbst gemacht“ erscheinen bzw. als Beweis des eigenen Ursprungs ihrer Überlegenheit dienen. Das maskulisierte Tauschmuster wiederholt diesen Prozess. Aber auch Menschen, die auf Andere ausgerichtet sind, schreiben dem Tausch Wert zu. Dies als logische Folge dessen, dass sie in ihrem Schenken nicht nur sich selbst, sondern auch allen anderen Wert zuschreiben, inklusive den Tauschenden. Der Tausch nimmt somit die zentrale Position in unseren Beziehungen ein und erregt durch das Fördern der Konkurrenz weitere Aufmerksamkeit, da Konkurrenz wesentlich auf der Fähigkeit, Aufmerksamkeit zu erregen, beruht. Schließlich müssen die Verkaufenden die Kaufenden auf ihre Produkte aufmerksam machen, um sie zum Kauf derselben animieren zu können.
Die Ersetzung des Schenkens – bzw. seine Verunmöglichung – macht die Transaktion des Tausches zu einer Transaktion zwischen Feinden. Nachdem die andere Person im Tausch dasselbe tut, das wir tun (indem sie uns etwas gibt, das dem, das wir ihr gegeben haben, gleichgestellt ist), ist sie unsere verzögerte oder antizipierte Widerspiegelung, und sie ist dabei, wie wir selbst, stets bereit – vor allem in einer Situation des Mangels – unser Produkt für weniger zu erstehen oder ihr eigenes Produkt für mehr zu verkaufen. Kurz, sie ist bereit, uns zu betrügen. Wenn wir uns im Tausch „an die Stelle der anderen versetzen“, dann heißt das, dass wir unseren eigenen feindlichen Interessen ins Auge sehen müssen. Unser „Altruismus“ negiert sich im Tausch also selbst durch die Realisierung, dass die andere Person uns betrügen will, so wie wir sie betrügen wollen – im Sinne unserer sich gegenseitig ausschließenden „Interessen“.
Der Wechsel zum Tausch und die Maskulisierung bestätigen sich gegenseitig und verschaffen einander Wert. Wie die Maskulisierung verleugnet der Tausch die schenkende Quelle, erklärt sie für wertlos und versucht, die Schenkenden zu isolieren. Der Tausch setzt den Standard für das ökonomische Feld und oft sogar für die Wirklichkeit selbst. Was dem Tausch entspricht, gilt nicht nur als wertvoll, sondern auch als wirklich und normal, während alles andere als verdächtig und unsicher gilt (ein weiterer Weg, um Frauen und das Schenken abzuwerten). Der Tausch handelt offen mit ökonomischem Wert, er benennt ihn, akkumuliert ihn, lagert ihn als Geld und versucht seine Entwicklung vorherzusehen. Der Tausch erscheint als Dreh- und Angelpunkt von allem. Es gelingt ihm an dieser Stelle, sich das Geschenk des Werts anzueignen. Wir bewegen uns von nun an zwischen Wertschätzung und Wertzuschreibung für den Tausch und leben in dem Widerspruch, von ihm zu erhalten und ihm zu schenken. Wir hauchen dem Tauschprozess das Leben ein, so wie Gott Adam das Leben einhauchte. Der Wert, der dem Tausch sowohl von den Tauschenden wie den Nicht-Tauschenden geschenkt wird, unterliegt dabei dem Einfluss von Marktkräften und wird schließlich im Kapital akkumuliert. Dieses schafft Belohnungen für das Haben, während es Strafen für das Nicht-Haben schafft. Wir können diese Mechanismen als die Triebfeder des Tausches bezeichnen.
Die Wichtigkeit des Tausches ist – wie wir erwarten konnten – kulturell bestimmt. Wenn seine Geschenke und sein Wert nicht in den Tausch fließen würden, würde dem Schenken selbst von überall Wert und Bestätigung zukommen. Viele Lebensprozesse können als Prozesse des Schenkens und Empfangens interpretiert werden – von der Sexualität oder der Geburt über das Stillen oder das Atmen bis hin zur Mutter Natur (die ihr Taschentuch fallen lässt, damit wir es aufheben können – sowohl in Form von Fallobst wie Synchronizität ) oder den vielen Wegen der Fürsorge, die wir nach wie vor auf den verschiedensten Ebenen beobachten können. Diese Wege der Fürsorge lassen sich auf viele verschiedene Weisen symbolisieren, was auch getan wird: beginnend mit Mutter Erde und der Schwester Wasser oder dem Füllhorn und dem Gral. Allerdings bleibt das Schenken oft verborgen, da der Tausch (wie die Maskulisierung) in Konkurrenz zu ihm steht. Gleichzeitig hängt der Tausch jedoch parasitär vom Schenken ab, da es den Wert benötigt, der ihm vom Schenken gegeben wird. Der Tausch muss dies jedoch verschleiern und damit im Vordergrund bleiben, um das Schenken unsichtbar zu machen, es zu negieren und den Anschein zu erwecken, dass er selbst die Ursache seines Werts ist – dass er sich seinen Wert „verdient“ hat.
Dieser Anschein ist von zentraler Bedeutung für den Tausch. Der Tausch muss behaupten können, dass der Wert, der ihm zukommt, in ihm selbst liegt und ihm nicht von anderen zugeschrieben wird. Er muss den Anschein erwecken, dass sich die Quelle seines Werts in seiner eigenen Doppellogik findet, so als würde er nur eine gerechte Entlohnung dafür erhalten, was er selbst geschenkt hat. Er versucht also, sich auf seiner eigenen Meta-Ebene den Anschein des Schenkens zu geben, und es gelingt ihm dabei tatsächlich, viele glauben zu machen, dass der Tausch ein segensreiches Geschenk an die Menschheit ist. Menschen in so genannten „Entwicklungsländern“ bestätigen dies oft, wenn sie beginnen, Nahrungsmittel anzupflanzen, um sie zu verkaufen, anstatt sie selbst zu konsumieren. Anfangs mag es dabei durchaus zu einer Steigerung von materiellem Wohlstand und Gefühlen von „Unabhängigkeit“ kommen, die manchmal sogar beinahe magisch erscheinen mögen – doch wird dies bald überschattet von den negativen Konsequenzen marktökonomischer Abhängigkeit. Denn diese Abhängigkeit privilegiert letzten Endes immer nur einige Wenige, während die meisten zum Scheitern verurteilt sind. Dies wird dann gewöhnlich mit Verweisen auf angebliche persönliche Mängel erklärt: unzureichende Intelligenz, ineffektive Strategie, falsche Entscheidungsfindung, Pech, usw. Die Verantwortung für ihren mangelnden Erfolg innerhalb des Systems den Individuen selbst zuzuschreiben anstatt dem System, erlaubt das Fortsetzen exzessiver Wertzuschreibung an den Tausch und den Markt.
Nachdem der Tausch als die einzige Quelle für Güter erscheint, erscheint er auch als Notwendigkeit, um überleben zu können – vor allem in einer Ökonomie des Mangels. Der Mangel wird daher vom System des Tauschs als seine eigene Voraussetzung geschaffen. Überfluss steht mit dem Schenken in Zusammenhang und würde den Tausch somit untergraben und unnotwendig machen. Also dehnt sich die monetarisierte Ökonomie aus, besetzt den Raum, in dem zuvor Geschenkproduktion und Geschenkkonsumption stattfanden, und macht es für die, die sich nicht am Tausch beteiligen, schwierig zu überleben. So werden etwa natürliche Ressourcen zerstört (absichtlich oder unabsichtlich), die damit jenen nicht weiter als Existenzquelle dienen können, die ihre Existenz traditionell auf ihnen aufgebaut hatten. Die ökonomische Marginalisierung der amerikanischen Indianerkulturenund die Zerstörung der enormen Büffelherden der nordamerikanischen Prärie – die die freie Existenzquelle vieler Stämme waren – sind nur ein tragisches Beispiel unter vielen.
Nur wenn wir erkennen, dass der Tausch in Wirklichkeit ein Parasit des Schenkprinzips ist, welches von ihm versteckt und verleugnet wird, können wir auch erkennen, dass der Tausch nicht die primäre Quelle unseres ökonomischen Wohls ist und dass er – selbst nach seinen eigenen Kriterien – nicht die Aufmerksamkeit und den Wert verdient, den wir ihm schenken. Wenn wir jedoch eine Meta-Perspektive einnehmen, die wirklich das Wohl aller in Betracht zieht, dann können wir vom Tauschprinzip wieder zum Schenkprinzip zurückkehren.
Das Sagen der Wahrheit sollte als Kommunikation gesehen werden, die auf Andere ausgerichtet ist, da es die kommunikativen Bedürfnisse anderer in Bezug auf eine Situation befriedigt, die die Befriedigung weiterer komplexer Bedürfnisse impliziert. Das Lügen ist hingegen ego-orientiert. Wie der Tausch verwendet es andere nur zur Befriedigung der eigenen Bedürfnisse – der Bedürfnisse des Egos. Manipulierende Werbung ist zum Beispiel eine Lüge, die einen Tausch provoziert. Um jedoch Missverständnisse zu vermeiden: Das Sagen der Wahrheit hat nicht unbedingt mit der Vorstellung einer „objektiven Wahrheit“ zu tun (im Sinne einer Korrespondenz zwischen Wörtern und Dingen). Diese Vorstellung muss vielleicht als eine Widerspiegelung des „gleichen Tauschs“ gesehen werden, die außerhalb des Saatkorns des Schenkens und Empfangens liegt.
Neue Namen dieser Art gibt es auch im fundamentalistischen Christentum, das die Vorstellung vertritt, dass wir im Zuge einer Taufe „wiedergeboren“ werden. Es wird dabei eine Art neuer (Tausch)Wert verliehen, über den sich eine Person auf ein allgemeines Äquivalent (hier: Gott) beziehen kann. Der Prozess ist der Maskulisierung ähnlich und schafft beinahe eine dritte Geschlechtsidentität mit eigenen Verhaltensanforderungen.
Anm. d. Übers.: Von C.G. Jung geprägter Begriff, der auf das Erleben eines Zusammenhangs zwischen einem „inneren“ (emotionalen oder intellektuellen) Ereignis und einem „äußeren“ (physischen, materiellen) Ereignis verweist, ohne dass dieser Zusammenhang kausal erklärt werden könnte.
Der Tausch selbst schenkt keinen Wert, auch wenn es so aussehen mag, als würde er dies im Zuge des Prozesses monetärer Definition tun. In diesem schreibt er Dingen etwas zu, das für Geld tauschbar ist. Doch ist ein Tauschwert nicht der Wert, von dem wir sprechen. Der Tauschwert kommt nicht von den Dingen selbst, sondern wird ihnen – genauso wie dem Tauschprozess insgesamt – von außen zugeschrieben. (Für den Tauschprozess gilt damit dasselbe wie für die Maskulisierung.) Was den Tausch anlangt, vollzieht sich die Wertzuschreibung auf mehreren Ebenen: sie bezieht sich gleichzeitig auf den Prozess im Ganzen, auf den Teil des Prozesses, der von den Produkten des Marktes eingenommen wird, sowie auf die gesamten Komplexitäten des Kapitalismus, die auf dem Prozess aufbauen.
Im Schenken wird Wert transitiv von den Schenkenden auf die Beschenkten übertragen. Im Tausch kommt der Wert des Geschenks jedoch keinen anderen zu, da es allen im Tausch Involvierten um die Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse geht. Im Tausch sind nicht die Bedürfnisse der Beschenkten wichtig, sondern die derjenigen, die den Tausch initiiert haben. Dadurch dass den Verkaufenden Geld gegeben wird, kann das Produkt den Kaufenden das, was sie gegeben haben, in Form eines Tauschwerts zurückgeben. Sie „verdienen“ dies, da sie zuvor selbst Verkaufende waren. Wenn die Kaufenden nicht das erhalten, was ihr Geld wert war, dann verbleibt mehr Wert auf der Seite der Verkaufenden (was eine weitere Versuchung zum Betrug darstellt).
Die Praxis, zu kaufen, um zu verkaufen, versucht, die Menge an Wert zu steigern, der einem Produkt von Menschen zukommt, sowie – in Folge – die Menge an Geld, die für dieses Produkt ausgegeben wird. Wir erwarten etwa, dass einem Produkt, das wir von einem Ort an einen anderen transportiert haben, deshalb nun mehr Wert zukommt. Wenn wir ein besonders seltenes Produkt haben, mögen wir es sogar zu einem Prototypprodukt machen und hoffen, dass es als solches sehr begehrt sein wird.
Handel wird möglich, wenn wir Produkte verortet, sie zugänglich gemacht und mit Attributen von „Haltbarkeit“, „Bequemlichkeit“, usw., versehen haben. Damit wird ihnen von außen Wert geschenkt. Es mag ihnen sogar Extra-Wert geschenkt werden, wenn wir befürchten müssen, dass einige unserer Bedürfnisse unbefriedigt bleiben. Mangel dient der Steigerung in der Wertzuschreibung und wird oft zu diesem Zweck geschaffen – was dann euphemistisch „Steigerung der Nachfrage“ genannt wird.
Die Seltenheit eines Produkts scheint den Wert jener anzuheben, die es besitzen. Die Kaufenden bezahlen für diesen Wert und reproduzieren damit das Muster der Wertzuschreibung im Tausch. Selbst können sie ihren eigenen Wert dadurch anheben, dass Produkten als Kennzeichen von (maskulisiertem) Status Wert zugeschrieben wird. Diese Wertzuschreibungen beeinflussen die Prioritäten der Kaufenden und ihre marginalen Entscheidungen. Ihre Wertzuschreibungen scheinen in ihrer Produktwahl als Kaufende ausgedrückt. Diese werden von Ökonomen durchwegs als Ausdruck von Selbstinteresse interpretiert. Die getroffen Wahlen bewegen sich natürlich innerhalb der Parameter des Tausches – der Markt ist dort ein Gegebenes.
Dingen, die sich in der Kategorie tauschbarer Produkte befinden, kann von außen Wert zugeschrieben werden. Produkte des Marktes erhalten mehr Wert als frei Vorhandenes – wie Luft oder Wasser – oder als Dinge, die – aus welchen Gründen auch immer: sei es, weil sie kaputt sind, sei es, weil es sie im Überfluss gibt – nicht verkauft werden können. Wenn sich Dinge als Produkte auf dem Markt befinden, zeigt dies auch, dass ihnen in der Vergangenheit bereits entsprechender Wert zukam – ein Wert, der oft als „Produktionskost“ berechnet und ausgedrückt wird. Der Markt stellt Dinge – und Menschen – in eine dekontextualisierte Position, in der ihr Wert von der Möglichkeit ihrer Ersetzung und vom Vergleich mit jenen Dingen kommt, die keinen Tauschwert haben. Der Prozess, etwas auf den Markt zu bringen, ist daher dem Prozess ähnlich, etwas zum Thema unserer Kommunikation zu machen (worüber wir unsere menschlichen Beziehungen gestalten). Wir anerkennen Wert und schreiben Wert zu. Was in der Gestaltung des Marktes passiert, ist eine Zeitlupenversion der Semiotisierung der materiellen Ebene.
Auf dem Markt gestalten wir die uns trennenden Eigentumsbeziehungen, indem Produkte ständig neuen Besitzenden zukommen, die ihren Wert in Form von Geld ersetzt haben. In der Sprache gestalten wir unsere integrativen sozialen Verhältnisse in Bezug auf Dinge, indem wir eine gemeinsame Erfahrung und einen gemeinsamen Grund auf der Basis geteilter Ersatzgeschenke schaffen, wenn wir über ein gemeinsames Thema sprechen. Wenn unsere menschlichen Beziehungen sich auf eine konsistente und koordinierte Weise ändern, wenn wir uns auf ein gemeinsames Etwas (ein Thema, ein Ding, usw.) beziehen, dann wird die allgemeine Beziehung dieses Etwas zu uns (als Gruppe) offenbart und genutzt; während wir diese allgemeine Beziehung gleichzeitig dazu nutzen, uns über dieses Etwas zur Gruppe in Beziehung zu setzen und unsere individuellen Beziehungen zu ihr zu ändern, indem wir sie spezifizieren.
Im Tausch bringen wir Dinge gewöhnlich an einen konkreten Ort, z.B. in ein Geschäft, wo sie als wertvoll für die manipulierten Formen menschlicher materieller Kommunikation, die den Tausch kennzeichnen, kategorisiert und diesem überlassen werden. Im Sprechen gestalten wir gewöhnlich unsere Beziehung zu Dingen, indem wir die Wörter gebrauchen, denen diese Dinge spezifisch ausweichen; wir bestätigen dabei den Wert dieser Dinge, indem wir zeigen, dass sie in den Prozessen menschlicher Kommunikation bereits als wertvoll genug eingeschätzt wurden, um Wörter zu erhalten, die sie verbal ersetzen können.
Im Tausch tritt das Produkt in die Kategorie des Wertvollen ein, wenn es auf Geld bezogen werden kann. In der Sprache wird einem Ding Wert beigemessen, wenn es eine kulturelle Funktion erfüllt. Die Semiotisierung beruht auf diesem Prozess. Das Ding, dem auf diese Weise Wert zukommt, ist sozial auf andere Dinge derselben Kategorie (und auf ein Wort als seinem Namen) bezogen sowie auf die Wörter, die Kommunizierende momentan mit ihm verknüpfen. Die Kategorisierung des Dings ist Teil seiner Beziehung zu den Vielen, in genau der Form, in der das für die Kategorisierung eines Produkts als Tauschwert auf dem Markt gilt. Tauschende wie Kommunizierende anerkennen den Wert von Produkten oder von auf Namen bezogenen Dingen und schreiben ihnen weiteren zu. Im ersten Fall wird dabei die Kategorie des Tauschwerts geschaffen, im zweiten wird Dingen jeder Kategorie kultureller oder semantischer Wert zugeschrieben.
Die Wertzuschreibung an eine Kategorie oder an den Markt entspricht der Wertzuschreibung an Hierarchien mit ihren unterschiedlichen Ebenen (z.B. wenn dem Militär – als Ganzem – von außen Wert zugeschrieben wird). Hierarchien organisieren den Fluss von Wert und Gütern nach oben hin. Sie sind vertikale Reihen maskulisierter Definition. Es sind dabei die Vielen, die nach oben hin schenken, sowohl an die privilegierten Kategorien wie an deren privilegierte Prototypen, die Einen. Die Strukturen des Tausches und der Hierarchie verbinden sich oft (z.B. im Militär oder in der Kirche) und diejenigen, die sich in einer Kategorie, der Wert zugeschrieben wird, befinden, werden von denjenigen, die sich außerhalb dieser Kategorie befinden, unterstützt (z.B. durch Steuern oder die alten Zehnten). Eine hierarchische Strukturen richtet Befehle abwärts und verlangt Gehorsam und die Dienste der Vielen aufwärts, hin zu den immer höheren Ebenen der Einen.
Der Wert bestimmter Produkte ergibt sich aus ihrer Position innerhalb der Totalität der Dinge des Marktes. Der Wert dieser Totalität wird ihnen von außen durch freie Arbeit und unsere Schenkpraktiken zugetragen. Dem Markt wird deshalb Wert geschenkt, da er als die einzige Quelle von Gütern gilt – paradoxerweise vor allem in Zeiten des Mangels. Das Überleben wird von ihm abhängig gemacht, da es keine Alternativen zu geben scheint. Im Müll zu wühlen oder betteln zu gehen, gilt als sozial unakzeptabel; und so genannte autarke Gemeinschaften (self-sustainable communities) sind relativ neue und isolierte Entwicklungen. So wird der Wert, der dem Markt zukommt, zum Prototypen der Kategorie des Werts überhaupt.
Der Markt erhält seinen Wert also von den Menschen, die ihm diesen von außen schenken. Doch wird dies meist nicht verstanden. Meist wird gedacht, der Wert des Marktes kommt vom Tausch, vom Markt selbst oder von seinen Produkten. Der Güterfetischismus kommt von der Verleugnung und der Auslöschung der Schenkwertzuschreibungen. Jeder Wert, der nicht nach Marktprinzipien verdient wird, wird als Schwindel betrachtet, da das Schenken nicht als etwas Wertvolles anerkannt ist. Wenn wir etwas frei bekommen, oder weniger für etwas bezahlen als seinen Marktpreis, so scheint es, als hätten wir dem Markt das, was wir erhalten haben, nicht entsprechend zurückgegeben. In diesem Sinne mag es unfair erscheinen, wenn wir etwas frei erhalten. Doch geht eine solche Überlegung natürlich am Wesentlichen vorbei, da wir gewöhnlich immer anderen in verschiedenen Formen geschenkt und den Markt dadurch unterstützt haben: durch unsere Fürsorge, unsere Profit schaffende freie Arbeit, unsere Wertzuschreibungen an das System sowie seine nutzlosen und zerstörerischen Produkte und die PolitikerInnen und die Vorstellungen, die ihn aufrechterhalten. Enorme Beiträge werden ständig von allen an den Markt geleistet, bleiben aber unerkannt.
Wenn wir ein nutzloses Spielzeug oder ein nutzlose Süßigkeit oder eine nutzlose Gesichtscreme kaufen, die auf dem Markt erhältlich sind und für die geworben wird, dann schenken wir Extra-Wert. Und zwar nicht nur den Produzierenden und Verkaufenden des Produkts, sondern auch dem Marktprozess selbst, ohne den wir diese Produkte nie gekauft hätten. Werbung verlangt ununterbrochen das freie Geschenk unserer Aufmerksamkeit. Unsere Köpfe, Herzen und Häuser sind gefüllt mit Produkten, die vom Markt kommen oder auf den Markt sollen. Das Gleiche gilt für einen großen Teil der uns zur Verfügung stehenden Zeit: der größte Teil der Aufmerksamkeit unseres Lebens gilt dem Markt und den Formen, in denen wir an ihm teilhaben.
Siehe Kapitel 8, Fußnote 7.
Diese Situation ist jener ähnlich, in welcher der Kategorie Wert geschenkt wird, während wir gewöhnlich annehmen, der Wert der Kategorie komme von ihr selbst oder von den Dingen, die sie konstituieren.
Das Schenken von Wert
Der Wert bildet eine binäre Opposition mit dem, dem kein Wert zugeschrieben wird. Er definiert unsere Beziehungen zu Menschen, da wir uns auf Wertgeschätztes stärker beziehen als auf Nicht-Wertgeschätztes. Es scheint natürlich zu sein, Kategorien zu formen in Bezug auf Dinge, die wir wertschätzen. Wenn wir einem negativen Wert Aufmerksamkeit schenken, müssen wir dessen negative Implikationen mit vielen Geschenken auszugleichen versuchen. Das Bedürfnis einer bestimmten Person zu befriedigen, verleiht dieser Person Wert.
Da im Tausch die Befriedigung der Bedürfnisse anderer nur verwendet wird, um die Befriedigung unserer eigenen Bedürfnisse sicherzustellen, löscht der Tausch das Geschenk aus und schafft eine Pattstellung in Form einer Gleichung. Weder Geschenke noch damit vermittelte Werte können dann zu anderen gelangen. Die Produktion von Konsumbedürfnissen, die der Steigerung ökonomischer Produktion dienen soll, erweist sich als noch erbarmungsloser als die Gleichung, da sie zwangsläufig die Produktion einer Reihe ganz und gar unbefriedigbarer Bedürfnisse schafft.
Die Gleichungen von Angebot und Nachfrage entsprechen jenen von Frage und Antwort. „Effektive Nachfrage“ ist der Ausdruck eines Bedürfnisses (einer „Frage“) durch Geld. Die Produktion ist die Antwort. Doch diese Form von Interaktion ist eine Nachahmung und Verlagerung, ja sogar eine Travestie der Prozesse des Schenkens und Empfangens, in denen Bedürfnisse direkt erkannt und befriedigt werden. Hier wird im Gegensatz dazu ein symmetrisch geschlossener Zirkel geschaffen, in dem isolierte, selbstzentrierte Personen nur geben, um zu erhalten, und allen anderen nur in dem Sinne gleich sind, dass sie dasselbe tun. Die Gleichungen des Marktes sind Projektionen dieses symmetrischen Zirkels. Das Schenken und die Bedürfnisse, die es befriedigt – sowie die Bedürfnisse, die als uneffektiv kategorisiert werden und unbefriedigt bleiben – liegen außerhalb dieses Zirkels. Gleichzeitig stützen sie ihn.
Hierarchien und Notgemeinschaften
Indem der Tausch uns als Einzelne voneinander trennt, legt er unseren Beziehungen eine Struktur auf, in der nur noch manipulierte materielle Kommunikation und manipulierte Formen von Gemeinschaft möglich sind. Diese Struktur ist die hierarchische Struktur des Platz-Einnehmens (des Übernehmens) und des Ersetzens, in der die Bedürfnisse der Menschen in den privilegierten Positionen der Einen von den Vielen befriedigt werden, deren Geschenke erwartet und nötigenfalls eingefordert werden, um den Fluss der Wertzuschreibung von unten nach oben zu sichern. (Siehe Graphik 16.) Verdienende sind die Vielen tatsächlich nur als Dienende, und bezahlt werden sie nur, um durch die Ausbeutung ihrer unbezahlten Mehrarbeit Kapital schaffen zu können. Insgesamt wird von ihnen erwartet, die Einen auf verschiedene Weisen zu versorgen. Dadurch erhalten die Einen ihren Wert bestätigt, was ihre Kapitalakkumulation fördert.
Im Tausch kommt Wert nicht dem Bedürfnis, oder einer Person, die ein Bedürfnis hat, zu, sondern ausschließlich dem Produkt, das das Bedürfnis zu befriedigen vermag. Nur dieses fällt in die Kategorie der tauschbaren Dinge und nur diese Kategorie ist wertvoll. Die ausschließliche Bewertung von Dingen als monetär definierbare Produkte sowie die instrumentelle Bewertung von Bedürfnissen (von Seiten derer, die die Mittel haben, sich monetär definierte Produkte zu ihrer Befriedigung anzuschaffen), besetzen unsere Aufmerksamkeit und Produktion. Sie erlauben wenig Aufmerksamkeit und Produktion für die Befriedigung der Bedürfnisse der (Ver)Dienenden, die keine Einen sind – und noch weniger für die der gänzlich „Unverdienenden“. Gemeinschaftliche Verbindungen werden immer schwächer und verschwinden schließlich vollends. Verglichen mit dem, was sein könnte, sind unsere gegenwärtigen Gemeinschaftsformen erbärmlich.
Die unsere Gemeinschaftsformen kennzeichnende menschliche Leere wird auf verschiedene Arten zu füllen versucht: einerseits durch weitere Verstärkungen hierarchischer Strukturen in Law-and-Order-Ideologien – andererseits aber auch durch hartnäckiges Schenken inmitten des Tauschprinzips.
Was Letzteres betrifft, so gibt es Möglichkeiten für Voluntärsarbeit, die oft Hoffnungen auf das Schaffen von menschlichen Verbindungen im Eiltempo implizieren und manchmal tatsächlich in der Lage sind, Verbindungen zwischen Menschen aufzubauen, die sich andererseits weiterhin als indifferente Fremde gegenüberstehen würden. Verschiedene AutorInnen haben in letzter Zeit auch das Schenken an Geburtstagen und zu Weihnachten analysiert, etwas, das vor allem von Frauen praktiziert wird. Freiwillige Arbeit, gemeinnützige Organisationen oder Wohltätigkeitsvereine sind alles Mittel, mit denen versucht wird, die Wunden zu heilen und die Abgründe zu überbrücken, die von engstirnigen ego-orientierten Ökonomien geschaffen werden. Religiöse Organisationen verlangen oft viel freies Schenken von Geld und Zeit und fördern damit ihre Ausbreitung. Durch gemeinsames Schenken anstelle opponierenden Tauschens breitet sich unter ihren Mitgliedern ein Sinn für Gemeinschaft aus. Geschenkt wird meist einem gemeinsamen, von der Organisation bestimmten Zweck. Außerdem wird der Organisation und ihren Grundsätzen, Werten und Regeln geschenkt (in Form von Loyalität und Gehorsam). Jedes maskulisierte und im Tausch geschaffene Ego findet so zu Eigenschaften und zu einem Glauben, die es mit anderen Menschen teilt und die sie jenseits des Egoismus führt.
Indem sie Pheromone stimulieren und Hemmungen lockern, machen Alkohol und andere soziale Drogen menschliche Verbindungen unmittelbarer. Das Trinken von Alkohol ersetzt in seiner sozialen Rolle vielleicht das gegenseitige Schenken von Milch, das gegenseitige Ausdrücken von Mütterlichkeit. Oder zumindest das gemeinsame Versorgt-Werden. Und das trotz des Machocharakters des Alkohols – schließlich provoziert exzessives Trinken oft charakteristisch maskulisiertes Verhalten: Menschen werden laut, dominant und gewalttätig. Darüber hinaus verlangt Alkoholkonsum, der zum Alkoholismus führt, spezielle Pflege von anderen, was die AlkoholikerInnen in eine Art überlegene hierarchische Position rückt im Verhältnis zu denen, die sie pflegen. Gruppen wie die Anonymen Alkoholiker schaffen Gemeinschaft durch das Versorgen ihrer gegenseitigen Bedürfnisse, um ein gemeinsames Problem zu lösen. Die Gemeinschaft, die geschaffen wird, ersetzt die Verbindungen, die geformt wurden, indem Alkohol gemeinsam getrunken wurde. Und dies geschah wiederum, um die menschlichen Verbindungen zu ersetzen, die in der Tauschökonomie verloren gegangen waren. Das Loslassen und das Vertrauen in höhere Mächte können heilende Alternativen zur maskulisierten Ideologie des Übernehmens sein.
Im Sport geht es oft darum, im Zuge der geteilten Erfahrung eines kurzlebigen maskulisierten Wettkampfs, der auf ein gemeinsames Ziel hin ausgerichtet ist, etwas gemeinsam zu erleben (auch als Zuschauende). Dies ist aufschlussreich für die Bildung von Gemeinschaft im Tausch: Gemeinschaft bildet sich über gemeinsame Kriterien, denen zufolge manche als GewinnerInnen und andere als VerliererInnen kategorisiert werden. Hier wird also auf ein Bedürfnis nach Gemeinschaft geantwortet, das bereits vom Tausch und der Isolierung des selbstzentrierten Egos manipuliert worden ist. Die Antworten auf diese Entwicklung, die von Voluntärsarbeit, Selbsthilfegruppen oder BürgerInnenbewegungen kommen, schaffen – auf ihre jeweils eigenen Weisen – Geschenke auf einer Gruppenebene und können durchaus Erfolg haben im Gestalten von Gemeinschaft durch Schenken. Es sind viele Frauen in diese Prozesse involviert, da sie in deren Zuge die Fürsorge, die sie bereits in der Familie praktizieren, auf eine breitere gesellschaftliche Ebene ausdehnen können.
Da Frauen immer noch – zumindest auch – als Schenkende sozialisiert werden, leben sie in unserer heutigen Gesellschaft ständig mit einem Widerspruch und einer internen Spannung zwischen Ego-Orientiertheit und dem Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein bzw. zwischen dem Tauschprinzip und dem Schenkprinzip. Die Voluntärsarbeiten, etc., bleiben in diesem Sinne selbst Hybride zwischen Schenken und Tauschen und dienen oft dazu, den Status quo des Tauschprinzips zu erhalten, indem sie die Bedürfnisse nach Gemeinschaft befriedigen, die vom Tauschprinzip selbst nicht befriedigt werden können. Wie bereits erwähnt, haben sie zwar den positiven Effekt, dem Schenkprinzip außerhalb der Familie Platz zu schaffen, doch dient das Schenken, das dort stattfindet, oft nur der patriarchalen Ideologie selbst oder wird von dieser im Kontext des Tausches vereinnahmt. Die Kritik, die gegenwärtig das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein als co-dependency („gegenseitige Abhängigkeit“) zu diskreditieren versucht, nimmt das isolierte Individuum als Norm und das Sorgen für andere als Abweichung. So wird das Schenken wiederum abgewertet, anstatt es als Möglichkeit der Heilung zu begreifen. Natürlich gibt es ein Bedürfnis nach Unabhängigkeit, das wir respektieren müssen, und in diesem Sinne müssen wir manchmal auch wissen, wann wir nicht (zu) fürsorglich sein sollen. Doch ist das nicht, worum es der Tauschökonomie geht. Der Tauschökonomie geht es um isolierte Individuen, das privilegierte Verhalten der Einen und um die Existenz vieler (Ver)Dienender. Es ist diese Ökonomie, die für unsere Probleme verantwortlich ist, nicht das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein.
Es scheint mir, dass die Bewegungen, die derzeit in den USA – und weltweit – soziale Veränderung fordern, eine Reihe der positiven Aspekte der hier besprochenen Initiativen verbinden, während sie sich unseren gesellschaftlichen Problemen gleichzeitig von einer komplexeren Perspektive aus nähern und versuchen, das System wirklich umzugestalten – egal ob es als kapitalistisches Patriarchat, organisierter Rassismus oder faschistische Tyrannei verstanden wird. Viel freiwillige Arbeit und kollektive Aktivität geht in unsere feministischen, holistischen, pazifistischen und ökologischen Bewegungen. Darüber wird Gemeinschaft geschaffen. Doch obwohl es ein gemeinsames Bewusstsein unter den AktivistInnen zu geben scheint, dass alle Themen verbunden sind, wird der Tausch selbst oft noch nicht als negativ verstanden und viel maskulisiertes Verhalten (das der privilegierten Einen) reproduziert. Oft folgen die sozialen Bewegungen immer noch den Tauschprinzipien der Gleichheit und der Gleichung, auch wenn manche den Versuch unternehmen, Vielfalt zu zelebrieren und die Mutter zu ehren. Solange das Tauschprinzip jedoch als letzte Einspruchsinstanz aufrechterhalten bleibt, werden diese Bewegungen auch den Werten des Systems verhaftet bleiben, das sie zu ändern beabsichtigen. Dies schwächt die Bewegungen und die Alternativen, die sie anzubieten haben. Nicht-monetäre, direkte Tauschwirtschaften können unsere Probleme beispielsweise nicht lösen. Sie können vielleicht Momente des Übergangs hin zu einer Schenkökonomie eröffnen, aber nur dann, wenn sie nicht selbst als Lösungen missverstanden werden. Außerdem werden wir immer wieder von den Prinzipien der Gleichheit und der Gleichung eingeholt, solange wir nach Vergeltung rufen, nach „Strafe“, nach einem „Bezahlen“ für die Fürchterlichkeiten, die an der Menschheit und an der Erde begangen wurden. Solche Rufe bestärken die Prinzipien des Systems, das diese Fürchterlichkeiten verursacht hat. Deshalb – unabhängig davon, wie gut ihre Absichten sein mögen – reformieren viele der gegenwärtigen sozialen Bewegungen das System vielleicht lokal und kurzfristig, vermögen es jedoch nicht radikal zu ändern.
Vgl. beispielsweise David Cheal, The Gift Economy.
Den Schenkenden schenken
Auf einer Meta-Ebene kann Wert sich auch als Geschenk des Schenkens multiplizieren, das von den Schenkenden gemacht wird. Wir haben oben Lévi-Strauss’ Auffassung erwähnt, dass der Frauentausch Verbindungen zwischen Männern unterschiedlicher verwandtschaftlicher Gruppen schafft und die gleiche Funktion wie ein Gütertausch hat. Was Lévi-Strauss dabei nicht sieht, ist, dass das Schenken von Frauen tatsächlich ein Meta-Geschenk ist: es ist ein Geschenk, das Schenkende schenkt. Bedürfnisse nach Schenkenden existieren in jeder Gesellschaft, und das Geschenk von Schenkenden ist ein Geschenk, das – wie das Füllhorn – potentiell alle Bedürfnisse befriedigen kann. Frauen schaffen als Trägerinnen materieller Kommunikation die Verbindungen innerhalb einer Gemeinschaft, egal in welcher Position sie sich befinden: selbst dem Tausch als Güter unterworfen, ihm als Geschenke gegeben oder ihr Schicksal selbst kontrollierend. Oft erkennen Frauen selbst diese Rolle nicht und schreiben sich nicht das Meta-Geschenk des Werts zu – genauso wenig wie sie oft die Mutter als die Quelle des Schenkens erkennen oder das Schenkprinzip als Lebensweg.
Von einer feministischen („gynophilistischen“) Perspektive aus können wir Wert als das Schenken des Schenkens sehen, das im Tauschwert dazu gezwungen wird, sich gegen sich selbst zu wenden und sich selbst auszulöschen. Während es ursprünglich eine binäre Opposition zwischen wertvoll und wertlos gab, die auf dem Schenken beruhte, das auf Andere ausgerichtet war, ist der Tausch eine neue Art von „Schenken“, die nicht auf dem Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein aufbaut. Der Tauschwert schafft vielmehr einen neuen Gegenpol des Schenkens, nämlich das Schenken des Nicht-Schenkens; er schafft einen Gegenpol des Werts, der ein anderer ist als jener der Wertlosigkeit. Damit konstituiert er einen dritten Pol und es gibt nicht länger eine binäre, sondern eine dreipolige, dreieckige Struktur, die aus Wert, Wertlosigkeit und Tauschwert besteht.
Diese dreipolige Struktur wird bald geändert durch die Addition eines vierten Pols: dem Gebrauchswert. Nun wird das Geschenk des Werts dem Tausch und dem Gebrauchswert zugeschrieben und das Schenken wird gänzlich in den Hintergrund gerückt. (Siehe Graphik 17.) Fälschlicherweise schreiben wir das Geschenk des Schenkens dem Tausch zu bzw. dem Markt; was nicht Tauschwert ist oder durch den Tauschprozess geht, scheint wertlos. Der Tauschwert wird der Prototyp der allgemeinen Kategorie des Werts und der Tausch selbst nimmt den Platz des Schenkens ein. Kollektiv wie individuell schenken wir dem Tausch damit zuviel Wichtigkeit, während wir dem Schenken jede Wichtigkeit abschreiben. Dies unter anderem deshalb, da wir uns selbst des Schenkens, das wir praktizieren, nicht bewusst sind. Wir schreiben ihm keinen Wert zu.
Dem Tausch Wert zu schenken, schenkt auch dem idealen Prototypen des erfolgreichen kapitalistischen maskulisierten Mannes Wert, der den Gegensatz zur Mutter darstellt. Das Geschenk des Werts und der Schenkenden (Mutter) wird im Tauschwert eingesperrt, indem seinem Gegensatz Wert geschenkt wird und nicht dem Schenken. (Viele Mütter und Töchter sind buchstäblich eingesperrt von Ehemännern, Vätern, Söhnen, Brüdern, usw.) Das Schenken des Schenkens ist gewöhnlich nicht als solches erkennbar, auch deshalb nicht, weil Erkennbarkeit zu einem großen Teil mit der Sprache und dem Aspekt der Ersetzung verbunden ist, der wiederum Teil des Tauschprozesses ist. Wenn der Tausch schwächer wird (oder wir außerhalb der binären Opposition zu denken beginnen), können wir den Wert des Schenkens von Schenken erkennen, genauso wie das Bedürfnis nach dem Schenken, das auf komplexen sozialen Beziehungen beruht und nicht nur auf Vorstellungen davon, was wir verdienen (Vorstellungen, die von der Selbstähnlichkeit und der Anteilnahme am Tauschprozess zu kommen scheinen).
Vergeben
Wenn das Geld den Platz eines Produkts einnimmt (wie das Wort den Platz eines Dings einnimmt), sagt dies über das Produkt: „Hier ist ein Geschenk, etwas, das ein Bedürfnis befriedigt!“ Nachdem das Geld aber als Eigentum von einer Person an eine andere übertragen wird, tritt es in die anti-kommunikative Logik des Nicht-Geschenks ein: „Für mich, also nicht für dich – für dich (oder andere), also nicht für mich!“ Unsere Kultur versteht diesen Nicht-Schenkprozess jedoch als Geschenk bzw. als sozial brauchbaren Prozess und gibt ihm den Namen „Tausch“, wodurch wir unsere verbalen kommunikativen Bedürfnisse in Bezug auf diesen Prozess befriedigen können. Bald finden wir uns völlig in diesen Tauschprozess involviert und er scheint wertvoll. Er befriedigt unser Bedürfnis nach einer Quelle von Gütern in einem Moment, in dem Güter für uns unerreichbar gemacht wurden aufgrund des Eigentums und der Auslöschung des Schenkprinzips. Der Zugang zu Gütern wird von der Produktion von anderen Gütern von gleichem Wert abhängig gemacht, sowie von deren Einschätzung und Tausch, was zur Auflösung des materiellen Schenkprozesses und des Werts, den dieser vermittelt, führt. Damit werden auch die menschlichen Verbindungen und die Gemeinschaft aufgelöst, die dem Schenkprozess entsprechen. Wir beziehen uns nunmehr auf den Tausch als die Quelle dessen, was wir haben, so als wäre er die Mutter – während er tatsächlich der Maskulisierung und dem Entfremdungsprozess des Buben (bzw. des Vater, als er ein Bube war) von der Mutter entspricht. Vielleicht ist dies der Grund, warum Menschen sich so leidenschaftlich mit dem Tausch, dem Markt, dem Kapitalismus und der Maskulisierung identifizieren. Sie tun dies, weil es so scheint, als würden diese Prozesse für sie sorgen.
Das „Geschenk“ des Tausches widerspricht dem wirklichen Schenken. Die Bedürfnisse, die es befriedigt, sind die Bedürfnisse einer Nicht-Gemeinschaft; es sind die Bedürfnisse von Menschen, die in feindseligen Beziehungen von Verkaufenden gegen Kaufende leben. Obwohl wir damit fortsetzen, anhand von Sprache und anderen Zeichensystemen zu kommunizieren, hat sich unsere materielle Kommunikation drastisch verändert und in ihr Gegenteil verkehrt und unsere Einstellungen anderen gegenüber sind demgemäß von Furcht und Ressentiment geprägt.
Vergeben wird zu einem moralischem Problem, während es eigentlich nur die psychologische Manifestation des Schenkprinzips ist. Wenn wir vergeben, weisen wir Hass und Verbitterung zurück, sowie das Prinzip der Vergeltung, des „Ausgleichens“ und „Zurückzahlens“ des Unrechts, das begangen wurde. All dies sind psychologische Ausdrücke des Tausches. Wir versuchen stattdessen die Motivationen für die Handlungen von Menschen in ihren unbefriedigten Bedürfnissen zu sehen. Und wir versuchen, die persönlichen und sozialen Gründe für diese Bedürfnisse zu verstehen, sie zu befriedigen und nach Möglichkeit die Bedingungen ihres Entstehens zu ändern. (Mit anderen Worten: Wir weigern uns, das Schenken des Geschenks für das Nicht-Geschenk aufzugeben. Wir wechseln nicht zum Tausch über.) Wieder zum Schenken zurückzukehren, würde bedeuten, allen zu vergeben.
Es ist beinahe so, als würde das Wort „vergeben“ den Weg zum Prinzipienwechsel weisen. Es geht dabei nicht um einen rein individuellen Akt des Vergebens („Ich vergebe dir!“). Es geht vielmehr um einen allgemeinen Wechsel in unseren Werthaltungen, in unserer Einstellung zum Schenken, in unserem Verhältnis zu Schuld, Schuldzuweisung, Manipulation und Strafe. Die letzteren Vorstellungen sind alle Ausdruck des Tauschprinzips auf der psychologischen Ebene und halten uns an dieses gebunden. Wenn wir im Gegensatz dazu dem Schenkprinzip in unserem Leben Ausdruck verleihen, fördern wir es alleine dadurch, dass andere es unverhüllt wahrnehmen und unserem Beispiel folgen können. Wenn wir die Prinzipien wechseln, unser Verhalten bewusst ändern und Tausch und Vergeltung bewusst überwinden, können wir einen dauerhaften Effekt haben. Dieser Wechsel muss dabei als praktische Möglichkeit für alle gesehen werden, eher denn als eine rein moralische Entscheidung. Der Rahmen der Moralität reduziert die Tragweite des Vergebens auf unsere individuellen Beziehungen, während es um einen kollektiven Wechsel hin zur Mutter und zur Mütterlichkeit geht. Das ist das Bedürfnis aller Kinder dieser Erde.
Das Unterstützen der entfremdeten Nicht-Gemeinschaft
Auch im Tausch setzen wir damit fort, kleinen Kindern zu schenken und mit ihnen eine Gemeinschaft zu formen, in der sie als gemeinschaftliche Wesen sozialisiert werden. Doch unter uns Erwachsenen ist der Tausch wirklich zur wichtigsten und am weitesten ausgedehnten Form materieller Kommunikation geworden. Wir haben eine entfremdete Nicht-Gemeinschaft geformt, an die sich auch unsere Kinder als Erwachsene anzupassen haben, um in ihr überleben zu können.
Die Nicht-Gemeinschaft der Tauschenden erfordert viele Geschenke. Sie erfordert geschenkte Arbeit, um den Profit produzieren zu können, der Kapitalisten motiviert, Unternehmen aufzubauen und zu erhalten. Sie erfordert die freie Arbeit der Frauen, die sich um die Gebrauchswerte kümmern, Arbeitenden schenken, die Arbeiterschaft reproduzieren und damit die Gewinnspanne erhöhen. Sie erfordert das Geschenk unseres Vertrauens und Glaubens, dass sie lebenswert und „gerecht“ ist. Und sie erfordert das Schenken der Menschen untereinander, das jenseits bzw. trotz des Tausches stattfindet – nicht nur in Form verbaler Kommunikation, sondern in Form all der Akte von Güte, Liebe, Großzügigkeit, Gastfreundschaft und Solidarität, die das Leben lebenswert machen.
Unsere ästhetische Erfahrung beruht zu einem großen Teil auf dem kreativen Empfangen von Geschenken. Auch wenn die Kunstgegenstände selbst nicht frei sein mögen. Der nicht-kommerzielle Aspekt, der in jeder Art von Geschäft oder Arbeit oder Aktivität enthalten ist, ist immer frei. Manchmal werden auch Produkte frei auf den Markt gebracht. Die Reise der Kaufenden zum Markt geschieht gewöhnlich immer auf deren eigene Kosten. Die Bedürfnisse der Konsumierenden sind zu einem großen Teil beeinflusst von ihrer Sorge füreinander, speziell seitens der Frauen (aber auch mancher Männer), die die Produkte kaufen müssen, die sie sie für ihre Rolle als Fürsorgende benötigen. Auch die Entwicklung von Bedürfnissen und Begierden ist frei und vollzieht sich im Kontext der Fürsorge (auch wenn dies heute wesentlich durch die Werbung manipuliert wird).
Das Geschenk des Werts ist auch ein Geschenk – nicht nur an den Tausch, sondern an ein systematisches (und instrumentelles, konditionelles) Ego mit dem Bedürfnis zu wissen und abzuschätzen, wie viel eine Person geschenkt hat. Die Produktion einer Person wird quantifiziert und mit der aller anderen verglichen. Angeblich ist diese Abschätzung wichtig, um die Person für ihre Produktion „gerecht entlohnen“ zu können, doch wirklich geht es darum, denjenigen Macht zu verschaffen, die beurteilen, wer Zugang zum Tausch verdient, wer verdient, dass ihm/ihr geschenkt wird, und wer verdient das privilegierte Eine, der Prototyp zu sein. (Das Privileg und die Allgemeinheit des Prototyps kommen von der Polarisierung des Kategorisierungsprozesses, dem sie zugehörig sind, und haben nichts mit dessen Produktionsleistung oder ähnlichem zu tun.) Wenn wir von Verdienen sprechen, so kommt der Äquivalenz bzw. Korrespondenz zwischen Ding und Wort, zwischen Produkt und Geld, zwischen Arbeit und Lohn, exzessiver Wert zu – sehr wenig Wert wird den Bedürfnissen selbst geschenkt.
Gleichungen haben keinen eigenen Wert. Ihr Wert kommt ihnen von außen zu. Wir haben gesehen, dass Gleichungen die Beziehungen zwischen Dingen und Bedürfnissen definieren, und wir überbewerten diesen Aspekt. Tausch könnte nicht existieren, wenn er nicht in vielfältiges Schenken auf vielfältigen Ebenen eingebettet wäre. Das „Geschenk“ des Nicht-Schenkens und die entfremdete Gemeinschaft von Nicht-Schenkenden existieren nur, da sie in eine Gemeinschaft von Schenkenden eingebettet sind, von der sie versorgt werden.
Zu den Geschenken, die wir dem Nicht-Schenken zukommen lassen (und die von diesem vereinnahmt werden), gehören das der Überbewertung des Tausches und unserer Blindheit gegenüber dem Schenken. Unsere Gemeinschaftsformen werden nicht dem Schenken gemäß geformt, sondern folgen den Prinzipien des Tausches. Das gleiche gilt für unsere kommunikativen Bedürfnisse. Wir kommunizieren nicht viel über das Schenken. (Dieser „pragmatische Grund“ wird auch als Legitimation unserer Misogynie und unseres Verleugnens des Schenkens herangezogen und hilft uns, uns diese selbst zu verzeihen. Schuld, Selbstanklage und das Prinzip, „uns selbst etwas zurückzuzahlen“, bestätigen die Tauschlogik freilich nur noch weiter.) Der Tausch hat den Platz materieller Schenkkommunikation genauso eingenommen wie die verbale Kommunikation den Platz materieller Kommunikation eingenommen hat oder wie Männer den Platz der Frauen eingenommen haben. In ihrem Individualismus sind die Tauschenden einander alle verwandt auf eine Weise, die perfekt mit dem Ideal der Maskulisierung einhergeht bzw. mit dem Bild des einsamen, individualistischen Jägers.
Von den Geschenken, die von der Gemeinschaft geschenkt werden (die immer noch auf einer abstrakten Ebene dem Schenken gemäß funktioniert), ist das wichtigste das Meta-Geschenk des Werts, nach dem sich andere Geschenke und Dienste richten. Wir halten den Wert hoch und schreiben ihn der Kunst zu, der Musik oder der Literatur. Diese Prozesse schreiben wiederum selbst in zahlreichen komplexen, wundervollen und überraschenden Formen Wert zu. Wir schätzen die Geschenke von MalerInnen oder ErzählerInnen genauso wie die Geschenke politischer OrganisatorInnen oder selbst das gift of gab von Geschäftsleuten. Diese richten unsere Aufmerksamkeit auf Neues und ändern unsere gewöhnlichen Wertzuschreibungen. Wir lieben weiters die Geschenke der Natur, der Kultur, der Geschichte oder der Wissenschaft, Werte, die, indem sie viele unserer Bedürfnisse befriedigen, uns auch Wert zuschreiben. Doch trotz dieser Wertzuschreibungen, die sich außerhalb des Tauschprinzips vollziehen, erhalten wir dieses aufrecht, solange wir dem Tausch den höchsten Wert zukommen lassen und die meisten unserer Güter und Dienste auf ihn beziehen.
Eine andere Weise, auf die dem Tausch, der Logik der Ersetzung und allen Manifestationen der Maskulisierung Wert zugeschrieben wird, sind die Reproduktionsprozesse. Nur wenn wir wirklich seine Ursprünge und negativen Effekte kennen und verstehen, können wir verhindern, dass sich der Tausch permanent reproduziert und selbst bestätigt. Mittlerweile hat die Tauschstruktur ein hohes Maß an Unabhängigkeit erreicht und gleitet gewissermaßen durch das Universum, um alle Maskulisierungsstrukturen zu bestätigen, wo immer sich diese auch finden mögen.
Tatsächlich macht die Menschheit, wenn sie der Struktur der Maskulisierung erlaubt, sich unentwegt zu reproduzieren, diese Struktur zu einer Art „Ding“ – zu einem Ding, dem wir Wert verleihen, das auf ein Wort bezogen wird, dem wir einen Namen geben, über das wir kommunizieren, das zu einem Prototypen wird, und um das herum wir Kategorien formen. Damit etablieren wir die Struktur endgültig.
Sobald wir diese Struktur jedoch (zum Beispiel) „Patriarchat“ nennen, beginnen wir bereits, sie zu transformieren – wir zwingen sie dazu, dem Wort auszuweichen, das unser gegenseitiges kommunikatives Geschenk für sie ist. Frauen formen sich als Gemeinschaft, wenn sie über das Patriarchat sprechen, so wie ich das in diesem Buch tue und wie es progressive und feministische Bewegungen überall tun. Diese Bewegungen verweisen auf die verschiedenen Muster der Unterdrückung und begreifen die Verbindungen zwischen ihnen. Der nächste Schritt muss darin bestehen, uns gegenseitig zu schenken: Zeit, Aufmerksamkeit, Fürsorge, Güter, das Formen materieller Gemeinschaften jenseits des Tausches. Dann arbeiten wir daran, die Wirklichkeit zu transformieren, und kommen der Möglichkeit näher, der Zukunft eine gute Welt zu schenken.
Anm. d. Übers.: The gift of gab = am ehesten „Redekunst“. Meist verwendet in Zusammenhang mit oraler afroamerikanischer Kultur; teils poetische, teils sophistische Konnotationen.
Eine manipulierte Wirklichkeit
Ich versuche, die selbstähnlichen Muster des Patriarchats in verschiedenen Lebensbereichen nachzuzeichnen, um sie erkennbar zu machen. Frauen und andere have-nots mögen meinen, dass wir unser Potential entdecken würden, wenn wir nur etwas „hätten“, bzw. dass wir dann den haves gleich und endlich „ganze Menschen“ wären. Daher streben wir nach den Belohnungen des Patriarchats und fördern – ohne dass das unsere Absicht wäre – das System. Wenn wir diese Muster erkennen, dann kann es uns vielleicht trotz unserer Abhängigkeit von ihm gelingen, das System zu ändern, da wir aufhören werden, ihm Wert und unsere Herzen zu schenken. (Siehe Graphik 18.)
Der Markt ist wie eine Sprache, die sich gemäß eines quantitativen anstatt eines qualitativen Werts entwickelt und nur ein Wort kennt: Geld. Die Zwänge, denen diese Sprache unterliegt, kommen von den Formen der menschlichen Beziehungen, die sie verlangen: nämlich den Beziehungen des die Menschen trennenden Privateigentums. Das Geld „benennt“ die Produkte dabei immer und immer wieder, indem es ihnen Wert verleiht, während sich aufgrund der Tauschweise, die auf der Ego-Orientiertheit aller beruht, keine materiellen Beziehungen entwickeln können, die die Menschen einander näher brächten. Die menschlichen Tauschenden können so keine Gemeinschaftlichkeit entwickeln.
Der Markt erscheint als normal, als uns gegeben von dem, „was ist“. Tatsächlich ist er eine manipulierte Wirklichkeit. Warum sollten Menschen dem Benennungsprozess erlauben, zwischen denen zu stehen, die Güter haben, und denen, die Bedürfnisse haben? Der Markt bindet das Benennen bzw. Definieren an das Geld-Wort, immer und immer wieder. „Dieser Mantel = $20. Dieser Mantel = $100. Dieser Sack Kartoffeln = $4.“ Die Gleichung zwischen Produkten und Geld, die einen Moment des Benennungsprozesses widerspiegelt, wird zu einem wichtigen Moment für die Gesellschaft im Ganzen. Sie scheint das Tor zu allem Wert zu sein. Sie rückt einige Produkte in die Kategorie des Wertvollen, während andere wertlos bleiben, da sie nicht verkäuflich oder frei erhältlich sind (die Geschenke der Natur: Luft, Wasser, Sonnenlicht, usw.).
Die Maskulisierung bringt alle dazu, auf eine Steigerung ihrer Kategorienzuweisung zu hoffen und eine Erniedrigung zu fürchten. Der Moment der Geschlechtsbenennung („Josef ist ein Bube“) und der Moment der Geldbenennung („ein Pfund Kaffee = $2“) rücken die Person oder das Produkt in eine Kategorie, die dem Wort oder dem Geldbetrag entsprechen und denen deshalb Wert zugeschrieben wird. Mädchen – sowie Produkte, die nicht verkäuflich bzw. frei erhältlich sind (die Geschenke der Schenkenden bzw. der Natur) – gehören nicht zur überlegenen, wertvollen Kategorie. Diejenigen, die dieser Kategorie durch das „...ist ein Bube“ zugeschrieben werden, werden dadurch ihrer Fähigkeit zu schenken beraubt. Eine andere Anforderung setzt sich an ihre Stelle, nämlich die Anforderung, nach Wörtern, Positionen und Geld zu streben (was gleichzeitig eine Ablenkung und eine Art Sucht darstellt). Die Benennung des Geschlechts und der Tausch von Produkten für Geld geben uns einen Platz in der Welt – aber einen, an dem Geschenke nicht erkannt und Gleichung und Ersetzung überbetont werden.
Wir schenken eher Definitionen Wert als Menschen oder dem Weg der Fürsorge, der im Schatten verborgen bleibt. Geschenke verleihen den Beschenkten Wert, der Tausch tut dies nicht – außer durch die Vorstellung des „Verdienens“, der zufolge die Tauschenden selbst die Ursache ihres eigenen Werts, ihrer Produktion, usw., sind. Wie in der Maskulisierung (wo die Buben lernen, den Namen „männlich“ zu verdienen), übernimmt die Definition die Kontrolle, während das Schenkmodell ausweicht. Das soziale Geschenk: der Name, ersetzt individuelle Geschenke und scheint, da er allgemein ist, etwas Besonderes zu sein und eine verborgene Macht zu haben. Die Position des Einen stützt diese fetischisierte Macht des Namens, da sie im „wirklichen Leben“ (the real world) als ein privilegierter, phallischer Prototyp verwendet wird. Wenn wir eine professionelle Qualifikation „verdienen“, können wir uns Journalist oder Arzt nennen. Wir treten damit in eine privilegierte Kategorie ein. Indem wir uns auf angemessene Weisen verhalten bzw. lernen, das Wissen, das wir uns angeeignet haben, in die Praxis umzusetzen, sind wir in der Lage, diese Definition zu erfüllen. Wie beim Buben geht es also darum, sich das Recht zu verdienen, seinen Namen tragen zu dürfen – und sich außerdem sein Leben in der Tauschökonomie zu verdienen.
Ein sich selbst reproduzierender Parasit am Baum des Lebens
Auf einer wirklichen Meta-Ebene würden wir den Tausch als einseitig erkennen, genau so wie wir das männliche Geschlecht (und seine Definition) als einseitig erkennen würden. Aber das Schenken sieht sich selbst – oder die Schenkenden – nicht als dessen kreativ-empfängliches Andere. Selbst auf der Meta-Ebene herrscht Verwirrung aufgrund der verschiedenen selbstähnlichen Reflexionen. Alles, was im Wesentlichen sich selbst Wichtigkeit zuschreibt, ist notwendigerweise einseitig, da es das Andere abwertet und sich selbst dekontextualisiert (wobei es die Reflexionen der Kategoriestruktur dann so aussehen lassen, als wäre es alles, was existiert). Geschenke verlangen, dass es andere gibt, die sie erhalten. Aber Menschen in dem geschlossenen System extrem hierarchischer patriarchaler Strukturen instrumentalisieren andere als „verschieden“ oder „unterlegen“, um sich selbst Wichtigkeit zu versichern. Sie verwenden andere dafür, sich selbst zu erhöhen, anstatt deren Rolle für ihr eigenes Wohl anzuerkennen. Dieser Prozess vollendet die Konstruktion der artifiziellen Egos, während er es so aussehen lässt, als wären sie self-made – sei es weil sie die Fürsorge, die ihnen zukommt, „verdienen“; sei es aufgrund von Manipulation oder Zwang; sei es aufgrund der „Unterlegenheit“ der anderen; oder weil es deren „Natur“ und „Instinkt“ entspricht, Menschen in privilegierten Positionen zu versorgen („natürlich kümmert sie sich um ihn – er ist schließlich ihr Mann!“).
Der Mann besetzt die Position des Prototypen bzw. des Einen und verlangt, dass andere sich auf ihn als Viele beziehen, wobei er den Moment des Vergleichs und der Äquivalenz zwischen Objekten und Prototypen im Kategorieformationsprozess wieder einrichtet. Die Vielen weichen dem Einen, das übernimmt, aus und reproduzieren damit die Beziehungen des Einen und der Vielen zwischen Dingen und Namen. Die Muster des Einen und der Vielen bestätigen sich auf diese Weise permanent selbst, auch weil sie einer abstrakteren Meta-Ebene entsprechen. Das menschliche Eine ignoriert die Vielen und steht alleine, außerhalb jedes Kontexts, ganz auf sich selbst bezogen. Gleichzeitig wendet es den Kategorisierungsprozess auf sich selbst an. Indem es sich selbst als einsamen Einen sieht, ist es nur sich selbst und anderen Einen gleich.
Die Person, die in der Position des Einen ist, reproduziert und reflektiert sich selbst auf verschiedenen Ebenen. Nachdem Wiedererkennen auf Vergleich und Äquivalenz beruht, scheinen Vergleich und Äquivalenz die wirklich wichtigen Elemente in diesen Prozessen zu sein, selbst auf einer Meta-Ebene. Denn auch diese bestätigt den dekontextualisierten Kategorisierungsprozess in seinen vielfältigen Formen. Dabei sieht es freilich nur so aus, als würden die Gleichungs- und Kategorisierungsformen auch die gesamte Meta-Ebene konstituieren. In Wirklichkeit sind sie nämlich nur ein Ast des fraktalen Baumes, dessen Stamm das Schenken ist. Vielleicht können wir sagen, dass die selbstähnlichen Strukturen eine Kletterpflanze sind, ein Parasit, der von diesem Baum lebt.
Wenn wir mit dieser Metapher weiterarbeiten, so ist nicht nur der Stamm des Baumes ein Ausdruck des Schenkens. Schenkprozesse machen den Baum als lebendes Wesen aus: das Sonnenlicht erlaubt den Blättern durch Photosynthese die Energie zu produzieren, die er benötigt; der Regen verschafft den Wurzeln Feuchtigkeit; und die Erde und der Humus, der aus früheren Blättern und Bäumen besteht, verschaffen ihnen Mineralien. Die Geschenke des Sonnenlichts, der Luft, des Wassers und der Erde erlauben die Entwicklung von Lebewesen, die Geschenke empfangen können. Auch die dekontextualisierte Gleichung, die Kategorien, der Tausch, die Hierarchien oder die Meta-Ebene der Selbstähnlichkeit können nur auf der Basis von Geschenken existieren und auch ihre Wurzeln sind im Schenken verankert. Sie sind selbst abstrakte Geschenke, die einer manipulierten Wirklichkeit und manipulierten menschlichen Existenzen entsprechen und heute unsere Gesellschaft bestimmen. Auch patriarchale Strukturen entwickeln sich also in einer Kultur des Schenkens, da auch sie fähig sind zu empfangen und jenen etwas zu schenken, die es gewohnt sind, beschenkt zu werden.
Die Dekontextualisierung ist eigentlich nur ein Moment der Abstraktion, der für die Formation von Kategorien erforderlich ist. Sie wurde jedoch in der Form der Isoliertheit des Egos zu einem permanenten Zustand verkehrt. Diese dient der maskulisierten Ökonomie und Psychologie und allen Institutionen, die auf der Maskulisierung aufbauen.
Das Patriarchat behält Kontrolle über die Gesellschaft aufgrund des Zusammenspiels verschiedener dekontextualisierter selbstähnlicher Strukturen. Die Kletterpflanze – der Parasit – ist die Überentwicklung der Gleichung, der Kategoriestruktur, der Klassen. Sie setzt sich aus definitorischen Fäden zusammen, die in Hierarchien organisiert sind und die Geschenke des Baumes aufsaugen, um die Einen an der Spitze zu versorgen. Das Patriarchat kann nicht für sich selbst existieren, sondern windet sich um den Baum des menschlichen Schenkens, ernährt sich von diesem und entzieht ihm dabei das, was er zur Befriedigung seiner eigenen Bedürfnisse benötigen würde. Dadurch wird ein Mangel geschaffen, der gleichzeitig zur Voraussetzung patriarchaler Herrschaft wird.
Der artifizielle Parasit verschafft sich Glaubwürdigkeit und Wert durch die ständige Reproduktion seiner Form. So ersetzt der Tausch, wenn er ein Produkt mit einem anderen ersetzt, auch das bedürfnisorientierte vielfältige Geschenk mit der Gleichung, die nur quantitativ variiert, qualitativ jedoch immer die gleiche bleibt (x = y). Er behauptet damit einen Teil des Kategorisierungsprozesses – nämlich die Gleichung – als Wirklichkeit, während er die schenkende Frau mit dem männlichen Prototypen ersetzt. Qualitativ orientiertes Schenken wird ersetzt von einem quantitativen Benennungsprozess, der seine Geschenkaspekte für nichtig erklärt. Diese Ersetzung ist das Ausleben der Maskulisierung. Die Gleichung selbst erscheint dann als Geschenk und als unübertragbar und womöglich unentrinnbar. Sie richtet ihre Aufmerksamkeit auf sich selbst und erhält Wichtigkeit von anderen aufgrund ihrer selbstzentrierten Reflexionen.
Wir haben über den Tausch zuvor als Definition gesprochen. Da es nur ein materielles Wort gibt: Geld, spreche ich jetzt von Benennung. Im monetären Tausch vereinen sich mehrere definitorische Funktionen.
Die Klasse der dekontextualisierten Klassen ist selbst eine dekontextualisierte Klasse. Eine wirkliche Meta-Perspektive würde jedoch weiter reichen und das Schenken inkludieren. Damit würde sie auch das Verschiedene bzw. das andere inkludieren – gewissermaßen rekontextualisieren – und die dekontextualisierte Klasse zerstören. Doch das patriarchale Denken – genauso wie die patriarchale Gesellschaft – konzentriert sich auf die Klassen alleine und verleugnet den Schenkkontext bzw. das Schenkprinzip. Manche mögen einwenden, dass das Vergleichen von Tauschen und Schenken in etwa so wie das Vergleichen von Äpfeln und Orangen ist. Der Punkt ist jedoch, dass diese Äpfel nur in einem Kontext von Orangen existieren können, die ihnen schenken.
Sein und Haben
Was wir hier sehen, ist das psycho-sozial-ökonomische Zusammentreffen von Sein und Haben in den Formen der Beziehungen zwischen Wort und Prototyp, Prototyp und Objekt, Vater und Sohn, Besitzer und Eigentum, ja selbst Besitzer des männlichen Körpers und Körperteil. Der maskulisierte Bube identifiziert, was er ist, über das, was er hat, und über den Vergleich dessen, was er hat, mit dem, was andere haben. Darum geht es und nicht um eine Identitätsform, die sich im Zuge von Schenken und Empfangen entwickelt. Im Gegensatz dazu nimmt die maskulisierte Identitätsform des Buben symbolische Dimensionen an, die sich um Besitztümer drehen: oft phallische Symbole. Der Bube versucht, sich den Phallus, der der Besitz des erwachsenen Mannes ist (der als das Rollenmodell des Buben fungiert), symbolisch anzueignen – in Form von Spielzeugautos, Spielzeugwaffen, usw.
Der Tausch wird notwendig aufgrund der vom Privateigentum implizierten menschlichen Isoliertheit. Das Eigentum ist eine Beziehung, in der die vielen Dinge dem einen Besitzer schenken und ausweichen. Dies macht sie der Beziehung zwischen Männern und Frauen ähnlich: den Männer als Inhabern von Körperteilen, mit dem Phallus an der Spitze – den Frauen als jenen, denen etwas fehlt, und die dem Einen, der dieses Etwas hat, schenken und ausweichen.
Frauen internalisieren die im Tauschprinzip implizierte Lust aufs Eigentum und das Misstrauen dem Schenken gegenüber, und dies ist vielleicht auch Teil des Grundes, warum wir unsere Söhne nicht an das Schenkmodell zu binden versuchen. Wir stoßen sie vielmehr vom Schenken weg und zwingen sie zum Tausch, zum Wechsel ihrer Kategorien und zum Vergleich mit ihrem Vater. Wir wollen sicher gehen, dass die Buben die richtige Art von Identität haben werden, um sich das, was sie brauchen, verschaffen und es behaupten zu können. Wenn sie dem Modell ihrer Mütter folgen würden, würden sie wahrscheinlich als „Schwächlinge“ angesehen und vom heterosexuellen Patriarchat ausgeschlossen werden, verbannt in ein Niemandsland, in dem sie weder Männer noch Frauen wären.
Warum lassen wir Mütter dies zu? Warum behalten wir unsere Söhne nicht in unserer Kategorie? Deshalb, weil das Geschlecht letztlich eine ökonomische Kategorie ist. Was wir als männliche Charakteristika von Wettbewerb ansehen – Aggression, Gefühlssublimierung, Konzentration auf Ziele eher als auf Prozesse, usw. – sind Qualitäten, die vom Kapitalismus belohnt werden. Der Grund dafür ist, dass der Kapitalismus die ökonomische Form ist, die auf männlichen Geschlechtscharakteristika beruht. Der Kapitalismus ist die Reproduktion des Tausches und des Wechsels der Kategorien auf vielen Ebenen; eine Reproduktion, die von der Geschlechtsdefinition und dem Verleugnen der Fürsorge verursacht wird.
Das Besitzen des Wertprototyps
Das Patriarchat verleugnet und entwertet das Schenken, um sich selbst zu erhalten. Die zwei Prinzipien (Tauschen und Schenken) bleiben konsistent: Mütterlichkeit erscheint als das, was sowohl den Penis als auch den Buben aufgibt (die ihr beide gleichzeitig genommen werden) und zu schenken fortsetzt. Das Schenken erscheint daher als an und für sich aufopferungsvoll, sogar als selbst zerstörerisch. Wer sich dem Tauschprinzip verschreibt, scheint die Mutter aufzugeben, aber sich dafür den Penis, die überlegene männliche Identität und das Tauschmodell anzueignen. Die Logik des Tausches bestätigt sich selbst. Die Logik des Schenkens bestätigt die Anderen.
Im Tauschakt nimmt das Geld den Platz des Besitzers als privilegierter Prototyp des Werts ein, auf den der Besitz bezogen ist. Dieser Akt wiederholt sich jedes Mal, wenn Kaufende zu Verkaufenden werden und umgekehrt. Das Muster des Einen und der Vielen wird zunächst im Besitzverhältnis selbst verkörpert, dann wiederholte Male in der monetären Beziehung zum Besitz. (Siehe Graphik 19.)
Obwohl der monetäre Tausch ein alltäglicher Prozess ist, ist er eigentlich um vieles seltsamer, als er uns anmutet. Wir müssen ihn genau betrachten – in Zeitlupe – um seine Beziehungen zur Sprache zu verstehen, zum Kategorisierungsprozess und zur Maskulisierung. Ein Geldbetrag wird auf einer kollektiven Ebene als Wert eines Produkts bestimmt: „wenn es für andere soviel wert ist, ist es auch für mich soviel wert“. Geld reproduziert auf der ökonomischen Ebene die Rolle des Wortes auf der linguistischen. Produkte können nicht auf Bedürfnisse treffen außer im Tausch. Da Produkte als Waren nicht kommunikativ geschenkt werden können, wird über sie mit Geld gesprochen. Wie das Wort vermittelt das Geld zwischen Menschen in Bezug auf etwas (hier Produkte – dort Dinge) und diese Vermittlung richtet unsere Aufmerksamkeit auf das, was – unter unzähligen Möglichkeiten – im Augenblick für die Kommunizierenden relevant ist und sich auf andere Menschen bzw. ein Bedürfnis bezieht.
Als Wertprototyp, auf den das Produkt bezogen ist, wenn eine Person es als Besitz aufgibt, nimmt das Geld abwechselnd den Platz aller am Tausch beteiligten Personen ein. Der Besitzer des Geldes ist dabei ein menschlicher Prototyp des Einen, auf den der Wertprototyp (das Geld) selbst als Eigentum bezogen ist. Als Verkaufende erlauben wir alle dem Geld anderer den Platz unseres Produktes bzw. Eigentums einzunehmen. Indem wir dies tun, werden wir zu EigentümerInnen des Geldes. Wir könnten sagen, dass die Person in Bezug auf das Geld „Meta“ ist, während das Geld in Bezug auf das Produkt „Meta“ ist. Als Kaufende erlauben wir alle dem Geld den Platz des Produkts bzw. Eigentums anderer einzunehmen und übertragen den Besitz des Geldes auf die Verkaufenden und den des Produkts auf uns selbst. (Siehe Graphik 20.)
Die Menschen voneinander trennende Besitzbeziehung ist somit immer dieselbe – nur ist das, was besessen wird: das Eigentum, als Produkt konkret und als Geld abstrakt. Im kapitalistischen Tauschsystem pendeln die Besitzbeziehungen immer zwischen konkreten und abstrakten hin und her. Der Wert eines getauschten Produkts wird dabei immer und immer wieder reproduziert von dem, was es ersetzt (sei es ein anderes Produkt, mehrere andere Produkte oder Geld). In diesem Sinne behalten wir immer „dasselbe“, auch wenn sich das, was den jeweiligen Wert im Augenblick konstituiert, ändern mag. Wenn wir ein Produkt für Geld verkaufen, werden wir zu Besitzenden des abstrakten Prototyps (des Geldes) selbst. Die Besitzbeziehung des Einen und der Vielen kann also auch das Geld – selbst Kategorieprototyp des Einen und der Vielen – als Eigentum vereinnahmen.
Es gibt eine Art von Ersetzung, die immer und immer wieder ausgeführt wird, wenn anderen Geld als Ersatzkategorieprototyp für ihre Produkte gegeben wird (eine weitere Parallele zwischen Geld und Wort). Für das Produkt nimmt das Geld immer die Rolle des Prototyps der Wertkategorie ein, während die Besitzenden immer die Rolle der Einen in den Besitzstrukturen einnehmen. Die Besitzenden können sich dabei in einer Reihe einander überlappender Eines-Viele-Strukturen gleichzeitig befinden. Neben ihrer Rolle als Besitzende können sie Vater, König, Papst, Stadtrat oder Geschäftsführer sein. Doch selbst wenn sie keinen Zugang zu den Positionen des Einen in sozialen Hierarchien haben, können sie immer noch Eine im Verhältnis zu ihren Eigenschaften sein. Um das Bedürfnis zu befriedigen, ein Prototyp zu sein, muss letzteres aufgegeben werden.
Jacques Lacan beschreibt das, was er das „Spiegelstadium“ nennt, als eine Phase, in der das Kind seine Körperteile als größer wahrnimmt, als sie es eigentlich sind. Ich würde die Vermutung wagen, dass es die Besitzbeziehung ist, die es in dieser Phase dem Buben erlaubt, seine Körperteile als seine zu begreifen und dass dies in der allgemeinen Beziehung des Buben (und späteren Mannes) zum männlichen Prototypen im Tausch reflektiert wird. Siehe Ellie Ragland-Sullivan, Jacques Lacan and the Philosophy of Psychoanalysis, und Kenneth Wright, Vision and Separation. Eine weitere Motivation für Mütter, ihren Sohn der Kategorie des Vaters zu überlassen, mag in ihrer Sorge begründet liegen, was mit ihren fürsorglichen Söhnen passieren wird, wenn sie mit ihren Vätern um die Aufmerksamkeit der Mutter kämpfen müssen. Sie mögen hoffen, dass der Vater den Sohn wenigstens nicht zerstören wird, wenn er ihm gleichgesetzt ist. Sie folgen gewissermaßen dem Beispiel der Mutter des Moses: sie verleugnen ihren Sohn, überlassen ihn Stärkeren – und suchen dann heimlich seine Nähe, um sich um ihn sorgen zu können.
Das Geld selbst wird ersetzt, wenn es nach einer Investition vermehrt zurückkommt. Dies ist eine weitere verlagerte Form der Maskulisierung – vielleicht ein Bube, der vom Kopf des Zeus geboren wurde. Es ist der Kapitalist, der dies möglich macht.
Das Besitzen entspricht vielleicht eher dem Familiennamenkomplex Wygotskis als der Kategorie: Nachdem das, was besessen wird, vielfältig ist, haben die Besitztümer keine gemeinsame Qualität außer der, dass sie sich alle in irgendeiner Form auf dasselbe Eine beziehen.
Der gesellschaftliche Nexus: Wie das männliche Geschlecht den Platz der Mütterlichkeit einnimmt
Das männliche Geschlecht wird vom Vater auf eine Weise verkörpert, die sich von der Verkörperung des Werts vom Geld unterscheidet. Doch gibt es Parallelen, was die Position des Einen anlangt. Das Geld nimmt den Platz des Besitzers ein als das Eine, auf das die Ware als Wert bezogen wird, während der Vater den Platz der Mutter als das Eine, auf den der Bube bezogen wird, einnimmt. Der Besitzer wird also als Eines vom Geld ersetzt, das als (Wort)Kategorieprototyp für den Wert der Ware fungiert, während die Mutter vom Vater als Kategorieprototyp für den Buben ersetzt wird. Die Entsprechung der Strukturen dieser Prozesse erlaubt eine Reproduktion der Entfremdung des Buben in die Kategorie des Männlichen durch die Entfremdung des Produkts in die Kategorie des ökonomischen Werts und die Ersetzung des Produkts durch das Geld.
Die Kastrierung der Mutter wird reproduziert, wenn die Kaufenden das Geld-Phallus-Wort aufgeben und als Belohnung Güter erhalten, die sie verwenden können, um fürsorglich zu sein. Diejenigen, die Geld anhäufen und akkumulieren, setzen sich dieser symbolischen Kastration nicht aus und finden im Kapitalismus einen Weg, das Geld-Phallus-Wort beinahe ins Unendliche auszudehnen. Der Markt dient als ein sicherer Ort, in dem das Kindheitstrauma des Buben ausgelebt werden kann, das auf dem von der Benennung seines Geschlechts hervorgerufenen Kategorienwechsel beruht. Der Markt hat eine heilende Wirkung für den zum Mann gewordenen Buben, indem er zeigt, dass das Aufgeben eines Produkts zum Verkauf und dessen Wechsel sowohl in eine andere Wert- als auch in eine andere Besitzkategorie (im Sinne von: in die Besitzkategorie einer anderen Person) kein an und für sich schädlicher Prozess ist. (Siehe Graphik 21.) Darüber hinaus scheint die symbolische Kastration, die ins Aufgeben des Geldes involviert ist, harmlos zu sein und den Kaufenden nicht zu schaden.
Leider nimmt der Prozess des monetären Tauschs den Platz des Schenkens als die Form kommunalen Lebens ein. Selbst Schenkende beginnen, dem Tauschprozess zu schenken und ihm mehr Wert als ihrem eigenen – dem Schenkprozess – zukommen zu lassen. Die Schenkenden schenken also dem Tausch und den Tauschenden wie sie bereits der Maskulisierung, den Söhnen und den Männer geschenkt haben. Während der Tausch also bis zu einem gewissen Grade die psychologischen Lasten der Maskulisierung und Kastration erleichtert, verursacht er gleichzeitig eine Verschärfung des Problems auf anderen Ebenen.
In der ökonomischen Sphäre spiegelt sich die Abhängigkeit des Kindes von der Mutter auch in der Abhängigkeit der Frau von ihrem Mann wider. Die Frau und die Kinder scheinen sich in Bezug auf den Mann in einer Kategoriebeziehung der Vielen zum Einen zu befinden, die der Beziehung des Eigentums zum Besitzer oder jener des Dings zum Wort entspricht. Hier ist es der Vater, der anderen einen Namen gibt. In der traditionellen Familie gibt der Vater das Geld-Phallus-Wort der Mutter, die es wiederum anderen im Tausch für die Produkte gibt, die sie braucht, um fürsorglich sein bzw. um den Mann und die Kinder beschenken zu können. Die Geschenke des Mannes sind offensichtlich und anerkannt – die der Frau bleiben unsichtbar und unanerkannt.
Die Frau erhält materielle Unterstützung für ihr Fürsorglich-Sein vom Ehemann dafür, dass sie den Buben seiner Kategorie überlassen und ihren eigenen Platz als Kategorieprototyp aufgegeben hat, um (zumindest beinahe) zum Eigentum des Mannes zu werden. Selbst die Tochter wird dem Vater überlassen, da ihr Modell das der Mutter ist, die selbst dem Patriarchat und dem Vater ausgewichen ist und sie nun beschenkt. Indem sie ihren eigenen Wert auf den Mann, den Tausch und die Maskulisierung verschiebt, dankt die Mutter als Schenkprinzipprototyp ab und setzt das Tauschprinzip an seine Stelle. Dafür erhält sie das „Geschenk“ des Haushaltsgeldes vom Ehemann. Im Rahmen des Tauschprinzips und der von ihm produzierten Mangel sind die Nischen, in denen sich Schenkökonomien erhalten haben, von Geschenken abhängig, die selbst von irgendwo innerhalb des Tauschsystems kommen. Frauen haben immer alles getan (und aufgegeben), um an die für ihr Fürsorglich-Sein notwendigen Geschenke zu gelangen. Gegenwärtig bedeutet dies, dass sie sich dem Tauschprinzip ausgeliefert haben, um zu dem Geld zu kommen, dass sie brauchen, um ihre Kinder versorgen zu können.
Selbst wenn Frauen in der Tauschökonomie arbeiten, müssen sie ihre Kinder oft anderen Prototypen überlassen, während sie ihre Arbeit verkaufen, um die Kinder zu unterstützen: Prototypen der Schule, des Fernsehens oder der Strasse. Das ökonomische Modell des Mütterlichkeit wird also in dem Moment, in dem Mütter ihre Arbeit verkaufen, um ihre Kinder versorgen zu können, gleich weiter abgewertet und anderen PädagogInnen überlassen, die die Kinder auf ein Leben im Tausch vorbereiten.
Die weitreichenden ökonomischen Veränderungen, die von Kriegen hervorgerufen werden (wie z.B. vom Zweiten Weltkrieg), gliedern Frauen in die kapitalistische Arbeitskraft ein und schwächen die traditionell ausschließliche Verbindung zwischen ökonomischer Aktivität und Maskulinität. (Eine Verbindung, die an sich weiterhin von der Maskulisierung gestützt wird.) Änderungen im Großen haben immer einen Effekt auf das Kleine, auch wenn sich dies oft langsamer ändert. Obwohl heute viele Mütter in monetärer Arbeit involviert sind, gibt es immer noch Vorstellungen streng getrennter Geschlechterrollen, während soziale Strukturen des Einen und der Vielen die Rolle des phallischen Vaters reproduzieren. Film- und Fernsehstars etwa vertreten den Vater in der Vorstellungswelt. Das Wort wird wieder abstrakt.
Die Ausrichtung hin auf das allgemeine Äquivalent, das Geld, produziert vieles, das dessen Bild entspricht. Etwa die Filme und Fernsehshows, die uns dominante Männer als Eine zeigen, von Polizeikommissaren zu Vätern, von Superhelden zu Sängern. Auch Frauen können als Stars Eine sein – als Sexobjekte, Geschäftsfrauen, Spioninnen. Selbst NachrichtensprecherInnen entsprechen diesem Muster als die einen Sprechenden, auf die viele unsichtbare Zuhörende bezogen sind. Das Herrschafts/Unterwerfungs-Modell zeigt sich – genauso wie jenes der Hierarchie oder des Wettbewerbs – überall in unserer Unterhaltungsindustrie, dem Geschäftsleben, der Politik oder der akademischen Welt. Diese Modelle setzen damit fort, dem kleinen Prince Charming den vergifteten Apfel anzubieten und ihn den verderblichen patriarchalen Modellen zu unterwerfen, die in unseren zusehends vaterlosen Familien nicht stark genug Ausdruck finden.
Auch Gangs können die gewalttätigen väterlichen Modelle des Einen und der Vielen, die es in Familien allein stehender Mütter nicht gibt, ersetzen. Männliche Sexualität, die sich dem Benennen des Geschlechts und dem Wechsel der Kategorien gemäß formt, übernimmt die Rolle der Mütterlichkeit als das, was Alfred Sohn-Rethel den „gesellschaftlichen Nexus“ genannt hat : die Tiefenstruktur, auf der sich unsere Gesellschaft selbst gestaltet und reproduziert. Doch ich denke, dass – trotz aller Schwierigkeiten – vaterlose Familien beginnen, diese Situation zu ändern. Allerdings führt die ständige Abwertung allein stehender Mütter, verbunden mit der Abwesenheit des Vaters, dazu, dass sich Buben nach wie vor im patriarchalen Irrgarten von Eines-Viele-Strukturen nicht zurechtfinden und anfällig werden für besonders negative männliche Prototypen, die ihnen Positionen des Einen versprechen.
Die Tochter könnte als Ware gesehen werden, deren Gebrauchswert darin liegt, Fürsorge zu garantieren, sobald für sie bezahlt wurde. Sie könnte aber auch als die Ware gesehen werden, die nicht getauscht wird – zumindest bis zu ihrer Heirat.
Die Normalität des Tausches wird unterstrichen von der Vorherrschaft des Verbalen über das Nonverbale, die unsere Gesellschaft – und damit auch unsere Kindheit – kennzeichnet. Schließlich eignet sich das Kind die Sprache in genau jener ödipalen Periode an, in der sich die Maskulisierung vollzieht. Die frühzeitige Genitalisierung des Buben wird von der Bedeutung der Sprache, der Benennung und dem Transfer des Buben von der mütterlichen in die väterliche Kategorie (oder zumindest in die des männlichen Prototypen) ermöglicht. Der monetäre Tausch zeichnet dann die ödipale Situation nach und bestätigt sie damit genauso wie den Moment der Genitalisierung. Ex-change (Tausch) ist wirklich ein Sex-change (ein Tausch des Geschlechts).
Alfred Sohn-Rethel, Geistige und körperliche Arbeit. Sohn-Rethel denkt, dass die Tauschabstraktion, die vom Tausch der Waren kommt, der gesellschaftliche Nexus ist. Ich glaube, dass der Tausch der Waren von der Maskulisierung kommt – und diese damit die Basis der Tauschabstraktion ist.
Das Ausleben der Maskulisierung auf dem Markt
Die Welt der Waren imitiert die Welt des Patriarchats. Die Sohn-Ware wird dem Geld-Vater präsentiert und ihm als gleich befunden, als etwas, das sich auf ihn als ein Äquivalent bezieht und dem erlaubt wird, in seine Kategorie einzutreten – der privilegierten Kategorie der Dinge, die monetären Wert haben. Um dies tun zu können, wird die Sohn-Ware von der Mutter- Besitzerin-Produzentin(-Arbeiterin) aufgegeben. Der Platz der Mutter-Besitzerin-Produzentin wird zuerst vom Geld als dem Kategoriemodell für die Sohn-Ware eingenommen, und dann von den Kaufenden als denen, auf die dieses Eigentum als seine BesitzerInnen bezogen ist. Die Mutter-Besitzerin-Produzentin gibt die Sohn-Ware auf, damit er auf etwas anderes als seine (ursprüngliche) Besitzerin bezogen werden kann. Dann werden die Rollen geändert und das Phallus-Vater-Geld dient dazu, die Produkte anderer auf etwas beziehen zu können. Dann kann eine andere Mutter-Besitzerin-Produzentin das Produkt-Kind aufgeben.
Wenn das Produkt als ihm gleich befunden wird, dann kann das Phallus-Vater-Geld dazu gebracht werden, das kommunikative Bedürfnis nach einer Möglichkeit zu befriedigen, eine Beziehung zu schaffen (oder zu ändern) und von dem Mutterprototypen zum Vaterprototypen zu wechseln – so wie das Produkt von den Verkaufenden zu den Kaufenden wechselt. Die Verkaufenden (die Mütter) beziehen ihre Sohn-Ware auf das Geld (den Vater), wägen sie gegeneinander ab und befinden sie als gleich, wenn sie beide der privilegierten Kategorie der wertvollen Dinge angehören. Der Prozess, das Produkt mit einem Tauschwert auszustatten („zu benennen“) ersetzt – wie der Prozess, der den Buben als „männlich“ benennt – den Prozess des Schenkens und Erhaltens brauchbarer Güter. Doch es sind nicht die Bedürfnisse anderer, die den Tausch bestimmen, sondern das Prinzip der „effektiven Nachfrage“. So wird das Geld, andere besitzen, interessant – in Hinsicht auf unser eigenes Bedürfnis nach Geld. Ziel wird, die Besitzbeziehungen anderer zu ihren brauchbaren Gütern zu ändern, um eigene Bedürfnisse zu befriedigen. Das materielle Bedürfnis wird vom definitorischen Meta-Bedürfnis überlagert.
Der Gebrauch des Wortes labor im Englischen (sowohl „Arbeit“ als auch eine Bezeichnung für den Prozess des Gebärens: to be in labor – Anm. d. Übers.) ist interessant. Der Verwendung des Wortes nach scheint es so, als würde die Mutter ihren Sohn aufgeben, sobald sie ihre labor abgeschlossen hat und er „delivered“ (im Englischen sowohl „geliefert“ als auch „entbunden“ – Anm. d. Übers.) wird, um in dem Moment geschlechtlich definiert und auf den Begriff „männlich“ bezogen zu werden, in dem die Hebamme oder der Doktor sagt: „Es ist ein Bube!“ So schnell gibt die Mutter also ihren Sohn und die Möglichkeit, selbst Prototyp für ihn zu sein, auf. Und wofür? Für ein Wort! „Am Anfang [sobald er geboren wurde] war das Wort!“ Der Bub hatte nie eine Chance.
Durch den Prozess des Kaufens-um-zu-Verkaufen arbeitet sich das Phallus-Vater-Geld immer und immer weiter durch das gesellschaftliche Feld und bezieht Sohn-Waren auf sich, was es ihm auch erlaubt, sich selbst als allgemeines Äquivalent zu bestätigen. Dann verwenden die Besitzenden des Phallus-Vater-Geldes ihre Sohn-Waren dazu, Bedürfnisse anderer zu befriedigen. Der Wert der Sohn-Waren für diese anderen ist größer als für die Besitzenden selbst, sodass die Quantität des Phallus-Vater-Geldes wächst. Die ökonomisch Operierenden werden in eine quasi-sexuelle Aktivität involviert: sie kaufen nicht, um die Ware zum Befriedigen eigener Bedürfnisse zu verwenden, sondern um die Anzahl ihres phallischen Geldes zu erhöhen, indem sie sie weiterverkaufen.
Von der Perspektive der Linguistik aus bringt die Interaktion der ökonomischen Kommunizierenden den Geld-Namen ins Spiel, sodass Dinge über ihre kollektiv geschaffenen Wortäquivalente auf Menschen bezogen werden können. Was von diesen Prozessen in Einkaufsläden sichtbar bleibt, ist die Hierarchie der Produkte, mit ihren Preisen vom niedersten bis zum höchsten – hier haben wir die „Söhne“ mit ihren Preisschildern als ihren Kennzeichen, mit Nummern, die zeigen, wie weit „oben“ sie sich in der Hierarchie befinden bzw. wie sehr sie ihren Geld-Namen „verdienen“.
Eine kollektive Psychose
Wir schaffen uns unsere Wirklichkeit gegenwärtig auf eine Weise, die schädlich ist. Es ist jedoch nicht notwendig, sie so zu schaffen. Damit meine ich nicht, dass es Bäume und Kühe, Berge und Autos, Kinder und Großmütter nicht gibt. Ich meine, dass wir einem manipulierten Prozess anheim gefallen sind, ihn ausgelebt haben und die Bilder, die er von sich selbst kreiert, als die Prinzipien anerkannt haben, nach denen wir unser Leben organisieren müssen. Die Fehlinterpretation davon, wer wir sind and was wir tun sollen, resultiert in der Belohnung „zu haben“ und in der Strafe „nicht zu haben“. Maskulisierung schafft eine kollektive Psychose, in der individuelle Männer gegeneinander darum wetteifern, der Prototypmann zu sein – genauso wie Armeen darum wetteifern, ihr Vaterland zur Prototypnation zu machen.
Die Funktion des Übernehmens (des Ersetzens) von Wörtern wird überbewertet und zu Herrschaft verkehrt, während die Funktion des Ausweichens (Ersetzt-Werdens) von Dingen zu Unterwerfung wird. Diese komplementäre Manipulation kann auf vielen verschiedenen Ebenen gefunden werden. In der Familie etwa wird das Übernehmen manchmal gewalttätig in Form der maskulisierten Geschlechterrollen oder der Dominanz der Erwachsenen über ihre Kinder durchgesetzt. Das Ausweichen kommt dabei der Frau oder den Kindern zu – sie müssen sich den Worten/Befehlen des Mannes gegenüber unterwürfig zeigen. Auf dem Markt wiederum nimmt das Geld Platz ein und das Produkt weicht aus – genauso wie der Tauschprozess allgemein Platz einnimmt und das Schenken ausweicht.
Das Patriarchat ist eine Mischung vertikaler definitorischer Bänder, deren Aspekte selbstähnlich sind und mit dem Markt in Verbindung stehen, wo die Vertikalität der Bänder auf den numerischen Ausdruck des Preises verschoben wird. Die Definitionen des Markts sind viele und sie sind kurzlebig. Die Definitionen des Übernehmens und Ausweichens sind im Gegensatz dazu langfristig – angepasst an die Anforderungen von Befehl und Gehorsamkeit, wie wir sie z.B. von politischen, militärischen oder klerikalen Hierarchien her kennen.
Obwohl auch in diesen Hierarchien viele einzelne kurzlebige Akte von Übernehmen und Ausweichen (und von Befehl und Gehorsam) vorkommen können, fließen sie letztlich alle zusammen, um stabile langfristige Ordnungen zu schaffen. Auf dem Markt ist die Position des „Oberbosses“ nur von einem besetzt: vom Geld, dem allgemeinen Äquivalent. In menschlichen Hierarchien gibt es hingegen eine Kette, entlang der die oberen Einen von den unteren Einen nehmen bzw. anders herum gesagt: entlang der die unteren Einen den oberen Einen schenken und ausweichen, sodass sich eine Hierarchie von immer privilegierteren Einen ergibt.
Der zwischen Produkt und Bedürfnis liegende Moment, der auf Tausch und Gleichung beruht, wird zum Brennpunkt der gesamten Gesellschaft und verlangt Gleichheit mit Geld für den Zugang zu Waren. Die maskulisierende Definition übernimmt somit die Rolle der Fürsorge und etabliert sich überall als gesellschaftliches Modell.
Anstatt dass wir unsere Probleme dadurch lösen, die Materialisierung des Wortes auszuleben, haben wir die Realität manipuliert und verteilen Waren auf eine Weise, die sich als psychotisch bezeichnen lässt und letztlich nur dem Wohl einiger Weniger dient, dies jedoch zu einem Grade, der diese Wenigen beinahe allmächtig werden lässt – gemäß dem Traum des Buben. Auf ähnliche Weise verwenden wir unsere verbalen Möglichkeiten ausschließlich dazu, zu benennen und zu definieren, sowie einigen wenigen Menschen Privilegien zuzuschreiben und vielen anderen keine bzw. einige wenige zu haves zu machen und viele andere zu have-nots. Die Maskulisierung (und ihre Prioritäten) haben die Wirklichkeit kollektiv auf eine Schrecken erregende Weise verändert. Wenn wir aber verstehen – wie es östliche Religionen immer getan haben – dass diese Wirklichkeit nur eine Illusion ist, ein Alptraum, dann können wir einer Schenkökonomie die ewige Möglichkeit des wirklichen Traumes zurückgeben. Dann wird es uns möglich, wieder in diesen Traum aufzuwachen, indem wir eine Wirklichkeit (wieder)schaffen, die ein Geschenk für alle ist.
Der lange Arm der Geschlechtsdefinition
Trotz der abgewerteten Position, die das Schenken gezwungen ist, einzunehmen, bleibt es weiter kreativ und fördert das Leben. Es ist notwendig, Aktivitäten, die auf der Definition beruhen, zum Leben zu verhelfen – Aktivitäten, die, für sich selbst genommen, abstrakt und trocken bleiben. Die Verleugnung des Schenkens beinhaltet dementsprechend die Einbindung von Aspekten des Schenkens in das maskulisierte Modell post hoc. Patriarchale Religionen tun dies und befriedigen damit ebenso spirituelle Bedürfnisse (während sie gleichzeitig damit fortfahren, die Wichtigkeit des mütterlichen Modells abzuwerten) wie sie Altruismus verordnen. Manchmal schaffen maskulisierte Männer auch Bedürfnisse, um diese dann zu befriedigen. Zum Beispiel kann eine Gruppe maskulisierter Männer diejenigen, die ihnen schenken, isolieren und schwächen, indem sie sie feminisiert oder versklavt – nur um ihnen danach ihren „Schutz“ anzubieten, mithilfe dessen sie ihre phallische Hegemonie über sie ausüben. Auf ähnliche Weise gehen sie mit Gruppen anderer Männer um, die ihnen ihre hegemonielle Kontrolle streitig machen könnten. Nach diesen Prinzipien funktioniert zum Beispiel militärische Macht.
Der gute Wille maskulisierter Männer, den es durchaus gibt, kommt gewöhnlich leider erst spät ins Spiel – lange nachdem ihre Persönlichkeiten bereits vom Aufgeben des Schenkprinzips und der Annahme der männlichen Geschlechtsidentität geformt wurden. Was dem guten männlichen Willen dann meist nur noch bleibt, ist das Schaffen eines Standards für „moralisches Handeln“, wobei auch hier das Schenkprinzip keine Rolle spielt, obwohl es das einzige Prinzip wäre, das wirklich der Befriedigung von Bedürfnissen Priorität verleihen würde – und zwar nicht nur in den Leben der Individuen, sondern auch in den ökonomischen und politischen Institutionen der Gemeinschaft. Wenn die Gesellschaft als Ganze schenken und dem Schenkprinzip Wert verleihen würde, dann wäre Moral etwas wesentlich anderes. Sie hätte weit weniger mit individueller Heldenhaftigkeit und Willenskraft zu tun, da das gemeinschaftliche Wohl als Lebensvoraussetzung erkannt und kollektiv angestrebt würde.
Die ursprüngliche Struktur der Definition – der ihre Schenkaspekte genommen wurden – ist um vieles umfassender als die Geschlechtsdefinition und hat wenig mit ihr zu tun. Da sie jedoch trotzdem die Basis der Maskulisierung bildet, finden sich zumindest Spuren von ihr in der männlichen Geschlechtsidentität. Wobei es erst die Geschlechtsdefinition ist, die das Definiendum bzw. den Prototyp der Kategorieformation (der zur Schaffung der Geschlechtsdefinition beigetragen hat) überbewertet. An sich sind Definiendum und Prototyp nur Elemente der Definition, wie andere auch. Doch wurden sie in verschiedenen Kontexten – etwa im ökonomischen als der Wertprototyp Geld, aber auch in akademischen oder juristischen – überbewertet. Die Rolle des Geschlechts bleibt dabei meist verborgen – wie die Rolle des Schenkens.
Auch andere anscheinend geschlechtsneutrale Kategorien – wie etwa jene der Rasse – folgen dem Muster des Geschlechts und schaffen einen Wettbewerb um die Position des Kategorieprototyps, auf den bezogen alle anderen Teile der Kategorie – z.B. alle Rassen, die nicht als Prototypen gelten – unterlegen sind. Wie beim Geschlecht werden die Unterschiede in diesem Beispiel als physiologische gesehen, während es tatsächlich nur die Form der maskulisierten Definition ist, die impliziert, dass eine Gruppe einer anderen unterlegen sein, ihr ausweichen und ihr schenken muss. Politische und ideologische Systeme sowie Nationalismen folgen derselben Logik. Diejenigen, die innerhalb bestimmter nationaler Grenzen geboren wurden, können sich denen überlegen fühlen, die außerhalb dieser geboren wurden, selbst wenn es überhaupt keine Unterschiede zwischen ihnen gibt. So kann eine gesamte Nation die Position des allgemeinen Äquivalents (des Prototyps) einnehmen, um die Egos der gesamten Bevölkerung zu stärken, die sich jetzt als Teil der vermeintlich überlegenen Nation sehen dürfen. Politische Systeme, Religionen oder Interessensgruppen folgen alle diesen Mustern im Etablieren hegemonieller Herrschaft.
Sogar die Bibel sagt: „Wer da hat, dem wird gegeben werden.“ (Matthäus 25:29, Lukas 19:26)
Auf einer anderen Ebene dieses Prozesses nimmt der monetäre Tausch den Platz des direkten Tausches ein, der seinerseits ausweicht. Es gibt also zumindest drei Ebenen von Platz-Einnehmen/Übernehmen und Ausweichen, die für die Entwicklung des monetären Tausches wesentlich sind. Diese drei Ebenen bleiben uns immer erhalten und wir können jederzeit auf eine „frühere“ zurückkehren. Wir können also jederzeit Güter anstelle von Geld tauschen – und wir können sogar jederzeit überhaupt nicht mehr tauschen, sondern unsere Güter denen schenken, die ein Bedürfnis nach ihnen haben.
Ich glaube, dass soziale Bewegungen die Gleichheit zu einem zu starken Kriterium machen, da sie deren Bedeutung für die Welt des Marktes unterschätzen. Ich denke, wir sollten uns statt der Gleichheit der qualitativen Vielfalt als Wert zuwenden.
Profit
Die Definition kann manipuliert werden zugunsten der Überlegenheit derer, die sie in verschiedenen Bereichen des Lebens anwenden, genauso wie sie dazu verwendet werden kann, die Überlegenheit von Männern zu bestätigen bzw. zu steigern. Es scheint so, als wären wir anderen überlegen, wenn wir auf mehr bezogen sind, das sich in der Position des ökonomischen Definiendums, des Geld-Worts, befindet. Es scheint so, als würde sich die Geburtssituation immer und immer wieder wiederholen: eine Person rückt in die überlegene Kategorie aufgrund ihrer Beziehung zum allgemeinen Äquivalent (Wort-Mann-Geld) und ihrer Aufgabe des Schenkens. Wenn wir genug vom allgemeinen Äquivalent (dem Geld) haben, erlaubt uns das, die Zeit anderer für unsere eigenen Zwecke zu kaufen und zu kontrollieren. Indem wir von denen, die wir für ihre Arbeitszeit bezahlen, auch erwarten, dass sie uns unbezahlte Arbeit schenken – deren Produkte wir dann verkaufen – können wir Profit machen und Kapital akkumulieren. Wenn wir dazu die phallischen Dimensionen des allgemeinen Äquivalents – und vor allem des Kapitals – bedenken, dann können wir die sexuellen Konnotationen der Investition verstehen: das „Hineinstecken“ von Geld in etwas, um mehr herauszubekommen und dieses Mehr zu reinvestieren, bis wir schließlich Profit ernten.
Wir müssen realisieren, dass jedes Mal, wenn wir Profit machen, einige – oder sogar viele – andere Menschen etwas schenken, auch wenn wir glauben, dass der Profit eine Belohnung an uns ist bzw. etwas, das wir „verdient“ haben. Auch hier wiederholt sich letztlich nur das Verdienen des Mannes, der maskulisiert agiert, dadurch in die privilegierte Kategorie eintritt und den Namen „Mann“ verdient. Tatsächlich besteht die Belohnung des Mannes aus Geschenken, die er erhält – Geschenke, die er selbst nicht mehr zu schenken bereit war, als er in die privilegierte männliche Kategorie eintrat. Wenn die geschlechtlichen Dimensionen der Definition von unserem ökonomischen Leben herrühren würden, wären sie leichter zu identifizieren und zu verfolgen. Doch sowohl die geschlechtlichen Charakteristika der Männer als auch die funktionellen Charakteristika unserer Tauschökonomie haben ihren Ursprung in der maskulisierten Definition, die Männer privilegiert und sie ihren fürsorglichen Müttern entfremdet.
Es ist so, als würden die Buben kollektiv fragen: „Warum bin ich ein Bube und nicht wie meine wundervolle Mutter?“ Doch sie alle müssen sich der Antwort fügen: „Das ist so, einfach weil es so ist.“ Sie haben keine Mittel, diese Bestimmung abzuwehren. Das männliche Modell ist, wonach sie sich – wie ihre Väter vor ihnen – zu formen haben. Erst in diesem Prozess entdecken sie ihre männlichen („menschlichen“) Charakteristika. Es ist so, als ob verschiedene Anforderungen zusammenfallen, um normale Männlichkeit und ihre Dominanz in Benennungs- und Kategorisierungsprozessen zu schaffen: man selbst zu sein; gleich zu sein; einem Prototypen gleich zu sein; ein Prototyp zu sein; die Welt zu sein. Diese bedrückende Situation wird dann auf die Gesellschaft als Ganze projiziert und schafft schließlich die Lebensform (im Original deutsch – Anm. d. Ü.) des ökonomischen Tauschwegs. Der Prototyp des Vaters hat dieselben Charakteristika wie das Sein, genauso wie sie sein Vater vor ihm hatte, und so weiter. Es gibt unendliche Generationen von Vater-Prototypen. Kein Wunder, dass die das Schenken verleugnende männliche Identität, die bis vor kurzem mit menschlicher Identität im Allgemeinen gleichgesetzt wurde, seit langem einen so prominenten Platz im philosophischen Diskurs einnimmt. Sie war und ist immer noch die Quelle, nicht einer höheren Bestimmung, sondern unserer Probleme.
Mehr Haben
Die Ursache des ständigen Wunsches, mehr zu haben, kann vielleicht in der Tatsache gefunden werden, dass der Penis des kleinen Buben wesentlich verschieden und um vieles kleiner als der seines Vaters ist. Wenn der Phallus das Kennzeichen der männlichen Kategorie ist, dann kann der Bube sich nicht wirklich dem Prototypen gleich und der Kategorie vollständig zugehörig fühlen, bis er einen größeren Penis hat. Das Bedürfnis, der Kategorieprototyp zu werden bzw. die Position des allgemeinen Äquivalents oder des Wortes zu besetzen, würde also das Bedürfnis nach einem größeren Penis implizieren. Diesen zu haben, ist dem Buben allerdings unmöglich. Stattdessen erfährt er, dass er selbst, seine Brüder, seine Mutter und seine Schwestern vom großen phallischen Vater beherrscht (und manchmal misshandelt) werden. Der Vater lebt dabei die Rolle des maskulisierten Prototyps aus, die er selbst seit seiner Kindheit angestrebt hat (und die auch ihm damals noch unmöglich einzunehmen war).
Der Bube, der sich in einem Konkurrenzkampf mit dem Vater um die Äquivalenzposition befindet, mag also das Bedürfnis nach einem großen Phallus und seinen ökonomischen und symbolischen Entsprechungen entwickeln, um sich – und die Frauen, mit denen er immer noch (zumindest zu einem gewissen Grad) in einer Schenkstruktur verbunden ist – gegen den Vater, aber auch gegen andere nach Dominanz strebende Männer, verteidigen zu können. Der Bube lernt also früh, auf diese Weise nach Herrschaft bzw. nach der Rolle des Definiendums zu streben. Dabei sieht er sich zunächst freilich mit einem entscheidenden Nachteil konfrontiert: denn auch wenn die Fürsorge der Mutter alle Größenunterschiede zu nivellieren versucht (indem sie den Buben beschenkt und ihm selbst das Schenken in Form von Zeichen, die sie ihn lehrt, ermöglicht), ist es ihm zum Zeitpunkt seiner Geschlechtsdefinition noch unmöglich, seine Geschlechtsanforderung zu erfüllen. Er muss zu diesem Zeitpunkt noch zwangsläufig auf etwas bezogen und ein Teil der Vielen bleiben, weil er noch zu klein ist, um ein Prototyp bzw. ein Eines zu sein. Gleichzeitig liegt das im Kontext der Familie auch in der Logik der Sache: schließlich kann nur einen Einen geben.
Vielleicht liegt im Grunde aller Gewalt, Macht und Habgier die Begierde, größer zu sein (mehr vom phallischen Äquivalenten zu haben), um die Position des Einen okkupieren zu können, die von der männlichen Geschlechtsdefinition verlangt wird. Auch Mädchen können in diesen Wettbewerb um Überlegenheit eintreten, obwohl sie nicht den physiologischen Phallus haben und oft (zumindest zu einem gewissen Grad) den Werten des Schenkens und der Mütterlichkeit verhaftet bleiben, mit denen sie sozialisiert wurden.
Da der Vater oft abwesend ist, kann es passieren, dass der Bub, dem das Modell der Mütterlichkeit genommen wurde, gänzlich ohne Modell für seine Identität bleibt. Zwar ist er sich seiner formalen Geschlechtsdefinition bewusst, kann aber keinen Inhalt mit der von ihr konstituierten Kategorie verbinden. Wenn wir in diesem Zusammenhang an die Gewalt denken, die viele große Männer gegen jene verüben, die kleiner sind, dann wird klar, dass Größe (Quantität) eine Besessenheit werden kann – und zwar nicht nur von Individuen, sondern von ganzen Kulturen. Würde die Erde Besuch von einem anderen Stern erhalten, würden die Besuchenden sicherlich verwundert sein über die immer höheren Wolkenkratzer, mit denen Firmen ihre Macht demonstrieren wollen. Die, die in den Stahltürmen Büros haben, sind natürlich denen überlegen, die Büros in kleineren Gebäuden haben. Diejenigen in den höheren Gebäuden haben mehr Geld und mehr Macht und sind dem Kategoriemodell des Vaters bzw. des erwachsenen Mannes näher, dessen Rolle der kleine Bub nur anstreben kann. Letztlich ist es die Erektion, die so anders und so viel größer als der Penis des Buben ist (ganz abgesehen von allen erotischen Konnotationen). Sie ist es, die die Wolkenkratzer – genauso wie Gewehre oder Raketen – imitieren sollen.
Diese Gebäude legen also Zeugnis ab von dem Ausschluss des mütterlichen Modells. Persönlich betroffen von diesem Ausschluss sind nicht die Buben (da sie – wenn auch zunächst nur als Viele – in der privilegierten männlichen Kategorie bleiben dürfen), sondern all jene, denen das Phallus-Wort-Geld fehlt. Diejenigen, die Waren haben, lassen diejenigen, die Bedürfnisse haben, oft genug sterben, wenn sie kein Geld haben, anstatt ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Frauen (denen der Phallus fehlt) bezahlen hart dafür, dass sie den Buben einer anderen Kategorie überlassen haben. Sie müssen ihm als Buben heimlich den Geld-Phallus als Mehrwert vermitteln. Gleichzeitig wird das Schenken paradoxerweise als heuchlerisch gesehen. Nie würde es als ernsthafte Alternative zum Tausch als Verteilungsmodell akzeptiert werden.
Was ebenfalls versteckt geschieht, ist das Ausbeuten von Ressourcen zur Produktion phallischer Symbole und die unendliche Ausweitung des Kapitals, das sich gleichzeitig immer weiter von den Bedürfnissen der Vielen entfernt. Güter und Arbeitskraft fließen unentwegt von den Vielen zu den Einen, vom Schenken zu Markt und Kapital, von der so genannten Dritten zur Ersten Welt. Wir unterliegen jedoch der Illusion, dass es anders herum läuft. Wie in der Formation der Kategorie erhält der Prototyp seinen Wert von der Existenz anderer Objekte derselben Art – nur findet hier ein tatsächlicher Transfer von Reichtümern statt.
See Carol Gilligan, Nona P. Lyons, Trudy J. Hanmer, Making Connections.
Die „Geschenke“ von der Ersten an die Dritte Welt sind eigentlich Teile versteckter Tauschakte. Sie kehren letztlich immer wieder zur Ersten Welt zurück. Vergleiche zum Beispiel die Arbeiten des DAWNE-Kollektivs, sowie: Gita Sen und Karen Grow, Developmental Crisis and Alternative Visions; Susan George, How the Other Half Dies; und Vandana Shiva, Staying Alive.
Strafe durch Mangel
Die gesamte oben beschriebene Situation könnte auch gelesen werden als Vergeltung der Gesellschaft gegen die Mutter und ihren schenkenden Weg – dafür, dass sie den Buben dem Vater überlassen hat. Das Prinzip der Vergeltung ist Teil des Tausches und geht mit ihm einher. Die Verlagerung der Waren weg von den Bedürfnissen und hin zu den Besitzern des Phallus-Wort-Geldes schafft einen Mangel, der dem Schenken unerhörte Lasten auferlegt, es diskreditiert und ihm, wenn es nicht völlig verunmöglicht wird, schwere Opfer abverlangt. In dieser Situation trotzdem mit dem Schenken fortzufahren, verlangt enorme Anstrengung und beinahe unvorstellbare Hartnäckigkeit. Frauen sind deshalb oft masochistisch genannt worden.
Anstelle dessen sollte die Härte der Situation das System und diejenigen treffen, die den Mangel geschaffen haben. Die Motivationen, die hinter dem Handeln liegen, kommen von ihrem Versuch, mit dem Wechsel der Geschlechtskategorie zurecht zu kommen, zu der sie als Buben gezwungen wurden. Wir Frauen neigen in unserer mütterlichen Großzügigkeit dazu, Verständnis zu zeigen und die Buben/Männer in allem zu unterstützen, doch muss dies ein Ende haben. Es ist keine angemessen Antwort auf die Konsequenzen ihrer Handlungen und der Institutionen, die sie schaffen: die Tode von Millionen durch Krieg, Hunger und Krankheit, sowie die ökologische Zerstörung unseres Planeten.
Der Mangel nützt dem Patriarchat auf verschiedene Weise. Er erschwert das Schenken, sodass dieses nicht als viel versprechende Alternative zum Tausch erscheinen kann. Er straft die Mütter und das Schenken dafür, dass sie ihre Buben dem Vater überlassen und ihnen mehr allgemeines Äquivalent (kurz: Geld) als den Mädchen versprochen haben. Diejenigen, denen es dabei gelingt, zu Prototypen zu werden, können dann ihre ökonomischen Exzesse in phallischen Symbolen aller Art materialisieren. Diejenigen, denen das nicht gelingt, versuchen dies vielleicht durch eine Identifikation mit einer Gemeinschaft auszugleichen, die zu den haves der Gemeinschaften zählt – was sich im Haben großer und mächtiger Gewehre, Flugzeuge oder Bomben ausdrücken mag.
Selbst im Überfluss zu haben, während andere im Mangel leben, erlaubt denen, die haben, sich überlegen zu fühlen und hier und dort kleine Geschenke als philanthropische Gesten zu verteilen. Meist geschieht selbst dies jedoch nur, um die have-nots zu manipulieren. Eine ähnliche Manipulation findet sich in der kalkulierten Verteilung von Anerkennung – für Intelligenz, Schönheit, Wissen oder Kompetenz. Kommt es zu solchen Anerkennungen, werden sie meist von monetären Wertzuschreibungen begleitet.
Die Ausbeutung der Ressourcen der Vielen durch die wenigen Privilegierten, die Reichtum akkumulieren, hat die Ökonomien und Ökosysteme der Erde entscheidenden Veränderungen unterzogen. Die Reichtümer der Wenigen und die Gräben zwischen ihnen und den Vielen vermehren bzw. vergrößern sich dabei zusehends. Dies schafft auch ein Verlangen nach Sicherheit, das aufgrund der ständigen Drohung des Mangels besonders intensiv wird. Heute scheint es so, als riskieren selbst Männer den schnellen Fall in die Kategorie der have-nots, wenn sie nicht entsprechend vorgesorgt haben.
Vielleicht kann uns verziehen werden, wenn wir den Markt und das Patriarchat mit wenig Respekt betrachten. Es scheint sich um eine Art tragisch-komisches Passionsspiel zu handeln, in dem die Entfremdung des Buben von seiner Mutter und seine gleichzeitige Unterwerfung unter die Kategorie des Vaters endlos reproduziert wird. Darin findet sich der Grund der psychologischen Verwirrung, in der wir uns befinden und die uns davon abhält, dem mütterlichen Weg zu folgen; und das, obwohl Millionen von Kindern – beider Geschlechter – verhungern. Die Augen unserer hypothetischen Besuchenden von einem anderen Stern würden sich zweifelsohne mit Tränen des Mitleids füllen für diese potentiell so wunderbare Spezies Mensch, die sich aufgrund eines ursprünglich kleinen und unschuldigen Fehlers solche enorme Probleme eingehandelt hat.
Ich, liebe LeserInnen, heule in der Nacht.
Wenn ihr das versteht, tut ihr das vielleicht auch.
Widersprüche des Marktes
Ich habe mich immer gefragt, wie Profit von „gleichem Tausch“ kommen kann. Die Antwort, auf die ich gekommen bin, ist die, dass der Profit von Geschenken kommt, die dem Tausch und dem Markt zugetragen werden, und zwar von dort, wo kein Tausch herrscht. Diese Geschenke bestehen zunächst aus dem Wert, den wir der Gleichheit zuschreiben (im gleichen Sinne wie Mütter der Gleichheit der Söhne mit ihren Vätern Wert zuschreiben); zweitens aus dem Wert, den wir der Ego-Orientiertheit und dem Tausch selbst zuschreiben; drittens aus dem Versorgen der Arbeitenden; und viertens aus dem Geschenk der Mehrarbeit an den Kapitalisten. Dazu gibt eine weitere Form „gleichen Tausches“, der von außen Wert zugeschrieben wird: derjenigen zwischen Arbeitenden und Kapitalist. Die Arbeitenden akzeptieren, für einen Lohn zu arbeiten, aber nur, weil sie sonst nicht überleben könnten. Überstunde, Aufmerksamkeit, Arbeit und Loyalität sind Geschenke, die im Tausch für das Privileg gemacht werden, den Durchschnittslohn für eine bestimmte Arbeit zu erhalten. In der Logik des Tausches ist es ein Geschenk, in einer Mangelgesellschaft eine bezahlten Arbeit zu erhalten. Was für dieses „Geschenk“ getauscht wird, ist Sorge, Ehrlichkeit, Loyalität, Expertise und ein guter Sinn für Humor. (Wir können dies beinahe als einen reziproken Tausch von Geschenken sehen – so wie es ihn in einigen präkapitalistischen Gesellschaften gibt.) Während die Tauschakte innerhalb des Marktes in einem gewissen Sinne gleich sein mögen, kommen ihnen auf einer anderen Ebene unentwegt verborgene Geschenke zu: an sie, durch sie und um sie herum.
Marx’ Mehrwert ist der Wert der Arbeit, der über den Lohn, der den Arbeitenden bezahlt wird, damit sie arbeiten, hinausgeht. Der Mehrwert ist ein Geschenk der Arbeitenden an die Kapitalisten. Nachdem auch die geschenkte Arbeit der Ehefrau oder der Mutter nicht in die Arbeit der Arbeitenden mit eingerechnet wird, fließt deren Wert ebenso in den Mehrwert. Arbeiten, die nur wenige innehaben können, werden überbewertet, und es fließen Geschenke an sie und an die, die sie innehaben, von denen, die das nicht tun.
Tauschende schenken dem Ursprung des Werts gewöhnlich keine Aufmerksamkeit, sondern nur der quantitativen Akkumulation für zukünftige Produktion. Qualitative Vielfalt interessiert sie dabei nicht. Dieses Verhalten wird legitimiert von den Spiegelhallen und von der Selbstähnlichkeit all der gleichen Tauschakte, die sowohl auf dem Markt selbst stattfinden als auch auf den verschiedenen Ebenen, die den Kontext eines jeden Tauschakts konstituieren. Darüber hinaus erlaubt die Homogenität bzw. der Ein-Wort-Charakter des Geldes dem Markt, das qualitativ vielfältige Vokabular der Sprache mit der quantitativen Hierarchie des Preises zu ersetzen. Auf dem Markt ist die einzige Art, ein Geschenk zu benennen und es somit als Wert zu erkennen (und anzuerkennen), es für. Geld zu tauschen, was seinem Geschenkcharakter widerspricht. So bleibt das Geschenk unsichtbar und ohne Wert.
Profit kommt zum Teil davon, dass wir der Gleichheit schenken und sie höher bewerten als das Bedürfnis. Wenn jemand am Tausch partizipiert, erhält er/sie das Geschenk eines Werts – diejenigen, die „nur“ ein Bedürfnis haben, erhalten dieses nicht. Jedes Mehr, das ansonsten vielleicht an die Person mit dem Bedürfnis gegangen wäre, bleibt damit frei und fließt als Geschenk in den Profit der Tauschenden. Eine Person, die ein Bedürfnis hat, wird als ungleich angesehen, außer wenn sie ein anderes Produkt oder Geld zum Tausch zur Verfügung hat. Als Tauschende gleich zu sein, impliziert nur, dass die Menschen, die tauschen, für eine Gruppe anderer Menschen, die gleich selbstzentriert und konkurrenzorientiert sind, produziert und mit ihr getauscht haben. Ihre Gleichheit als AkteurInnen und als Werte im Tauschprozess impliziert Tauschbarkeit – reziproke Ersetzbarkeit. Gleichzeitig impliziert ihr Mangel an menschlichen Verbindungen soziale Gleichgültigkeit.
Es gibt Bedürfnisse, die vom Tauschprozess selbst kommen – wie es Bedürfnisse gibt, die von der Maskulisierung kommen – und die von den Geschenken, die diesem Prozess von außen gegeben werden, befriedigt werden müssen. Das Schenken weicht dem Tauschen aus, das übernimmt. Das Schenken überträgt sein eigenes (verleugnetes) Wertpotential auf ihn und versorgt ihn, sowie die, die ihn praktizieren. Wenn das Schenken mit dem Tausch konkurriert – etwa wenn es ein Produkt im Überfluss gibt (z.B. durch Überproduktion) – gehen die Preise nach unten. Wenn dies geschieht, kommt den Konsumierenden mehr Wert des Produkts als Geschenk zu und die zukünftige Produktion für den Tausch ist in Gefahr.
Der Markt ist – so wie das maskulisierte Ego – eine psycho-sozial-linguistische Erfindung, die auf Dekontextualisierung beruht. Wie das Ego bedarf es direkter Wertzuschreibung (ohne Tausch) vom Schenken, während es gleichzeitig mit ihm konkurriert und es beherrscht. Die Menschen, die an dieser artifiziellen Erfindung partizipieren – mit einem anderen Wort: tauschen – entwickeln ein Bedürfnis, mehr Wert zu erhalten als diejenigen, die sich außerhalb des Marktes befinden. Sie wollen damit auch von diesen erhalten werden. Teil dieser artifiziellen Praxis des Tausches ist auch das Schaffen einer Belohnung für sich selbst (eines „Ansporns“), der in den Preisen der Produkte liegt. Der Profit, den die Tauschenden erhalten, ist ein Geschenk, nicht nur von den Arbeitenden (den Produzierenden des Mehrwerts) und von denjenigen, die diese Arbeitenden versorgen, sondern auch von den Kaufenden nur limitiert vorhandener Güter. Das Geschenk des Profits kommt also von unbekannten Orten bzw. von den unbekannten Vielen. Mangel an Jobs und Mangel an Gütern spielen zusammen, um den Tausch hochzuhalten und den Fluss der Geschenk hin zu den haves zu sichern.
Verdienen ist eine selbstähnliche Art, Wert zu schenken, nicht nur an die Tauschenden, sondern auch an den Tausch selbst. Die, die für den Markt produzieren, verdienen eine Belohnung. Tauschende erhalten den Wert, als gleiche KonkurrentInnen definiert zu werden, als der gleichen Klasse angehörend. Sie werden als denen überlegen angesehen, die keine Arbeit haben oder unanstellbar sind, denen, die nicht verkaufen oder kaufen können. Die Gleichsetzung ihrer Produkte mit Geld scheint eine (wechselseitig ausschließliche) Gleichheit zwischen ihnen zu implizieren – genauso wie die Fähigkeit, dieselben Wörter für gleiche Dinge zu gebrauchen, eine (zusammenführende) Gleichheit zwischen Kommunizierenden impliziert.
Wenn unsere gemeinschaftlichen Selbst durch Sprache und materielles Schenken entwickelt werden, dann muss der Tausch – die materielle Interaktion des Nicht-Schenkens – als die Basis einer anderen Art von Selbst verstanden werden. Materiell entwickelt diese Art einen Privatbesitzer, während sie psychologisch ein Ego entwickelt, das dem Besitzen angepasst ist: wettbewerbsorientiert, immer mehr haben wollend, darauf abzielend, das Definiendum zu haben und/oder zu sein, danach strebend, das maskulisierte, privilegierte Eine zu werden.
Diejenigen, deren Ego an den Tausch angepasst ist, treten in die Klasse der selbstzentrierten Vielen ein, von denen alle versuchen, privilegierte Eine zu werden. Der individuelle Macho-Wettbewerb geht einher mit der Logik des Ersetzens, die das Schenken von seinem Platz verdrängt, genauso wie die maskulisierten Nationen, Klassen, Rassen oder Religionen den Platz derjenigen einnehmen, die von ihnen dazu gezwungen werden, ihnen Wert und Güter zukommen zu lassen. Selbstzentrierte (und Mann-zentrierte) Gruppen nehmen die Plätze von Gruppen ein, die auf Andere ausgerichtet sind, und werden von diesen versorgt. Die Egos, die im Tausch produziert werden, definieren ihre Verbreitung und die Verbreitung des Marktsystems dann als „Zivilisation“.
So wie Saussures langue konstituieren Preise ein differentielles System, das quantitativ (durch numerisches Fortschreiten) anstatt qualitativ organisiert ist.
Die Definition als Modell: Ein weiterer Dreh der selbstähnlichen Schraube
Geschlecht ist etwas, das wir konstruieren und uns selbst auferlegen, und trotzdem wird es Kulturen als biologisch und somit als unveränderbar präsentiert. Wir neigen dazu, Geschlechterrollen als konstant zu sehen und individuelle Anpassungen als Variablen. Individuelle Persönlichkeitsunterschiede werden in diesem Sinne als Geschlechtsunterschiede interpretiert. Von einem aggressiven Mädchen heißt es, „sie verhält sich wie ein Bube“, während sich ein unterwürfiger Bube „wie ein Mädchen verhält“. Die Vorstellung, dass ein Charakteristikum von uns in unserer Natur (Biologie) liegt, bringt uns dazu, tief in uns zu suchen, um es zu finden. Wenn es aber in Wirklichkeit ein kulturelles Konstrukt ist, das wir suchen, dann finden wir – zumindest am Anfang – nichts; wir müssen das, was vermeintlich in uns ist, erst schaffen, gemäß den Modellen und Definitionen, die uns dafür präsentiert werden. Die Sprache spielt hier eine wichtige Rolle. Kommen wir noch einmal darauf zurück, welche .
Rolle sie in der Maskulisierung einnimmt:
Wir erkennen die Bedeutung kultureller Faktoren für die Geschlechtsdefinition nicht, da die Form der Definition im Inhalt des Geschlechts verheddert ist und seine Geschichte von seiner gegenwärtigen Form verschleiert wird. Es sind komplexe und verwirrende Faktoren, mit denen wir es hier zu tun haben. Die Geschlechtsdefinition reproduziert die ersetzende Struktur der Definition sogar in ihrem Inhalt, wenn nämlich „männlich“ den Platz von „weiblich“ einnimmt. Männliches Verhalten strebt danach, die allgemeine, übernehmende Position des Definiendums zu besetzen. Wir interpretieren dieses Verhalten als etwas, das auf das Wort „männlich“ bezogen ist, und leiten es zurück in die ursprüngliche Gleichung, wobei wir eine soziale selbstähnliche Struktur produzieren. Vielleicht sind wir uns dieser Meta-Ebene gar nicht bewusst, doch nachdem wir die Form der Definition das bestimmen lassen, was für uns Geschlecht ist, leiten wir unser Verständnis des Geschlechts zurück in die Form der Definition.
Nachdem sie so stark mit der Sprache verwoben sind, sind Geschlechternamen als solche nicht wahrnehmbar und sehen wie alle andere Wörter aus. Diese Verdeckung trägt zu ihrem Potential als self-fulfilling prophecy bei. Aufgrund der Selbstähnlichkeit der Geschlechtsbegriffe – mit ihren aggressiven und übernehmenden Konnotationen im Falle der männlichen Begriffe bzw. mit ihren ausweichenden Konnotationen im Fall der weiblichen – scheinen die Verhaltensanforderungen, die sie implizieren, in den Begriffen selbst zu liegen. (Siehe Graphik 22.) Tatsächlich hängen sie jedoch von einem äußeren Kontext ab, der bereits seit Generationen von ihnen beeinflusst wird. So wurde das Geschlechtsmodell des Vaters bereits vom selbst erfüllenden Begriff „männlich“ beeinflusst, bevor der Sohn diesen als Modell annahm, und so weiter. Gleichzeitig reproduziert die Mutter nur den Fehler, den ihre eigene Mutter bereits begangen hat, wenn sie ihre eigene Beispielrolle für den Buben aufgibt, weil sie weiblich ist, und in diesem Moment zu einem Beispiels des Aufgebens und Ausweichens für die Tochter wird.
Der Vater, der sich allgemein auf das Wort „männlich“ als den Prototyp seiner Kategorie bezieht, nimmt innerhalb der Familie die Position des Prototyps (bzw. des Worts) selbst ein. Gleichzeitig tritt das auf dieses männliche Wort bezogene „Ding“ – die Mutter – als Prototyp beiseite und wird zu einer der Vielen, deren Position relativ zum Prototypen ist. Während die Tochter ihrem Beispiel folgt, wird der Sohn bald in den Fußstapfen des Vaters wandeln. Die Analogie, die sich hier zum Kategorieformationsprozess auftut, liegt vor allem in dem Moment, in dem das Wort den Platz des Prototyps einnimmt, der dann selbst nicht länger als Vergleichspunkt notwendig ist, um die gemeinsame Qualität der relativen Objekte zu bestimmen.
Die Mutter gibt also die Position des Prototypen auf und nimmt die Position eines Dings unter vielen ein, die auf das Vater-Wort bezogen sind, das jetzt die Polarität für die entsprechende Kategorie aufrechterhält. Die (selbst reflektierende) Prototypposition des Vaters geht mit dem Wort einher, da er – wie das Wort das Ding – die Mutter als Prototyp ersetzt. Diese Familienkonstellation entspricht wieder der Struktur der Definition selbst. In dieser nimmt das Definiens die Rolle der Mutter ein, da es anderen einen Dienst erweist und ausweicht, während das Definiendum als ein permanentes Äquivalent und ein permanenter Ding-Ersatz die Rolle des Vaters ein- und die Kontrolle in der Kategorie übernimmt. Der Vater besitzt den Phallus, er besitzt die Mutter und er ist der verkörperte Wort-Prototyp für die Kategorie des Buben (und vielleicht der für alle Kategorien – zumindest mag es Kindern beider Geschlechter so erscheinen). Noch einmal, die Art und Weise, in der „männlich“ den Platz von „weiblich“ einnimmt (und patriarchale Werte den von weiblichen), reproduziert die Art und Weise, in der der Prozess des Tausches insgesamt den Platz des Schenkens einnimmt.
Frauen dienen und treten zur Seite genauso wie die Schenkökonomie zur Seite tritt, während Männer sich in den Vordergrund drängen, im Mittelpunkt stehen und die Rolle des Äquivalents übernehmen. Auch dieses Muster kann in der Definition wiedergefunden werden. Wenn der Inhalt männlich ist, reflektiert das Definiendum zurück auf das Definiens. Wenn der Inhalt weiblich ist, bleibt das Definiendum alleine weiblich. Zum Beispiel tritt im Satz „Frauen sind das schwache Geschlecht“ das Definiens „das schwache Geschlecht“ zur Seite (zeigt sich also als „schwach“) und „Frauen“ übernimmt als das Definiendum. So spiegelt der Inhalt (Frauen als Dinge oder Wesen, die ausweichen) die ausweichende Übergangsfunktion des Definiens wider. Die Dinge (Frauen), die auf das Definiendum bezogen sind, haben in diesem Fall Charakteristika des Definiens. Gleichzeitig funktioniert der Satz: „Männer sind das starke Geschlecht“, auf gegenteilige Weise. Hier wird den übernehmenden Charakteristika des Definiendums entsprochen. Sie sind es, die hier reproduziert werden, und die Dinge, die in diesem Fall auf das Definiendum bezogen sind (also die Männer), haben die Charakteristika des Definiendums. So wird in der Definition von der Selbstähnlichkeit eine Brücke gebildet zwischen den Ebenen des Inhalts und der Form. Keine der Ebenen mag an sich so sein, doch werden sie sich gleich, wenn sie an der Funktion gemessen werden, die sie in der sozialen Konstruktion des Geschlechts spielen. Nachdem die Definition in maskulisiertem, übernehmenden Verhalten vergegenständlicht wurde, entspricht die Geschlechtsdefinition ihrem eigenen Bild heterosexuellen Verhaltens. Die epistemologische Ebene, die gemäß dem schenkenden und empfangenden Saatkorn konstruiert wird, wird zwangsläufig von unseren Definitionsweisen beeinflusst und mit unseren kulturellen Fehlinterpretationen des Geschlechts infiziert. Menschen werden künstlich in „männliche“ und „weibliche“ Rollen gezwungen, da wir fälschlicherweise unser körperlich Gegebenes so interpretieren, das impliziert wird, dass wir drastisch unterschiedlichen Kategorien angehören, beinahe unterschiedlichen Spezies. Indem er einige Schritte der Kategorisierung wiederholt, schafft der Mann dann seinem Geschlecht einen künstlichen Inhalt, was wiederum die linguistischen Mechanismen, mittels derer uns die Kategorisierung auferlegt wurde, rückwirkend stärkt. Frauen fördern die Reproduktion dieses Musters, indem sie ihm dienen. Dies bedeutet auch, dass sie in es eintreten, da es sich hier um ein asymmetrisches Muster von Fürsorge und Kategorisierungsherrschaft handelt.
Der Weg des Schenkens ist damit in eine Beziehung mit der Kategorisierung gesperrt, die ihm feindlich gegenübersteht. Er weicht als mögliches Prinzip in unserem Bewusstsein aus und wird von der Herrschaft verdrängt, die in einem selbstähnlichen Schritt die Kontrolle übernimmt. Doch ergänzen sich die beiden Prinzipien weiter, sowohl auf der Ebene der Objekte als auch auf der Meta-Ebene. Die Benennung des Buben als männlich wird etwa in die menschlichen Beziehungen der Gesellschaft projiziert, die diese Benennung bestätigen. (Siehe Graphik 23.) So wird jede Definition zu einem Ausdruck der sozialen Projektionen der Geschlechtsdefinition und dem entsprechenden artifiziellen Heterosexismus. Die Geschlechtsdefinition wird durch unser Sprechen, sowie durch unsere Fähigkeit, uns selbst und andere zu definieren, ständig in unser individuelles Bewusstsein zurückprojiziert. Damit wird die Definition selbst zur Norm und wertet nicht nur den Dienst ihres eigenen weiblichen Definiens ab, sondern die Bedeutung und sogar des Existenzrecht derer, die nicht ihren heterosexuellen Mustern entsprechen.
Zum Beispiel haben reaktionäre Vorurteile einen selbst bestätigenden Aspekt, da die heterosexuelle Form der Definition (und des Benennens) bestehende Herrschaftsnormen bestätigt und diejenigen abwertet, die ausweichen und definiert werden. Dies zeigt sich überall: von den Wörtern, mit denen Jungen Mädchen dominieren („Schlampe“, „Hure“) bis zu den Urteilen, die Frauen von Vorgesetzten, Ehemännern oder anderen Autoritäten erfahren („inkompetent“, „dumm“). Überall werden Frauen gezwungen, dem übernehmenden Definiendum auszuweichen, wenn es vom maskulisierten Mann ausgesprochen wird, dem sie dienen.
Sexuelle, ethnische, ideologische, religiöse oder behindertenfeindliche Abwertungen führen oft genug auch zu physischer Gewalt. Die Definierenden übernehmen und die Definierten weichen aus. Oder anders gesagt: Die übernehmenden Definierenden sind zum Definiendum geworden, während die Definierten zum Definiens oder zum Ding, das ausweicht, geworden sind.
Wir erkennen die Heterosexualisierung der Definition zum Teil deshalb nicht, weil wir ihr einen Prototypen gegeben haben, der uns erlaubt, ihre Geschlechtsfunktion zu ignorieren. Dieser Prototyp ist die abstrakte Gleichung, die die Form oder das „Wesen“ der Definition selbst zu sein scheint. Das Verwenden alphabetischer Variablen (A = B) ersetzt Wörter oder Werte mit inhaltsleeren Platzhaltern. Diese haben keine Allgemeinheit (im Gegensatz zu Wortgeschenken, deren Allgemeinheit in ihrer Konstruktion als Ersatzprototypen impliziert ist), sondern scheinen stattdessen in ihrer Inhaltsleere reziproke Ersetzbarkeit zu implizieren: wenn A = B ist, dann ist B = A. Darüber hinaus kann die Gleichung auch einfach als eine kompliziertere Version der (absolut reziproken) Tautologie A = A gesehen werden. Die Gleichung, die eine simplifizierte und abstrakte Imitation der Definition ist, als den Prototyp aller Definitionen zu nehmen bzw. als deren Modell oder Form, erlaubt es uns, das Übernehmen und Ausweichen, die sich eigentlich in der heterosexualisierten Definition ausdrücken, als belanglos zu vernachlässigen.
Tatsächlich kommt es soweit, dass die reziproke, neutrale (sollen wir sagen: „sterile“?) Gleichung vollständig den Platz der Definition einnimmt, und zwar auf ziemlich gleiche Weise, auf die der monetäre Tausch den Platz des direkten Tausches oder des Schenkens, ja sogar den der Leibeigenschaft einnimmt. In Folge schenken wir diesem Bild von Neutralität und Gleichheit Wert, und die Prozesse des Übernehmens, Schenkens und Ausweichens beginnen von Neuem. Es wir nur jenen Produkten auf dem Markt vergleichbarer Wert zugeschrieben, die (wie maskulisierte Männer im Old Boys Network) bereits zur mit Wert ausgestatteten Kategorie gehören. Relevant ist nur die Quantität des Werts. Es sind ausschließlich Dinge von Interesse, die bereits als tauschbar angesehen werden. Obwohl der Vergleich zwischen einem Produkt und seinem Preis neutral erscheint, wird das Geld zum vergegenständlichten Definiendum, das physisch übernimmt, während das Produkt physisch ausweicht. Gleichzeitig nimmt der gesamte Prozess des monetären Tausches den Platz des Schenkens ein.
Das Zurückwirken der heterosexualisierten Form der Definition auf die Definition selbst produziert selbstähnliche patriarchale Bilder auf verschiedenen sozialen Ebenen. Die unterlegene Position der Frau (wie die des Definiens) dient dabei der Form der Definition: da diese Position nicht wahrgenommen wird, kann sich die Definition wieder rückläufig auf sie beziehen (und sie dabei auslöschen). Gleichzeitig schreibt die verleugnete Schenkaktivität, die von dieser Position kommt, der Form der Definition und der Gleichung Wert zu und weicht ihr als dem Modell für menschliche Beziehungen aus. Eine Multiplizierung der selbstähnlichen Bilder ist die Folge. Frauen, die unteren Klassen, die Vielen, die Kinder, die Vergangenheit, die Zukunft – alles außer der Gegenwart und den beschenkten und dominanten Männern selbst – spielen die Rolle des Definiens für das Definiendum dieser Männer. Auf einer makroskopischen Ebene werden diese Beziehungen zwischen Nationen reproduziert: einige herrschen – und viele andere dienen. Zum Beispiel dominieren die USA die Nationen in ihrem Einflussbereich, die ihrerseits ausweichen und somit die kulturelle wie ökonomische Hegemonie der USA stärken. Diese Beziehungen (die verdeckte Schenkbeziehungen der Vielen an die Einen sind) sind der Mehrheit der Menschen in den USA nicht bewusst.
Manche Sprachen verwenden keine geschlechtsspezifischen Pronomen. andere dehnen Geschlechtsunterscheidungen auf alle Hauptwörter aus, so als würden sie Kinder trösten wollen, indem sie ihnen zeigen, dass alles entweder der Mutter gleich oder von ihr verschieden sind, und dass dies nichts mit ihnen persönlich zu tun hat.
Die Tatsache, dass die Definition an sich ein Dienst ist, der von Sprechenden (oder Schreibenden) an Zuhörende (oder Lesende) geleistet wird, wird oft vergessen, sodass das Übernehmen und Ausweichen zwischen den Wörtern selbst stattzufinden scheint, so als gäbe es keine menschliche Intervention. Tatsächlich sind es freilich die Kommunizierenden, die den Wörtern von außen Wert schenken.
In der Sprache ist das kommunikative Bedürfnis eine bestimmende Überlegung. Die abstrakten Werte der Gleichung scheinen den Werten der Wahrnehmung zu entsprechen: „Wahrnehmung X = Wahrnehmung Y“ scheint etwa ein angemessener Inhalt einer Gleichung zu sein. Aber es gibt keinen Grund für uns, dies in unserem täglichen Leben wiederholte Male zu kommunizieren. Wir wissen es bereits. Unsere Wahrnehmungsapparate funktionieren. Was wir wahrnehmen, ist in unserem Bewusstsein gewöhnlich bereits ein Gegebenes, da unsere kommunikativen Bedürfnisse sich in Beziehung zu anderen entwickeln und damit zu tun haben, welchen Wahrnehmungen wir Aufmerksamkeit schenken bzw. welche Relevanz diese für unsere Zusammenarbeit, unser Verstehen, für unsere kollektiven und individuellen Ideen, Mythen, Geschichten, Perspektiven, usw., haben.
Selbstähnliches vs. auf Andere ausgerichtetes Selbstverständnis
Die Definition (gemeinsam mit ihrem sterilen Spiegel: der Gleichung) manifestiert sich in uns in Form unseres Egos. Das Ego ersetzt zunächst das auf Andere ausgerichtete Schenken und schenkt sich selbst Wert, bevor es auch andere dazu bringt, ihm Wert zu schenken, da es (wie jede Definition) Wert benötigt, der ihm von außen geschenkt wird, um sich behaupten zu können.
Auf der Mikroebene des Marktes gibt es in jedem Tausch einen Wechsel nach oben. Dieser nimmt den Platz des Schenkens ein. Jeder Tausch – mit seiner Wertgleichung, der sich über das Schenken legt – funktioniert auf eine Weise, die auch der Makroebene des Marktes entspricht, auf der das Schenken als Verteilungsweise ersetzt wird. Die Mikro- und Makro-Ebenen bestätigen sich also gegenseitig. (Gleichheit wirkt immer als Bestätigung.) Gleichzeitig kommt dem Markt, der aus unzähligen Geschenken besteht, als übernehmender Totalität aber auch viel Wert von außen zu. Jedem Tauschakt wird somit mehr Wert zugeschrieben als dem Schenken. Auf ähnliche Weise entspricht im Denken des maskulisierten Egos die Mikroebene der Gleichung und Definition in ihrer Struktur der Makroebene der selbstzentrierten und selbstähnlichen männlichen Identität, die übernimmt.
Die Inkarnationen des Wortes und der Definition im Tausch und den Hierarchien, sowie in kommerziellen Unternehmen und sozialen, religiösen und politischen Institutionen, stellen Makroebenen dar, die wiederum die Mikroebenen des maskulisierten Egos und die Form der (heterosexualisierten) Definition (bzw. der ihr entsprechenden Urteile) bestätigen. Diese Institutionen schaffen auch Nischen für maskulisierte Egos, um deren soziale Erwartungen auszuleben und Herrschaftsketten zu schaffen. Wir haben also selbstähnliche soziale Strukturen auf verschiedenen Ebenen geschaffen, auf denen sie sich widerspiegeln und gegenseitig bestätigen können. Die Struktur der Definition und der Maskulisierung wiederholt sich damit immer und immer wieder und legitimiert die Herrschaft der Gleichheit über die Differenz bzw. der normierten Strukturen des Einen und der Vielen über schenkende und bedürfnisorientierte Zusammenhänge.
Nachdem dem Schenken selbst keine erklärende Kapazität zugestanden wird, werden Aktivitäten, die auf ihm beruhen (so wie die Zuschreibung von Wert), von „wertgeschätzten“ Professoren als etwas erklärt, das von den Kategorien kommt, von den Systemen sich wechselseitig ausschließlicher Elemente, von Hierarchien marginaler Wahlmöglichkeiten im Mangel oder von psychologischen oder physiologischen Prozessen sui generis – manchmal bleiben sie aber einfach auch unerklärbare Geheimnisse. Unsere Gesellschaft ist in einem Spiegelsaal gefangen und diese Spiegel finden sich nicht nur in unseren Handtaschen, sondern auch in unseren Köpfen und Organisationen.
Das auf Andere ausgerichtete Selbst des Schenkens ist nicht davon abhängig, zu denken, um zu sein, da die Praktizierenden in dem Moment eine soziale Identität formen, in dem sie die Bedürfnisse anderer befriedigen bzw. ihre eigenen Bedürfnisse von anderen befriedigt werden. Wahrscheinlich rührt auch vieles an der maskulisierten Identität daher, am unanerkannten Schenken und Empfangen zu partizipieren. Dennoch wird die Identität formende Kapazität alleine dem Denken zugeschrieben, der Äquivalenz, den Spiegeln und dem „Sich-Selbst-Finden“, und es wird nicht beachtet, dass sich die Identität der Schenkenden und Empfangenden in ihrer Praxis des materiellen Schenkens selbst schafft – und nicht durch das ausschließliche (oder zumindest überwiegende) Praktizieren seiner Entsprechung in der Sprache wie im Denken.
Nachdem die Bedürfnisse derjenigen, die ihre Identität vom Denken erhalten, von den Schenkenden befriedigt werden, werden sie (meist, aber nicht notwendigerweise, sind es Männer) von diesen auch als diejenigen bestätigt, die die Befriedigung ihrer Bedürfnisse durch andere „verdienen“. Wenn Einzelne unter ihnen eine besonders hohe soziale Position erlangen, kann es sein, dass das Schenken derer, die sie versorgen, als ein Schenken an die Gesellschaft insgesamt interpretiert wird, das transitiv durch die privilegierte Person läuft. (Dies kann generell für Personen gelten, die im Rahmen von Hierarchien diejenigen in höheren Positionen beschenken.)
Frauen versorgen Männer ebenso wie deren Spiegelbilder. Aber eher als an alle Spiegel zu verteilen, müssen wir die Spiegel abmontieren und konkreten Einzelnen schenken, und zwar allen. Wir müssen unser Schenken auf die Lösung der sozialen Probleme richten, die die Männer geschaffen haben. Wir Frauen müssen uns dabei dieser Probleme und ihrer Lösungen selbst annehmen und dürfen die Autorität nicht an maskulisierte, selbstzentrierte Männer abtreten. Wir müssen uns um die Gesellschaft als Ganze kümmern und das Schenkmodell auf eine allgemeine Ebene ausdehnen – es muss allen zugute kommen! Neben dem Praktizieren schenkender Fürsorge in unserem persönlichen Leben und seiner Ausdehnung auf die Lösung allgemeiner sozialer Probleme (was z.B. dadurch geschieht, dass wir Geld, Zeit und Vorstellungskraft einsetzen, um allgemeine soziale, ökonomische, pazifistische und ökologische Bedürfnisse zu befriedigen) müssen wir dabei wirklich einen Paradigmenwechsel vorantreiben, um das Schenkmodell wieder zum leitenden Prinzip für uns alle (Frauen wie Männer) zu machen.
Wenn eine Hackordnung etabliert wird, in der ein Mann zum Prototyp bzw. zum Übernehmer in Bezug auf andere Männer wird, dann können die, die ausweichen, ihre Identitäten als Prototypen und Übernehmer immer noch in Bezug auf deren Ehefrauen und Kinder aufrechterhalten. Selbst der Marxsche Arbeitswert könnte als Teil des Schenkwerts interpretiert werden, der im definitorischen Prozess des Tausches gefangen ist und durch ihn gefiltert wird. Wenn Arbeit direkt Bedürfnisse befriedigen könnte, würde sie in Kommunikation resultieren und würde den Menschen Wert zuschreiben. Wenn wir allerdings den Markt betrachten, dann ist Arbeit, die für ein Produkt aufgewandt wird, relativ zur Arbeit, die für alle anderen Produkte aufgewandt wird. Die Gleichung des Tausches bestimmt so den Tauschwert der Arbeit. Die Arbeit wird zu einem Ding, das auf ein (quantitativ geteiltes) Wort bezogen ist. Marx schloss keine der anderen Geschenke mit ein, die der Arbeitsprozess beinhaltet, wenn es um den Beitrag zum Arbeitswert ging: die Arbeit der Frauen im Haus, Geschenke in Form von höheren oder niedereren Preise, oder die Geschenke der Natur.
Denken und Sein
„Ich denke, also bin ich“ sind die Worte des Tauschenden als privilegierten Besitzerprototyps. Descartes’ Cogito verleugnete die Wichtigkeit der Existenz anderer, der Mutter, der Gesellschaft und der Natur für die Existenz des Individuums. Descartes nahm die Position eines radikalen Skeptizismus ein – er akzeptierte nichts als gegeben (geschenkt). Sein erster Schritt war, sich vom Schenken und Empfangen zu dekontextualisieren und nach der unanzweifelbaren Grundlage seines Seins zu suchen. Da die Disqualifikation des Auf-Andere-Ausgerichtet-Seins dem Tauschenden nicht erlaubt, die Bestätigung seiner Existenz in der Befriedigung der Bedürfnisse anderer bzw. in deren Existenz und Wohlergehen zu finden, muss er seinen Ursprung in seinem eigenen Spiegelbild suchen. Der fehlende Dank der Beschenkten den Schenkenden gegenüber resultiert auch in dem Verkennen anderer als des Ursprungs unser selbst.
Es gibt einen selbstähnlichen Aspekt in diesem Prozess, der die Formation des Egos beeinflusst, und insbesondere die Formation des maskulisierten Egos im Cogito. Wie im Tausch gibt es hier einen Wechsel zur Logik des Ersetzens, die den Platz der Logik des Schenkens einnimmt. Ein Aspekt der Logik des Ersetzens, nämlich „das Denken“, wird dann dazu verwendet, den Gebrauch des Verbs „sein“ („ich bin“) zu legitimieren. Gleichzeitig findet ein Wechsel von Diskurs zu Definition und Selbstdefinition statt, wobei kontingente kommunikative Bedürfnisse beiseite gelassen werden. Da es dekontextualisiert wird (oder sich selbst dekontextualisiert) muss das Ego gewöhnlich weiterhin bestätigt und mit besonderem Wert ausgestattet werden, um existieren zu können. Descartes schuf eine interne Bestätigung des Egos, indem er auf seine Selbstähnlichkeit verwies. Das Cogito folgt der Gleichung und der Selbstähnlichkeit des Tausches und schreibt der Gleichheit (sogar der Tautologie) und der logischen Folgerung mehr Wert zu als dem Bedürfnis. Die Gleichheit von Denken und Sein kommt tatsächlich von derselben Quelle: einer Sprache, die das Schenken verleugnet. Welch Unterschied zu einem Verständnis des Selbst, das auf Beziehungen mit anderen beruht!.
Descartes’ Geschenk an das Patriarchat war die Befriedigung des kommunikativen Bedürfnisses des Egos nach einem logischen Beweis für seine Existenz. Dieses Bedürfnis kommt von der Verleugnung des Schenkens und des Empfangens, der Aktivitäten, die menschliche Existenz an sich materiell schaffen und bestätigen. Selbstähnlichkeit im Denken konstruiert eine Norm, eine Art Spiegel, der alles abzudecken versteht, auf den wir uns ständig beziehen können und der uns ein Selbst reflektiert, das sein Produkt ist. Dieses Selbst ist wie ein Echo in einer Funkleitung, das wir mit einer Nachricht aus dem Universum verwechseln und als Bestätigung unserer Kommunikationsstrukturen und unseres Selbstverständnisses interpretieren – sie scheint der Beweis zu sein, dass die Quelle des Selbst tatsächlich nichts anderes als das Selbst selber ist. Wie in der männlichen Kategorie, in der der Prototyp-Mann auf das Wort „männlich“ bezogen ist, ist „Ich denke, also bin ich“ selbstähnlich und selbstbezogen. Descartes setzte Denken mit Definieren gleich und die Definition wurde daraufhin selbst zur tautologischen Bestätigung („Ich bin ich“) des „Ich denke, also bin ich“. Die Quelle der Definition wird ein „Übernehmer“: Descartes selbst.
Das definitorische Denken, das in der Gleichung reflektiert wird, wird das Kennzeichen des Einen, der das Beispiel für die Kategorie der Existenz ist. Beide sind überbewertet, wie der Tausch. Wie der Phallus, das selbstähnliche Kennzeichen, das Männer in die privilegierte Kategorie rückt, rückt die Art des Denkens, die Descartes mit seiner unsterblichen Aussage demonstriert, diejenigen, die es praktizieren, in eine privilegierte Kategorie als „Existierende“. Das cartesianische Denken nimmt somit den Platz des Schenkens als Erklärung des Seins ein. Definitorisches Denken und das Verb „sein“ funktionieren beide über Ersetzungen. „Sein“ macht außerdem das Denken (die Akte der Ersetzung, die auf ein Wort bezogen sind) präsent. Das Denken wird dann als definitorisch, vergleichend und logisch folgernd definiert („wenn A, dann B“). Das Schenken spielt keine Rolle mehr.
Aber das „Sein“ von etwas bedeutet nur, dass es sozial wertvoll genug ist, um (für andere) auf Wörter bezogen zu werden, durch einen Akt, der vom Verb „sein“ ersetzt werden kann. Damit ist das Denken eine sozial wertvolle Aktivität und das soziale Subjekt, das denkt, „ist“ – besonders wenn es ihm gelingt, das Denken (für andere) wertvoll zu machen. Wenn Descartes sagt, dass er denkt, dann rückt er ein eigentlich allgemeines Charakteristika des Denkens in den Vordergrund, das er dann ausschließlich mit sich selbst identifiziert. „Ich denke“ ist selbstbezogen und scheint evident, weil es selbstähnlich ist – wir nennen die Aktivität, die sich in Phrasen wie „ich denke“, „ich bin“ oder „ich denke, also bin ich“ ausdrückt, „denken“. Es gibt einen Wechsel hin zur Ersetzung im Satz selbst, so wie es ihn das Verb „sein“ bereits vorgenommen hat. Descartes gelingt es, die Bedürfnisse anderer nach einer Existenzbestätigung ihres Egos zu befriedigen, wenn sie sein Buch lesen. Was für ein „Geschenk“!
Natürlich war Descartes nie wirklich alleine, egal wie sehr er sich selbst dekontextualisierte. Das Denken musste bereits für andere wertvoll gewesen sein, sonst hätte es gar keinen Namen gehabt. Wie die Wörter ist also auch das Denken selbst Beweis der Existenz anderer und des Kontexts, in dem die (angeblich dekontextualisierten) Denkenden denken. Der Wert des Denkens rührt daher, dass er ihm in der Vergangenheit von den Vielen zugeschrieben wurde.
Wert wird Denkenden aber auch in der Gegenwart zugeschrieben, nicht nur von ihnen selbst, sondern von allen, die sie sowohl als Mitglied der Gemeinschaft versorgen als auch individuell als Person, die sie kennen. Die Formel scheint zu sein: fasse das Denken als die zentrale Qualität (die sensorische Invariante?) des Dings auf, das der Prototyp ist; behaupte, dass du denkst; setze dich damit mit dem Prototyp gleich; lass dich vom Prototyp ersetzen; lass dich von den Wörtern ersetzen, die den Prototyp ersetzen; lass alle deine Handlungen vom Verb „sein“ ersetzen – und damit existieren deine Handlungen, und damit existierst du. Wiederum ist es ein „Haben“, das uns unsere Existenz „verdienen“ lässt. In diesem Sinne „entsprechen wir der Existenz“. Vielleicht sollte es um eine anti-cartesianische Linguistik gehen. Denn alles, was Descartes tut, ist „Sein“ als „Denken“ neu zu schreiben und (wie Chomsky und die vielen anderen DenkerInnen, die die Maskulisierung auf die falsche Bahn gebracht hat) alle Aufmerksamkeit auf diesen Prozess des Umschreibens (Umbenennens) zu richten.
Das Sein ist männlich
Aufnahme in die privilegierte Kategorie ist eine Voraussetzung, um eines Tages vielleicht selbst zu ihrer Norm werden zu können. Für Buben bedeutet dies, eines Tages möglicherweise ein Mann, ein Vater zu werden, ein Prototyp für die Familie und den Menschen überhaupt. Sowohl für Buben als auch für Mädchen mag es heute bedeuten, eines Tages eine Spitzenposition in einem Beruf zu erreichen. Ein Mitglied der privilegierten Kategorie zu sein, schafft ein Bedürfnis danach, sich in ihr zu behaupten, die privilegierte Definition zu „verdienen“. Für Buben (und andere Tauschende) beinhaltet dies das Bedürfnis, eine maskulisierte (Tausch)Identität zu konstruieren, die auf dem Prinzip des Übernehmens bzw. auf der Aufgabe der Mutter und des Schenkens beruht.
Das Geschenk, das der Bube (oder der Tauschende) aufgibt, ist seine „weibliche“ (tatsächlich menschliche) fürsorgliche Identität. Als Konsequenz wird er von anderen bestätigt (zumindest ökonomisch) und mit dem Selbstvertrauen belohnt, das denen zusteht, die der maskulisierten Norm entsprechen und im maskulisierten System erfolgreich sind. Diese Erfolgreichen scheinen mehr zu existieren bzw. ihre Existenz mehr zu verdienen als die Nicht-Erfolgreichen. Wir nehmen das Tauschprinzip an, genauso wie wir alle zu einem früheren Zeitpunkt die Sprache angenommen haben oder wie die Buben die männliche Identität annehmen. Wir erklären uns das damit, dass dies „einfach so ist, wie es ist“.
Wir haben oben davon gesprochen, dass das Verb „sein“ die Ersetzungsakte in der Definition ersetzt und das Sein in gewisser Form mit der Maskulisierung und dem Wechsel hin zum Tausch gleichsetzt. Is wird $ gleich. Die Existenz der Männer scheint jener der Frauen überlegen, so wie diejenige mancher Klassen und Rassen derjenigen anderer überlegen scheint. Wenn wir die Vorstellung des Verdienens hinzufügen, können wir sehen, wie die verschiedenen Wechsel zu einer „höheren“ Ebene alle die vermeintliche Überlegenheit der reichen weißen Männer bestätigen, die es zu verdienen scheinen, mehr als andere zu existieren.
Indem sie die Rolle des Definiendums in der Tautologie („ich bin ich“, oder: „ich bin ein denkendes Wesen“) einnehmen, ersetzen Männer den Ersetzungsakt hier auf die gleiche Weise, auf die das Verb „sein“ den Ersetzungsakt in der Definition ersetzt. „Sein“ scheint „männlich sein“ zu implizieren, und die Maskulisiertesten (oder am öftesten Maskulisierten) nehmen den Platz anderer ein und verdienen es, mehr als sie zu existieren. Dies kann deshalb geschehen, da hier das Sein, wie die Maskulisierung, mit der Ersetzung und dem Tausch verbunden ist. Die maskulisierten Egos sind Kategorisierende, die sich selbst zu den Prototypen der Kategorien machen und sowohl vom Verb „sein“ bestätigt werden als auch vom Geld (so verwenden sie etwa „selbstverständlicher Weise“ Geld, um ihre eigene Existenz zu sichern). Dies hat eine gewisse Logik. Denn wie könnten sie verdienen, Kategorisierende zu sein, wenn sie nicht zu existieren verdienen?
Die Frauen, sowie die Klassen, Rassen oder sexuellen Minderheiten, die dazu gebracht wurden zu glauben, dass sie ihre Existenz nicht verdienen (dass sie nicht „gut genug“ sind), müssen ihre eigene Existenz darüber legitimieren, dass sie diejenigen, die ihre Existenz angeblich verdienen, versorgen und ihnen dienen. (Dies gilt auch für alle Einzelnen, die – aus welchen Gründen auch immer – von denen, die die Definitionsmacht haben bzw. von den „Verdienenden“ in die Kategorie der „Unverdienenden“ verwiesen wurden.) „Existenz“ wird somit schlicht und einfach zu einer weiteren privilegierten Kategorie.
In ähnlichem Sinne kommt die Gleichung von Arbeit und Geld von einer Verteilungsweise, die das Schenken verleugnet.
Vielleicht ist der homunculus – der kleine Mann der Philosophen, der in unseren Gehirnen endlose Regresse erkennt – das internalisierte Bild des Phallus, das ständig mit allen Dingen in der Prototypposition korrespondiert. Aber, wie die Philosophen realisierten, existiert der homunculus nur in unserer Vorstellung als Reflexion von Reflexionen. Die Philosophen kamen zu dem Schluss, dass wir, wenn das Wissen auf der Reflexion der Wirklichkeit beruht und wir ein Bild der Wirklichkeit in unserem Kopf haben, diese Bilder erkennen und daher Bilder dieser Bilder haben müssen. Es müsste dann also einen kleinen Mann in unseren Gehirnen geben mit Bildern von Bildern, und einen kleinen Mann in seinem Gehirn mit mehr Bildern von Bildern, und so weiter. Was sich die Philosophen nie überlegt haben, ist, den homonculus mit einer kleinen Frau zu ersetzen – oder besser: mit einer kleinen Mutter, einer matericula. Anstatt nur dazusitzen und Bilder zu erkennen – zum Beispiel das Weinen eines Kindes – würde die matericula als Mutter ein Bedürfnis erkennen und etwas tun – z.B. das weinende Kind füttern. Wenn wir also die matericula in unseren Köpfen hätten, würde sie nicht nur das Bild des weinenden Babys erkennen, sondern auch eine Notwendigkeit verspüren, mehr als nur zu erkennen, nämlich die Bedürfnisse zu befriedigen, die ihr ihre Wahrnehmungen vermitteln. Der Unterschied zwischen Innen und Außen würde von der matericula anders überbrückt als vom homunculus. Der Grund dafür ist, dass das Erkennen von Gleichheiten statischer und weniger informativ ist als der Prozess der Bedürfnisbefriedigung. Nur wenn daher die Bedürfnisbefriedigung als Prinzip unser Inneres bestimmt, wird es von diesem zu aktiven Prozessen in Bezug auf das Außen (das Wahrgenommene) kommen. Der homunculus ist deshalb völlig von der Fürsorge der matericula abhängig, da er nichts tun kann, außer zu reflektieren. Doch scheint er dabei noch nicht einmal Bilder von der matericula zu haben, weder in seinem Kopf noch in der Welt. Vielleicht bewegt sie sich zu schnell für ihn. Vielleicht bewegt sie sich so schnell wie die elektrische Ladung, die von einer Synapse zur anderen fließt. Könnten wir eigentlich die Aktivität des Gehirns nicht im Sinne des Schenkens sehen, als eine Bewegung des Überflusses hin zu einem Mangel? Würden wir dann nicht auf einer physiologischen Ebene etwas tun, das dem entspricht, das wir auf der linguistischen Ebene und in der äußeren Welt tun? Vielleicht sollten die, die an Fragen des Gehirns interessiert sind, ihre Wissensbedürfnisse mit dieser Wirklichkeitstheorie bewegter Bilder zu befriedigen versuchen.
Repräsentierte Existenz
Der Tausch rückt Menschen und Dinge in eine spezielle Kategorie, die ihren Wert von außen erhält. In ihrer Rolle, dieser Kategorie Wert zu schenken, verdienen auch die Vielen, da sie zu einem gewissen Grad an der privilegierten Kategorie Anteil haben aufgrund der Verdienenden, die von ihnen gepflegt werden und sie gewissermaßen in dieser Kategorie repräsentieren. Indem wir dem System Wert schenken und einer anderen Person helfen, in ihm erfolgreich zu sein, machen wir uns also zum Teil einer transitiven Kette, sodass durch die Tauschenden, die wir versorgen, Güter auch zu uns fließen. Dies ist zum Beispiel so im Falle „arbeitslose“ Ehefrauen, die die Krümel des Tausches erhalten. Paradoxerweise lässt die Tatsache, dass manche Güter auf diese Weise zu uns gelangen, es so erscheinen, als wäre der Tausch tatsächlich die Quelle der Geschenke und der große Fürsorgende.
Dies ist ein Grund, warum Frauen damit fortfahren, den Tausch und die Tauschenden mit ihrer Treue und Liebe zu unterstützen – und natürlich mit ihrer nicht-monetarisierten Arbeit: das Modell der Maskulisierung erscheint attraktiver und verdienender als das Modell der Mütterlichkeit und so versorgen wir es. In der Pubertät verleihen wir dem maskulisierten Modell mehr Wert als dem mütterlichen. Viele Töchter verlassen ihre Mütter (zumindest im Geiste), weil sie glauben, dass die Maskulisierung menschlich ist und es ihre Pflicht ist, jemanden in dieser Kategorie zu versorgen oder jemand in dieser Kategorie zu werden – jemand, der „beiträgt“, und der daher verdient zu existieren und versorgt zu werden.
Die Person, der es nicht gelingt, sich ihre Existenz auf diese Weise zu verdienen, bleibt gewissermaßen eine Nicht-Person. Ihr fehlendes Selbstbewusstsein beruht auf der Besetzung der Existenz durch erfolgreiche maskulisierte Frauen und Männer und deren HelferInnen. Sowohl das „Verdienen“ als auch das „Existieren“ bringen die Ersetzung des Schenkens durch die Maskulisierung und den Tausch mit sich. Wollen wir existieren, so müssen wir entweder Teil der privilegierten Kategorie werden und das Schenken aufgeben, oder wir müssen diejenigen pflegen, die Teil dieser Kategorie sind.
Ausgeglichenheit
Es mag für Frauen so aussehen, als könnten sie Arbeit und Familie ausgleichen, das heißt, weiter für ihre Ehemänner sorgen, während sie gleichzeitig in der Tauschökonomie arbeiten. Ein solcher Ausgleich bestätigt jedoch die Maskulisierung. Indem wir dem Schenken und dem Tausch gleichen Wert zuschreiben, negieren wir die Kreativität und die Fruchtbarkeit des Schenkens und beschränken es auf einen Vergleich, der den Prinzipien des Tausches folgt, die Möglichkeiten des Schenkens als Modell auslöscht und dabei den Schenkenden ihre Energie raubt. Wir bestätigen den Tausch, indem wir seine Prinzipien verwenden, um das Schenken zu regulieren.
Männer werden manchmal dazu ermutigend, „das Weibliche wiederzuentdecken“ oder die negativen Extreme der Maskulisierung auszugleichen. Dabei ist jedoch nie davon die Rede, vom Tausch- zum Schenkprinzip zu wechseln. Es handelt sich um reinen Reformismus. Wie die Politik der Wohltätigkeit, machen solche Unternehmen das Patriarchat höchstens für manche ein wenig lebbarer. Besonders die Forderung nach einer „Ausgeglichenheit“ hören wir oft. Privilegierte Gruppen „gleichen ihre männlichen und weiblichen Seiten aus“, während ihr Leben auf der Ausbeutung des maskulisierten ökonomischen und ideologischen Systems beruht, in dem wir leben, und das die Vielen ihnen gegenüber in eine Position des Schenkens zwingt. Gleichungen werden überbewertet und Bedürfnisse ignoriert. Die „goldene Mitte“ ist nichts anderes als eine Quantifizierung der Fürsorge und ein Ausgleich zwischen ihr und der Nicht-Fürsorge. Sie tut niemandem etwas Gutes. Alles, was sie tut, ist, privilegierten Gruppen zu erlauben, zufriedener zu sein. Kein einziges unserer wirklichen Probleme wird dadurch gelöst.
Das Modell des Ausgleichs diskreditiert den originellen und kreativen Aspekt des Schenkens und Empfangens genauso wie dies das Modell der Maskulisierung im Allgemeinen tut. Es bringt gleichzeitig alles durcheinander, indem es das Weibliche in den männlichen Standard einschließt und uns davon abhält, die Bedürfnisse zu erkennen, die danach schreien, befriedigt zu werden. Zu diesen Bedürfnissen zählt zuallererst ein Meta-Bedürfnis, weiter als bis zu einem bloßen Ausgleich zu gelangen, um wirklich die Bedürfnisse aller befriedigen zu können. Aber natürlich gilt dies nicht als „ausgeglichene Sichtweise“. Die Prinzipien der Maskulisierung und der Mütterlichkeit kämpfen stattdessen miteinander und schaffen eine absurde Situation: wir werden zu Personen, die von einem Fuß auf den anderen treten und nie unausgeglichen genug werden, um einen Schritt nach vorne tun zu können – oder nach oben auf eine wirkliche Meta-Ebene. Ja wir können noch nicht einmal einen Fuß absetzen, um einen Schritt wenigstens irgendwohin tun zu können, um die Zerstörung des Planeten aufzuhalten.
Alle nehmen das maskulisierte Modell an. Töchter bewundern ihre Väter und Freunde, während sie die Mutter als selbstverständlich erachten. Mütter verleihen ihren Söhnen und Ehemännern extremen Wert, während sie ihren eigenes Schenken sowohl für sich selbst als auch für ihre Töchter abwerten. Die Töchter werden später oft genau dasselbe tun. Der Feminismus vermag dies zu einem gewissen Grad zu ändern und dem fürsorglichen Denken und Handeln von Frauen wird in Gedichten und Geschichten – und zunehmend auch in soziologischen Studien – Tribut gezollt, aber wir schreiben ihm nach wie vor nicht den Wert zu, den wir dem Tausch und dem maskulisierten Denken und Handeln zuschreiben.
Am Anfang unserer Spezies steht die Fürsorge und nicht der Wettbewerb oder die Hierarchie oder das Überleben des Stärkeren. Mütter garantieren, dass die Allerschwächsten der menschlichen Gemeinschaften überleben: die Neugeborenen. Doch sind wir alle in vielerlei Hinsicht schwach: unsere weiche Haut, unser sensibler Magen, unsere kurzen Zähne oder unsere unterschiedlichen Ernährungsweisen machen uns alle Tiere mit vielen Bedürfnissen, die von den Geschenken anderer befriedigt werden müssen – und können. Unsere Anpassungsfähigkeit erlaubt uns dabei eine Vermehrung und Spezifizierung von Bedürfnissen und Begierden. (So kann ich etwa nicht nur auf irgendetwas Essbares Lust haben, wenn ich hungrig bin, sondern ich mag mir ganz spezifisch tamales wünschen, und zwar genauso wie sie im Süden Texas gemacht werden, obwohl ich sie noch nicht einmal selber zubereiten kann. Mein Bedürfnis – oder meine Begierde – ist spezifisch und beruht auf meiner persönlichen Geschichte.)
Der Prozess, Bedürfnisse zu identifizieren und zu befriedigen – während dem wir uns eine große Menge an kulturell spezifischen Variationen von Gütern und Diensten aneignen, mit denen Bedürfnisse und Begierden befriedigt werden können – ist die Basis menschlicher Gemeinschaftsbildung. Dem Schenken mehr Wert zu geben (bzw. in diesem Fall dem Weiterreichen von Kultur), wird uns erlauben, einen allgemeinen Wert zu etablieren, der nicht dort verortet ist, wo wir ihn heute finden. Es wird uns möglich sein, Wert jenseits des Geldes und der sozialen Strukturen des Einen und der Vielen zu sehen, in denen das künstliche Bedürfnis nach dem Tausch verallgemeinert wurde und dem Tausch damit einen allgemeinen Wert zuspricht, dem nur der von Staatsoberhäuptern gleichkommt (deren Bilder dem Tausch und seinem Mittel – dem Geld – bezeichnenderweise aufgedruckt sind).
Anm. d. Übers.: Im Original: „The golden mean ... is just that: mean.” Mean kann im Englischen als Substantiv „Mittel“ bedeuten, als Adjektiv aber auch “böse”.
Das Schaffen des Mangels durch die Verdienenden
Der Tausch macht es schwierig für uns, Bedürfnisse anderer zu befriedigen, da er unser eigenes Überleben davon abhängig macht, „stark“ genug zu sein, um uns in dem unnatürlichen Auswahlprozess, den der Tausch impliziert, behaupten zu können. Manche Spezies von Tieren entwickeln in Zeiten des Mangels Hierarchien, während diese in Zeiten des Überflusses wieder gelockert werden und sich das Essen oder Paaren in weniger strukturierten Formen vollzieht. Auch in menschlichen Gemeinschaften gibt es einen Zusammenhang zwischen Mangel und sozialen Hierarchien: auch hier werden soziale Hierarchien in Zeiten des Mangels als überlebensnotwendig erachtet. In diesem Sinne fallen wir wieder in die Muster tierischen Verhaltens zurück, über das uns das fürsorgliche Prinzip der Mütterlichkeit eigentlich bereits hinaus geholfen hatte. Der von der Mütterlichkeit verursachte evolutionäre Sprung wird zwar in der Sprache noch auf einer abstrakten Ebene aufrechterhalten, doch auf einer konkreten Ebene haben wir ihn wieder rückgängig gemacht, indem wir die Fürsorge so weit als möglich eingeschränkt haben und auf grausame, parasitäre und zerstörerische Weisen handeln.
Verschiedene Technologien, inklusive ökologisch freundlicher, haben das Potential, Reichtum für alle zu schaffen. Aber dieser Reichtum würde den Tausch gefährden, indem er ihn unnotwendig und uninteressant machen würde. Das Schenken im Überfluss kann alle versorgen, während der Überfluss selbst für effektives, lebensbereicherndes Schenken notwendig ist. Im Überfluss hat erzwungenes Schenken – wie es im Tausch und in Hierarchien vorkommt – keinen Grund zu existieren, da Bedürfnisse immer auf vielfältige Weisen befriedigt werden können.
Hierarchien werden dazu genutzt, den Mangel ständig durch das Abziehen des Überflusses zu reproduzieren. Sie halten damit den Tausch als die Verteilungsweise für alle aufrecht. Kriege werden geführt, um die eigenen Hierarchien und Märkte gegen Angriffe von anderen Hierarchien und Märkten zu verteidigen. Diese Kriege zerstören Ressourcen, schaffen Mangel und versichern somit die Fortsetzung einer Welt, die dem Tausch angemessen ist. Sich auf Kriege vorzubereiten und das Geld auszugeben, das für High-Tech-Bewaffnung und den Erhalt riesiger Streitkräfte notwendig ist, belastet die zivile Ökonomie auch in „friedlichen Zeiten“, sodass es zu keinem Überfluss kommen kann.
Dabei wird uns freilich Glauben gemacht, es wäre umgekehrt: eine Anstellung in den nationalen Kriegsindustrien hat hohes Prestige, erscheint lukrativ und trägt angeblich positiv zur Ökonomie bei. Doch sind dies Arbeiten, die nichts produzieren – sie sind Geschenke von der Öffentlichkeit an diejenigen, die diese Arbeit machen und einen Job haben, dem ein von allen in der Gesellschaft angestrebter allgemeiner Wert und entsprechende soziale Bedeutung zukommt, da er von Steuergeldern finanziert wird und angeblich dem Schutz der Gemeinschaft und des Systems dient. Der Inhalt dieses allgemeinen Werts ist jedoch nichts anderes als die Multiplizierung des Todes. Mit Fürsorge haben die besagten Arbeiten nichts zu tun – sie dienen ausschließlich dazu, den potentiellen Reichtum der lokalen und globalen Kommunalität zu zerstören.
Die erhöhten Regierungsausgaben, die in Kriegszeiten notwendig sind (und die Geschenke von Zeit, Energie und Enthusiasmus, die den nationalen Bemühungen von patriotischen BürgerInnen geschenkt werden), erfordern auch mehr Geschenke für die Ökonomie insgesamt, was sie erstens weiter antreibt (und mehr Profit schafft) und zweitens – aufgrund der Zerstörung, die jeder Krieg unweigerlich bringt – ökonomische Konsequenzen erzeugt, die die Produktion von Überfluss und somit ein Unnötigwerden des Tauschsystems unmöglich machen.
Kolonien und eroberte Territorien stellen die (manchmal zu einem minimalen Grad monetarisierte) Schenkarbeit und die Ressourcen zur Verfügung, die einigen Wenigen in den kolonialistischen Ländern das Abschöpfen exzessiven Profits erlauben, der dann als Kapital in die Kriegsindustrien dieser Ländern reinvestiert werden kann. Da diese Geschenke von woanders kommen, kann der so erzeugte Überfluss die monetäre Ökonomie nicht bedrohen, da er sofort produktiv verarbeitet wird – meist zu Waffen.
Dieser Tage schafft der Norden im Süden Mangel durch die Politik der Weltbank und die Kredite des Internationalen Währungsfonds sowie durch strukturelle Anpassungen und ökologischen Raubbau. Die geographischen Distanzen sind dabei kein Hindernis. Es geht darum, die Geschenke der Vielen mit immer genauerer Präzision zu kontrollieren, damit sie nicht dazu verwendet werden können, den Überfluss zu produzieren, der das Tauschsystem zerstören würde.
Anstelle dessen schafft der Strom der Geschenke, der über billige Arbeit (bzw. Arbeit, die zu einem großen Teil geschenkt ist) und billige Rohstoffe (die wiederum zu einem großen Teil geschenkt sind) läuft, einen Überfluss an Konsumgütern, zu denen nur diejenigen Zugang haben, die auf einer bestimmten Ebene in der Tauschökonomie arbeiten (da sie die so genannte effektive Nachfrage bestimmen). Das Haben dieser Konsumgüter trennt wiederum die haves von den have-nots. Auch die „freie“ Information, die Musik und die Bilder, die von der Kommunikationsindustrie (Radio, Fernsehen, Computer) gesendet werden, sind Produkte unserer erzwungenen Geschenke. Und auch diese Produkte enden irgendwann am Markt und helfen gewöhnlich nicht nur dabei, andere Produkte zu verkaufen (indem sie Bedürfnisse und Begierden modifizieren), sondern auch einen positiven Konsens zu schaffen, was das Marktsystem selbst betrifft.
All diese verheerenden Entwicklungen dienen als Wiederbestätigung der Maskulisierung durch eine Reihe sich überlappender, falsch interpretierter, selbstähnlicher Strukturen. Diese Strukturen gleichen, wiederholen und bestätigen sich von der Regierung bis zur Sprache, von der Ökonomie bis zur Religion, vom Militär bis zur Universität. Die Weisen, auf die wir unsere Ideen von Existenz, Sein und dekontextualisiertem Denken formulieren, verleihen maskulisierten Männern dadurch Bestätigung, dass ihre Prozesse denen der Maskulisierung gleichen (die ihren Ursprung ebenso im Benennen und Definieren haben).
Der Tausch – als Ersatz der Logik, die das Schenken ersetzt – wirft die Frage des Verdienens auf, sowie die Frage der Macht und des Einschlusses oder Ausschlusses in die/von der Kategorie, der Wert geschenkt wird. Unsere Bild des Seins (siehe oben) bestätigt den Tausch und die Gleichheit (und umgekehrt), nachdem dieser Ersatz stattgefunden hat (auch wenn er logisch und chronologisch dem Tausch vorangegangen ist). Viele der verschiedenen Ersetzungsprozesse – die Maskulisierung, das Verb „sein“, die Vorstellungen von Gleichheit und Verdienst; der Tausch selbst – hängen zusammen, um eine selbst strukturierende und selbst reproduzierende Wirklichkeit zu schaffen. Eine Art Hilfsmechanismus, der – auf vielen Ebenen – den Platz einer ewig (wenn auch versteckt) präsenten und immer noch möglichen Welt des Schenkens einnimmt und sie dominiert.
Diese neue Wirklichkeit scheint legitimer („wirklicher“) zu sein als die frühere, welche die neue nunmehr unterstützt. Wir haben bereits gesehen, dass es der Schenkprozess ist, der die harte Wirklichkeit des Tausches mit seinen Geschenken (zumindest etwas) lebensfähiger und menschlicher macht – auch wenn dies niemand anerkennt. (Der Schenkprozess kann mit einer Auster verglichen werden, die ein raues Sandkorn geschmeidiger macht.) Der maskulisierte Status quo, mit seinen Hierarchien und seinen privilegierten Einen, wird aufrechterhalten aufgrund der Geschenke, die ihm von Frauen und Männern sowohl innerhalb als auch außerhalb seiner selbst zugetragen werden. So erscheint die gegebene Wirklichkeit ihre Existenz mehr zu verdienen, als dies ihre Alternativen tun würden (die Wirklichkeiten so genannter „primitiver“ Menschen zum Beispiel), und wir versorgen sie.
Manchmal versuchen die Erfolgreichen der Tauschökonomie die Bedrohung des Schenkprinzips dadurch weiter abzuwehren, dass sie ihren Egoismus auszugleichen versuchen, indem sie etwas Geld (gewöhnlich keineswegs viel) an die Unverdienenden spenden oder plötzlich dubiose (und meist wiederum eigennützige) Lösungen für jene sozialen Probleme unterbreiten, die sie selbst geschaffen haben. Zum Beispiel habe ich vor kurzem einen Vorschlag gehört, dem zufolge die Kinder von Müttern, die von der Wohlfahrt leben, in Waisenheime geschickt werden sollten, so als wären bezahlte professionelle „ExpertInnen“ in einem institutionellen Rahmen besser für die Kinder als deren Mütter, nur weil diese allein stehend und arm sind. Nachdem diese Mütter also zu einer Armut gezwungen wurden, die ihnen fürsorgliches Handeln beinahe verunmöglicht, schlagen PolitikerInnen und SozialwissenschaftlerInnen auch noch vor, ihre mütterliche Rolle überhaupt mit einer paternalistischen, monetarisierten Institution zu ersetzen.
Die Anerkennung, die diesen „ExpertInnen“ zukommt, liegt darin begründet, dass es ihnen gelingt „zu beweisen“, dass das maskulisierte Modell nicht nur effizienter als das der Mütter ist, sondern tatsächlich auch „fürsorglicher“. In dieser Parodie der Wirklichkeit wird nun sogar das Mutter-Sein selbst zu einer Arbeit gemacht, von der Frauen ausgeschlossen werden können – die Macht über diese Entscheidung (über die Kategorie der Mütterlichkeit) kommt maskulisierten Männern und Institutionen zu, die die Identität der Mutter als Schenkende nicht anerkennen. Frauen können nunmehr also sogar von unbezahlter Arbeit ausgeschlossen werden. Mit ihren Kindern wird ihnen sowohl ihre Identität im Schenkprinzip als auch im Tauschprinzip genommen. Es wird ihnen unmöglich, überhaupt eine Identität zu formen und sich „ihre Existenz zu verdienen“. Was für eine Geschichte: Nachdem ihnen alle Möglichkeiten vorenthalten wurden, maskulisiert und Teil der privilegierten Kategorie zu sein, und nachdem sie dieser Kategorie stattdessen unentwegt als von ihr Ausgeschlossene geschenkt haben, werden sie nun dafür bestraft, dass sie nichts haben, weil eine solche Strafe die Furcht und den Neid der haves vor ihnen lindert und ihr angebliches Verbrechen sühnt, die Möglichkeit eines Modells der Mütterlichkeit ohne Männer zu suggerieren.
Der Staat kommt, um den Vater zu ersetzen. Er verdrängt dabei einmal mehr den Weg der Frauen. Ob in Form kapitalistischer Wohlfahrtseinrichtungen oder Ressourcemanagements in einem kommunistischen oder sozialistischen Staat: das Gesetz und die „Wohltätigkeit“ der kollektiven Väter wertet die Wirklichkeit des schenkenden Lebens ab – ja sie schrecken noch nicht einmal davor zurück, dieses zu verunglimpfen.
Unseren Besuchenden von einem anderen Stern würde mit Sicherheit die Tatsache ins Auge fallen, dass Frauen 60% der landwirtschaftlichen Arbeit in der Welt machen, aber nur etwa 1% des Eigentums der Welt besitzen. Feministinnen sprechen über diese ungeheure Unausgewogenheit meist in Begriffen von „Gerechtigkeit“ – das heißt, sie wollen die Dinge so ändern, dass Frauen genauso viel besitzen wie Männer. Ich aber würde behaupten, dass die Tatsache, dass Frauen so wenig besitzen, darin begründet liegt, dass wir einen anderen Weg haben, uns zu unserer Umwelt zu verhalten. Unser wirkliches Ziel würde demnach darin liegen, die Strukturen des Patriarchats abzubauen – inklusive der Besitzstrukturen, die auf der Maskulisierung beruhen – und ein weibliches Modell von Eigentum vorzuschlagen, das auf dem Schenken beruht.
Gewöhnlich werden diese Löhne schnell von den Eliten kontrolliert, während die Armen weiter geschwächt werden, indem sie die Zinsen zurückzuzahlen haben. Alles, was das Kapital tut, ist, ruhig abzuwarten.
Siehe George Thompson, Studies in Ancient Greek Society, was den Zusammenhang der Entwicklung des Geldes und der Philosophie anlangt.
Existiert das Schenken?
Geld ist das Mittel, um kommunikative Bedürfnisse in der Gemeinschaft der Tauschenden bzw. Privatbesitzenden zu befriedigen. Der Tauschwert steht für die Bedeutung einzelner Produkte im Rahmen dieser widersprüchlichen Form von Kommunikation, die Menschen voneinander trennt, anstatt sie zu vereinen. Wie in der Definition das Verb „sein“, ersetzt hier das Geld den Akt der Ersetzung; in diesem Fall den eines Produktes für ein anderes.
Ich glaube, dass der kommunikative Wert von Dingen in Wörtern ausgedrückt wird, die ihren Platz als Geschenke in menschlichen Beziehungen einnehmen. Wörter können als etwas gesehen werden, das einen positionellen Wert hat, der im System der langue relativ zu allem anderen ist. Wenn bestimmte Dinge nicht von ständiger Wichtigkeit für Menschen wären, dann würden sie nicht auf Worte als deren Namen bezogen werden (obwohl wir immer noch über sie in Sätzen sprechen könnten). Somit liegt der Grund dafür, dass Menschen von anderen Menschen Wörter geschenkt bekommen, darin, dass diese in einer Gemeinschaft verwendet werden. (Viele der unzähligen Individuen, die diese Gemeinschaft ausmachen, werden wir nie persönlich begegnen).
Der gemeinschaftliche Wert von etwas liegt also außerhalb individueller Kommunikation – das heißt, dass er auch außerhalb individueller monetärer Transaktion liegt. Der gemeinschaftliche Wert ist ein Wert für andere. Auch die Identität eines kulturellen Objekts liegt demnach in der Gemeinschaft, genauer: in seinem verbalen Ersatzgeschenk. Mit der quantitativen Bestimmung des Preises verhält es sich ähnlich: der Preis wird bestimmt von dem Wert, den er für andere in der Gesellschaft hat, die wir nie kennenlernen werden. Wenn wir den qualitativen Wert von Dingen, wie er in Wörtern ausgedrückt wird, für unsere Kommunikation betrachten bzw. den quantitativen Wert von Dingen, wie er im Preis ausgedrückt wird, für die widersprüchliche Art der Kommunikation, die materieller Tausch ist – dann können wir die Mechanismen von beiden verstehen.
Tatsächlich ist es in beiden Fällen die Wichtigkeit von Dingen für die Gemeinschaft, die ihnen Bedeutung für unsere Kommunikation bzw. den Markt verleiht. Die Dinge sind für uns, weil sie für andere sind. Katzen heißen auf Deutsch „Katzen“, weil alle, die Deutsch sprechen, sie so nennen. Eine Dose Kaffee kostet $4, weil alle, die eine Dose Kaffee haben wollen, $4 dafür bezahlen. Wenn sich der Preis, den andere für sie bezahlen, ändert, wird er sich auch für sie ändern. Wir können dabei den Wert der verschiedenen Teile des Kaffees betrachten: den Preis, der den Bauern für die Bohnen gezahlt wird, das Gehalt der ArbeiterInnen, die Transportkosten für die Bohnen, die Kosten dafür, sie zu mahlen, den Preis der Dose, etc. Der Wert all dieser Teile – und welche Subteile sie auch immer haben mögen – hängt davon ab, was diese Teile anderen Wert sind bzw. was andere für sie bezahlen. In jedem individuellen verbalen oder ökonomischen Austausch hängt die Identifikation dessen, was ausgetauscht wird, davon ab, was es außerhalb dieses individuellen Austauschs bzw. was es für die Gemeinschaft, für die Vielen, ist. Wir haben darüber gesprochen, dass das Verb „sein“ der Ersatz für den Akt des Ersetzens ist und dass das Geld eine ähnliche Rolle spielt. Sowohl in der Linguistik als auch in der Ökonomie ist etwas dann wertvoll, wenn es für die Gemeinschaft wichtig genug ist, dass ein Wort seinen Platz (als sein Name) in der Sprache einnimmt (bzw. dass ein „ist“ diesen Akt des Ersetzens ersetzt) oder ein anderes Produkt (bzw. das Geld als dessen quantitatives Äquivalent) seinen Platz im Tausch.
Sowohl Sprache als auch Tausch verlieren das kommunikative Schenken aus ihrem Blickfeld (vor allem, wenn der Tauschwert der Prototyp des Werts geworden ist). Dies geschieht gemeinschaftlich. Der Schenkaspekt des Lebens existiert zwar weiter, wird jedoch verleugnet und verdrängt. Sein Wert wird gemeinschaftlich nicht erkannt und es ist sogar schwer, ihn zu benennen bzw. über ihn zu sprechen. Die Geschenke selbst werden unter dem Einfluss der Maskulisierung vom Tausch (der ein magnetisches Modell ist) sowie von der Definition assimiliert. Es scheint demnach paradox zu sagen, dass das Schenken wertvoll ist, denn Wert setzt die Existenz von etwas für die Gemeinschaft voraus.
Auf der anderen Seite können wir – wenn wir sowohl das Verb „sein“ als auch das Geld als Ersatz für den Akt des Ersetzens betrachten – sehen, dass das Schenken – das nichts ersetzt – weder der Sprache angemessen noch dem Tausch wertvoll erscheint, weil sowohl Sprache als auch Tausch das Ersetzen als Bestätigung von Existenz und Wert verlangen. Im Gegenteil dazu scheint die Maskulisierung, die auf selbstähnlichen Ersetzungen aufbaut, zu existieren und Wert zu haben. So gesehen, überrascht es nicht, dass ihr viele Geschenke zukommen und dem Schenken selbst keine.
Gleichzeitig werden die Existenz (das Sein) genauso wie der monetäre Tausch von der Maskulisierung beeinflusst, was das Prinzip des Übernehmens wieder in die Definition und die Ökonomie zurückleitet – sodass Sein und Wertvoll-Sein sowohl das Prinzip des Übernehmens als auch die Positionen des Einen und des Prototypen zu implizieren scheinen. Nichts davon ist freilich unsere Schuld. Diese Widersprüche basieren einzig auf logischem Gewirr.
Sowohl das Verb „sein“ als auch das Geld offenbaren die Macht, die wir der Sprache gegeben haben – eine Macht, die stark genug ist, um uns unseren Müttern bzw. der Mutter überhaupt wegzunehmen. Wir erkennen die Ersetzungsaspekte im Sein oder im Wert nicht, da wir die Realität dessen verleugnen, das ersetzt wird, genau so wie wir die Mutter (und die Erde) als Rollenbilder verleugnen, die ersetzt werden. Wir tun so, als würden sie nicht existieren (speziell wenn Existenz mit Ersetzen zu tun hat). Wir vergessen, dass die Mutter aktiv ist und dass sie aktiv schenkt und rücksichtsvoll ausweicht. Unser ursprüngliches Modell kommt vom Schenken, aber dadurch, dass wir maskulisiert wurden (bzw. uns um die gekümmert haben, die maskulisiert wurden – sowie um deren Prozesse), haben wir gelernt, dem definitorischen Aspekt der Sprache und des Lebens Wert zu schenken (Ersatz, Haben, Tausch und Sein) anstatt den Schenkaspekten und dem Schenken.
Die Mutter muss jedoch nicht ausweichen. Wenn sie nicht ausweichen würde, würden wir vielleicht unsere Sichtweise der Welt ändern und erkennen, wie viel Schenken es eigentlich gibt. Wir könnten Dinge als Geschenke von Mutter Erde sehen und nicht einfach als Produkte von Adams herrschaftlichem Namen. Wir würden diese Geschenke mit der Rücksicht behandeln, die notwendig ist, um sie nicht zu zerstören. Viele von uns tun das bereits jetzt, wenn sie die Geschenke der Natur, der Kultur, der Synchronizität und des guten Willens und des Lebens selbst schätzen. Was wir als die „Immanenz des Seins“ wahrnehmen, ist wirklich das Resultat unserer kreativ-empfänglichen Fähigkeit, die sich dem Geschenk des Lebens und
Obwohl in Saussures langue die grundlegende Beziehung von Wörtern aufeinander die einer rein differentiellen wechselseitigen Ausgeschlossenheit ist, haben sie auch Ähnlichkeiten, die an Wygotskis Komplexe erinnern.
Wenn zum Beispiel Katzen in einer Gesellschaft nicht präsent wären, dann würde über sie vielleicht gesprochen als: „diese seltsamen Tiere, die Miau sagen und einen langen Schwanz haben“.
Zum Beispiel habe ich manchmal Schwierigkeiten, Begriffe wie Fürsorge (nurturing) oder Mütterlichkeit (mothering) zu verwenden, da diese starke Assoziationen mit Kleinkindern implizieren. (Auch das Fehlen eines englischen Verbs für „schenken“ kommt hier zum Tragen. – Anm. d. Übers.)
Siehe Kapitel 11, Fußnote 3.
der Erde gegenüber dankbar zeigt, während sie (zumindest für Augenblicke) die unglückliche Verbindung von Sprache und Tausch aufhebt.
Vielleicht könnten wir Gemeinschaft als einen Teil der Mutter sehen und Dingen Wert schenken (da diese sowohl uns als auch anderen als auch ihren Namen Wert schenken) – in etwa so, wie wir uns gegenseitig Wert schenken, wenn wir uns (in der Kommunikation) die Namen der Dinge schenken. Die Erde würde mit uns durch ihre Früchte und Vogelgesänge kommunizieren, durch unsere Körper und unser schenkendes Selbst. Wir würden mit der Natur in einer kommunikativen Beziehung stehen. Im Gegensatz dazu wird das gegenwärtige Modell der Gemeinschaft von sich wechselseitig ausschließenden Eigentümern bestimmt, die die Rolle des Einen in Eines-Viele-Strukturen einnehmen; eine Rolle, die ihrer eigenen Position Wert verleiht und die have-nots abwertet.
Eigentum, das in einer Verbindung zum Schenken steht („schenkbares Eigentum“), ist verschieden vom Privateigentum des Tausches. Eine fürsorgliche Beziehung zu unserem Eigentum ist anstelle einer herrschaftlichen möglich. Das Schenkprinzip würde eine sanftere Form von Besitz implizieren, demzufolge wir etwas so „besitzen“ würden, wie wir beispielsweise unserer Körper „besitzen“. Wir würden Dinge besitzen, die teilbar sind. (Auch wenn wir sie im Moment nicht teilen mögen, weil wir sie verwenden.) Wir hätten eine freundschaftliche Beziehung zu unserem Eigentum, eine, die von Gebrauch, Dankbarkeit und Verantwortung gekennzeichnet wäre. Diese Beziehung wäre nach dem Beispiel der Brust geformt, nicht nach dem des Penis. Wir hätten Eigentum, das ständig geschenkt werden kann, anstelle eines Eigentums als penetrierendem Werkzeug, das uns Zugang zu einer privilegierten Kategorie verschafft.
Das Modell der Frauen würde Bedürfnissen Aufmerksamkeit schenken, die je vielfältiger und spezifischer würden, je mehr wir ein Leben im Überfluss für alle schaffen könnten. Dies gilt auch für psychologische Bedürfnisse nach Sicherheit und einem Eingebundensein in seine Umwelt, sodass diejenigen, die sich um etwas kümmern, auch eine Verbindung mit dem. worum sie sich kümmern, eingehen. Im Überfluss würde das Bedürfnis nach Eigentum merklich schwächer sein als es jetzt ist, da die Konsequenzen des Nicht-Habens nur die sein würden, eine Zeit lang Geschenke zu erhalten, anstatt sie zu geben. Wo Haben und Nicht-Haben nicht mehr länger psychologisch von den Alpträumen der Kindheit besetzt sind, würden auch Gesetz und Vergeltung nicht länger gebraucht. Genauso wenig würde der Staat gebraucht und ihm erlaubt werden, die Rolle des gemeinschaftliche Vater-Besitzers zu übernehmen.
Heute ist es meist den Reichen vorbehalten, ihr Eigentum mit Leichtigkeit teilen zu können oder in den Genuss der Natur und ihrer vielen Ressourcen zu gelangen. Dies ist eine der Belohnungen, die sie dafür erhalten, mehr zu haben als andere. Aber der Punkt ist nicht, irgendjemanden – inklusive die Reichen – davon abzuhalten, den Reichtum der Natur oder der Kultur zu genießen; der Punkt ist, diese Möglichkeit auf alle auszudehnen. Doch dazu müssen wir zunächst begreifen, wie tief unsere Gesellschaft unter dem Bann einer kollektiven Psychose steht. Diese – und wir selbst – müssen dringend geheilt werden.
Die Kulturen vieler indigener Völker waren weit mehr von der Mütterlichkeit und dem Schenken geprägt, als dass in unseren Kulturen der Fall ist. Es wäre interessant, herauszufinden, zu welchem Grad diese Kulturen linguistische Mechanismen mit dem Schenken verbanden und welche verschiedenen Arten des Eigentums es gab. Die Irokesen – eine matriarchale Gesellschaft, in dem ein Frauenrat wichtige Entscheidungskraft hatte und in dem das Wort für Frauen (anstelle des Wortes für Männer) dasselbe Wort wie jenes für Menschen war – gaben allen Angehörigen der Gemeinschaft einen eigenen Namen. Dieser Name wurde erst dann wieder für andere in der Gemeinschaft zugänglich, wenn die Person, die ihn trug, starb. Die Namen der Gemeinschaft konstituierten so eine langue und alle Angehörige der Gemeinschaft wurden als sozial wertvoll angesehen, da sie alle als „individuelle Dinge“ (die zusammen eine Kultur oder eine Welt konstituierten) auf ihr jeweils eigenes Wort bezogen waren. Im europäischen Patriarchat (Puerarchat) hingegen gibt es diese Einheit von Ding und Wort in den Einzelnen nicht. Hier werden einige Menschen zu Dingen gemacht (die Frauen) und andere zu Wörtern (die Männer), um dann zwischen deren sozial wertvollen „Eigenschaften/Besitztümern“ anhand des Geld-Worts zu vermitteln.
Das patriarchale Modell ist mit Sicherheit nicht rationaler als das gynarchische, nach dem die Irokesen ihre Gesellschaft organisierten. Doch wurden die meisten unserer Kulturen vom weißen Mann überwältigt, zerstört und manipuliert und den Vielen wurde in seiner Ökonomie ihr Platz zugewiesen. Manche Kulturen schenken jedoch weiterhin unbeirrt den Müttern und dem symbolischen und kommunikativen Schenken Wert. Sie stellen heute die alternativen Lebensweisen dar, von denen wir lernen müssen.
In der Schenkweise bedeutet Sein, mit der Erde und anderen Menschen zu kommunizieren. Davon ist immer noch viel zu spüren, trotz unserer Involviertheit im Tausch. Unsere Erfahrung beruht darauf, Sinneseindrücke und Informationen geschenkt zu bekommen und der Welt EmpfängerInnen zu schenken. Wir können nach wie vor viele Bedürfnisse selbst befriedigen, egal ob es sich um eigene Bedürfnisse handelt oder um die anderer bzw. unserer Umgebung. Die Bedürfnisse entwickeln sich dabei gemäß der Weisen, auf die sie befriedigt werden. Das Ohr etwa gewöhnt sich an die Art der Musik, die es hört. Manche Bedürfnisse sind dabei grundlegender als andere, aber selbst diese vervielfältigen sich in Geschmäcker und Vorlieben je nach den Geschenken, die Mutter Fürsorge und Mutter Natur zu ihrer Befriedigung zur Verfügung stellen.
Die eigentliche Existenz der Frau besteht nicht darin, auszuweichen, besessen zu werden oder zu besitzen, sondern in einer völlig anderen Beziehung zur Welt (und zum Eigentum): einer Beziehung, die potentiell nicht wechselseitig ausschließlich ist, sondern bedürfnisorientiert, auf Andere ausgerichtet. Grenzen werden nur notwendig gemacht durch Kämpfe zwischen Einen, die danach streben, die jeweils stärksten Prototypen zu sein. Wenn wir Bedürfnissen Wert schenken und ihre Komplexität respektieren, dann können wir auch unsere gegenseitigen Bedürfnisse nach persönlichen Gebrauchsgegenständen und Unabhängigkeit respektieren und befriedigen. Bedürfnissen auf allen Ebenen Wert zu schenken, heißt auch, allgemeinen Bedürfnissen Wert zu schenken.
Gegenwärtig ist das Bedürfnis, den Planeten zu heilen, ein allgemeines, und wir versuchen, es allgemein zu befriedigen – doch wir berücksichtigen dabei das Beispiel der Mütterlichkeit nicht. Viele, die sich um Mutter Erde sorgen, unterschätzen immer noch die Bedeutung der Mütterlichkeit. Doch nur in dieser – und darin, sie zu erfahren – können wir den Rahmen finden, der es uns erlauben würde, in Frieden miteinander zu leben und der Beherrschung und Zerstörung der Erde ein Ende zu setzen.
Wenn wir die Tauschökonomie und ihre auf dem Kastrationsneid beruhende Fixierung auf das Haben bzw. Nicht-Haben überwinden können, können wir in Harmonie mit der Art des „halb-privaten“ Eigentums leben, das dem Leben in einer wirklichen Gemeinschaft angemessen ist. Der Wald wäre nicht länger für die Holzindustrie wertvoll, sondern für die Menschen und Tiere, die in ihm leben und seine direkten Geschenke respektvoll mit Dankbarkeit verwenden und wertschätzen. Die Wälder, die in Holzscheite transformiert werden, befriedigen kein Bedürfnis einer Gemeinschaft, sondern nur das Profitbedürfnis eines privaten Besitzers, der gleichzeitig die Bedürfnisse der Kaufenden als effektive Nachfrage schaffen muss. Egal ob die Bäume in Klopapier transformiert werden, in Essstäbchen oder Baumaterial – es existieren Alternativen hierzu und die Bedürfnisse der Öffentlichkeit könnten sich auch auf diese beziehen, wenn sich nur die Bedingungen ihrer Bedürfnisentwicklung ändern würden. Dies ist notwendig, wenn es uns mit dem gemeinschaftlichen und ökologischen Wohl wirklich ernst ist.
Der kapitalistische Tausch verwendet die Gemeinschaft nur als Mittel, um Bedürfnisse im Kontext ökonomischer Kommunikation – also im Kontext des Geldes – zu befriedigen. Das dahinter stehende Bedürfnis ist das nach Profit. Dieses ist freilich abstrakt. Diesem Bedürfnis zufolge benötigen alle dasselbe: nämlich Geld. Dieses gemeinsame Bedürfnis nach Geld (bzw. nach immer mehr Geld) verstellt uns die Sicht auf andere Bedürfnisse. Der Wert des Geldes wird wie der linguistische Wert als Konsequenz von Ersatz und Übernahme gesehen –nicht als Wert, der vom Geschenk kommt.
Nichts ist nicht das Gegenteil von Sein. Das Gegenteil von Sein wird durch eine Neuinterpretation des Verbs „sein“ geschaffen, die das Konzept einer zeichenlosen Kommunikation beinhaltet, die sich über den bedürfnisbefriedigenden Schenkprozess mit der Sprache verbindet und nichts mit Übernehmen, Ersetzen oder Ausweichen zu tun hat. In ähnlichem Sinne ist das Gegenteil von Eigentumsbeziehungen zwischen Einen und Vielen nicht das Nicht-Haben, sondern das „sanfte Eigentum“, das auf dem Beispiel der Frauen beruht.
In der Maskulisierung scheint es den privilegierten haves zuzustehen, von Eigentum im Überfluss versorgt zu werden. In ähnlichem Sinne scheint eine fürsorgliche Ehefrau eine Belohnung für einen Mann dafür zu sein, dass er männlich ist. Wenn wir unser Eigentum jedoch anderen vorenthalten, macht uns das unfähig, seinen Wert zu teilen bzw. der Gemeinschaft zukommen zu lassen. Gemäß der linguistischen Logik gehört es uns und damit nicht anderen. (Leider begreifen wir nicht, dass es damit auch nicht wirklich uns gehört.) In jedem Fall: Wenn wir etwas innerhalb des Systems des isolierenden und trennenden Privateigentums belassen, kann es mit dem mütterlichen Modell nicht in Verbindung gebracht werden.
In den letzten Jahren ist es in den USA zu einem immer stärkeren Interesse an so genannten „primitiven“ Gesellschaften gekommen, da diese Lebensweisen beschreiben, die um das Schenken kreisen und auf einer spirituellen Quelle beruhen. Die Geschichte der australischen Aborigenes , die ohne materielle Güter durch das Outback ziehen und sich für ihr Überleben ganz auf die Geschenke der Schöpferin verlassen (die sie auch erhalten), ist ein Beispiel einer solchen auf dem Schenken basierenden Lebensweise (auch wenn sie heute in einem Kontext der Armut stattfindet). Solchen Geschichten kommt in den USA zusehends Interesse zu, da sie auf eine Einstellung verweisen, die für uns heilend ist, obwohl wir eine Ökonomie praktizieren, die ihr widerspricht.
Religionen und New-Age-Therapien fördern Dankbarkeit für das, was wir erhalten, und machen uns den Schenkkontext unserer Existenz bewusst. Die Fragen, die dabei auftauchen, sind: Können wir individuell und spirituell heilen, wenn die Gesellschaft, an der wir Teil haben, die Erde plündert und alle Menschen zerstört, deren Glauben und alternatives Bewusstsein uns noch einen anderen Weg weisen könnten? Und: Kann unsere individuelle Heilung einen Paradigmenwechsel herbeiführen anstatt nur das Tauschprinzip zu stärken, indem wir Alternativen auf einer rein individuellen Ebene assimilieren?“ Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass sich unsere Versuche, individuell und spirituell zu heilen, mit Versuchen, die Gemeinschaft und den Planeten zu heilen, verbinden müssen.
Umgekehrt müssen sich aber auch Versuche, die Gemeinschaft zu heilen, mit Versuchen, sich individuell zu heilen, verbinden. Dies muss im Bewusstsein der feministischen Bewegung sowie progressiver Bewegungen für soziale und ökonomische Veränderungen verankert sein. Das Modell der Mutter ist sowohl auf der individuellen wie auf der kollektiven Ebene von Relevanz. Das Schenkprinzip, mit der Mütterlichkeit als seinem Grundpfeiler, ist die funktionelle und poetische Norm, zu der die Gesellschaft zurückfinden muss.
Selbst der Logik des Tausches zufolge würde es die weibliche Form des Eigentums verdienen zu existieren, wenn wir bedenken, was Frauen bereits zur Menschheit beigetragen haben. Wenn unsere Prinzipien wirklich dem Beispiel der Frauen folgen sollen, dürfen wir jedoch nicht den Tausch bzw. seine Vergeltungslogik zur Legitimation heranziehen. Denn es ist das Vergessen der Mutter, das das Umarmen des Tausches, das Sich-Wegwenden von der Mutter und das Etwas-anderes-an-ihre-Stelle-Setzen beinhaltet. Wenn wir vergessen, vergeben wir der Mutter und ihrem Weg nicht. Doch wenn der Schenkweg funktionieren soll, müssen wir alle Vergebende sein. Unsere Definitionen müssen auf die verbale Ebene beschränkt bleiben und dürfen nicht verallgemeinert werden.
Siehe Elizabeth Tooker, „Women in Iroquois Society“, in: Iroqious Women. “Nach dem Brauch der Irokesen hat jeder Klan eine bestimmte Menge an persönlichen Namen. Wenn ein Kind geboren wird, wird ihm ein Name gegeben, der im Moment nicht besetzt ist. Dieser ‚Kindername’ wird später gewöhnlich von einem ‚Erwachsenennamen’ abgelöst, der zu diesem Zeitpunkt ebenfalls nicht besetzt ist, das heißt: der jemandem gehörte, der gerade starb oder dessen Name geändert wurde“ (S. 112).
Anm. d. Übers.: Im Original: property. Dies kann im Englischen sowohl „Eigentum“ als auch „Eigenschaft“ bedeuten. Der Begriff wird hier in dieser Doppeldeutigkeit verwendet.
Anm. d. Übers.: Im Original: Mother Nurture and Mother Nature. Der deutsche „Erbe-Umwelt-Konflikt“ wird im Englischen gewöhnlich als Konflikt zwischen nature und nurture bezeichnet.
Das Eines-Viele-Eigentum des Staates mit eingeschlossen.
Vgl. Marlon Morgan, Mutant Message Down Under.
Anm. d. Übers.: Die Autorin unterscheidet hier im Original zwischen for-giving („Vergeben“, aber auch: „für das Geben/Schenken“ oder „um zu geben/schenken“) und for-getting („Vergessen“, aber auch: „für das Bekommen“ oder „um zu bekommen“). Im Deutschen lässt sich wenigstens ein Teil der Bedeutung des for-giving mit „Vergeben“ einfangen, doch macht „Vergessen“ wenig Sinn. Insofern wurde die Hervorhebung in diesem Begriff weggelassen.
Der Prozess des engendering – was in etwa „in die Wirklichkeit bringen“ bedeutet (aber auch das englische Wort für Geschlecht, gender, beinhaltet – Anm. d. Übers.) – ist ein Akt des Schenkens, der der Geschlechtsformation vorangeht. Das Geschenk ist dabei das Kind. Erst später werden manche Kinder als Buben von der Mutter aufgegeben, weil diese ein materielles „Geschenk“ (den Penis) zu haben scheinen, das den Mädchen fehlt. Es ist dieses Geschenk, das den Buben Wert verleiht. Würden wir Freuds Ödipustheorie aus der Perspektive des Schenkprinzips neu lesen, würden wir dies bestätigt finden. Gleichzeitig ist das Kind, das zum Buben wird, in dem frühen Stadium, in dem dies geschieht, noch nicht wirklich in der Lage, eine sozial dominante Position einzunehmen. Wie Freud richtig annahm, stellt dies den Buben zunächst vor zahlreiche Schwierigkeiten.
Die logischen Implikationen des „Geschenks“ des Penis und seiner Quelle sind hochproblematisch. Wenn er von der Mutter kommt, heißt das, dass sie etwas schenkte, das sie selbst nicht hatte, oder etwas, das sie selbst aufgab. Wenn er vom Vater kommt, schenkte er etwas, das er selbst nicht aufgab. In jedem Fall gibt der Bube viel für das Eigentum des Penis auf, da ihn dieses seiner schenkenden Mutter entfremdet und er sein menschliches Schenkpotential verliert.
Es ist die Fürsorge, die den Kategorien und der Identität, die der Bube formt, ihren Inhalt gibt. Ihm zu vermitteln, dass er einer Geschlechtskategorie angehört, die nicht fürsorglich ist, definiert ihn als außerhalb des Lebensprozesses stehend, den er erfährt. Definitionen und Modelle der Maskulinität sind Versuche, der männlichen Geschlechtskategorie einen Inhalt zu geben, der ohne die Fürsorge auskommt. Die Struktur der Definition und des Benennens werden zum Rückgrat der maskulisierten Identität als sozialem Ideal.
Es gibt viele individuelle Variationen dieses Prozesses und zum Glück ändern sich die Dinge. Der Feminismus hat mittlerweile viele Männer dazu gebracht, Aufgaben der Kinderpflege zu übernehmen. Stärkere Mütter mit mehr Bewusstsein, weniger Betonung auf Maskulinität innerhalb der Familie und die zunehmende Zahl fürsorglicher männlicher Rollenbilder ändern die Erziehung von Kindern in den USA und in anderen Ländern.
Das Vermächtnis der Maskulisierung in der Gesellschaft ist jedoch stark und wird nach wie vor in sozialen Strukturen ausgespielt und dadurch in die Familie zurückprojiziert. Themen männlicher Gewalt und Herrschaft kennzeichnen sowohl Fernsehen und Film als auch unsere Wirklichkeit. Frauen und Kinder werden nach wie vor geschlagen, vergewaltigt und ermordet. Heimliche Verbrechen werden hinter Fassaden vermeintlicher Glückseligkeit begangen. Vermeintlich liebenswürdige Väter vergewaltigen und quälen ihre Kinder zuhause. Die School of the Americas bildet fremde Soldaten zu Folter und Faschismus aus. Die CIA destabilisiert Länder durch (natürlich verleugnete) Bestechung, Folter und Mord. Weit verbreitete Armut, die im Tod von Millionen resultiert, wird produziert, indem nur den Wenigen geschenkt wird. Kriege werden geführt und schaffen enormes Leid. Die Natur wird täglich erniedrigt durch die Zerstörung, die von Geschäftsinteressen und Krieg geschaffen werden.
Auch wenn es also auf der individuellen Ebene zu einem Abbau maskulisierten Verhaltens kommen mag, bedroht der soziale Mechanismus des Patriarchats allgemein unser Leben weiterhin und muss radikal geändert werden. Es ist daher dieser Mechanismus, auf den sich die Aufmerksamkeit der Frauen und ihrer Verbündeten unter den fürsorglichen Männern richten muss. Wir müssen zunächst verstehen, wie dieser Mechanismus funktioniert, um ihn erfolgreich ändern zu können. Um ihn verstehen zu können, müssen wir ihn wiederum genau betrachten, obwohl dies so manches Unbehagen in uns auslösen mag. Aber wenn wir das nicht tun, wenn wir nicht genau hinsehen, dann riskieren wir, den Mechanismus mitsamt all seiner Bestandteile und Strukturen zu reproduzieren, selbst wenn wir die besten Intentionen haben. Sogar bewusste Männer mögen beispielsweise als Hilfsmittel unwissentlich Formen jener Eines-Viele-Strukturen vorschlagen, die so tief in unsere Gesellschaft verankert sind. Egal wo Männer den Platz der Frauen als Modell einnehmen, reproduzieren sie die Struktur unserer Probleme. Wenn Frauen das weiterhin zulassen, unterwerfen sie sich einmal mehr.
Ikone und Index
Vor Jahren, als ich über die Kategoriestrukturen des Einen und der Vielen nachdachte, stieß ich auf die Arbeit von Tran Duc Thao , einem vietnamesischen Philosophen, der glaubte, Sprache käme von der Geste des Zeigens. Als ich diese Theorie auf die Fragen anwandte, mit denen ich mich beschäftigte, wurde mir endlich klar, was eigentlich schon immer offensichtlich gewesen war: Ich erkannte, dass das Zeigen eine Geste des Einen und der Vielen ist und dass es ein Objekt in den Vordergrund rückt, nämlich den Zeigefinger, während es andere Objekte derselben Art in den Hintergrund rückt, nämlich die restlichen Finger. Auf diese Weise ist der Zeigefinger tatsächlich eine Ikone: eine visuelle, sensorische und kinästhetische Repräsentation der Beziehung zwischen dem Prototypen und den Objekten in der Kategorie. Zeigt einfach einmal mit dem Finger und ihr werdet verstehen, was ich meine!
Die Geste des Zeigens hat zwei Funktionen: Sie animiert uns zunächst dazu, ein Objekt aus einer Gruppe von Objekten auszuwählen, und weiters dazu, das ausgewählte Objekt als definierbar und repräsentativ wahrzunehmen, als Eines innerhalb einer Gruppe von Vielen. Das Zeigen schafft somit eine Beziehung zwischen dem Einen und den Vielen, die soviel sagt wie: „dies ist hier und dort“. Es handelt sich um eine Projektion des Bildes des Einen. (Siehe Graphik 24.) Das In-den-Vordergrund-Rücken eines bestimmten Objekts wird dadurch bestätigt, dass es verständlich und repräsentativ wird: es steht für andere Objekte derselben Art bzw. für seinen Hintergrund. Wir können das ausgewählte Objekt auch teilen, da wir ihm alle gleichzeitig unsere Aufmerksamkeit schenken können, nachdem es im Vordergrund steht. Die Außenwelt produziert die Eines-Viele-Ikone, die von der Hand gebildet wird. Es scheint fast so, als würde der Gegenstand, auf den gezeigt wird, zurückzeigen. Ich denke etwa an Michelangelos Gott und Adam. (Siehe Graphik 25.)
Diese Gedanken führten mich zu der Überlegung, dass wir den Penis vielleicht mit dem Zeigefinger identifizieren und er ebenso als Index funktioniert („Zeigefinger“ im Englischen: index finger – Anm. d. Übers.). Der Bube erhält dann den Namen „männlich“, da er diesen Index besitzt, während Frauen, inklusive seiner Mutter, das nicht tun. Wir sagen, dass der Bube ein Teil der männlichen Kategorie ist, weil er wie der Vater ist bzw. weil er denselben Index wie der Vater hat. Vielleicht ist einer der Gründe für die Vormachtstellung des Phallus, dass wir (fälschlicherweise) die Charakteristika des Zeigens dem Penis zuschreiben. Wenn der Penis des Buben als ein Objekt gekennzeichnet wird bzw. wenn auf ihn als einen Zeiger gezeigt wird, dann mag er als Prototyp erscheinen, der sich bereits in einer Eines-Viele-Beziehung zu anderen Objekten derselben Art befindet.
Natürlich ist der Penis des Vaters anders und größer als der des Buben. Er ist der Prototyp und der Penis des Buben eines der auf ihn bezogenen Objekte. Die Beziehung zwischen verschiedenen Penissen wird dann zu einer Wettbewerbsbeziehung zwischen Prototypzeigern und Prototypindexen – zwischen Dingen, die andere Prototypen anzeigen und die Wirklichkeit in ihrem Bild schaffen.
Wenn wir bedenken, dass der Phallus sozial mit der Überlegenheit des Kennzeichens der privilegierten Kategorie ausgestattet ist, dann können wir die Bedeutung erkennen, die die Gleichheit zwischen den Genitalien des Vaters und des Buben hat. Der Zeigefinger, der Penis und der Kategorieprototyp (im besonderen der Prototyp von „männlich“ und „menschlich“) sind in eins zusammengefallen. Der Gleichheit wird zuviel Wert geschenkt – im Speziellen, was die Gleichheit mit dem Vater betrifft, da das Instrument für das Auswählen von Prototypen (der Index, der eine Ikone seiner eigenen Aktivität ist) mit dem Kennzeichen identifiziert wird, das vor einem Hintergrund von Frauen Männer auswählt.
Der Penis wird die Ikone des Index und des Prototypen. Damit wird er gleichzeitig zur Ikone aller Prototypen und zur Kategorie. Während es zwischen den Fingern einer Hand eine Eines-Viele-Beziehung gibt, befindet sich der Penis ursprünglich nicht in einer solchen. Der Zeigefinger kann sich mit den Fingern seiner eigenen Hand vergleichen. Der Penis muss sich mit den Penissen anderer Männer vergleichen. Es etabliert sich somit ein Wettbewerb um die Rolle des Kennzeichens der Überlegenheit bzw. des Prototypstatus unter den Penissen – ein Wettbewerb, der gleichzeitig ein Wettbewerb um die Position des Prototypen der Prototypen ist. Es ist, als würde gefragt werden: „Welcher Finger ist der Zeigefinger?“
Die Überlegenheit des Prototyps ist freilich eine konstruierte. In Wygotskis Experiment könnte theoretisch jeder Teil der Kategorie als Prototyp fungieren. Die Polarität, die in der Kategorie etabliert wird, dient einfach dem Finden gemeinsamer Qualitäten. Der Prototyp muss den anderen Gegenständen zu diesem Zwecke gleich und darf ihnen nicht überlegen sein.
Eine entscheidender Moment ereignet sich, wenn Männer beim Sex ihren Penis-Zeiger auf das „Fehlen“ des Penis-Zeigers der Frau richten und er dabei im Zuge der Erektion größer wird. Dies scheint die Gleichsetzung von Haben mit dem Haben des Penis (des Zeigers) sowie die Gleichsetzung des Nicht-Habens mit dem Nicht-Haben des Penis zu bestätigen. Dies wiederum untermauert den Ausschluss der Nicht-Habenden aus der Kategorie der Prototypen und die Vorstellung, dass sie des kategorischen Denkens nicht fähig sind. (Das Fehlen des Zeigerprototypen scheint zu implizieren, dass wir Frauen Prototypen nicht entsprechen erkennen, nicht entsprechend „aufzeigen“ können.) Beides wird für Männer erotisiert, die ihre maskulisierte Geschlechtsrolle in einem Szenarium des Übernehmens und Ausweichens ausleben.
Anm. d. Übers.: Die School of the Americas, gegründet 1946 als The Latin American Training Centre, 1963 umbenannt in die US Army School of the Americas und seit 2000 offiziell das Western Hemisphere Institute for Security Cooperation ist eine spanischsprachige Ausbildungsstätte der US Army. Es gibt historisch eine enge Verbindung zwischen der Institution und rechtsgerichteten Regierungen bzw. konterrevolutionären Organisationen in Lateinamerika.
SemiotikerInnen unterscheiden zwischen drei Arten von Zeichen: die Ikone korrespondiert mit dem Objekt durch Isomorphismus oder Ähnlichkeit; der Index stellt eine Abhängigkeitsbeziehung zwischen einem Zeichen und einem Objekt dar; und das Symbol bezieht sich auf ein Objekt durch Assoziationen von Ideen. Vgl. Kirsten Malmkjaer, The Linguistics Encyclopedia.
Tran duc Thao, Recherches sur l’Origine du Langage et de la Conscience.
Obwohl sein phallischer Charakter etwas verschleiert ist, scheint mir der schwarze Monolith in 2001: Odyssey im Weltraum eine Ikone des Prototypen zu sein, und ich denke, dass die weitreichenden Effekte, die der Monolith im Film hat, mit den Effekten, die von menschlicher Entwicklung (mit ihren phallisch ausgestatteten Kategorie formenden kognitiven Prozessen) verursacht werden, verglichen werden können. Die Entwicklung von Werkzeugen, Waffen und Raumschiffen mag tatsächlich von unserem übertriebenem Gebrauch dieses phallischen Kategorieprototypen kommen. Die phallische Ausstattung des Prototypen selbst ist künstlich und fremd und leitet sich von der Auferlegung des Geschlechts durch die Maskulisierung her. Eine nicht-wettbewerbsmäßige, fürsorgliche, nicht-phallische Technologie wäre nur dann vorstellbar, wenn sie auf einem Prototypen beruhen würde, der sich auf die Mutter oder die Brust bezieht. (Fliegende Untertassen?) Vielleicht könnten wir aber auch unsere geschlechtlichen Projektionen überhaupt überwinden.
Den Zeiger zu haben, der mit dem Index korrespondiert und seinen Einfluss ständig auszudehnen vermag, schafft die physische und psychische Basis der Besessenheit mit Messungen und Quantifizierungen sowie mit der Betonung der Frage quantitativer Gleichheit und Ungleichheit.
So bestärkt männliche Lust die Art des Denkens, die in die Definition (inklusive der Definition des Geschlechts) involviert ist und vom im Mann dominierten Sexakt ausgelebt wird. (Diesen Hinweis verdanke ich Susan Bright.) Die Tatsache, dass Sexualität nicht immer so funktioniert, schafft Hoffnung auf die Befreiung von der Maskulisierung – oder zumindest macht sie diese menschlicher.
Das Fehlen des Zeigers
Wenn Frauen so gesehen werden, dass ihnen der Penis-Zeiger fehlt, dann erscheinen sie als non- oder präverbal, als präkategorisch. Sie scheinen keinen (körperlichen) Kategorieprototypen zu haben und somit auch kein Wort. Frauen werden somit als Viele auf den Penis als Einen bezogen – wie im Falle des Don Juan, der zeigen muss, wie viele Frauen er „gehabt“ hat.
Aufgrund ihrer Präverbalität erscheinen Frauen gleichzeitig als Vertreterinnen abhängiger Glückseligkeit – als Objekte, im Gegensatz zum verkörperten Wort, das der Mann darstellt. Dieser verdrängt die Mutter als Prototyp des verbal kompetenten Menschen. Ihr wird damit selbst die Fähigkeit abgeschrieben, ihren Kindern Sprache zu lehren (zu schenken). Vielleicht ist sie – so wie es die alten Patriarchen glaubten – Eigentum des Vaters, seine Habe, ein rein mechanischer Vermittler von Kultur, ein leeres Gefäß, ein Mechanismus, der das Wort, die Kultur und das Gesetz des Vaters an andere weiterreicht.
Als Objekt kann sie sich auf ein Wort beziehen, wenn sie dem Mann schenkt und auffällt – wenn sie Aufmerksamkeit auf sich zieht und den Mann dazu bringt, auf sie zu zeigen. Als sein Eigentum erlaubt sie ihm dann selbst, als Prototyp und privilegiertes Eines aufzufallen. Ihre Schönheit, die andere Männer dazu bringt, auf sie zu zeigen, verleiht ihrem Mann als ihrem Besitzer Bedeutung. Die Mutter als präverbal erscheinen zu lassen, ist insofern wichtig, um damit das Schenken als kindisch („weibisch“) diskreditieren zu können. Vielleicht ist dies sogar ein Aspekt des sexuellen Missbrauchs von Kindern. Denken wir etwa an Marilyn Monroes Babygesicht.
Das Gleichnis zwischen dem Penis und dem Zeigefinger trägt zur Bestätigung der Männer als Prototypen der Kategorie des Menschen bei und bestätigt gleichzeitig, dass Frauen keine Prototypen sein können, weil ihnen der Zeiger fehlt. In Wirklichkeit jedoch ist der Penis kein Index und er ist auch nicht für kategorisches Denken notwendig. Der Zeigefinger leistet hier viel bessere Arbeit. Er ist eine viel bessere Ikone. Die anderen Objekte der Kategorie, also hier: die Finger, werden als Teil derselben Hand zurückgezogen, um dem Zeigefinger (dem Index) zu erlauben, zu zeigen. Gleichzeitig rücken wir Objekte in unserer Umgebung (diejenigen, auf die nicht gezeigt wird) in den Hintergrund. Darüber hinaus lässt sich das Ausstrecken des Zeigefingers von unserem Willen kontrollieren – die Erektion des Penis tut das nicht.
Da der Penis mit den Penissen anderer verglichen werden muss – innerhalb einer Kategorie bzw. als Prototyp – muss er sich auf diese als Konkurrenten beziehen. (Siehe Graphik 27.) Nachdem dies für alle Männer gilt, und nachdem die Anforderung, ein Prototyp zu sein, Teil der männlichen Geschlechtskategorie ist, werden andere Männer (Penisse) als gefährlich empfunden, als etwas, das damit droht, einen selbst zu verletzen oder zu kastrieren und somit vom Wettbewerb auszuschließen. Vielleicht ist es das, was mit den Frauen passiert ist.
Messer, Pfeile, Gewehre und andere tödliche Phallussymbole haben die Fähigkeit, Konkurrenten um den Prototypstatus zu eliminieren. Wenn wir uns anschauen, wie Gewehre gemacht werden, können wir sehen, dass der Zeigefinger zurück bewegt wird, um den Abzug zu drücken. Dabei wird der Zeigefinger für einen Moment den anderen Fingern gleich und erlaubt dem phallischen Gewehr, seinen Platz als tödliches Index-Projektil zu übernehmen und den Tod eines Gegners anzuzeigen. Dem Gewehr wird erlaubt, das Wort zu sprechen, das andere in die fremde nicht-kommunikative und nicht-zeigende Kategorie der Toten rückt. (Dieser Prozess folgt der Logik des Benennens des Geschlechts.)
Ich habe mich immer über die Doppeldeutigkeit des englischen arms gewundert (im Deutschen sowohl „Arme“ als auch „Waffen“ – Anm. d. Übers.). Jetzt kann ich sehen, dass arms die Dinge sind, die als tödliche Zeiger enden, aber in unserer Verleugnung verstehen wir das nicht (we do not get the point).
Der Hitlergruss ist vielleicht die negativste Apotheose der Beziehung zwischen dem einen (überlegenen) Prototyp-Penis und den Vielen. Hitler verwendete dieses Kennzeichen, um den Prozess des Einen und der Vielen dazu zu nutzen, sich zu einem selbst stilisierten Prototypen der Kategorie „Deutsch“ bzw. „Arisch“ zu machen. Er tat dies, um die auf ihn bezogenen Vielen dazu zu bewegen, sich zu vereinen, um andere menschliche Gruppen auszulöschen und zum alleinigen Kategorieprototyp der menschlichen Rasse zu werden. (Siehe Graphik 28.)
Im Rahmen linker Politik mag die hochgereckte Faust vielleicht den Zusammenhalt der Vielen symbolisieren – doch ich sehe sie immer noch als ein phallisches Symbol. Der auf einen gerichtete Finger ist autoritär, anklagend. In diesem Sinne hat er in der Tat viel gemeinsam mit dem gewaltsamen Penis – beide „penetrieren“ den Platz anderer. (Siehe Graphik 29.) Anstelle dessen könnten wir vielleicht einfach unseren Zeigefinger als Bestätigung sehen, dass wir als Menschen die Fähigkeit teilen, einen Finger aus der Gruppe unserer Finger auszuwählen bzw. einen Gegenstand aus der Gruppe gleicher Gegenstände auszuwählen. Dies würde bedeuten, dass uns die Fähigkeit des Zeigens vereinen würde, anstatt Konkurrenz zu schaffen.
Symbolisches Zeigen
Brüste sind zwei mit sich identische Körperteile – so wie unsere Hände oder unsere Zeigefinger. Die Brüste zeigen auf andere, um Milch zu schenken. Das Bild zweier identischer schenkender Zeiger ist ein machtvoller sozialer Archetyp. Mit dem Bild unserer zwei Zeigefinger hat sich dieser in symbolische Zeiger verwandelt, von denen manche durchaus gefährlich sind. Das seit langem heilige Symbol der Hörner etwa mag zwei identische (und gefährliche) symbolische Penisse auf dem Kopf eines Bullen präsentieren – auch wenn sich die Hörner auch auf dem Kopf der Kuh finden lassen (was wenigstens die Geschlechterdifferenz auflöst). Hörner zeigen nach außen, um zu verletzen. Flügel – die sowohl männliche als auch weibliche Vögel haben – können als eine symbolische Repräsentation von Gleichheit gesehen werden. Der Schnabel wiederum ist ein weiteres phallisches Symbol und „Vogel“ ist in manchen Sprachen ein umgangssprachlicher Ausdruck für den Phallus (vgl. auch „vögeln“ im Deutschen – Anm. d. Übers.).
Vielleicht halfen diese und andere synkretistische Symbole, die Beklemmung von Kindern im Altertum zu erleichtern, die vielleicht von der Maskulisierung genauso geschädigt waren wie wir es heute sind. Die Brüste von Frauen zeigen auf andere, um sie zu versorgen, während die Penisse maskulisierter Männer auf andere zeigen, um ihre eigene Identität zu finden bzw. diese anderen aufzuerlegen. Männer müssen sich selbst mit anderen messen, um ihre Gleichheit mit ihnen bzw. ihre Überlegenheit zu bestätigen. Indem sie der Prototyp werden, penetrieren sie, um immer noch größer, immer noch „mehr“ zu werden – manchmal, um anderen Vergnügen zu bereiten, aber manchmal einfach auch, um diese gewaltsam zu verletzen, oder zu töten (auch in symbolischer Form: als Gewehre oder Raketen).
Ein Beispiel für ein wirkliches, von einem Zeiger kommendes Geschenk ist die Milch der Brustwarzen – dies ist die erste Erfahrung des Kindes, in der mithilfe der Sinne des Sehens, Tastens, Schmeckens und Riechens etwas in den Vordergrund und etwas anderes in den Hintergrund gerückt wird. Nicht nur ist die Brustwarze erektil, sondern sie schenkt auch tatsächlich Milch. Unsere Aufmerksamkeit wird nicht von unserem Zeigefinger geleitet. Wir haben Füllfedern entwickelt, aus denen Tinte rinnt, damit nicht nur die Prototypen draußen in der äußeren Welt sichtbar sind, sondern auch die Prototypwörter.
Der Zeigefinger hat teil an verschiedenen Signifikationsformen. Er ist sowohl der prototypische Index als auch eine physische Ikone der Eines-Viele-Kategorien auf der Ebene der Metapher, womit er im menschlichen Körper eine Unterscheidung wiederholt, die auch in der äußeren Welt gemacht wird. Gleichzeitig kann der Zeigefinger aber auch angewandt werden, um das Objekt der Aufmerksamkeit zu berühren, potentielle Beziehungen zu ihm herzustellen und metonymisch zu wirken.
Der Akt, einige Finger zurückzuziehen, um einen nach vorne zu richten, wiederholt metaphorisch den sozialen Prozess, in dem einige Menschen ihre Positionen aufgeben, um anderen zu erlauben, Prototypen zu sein. In beiden Fällen dienen die Vielen dem Einen, indem sie ausweichen und ihr Ausweichen selbst kontrollieren. Die Kombination bzw. das Wechseln von Formen hat einen beinahe mechanischen Prozessaspekt, genauso wie der Tausch oder die Definition, was den Anschein einer automatischen Wertzuschreibung durch Ersetzung erwecken mag.
Der Wechsel zum Tausch ersetzt die Logik des Schenkens vollständig mit der Logik des Ersetzens. Der Wechsel von der Ikone zum Index, von der Metapher zur Metonymie und von der Repräsentation zur Einrichtung der Kategorie, die die Möglichkeit beinhaltet, den äußeren Prototyp tatsächlich zu berühren (oder ihm zu bedeuten, nach vorne zu treten), ist jedoch kein Ausdruck dieses vollständigen Wechsels. Die ikonische Repräsentation der Kategorie durch die Eines-Viele-Beziehung der Finger ersetzt den Prototypen, auf den gezeigt wird, nicht, sondern dient nur dazu, ihn für einen Moment in den Vordergrund zu rücken. Sie kann damit die Ebenen des Schenkens und der verbalen Kommunikation um eine neue Dimension bereichern und ihnen in dieser Hinsicht dienen.
Anm. d. Übers.: Im Original: Missing the Point – dies kann sowohl (wie hier übersetzt) „das Fehlen des Zeigers“ bedeuten als auch „das Wesentliche nicht verstehen“. Diese Doppeldeutigkeit kann im Deutschen nicht wiedergegeben werden.
Tatsächlich mag die von Linguisten und Philosophen so geschätzte Type-Token-Unterscheidung als etwas gesehen werden, dass von der Tatsache kommt, dass jedes ausgesprochene Wort aufgrund der gleichzeitigen Abwesenheit der Wörter derselben Art zu einem Prototypen wird. Außerdem ist das geschriebene Wort jedes Mal ein Prototyp, wenn wir es ansehen, da es in Bezug auf die Außenwelt konstant bleibt. So gesehen wäre auch das Token (wie der Index oder der Phallus), das eigentlich nur eines der Vielen ist, ein Prototyp und wir würden es als etwas verstehen, das für eine abstrakte Gruppe oder eine Type steht. Dann identifizieren wir diese gleichzeitig mit den Dingen, die aufgrund ihrer Materialität als Objekte präsent sein mögen, wie mit dem Ding, das wir Äquivalent und Prototyp sein lassen. Die Type scheint dann eine abstrakte Kategorie zu sein (da wir alle ihrer Objekte als Prototypen sehen), die wir einer gewissen Art des Denkens zurechnen mögen (auch hier wechseln wir Ebenen).
Die Ebene der Metapher funktioniert gemäß der Gleichheit und Ersetzung, während die Ebene der Metonymie durch Serialität funktioniert (die als Kontext für etwas anderes dient). Siehe Roman Jakobsons Darlegung dieser grundlegenden Unterscheidung in On Language, Kapitel 7, „Two Aspects of Language and Two Types of Aphasic Disturbances“.
Der Index ist Eines – wie Geld, das auf jedes Ding als das einer bestimmten Kategorie zeigt und ihm den Marktpreis dieser Kategorie zuschreibt.
Verbale und nonverbale Zeiger
Die Aktivitäten des In-den-Vordergrund- bzw. In-den-Hintergrund-Rückens, die in das Versorgen mit der Brust involviert sind, werden von der zweiten Brust wiederholt und von beiden Brüsten immer wieder im Laufe der Zeit. Vielleicht dienen die beiden fürsorglichen Zeiger der Brüste als frühe Ikonen des kommunikativen Charakters der Wiederholung von Lauten. Es mag ein Zusammenhang bestehen zwischen den Brüsten als identifizierbaren materiellen Geschenkquellen, die Teil des Körpers der Mutter sind, und des Wortes „Mama“ für die Mutter und „Papa“ für den Vater. Für Babys, die nicht gestillt werden, mögen Babyflaschen auf ähnliche – wenn auch weniger poetische Weise – ikonisch sein.
Die Wörter „Mama“ und „Papa“ kommen in verschiedenen Sprachen vor, wie Roman Jakobson in seinem berühmten Aufsatz „Warum ‚Mama’ und ‚Papa’?“ gezeigt hat. Jakobson erklärt die Tatsache, dass diese Wörter dadurch zustande kommen, dass es Kindern zu Beginn des Sprechens am leichtesten fällt, nur wenige Konsonanten zu verwenden und diese zu wiederholen. Außerdem suggeriert er, dass die Laute „m“ und „n“ von den Lauten und Bewegungen des Kindes beim Saugen an der Brust herrühren.
Für mich ist das Interessanteste an diesen Wörtern jedoch die Wiederholung der Phoneme. Diese Wiederholung gibt es in vielen Wörtern, die wir mit Kindern verwenden, Wörter, die psychologisch wichtig für sie sind (zum Beispiel: „Heia-heia“, „Gaga“, „Baba!“). Viele Kinder verändern Wörter, während sie zu sprechen lernen, und schaffen damit doppelte Silben: „Bus-Bus“. Jakobson sagt, dass die Wiederholung der Silben das Wort inmitten nonverbaler Laute als Wort identifiziert und ein Ausdruck der Wiederholbarkeit selbst ist.
Vielleicht können wir die Wiederholung von Lauten innerhalb eines Wortes tatsächlich als Ikone der Wiederholbarkeit des Wortes betrachten. Das heißt, dass das Wort „Mama“ in seinen verschiedenen einzelnen Anwendungen ein Beispiel der Tatsache ist, dass Laute einander gleich sein können und dass sie aus diesem Grunde wichtig sind. (Dinge, die Geschenke sind, können auch aufgrund ihrer Wiederholbarkeit wichtig sein.) Dieselbe Beziehung von Gleichheit, die zwischen „ma“ und „ma“ besteht, besteht zwischen dem Wort „Mama“ und einzelnen Anwendungen des Wortes. Das Wort „Mama“ ist wie ein Koffer, der zwei Koffer enthält und damit beweist, dass der größere Koffer nicht einzigartig ist – es gibt andere Objekte derselben Art. Wie die Flasche, die Alice im Wunderland findet, auf der „Trink mich!“ steht, impliziert das Wort „Mama“: „Wiederhole mich!“ (Siehe Graphik 30.)
Wie der Index wechseln „Mama“ und „Papa“ ihre Formen. Es gibt einen Wechsel vom Inneren des Wortes „Mama“ zum Äußeren seiner einzelnen Anwendungen. Ein induktiver Sprung muss getan werden, um von den einzelnen Anwendungen des Wortes in unterschiedlichen Zusammenhängen zum Verständnis zu gelangen, dass es sich hier um ein Wort (ein Ding) handelt, das wiederholt wird. Die internen Wiederholungen von „Mama“ und „Papa“ erleichtern diesen Sprung. Die Wiederholbarkeit von „Mama“ korrespondiert mit der zunehmenden Erfahrung des Kindes, dass bestimmte Objekte konstant sind. In Bezug auf die Mutter heißt das, dass das Kind zu erwarten beginnt, dass die Erfahrung der mütterlichen Präsenz wiederholbar ist und sie in ihrer Abwesenheit zu existieren fortsetzt. Das Wort, das immer zugänglich ist, wird dann zur Möglichkeit, die Mutter immer in einer bestimmten Form erfahren zu können. Es gibt einen weiteren Wechsel von der Ikone zum Index: die Ikone der Wiederholbarkeit in „Mama“ wird der Index für die Mutter und ruft sie bzw. bringt sie dazu, auf das Wort und damit auf das Kind zu zeigen, indem sie kommt. Das Kind wird ihr Ziel, das Ziel ihres Prototypen.
Es gibt andere Beispiele für den Gebrauch von Wiederholungen. So werden sie in vielen Gesten verwendet – zum Beispiel im Schütteln oder Nicken des Kopfes. In diesem Sinne sind Gesten den frühen Wörtern von Kindern ähnlich. Manche Sprachen verwenden Wiederholungen von Silben in den Wörtern, die „Menschen“ bedeuten – etwa „Shoshone“ oder „Mau-Mau“ (das Englische people selbst kann als Beispiel gelten). Es ist so, als würden diese Wörter sagen: „Dies ist eine Gruppe von Menschen, für die Wiederholungen Wert haben.“ Lautmalerische Wörter, die auf Tiere bezogen werden, so wie „Wau-Wau“ oder „Piep-piep“, bestehen auch aus Wiederholungen. Vielleicht mögen Kinder diese Wörter deshalb so sehr, weil es so scheint, als wären auch die Tiere Kinder, die ihre ersten Wörter sagen.
Der selbstbezogene, interne repetitive Charakter von „Mama“ und „Papa“ stellt einen Art Schlüssel zur Sprache dar, ein minimalistisches Anleitungsbuch, um Sprache zu lernen. Die Beziehung, die dem Wort innewohnt, ist ikonisch in Hinsicht auf die äußere Beziehung auf das Wort bzw. seine einzelnen Anwendungen und den Implikationen, die die Konstanz oder die Wiederholbarkeit von Dingen in der Außenwelt betreffen. Auf ähnliche Weise impliziert die Geste des Zeigens eine Beziehung von Dingen zueinander, die außerhalb dieser selbst liegen. Sowohl die Geste des Zeigens als auch die Wörter der Kinder sind, um Bedeutung zu erlangen, auf einen gemeinschaftlichen Kontext angewiesen, sodass „Mama“ von anderen gehört und wiederholt werden kann.
Während das Kind aufwächst, wird es von der Tatsache, dass es eine wiederholbare Lautähnlichkeit gibt, die für etwas geschenkt und empfangen werden kann, dazu geführt, seine Aufmerksamkeit auf eine bestimmte Erfahrung zu richten und diese in den Vordergrund zu rücken (womit das Kind die Erfahrung dazu bringt, „zurückzuzeigen“). Dies ist eine Bestätigung von Wichtigkeit, eine Zuschreibung von Wert. Die Gleichheit der Laute mag an sich selbst wichtig erscheinen, erhält jedoch seine eigentliche Bedeutung erst von der Tatsache, dass wir die wiederholbaren Laute als Ersatzgeschenke verwenden. Dem Wechseln der Ebenen des Wortes und der Geste von innen nach außen und von Ikone zu Index wird auch von der Tatsache Wert geschenkt, dass andere sie ebenso vollziehen.
Geld wiederholt den Wechsel des Zeigefingers von Ikone zu Index. Es gleicht dem Zeigefinger darin, dass es auch eine Ikone der Eines-Viele-Beziehung ist, wenn auch auf einer viel komplexeren Ebene. Es ist das allgemeine Äquivalent, das eine Gut, das für alle anderen steht. Doch auch als solches wechselt es Ebenen, um wirksam zu werden, und schafft Verbindungen, indem es unentwegt seinen Bezug auf eine bestimmte Person ändert und Ersetzung praktiziert, indem es den Platz der Produkte, die diese jeweiligen Personen für es hergegeben haben, einnimmt. In seiner Wiederholbarkeit und präsenten Singularität ist das Geld wie das Wort. Wie das Wort kann es an mehreren Orten zur selben Zeit sein. Jede Einheit (denomination – im Englischen vor allem für den Nennwert einer Geldeinheit in Form von Münze oder Schein verwendet: $1, $5, usw.; Anm. d. Übers.) ist sowohl eine Sache als auch viele. Während ich diesen Satz schreibe, hebe ich eine US-Münze auf, um wieder einmal die Wörter, die auf sie gedruckt sind, zu lesen: E pluribus unum – aus Vielen Eines.
Symbolische Artefakte
Die Übergänge, die zwischen unterschiedlichen Ebenen bestehen, sind von Bedeutung. Wir könnten sie vielleicht als Stufen sehen und unsere Traumstufen in den REM (Rapid Eye Movements) als Wechsel zwischen Ebenen. Auch die Musik schafft einen Rhythmus von Wechseln, von Betonungen, von In-den-Vordergrund- und In-den-Hintergrund-Rücken. Der Taktstock des Dirigenten winkt und die Musik zeigt zurück. Der Index wird leicht zu einem Zeichen seiner selbst. Im Dirigieren wird jedes Mal, wenn der Finger oder Taktstock bewegt wird, ein Prototyp erzeugt, der einen neuen Prototyp erzeugen kann.
Unsere Besuchenden von einem anderen Planeten könnten Artefakte sammeln, um unsere Gesellschaft zu verstehen. Sie würden Uhren finden, die mit zwei oder drei Indexen ausgestatte sind, die verschiedene Zeiteinheiten anzeigen. Das zeigende Messer wird von den Fingern der Gabel unterstützt, die gleichsam eine Hand bildet. Es gibt die Sense, die Heugabel und die Hacke, alles Variationen desselben Themas. Im Teleskop und Mikroskop können wir sogar durch den Index hindurch sehen. Alle phallischen Symbole entsprechen dem Index und es ist schwierig zu sagen, was genau was ist. Zum Beispiel ist die Rute, mit der das Kind geschlagen wird, ein phallischer Übernehmer, der anzeigen soll, was es tun darf und was nicht.
Es ist interessant, die Mechanismen verschiedener Arten von Waffen als Verschiebungen der Geste des Zeigens zu betrachten. Zum Beispiel dient im Falle des Bogens eine Hand metaphorisch als Finger und zieht die Sehne zurück, um daraufhin den Pfeil als Index fliegen zu lassen, der auf einen Prototyp in der Welt jenseits der Hände abzielt und mit ihm eine Verbindung eingeht ... indem er ihn penetriert bzw. tötet. (Die Zielscheibe sieht mit ihrem Bull’s Eye wie eine zweidimensionale Brust aus, die „zurückzeigt“.) Am Abdruck eines Gewehres zu drücken, bringt den Index zurück in die Gruppe der anderen Finger und rückt diese in den Hintergrund, während es einen anderen Index in den Vordergrund rückt, nämlich den Lauf des Gewehres, der wiederum die Bedeutung des Index noch einmal verschiebt, nämlich auf die Kugel.
Im Zeigen wählen wir etwas in der Außenwelt als besonderen Teil einer Gruppe aus. Die Finger können sowohl alle für sich alleine als auch als Teil der Hand betrachtet werden. Um unsere Finger zu zählen, können wir entweder einen nach dem anderen aufheben oder mithilfe des Index der anderen Hand auf einen nach dem anderen zeigen. (Siehe Graphik 31.)
Der Übergang zur Gemeinschaft
Manchmal wird die Geste des Zeigens als etwas gesehen, das vom Greifen kommt. Doch sehe ich das Greifen eher als Teil des Schenkens und Empfangens. Wir können sowohl die Rolle der Schenkenden wie der Empfangenden einnehmen, und das Objekt, auf das gezeigt wird, wird zu etwas, das potentiell geschenkt und empfangen bzw. auf Wörter bezogen wird (die ihrerseits geschenkt und empfangen werden). Wenn sich das Objekt, auf das gezeigt wird, dann von seinem Hintergrund absetzt, werden seine Singularität oder Pluralität relevant für die Geste der Schenkenden wie für den Griff der Empfangenden. Die Geste des Zeigens bringt uns nicht direkt dazu, zu sehen, aber sie tut das durch einen Analogieschluss: wir sehen, was die andere Person sieht durch diese Person. Etwas wird in den Vordergrund gerückt, zugänglich gemacht und um einen neuen Charakter, einen interpersonellen Wert, ergänzt. Zeigen identifiziert das Objekt als für andere und uns selbst wertvoll – was auch ein Geschenk ist, da wir in der Lage sind, es kreativ zu empfangen.
Zeigen ist ein Zeichen mit vielen Ebenen. Es ist selbst bestärkend in seiner Fähigkeit, sich auf andere zu beziehen. Der Zeigefinger ist sowohl eine Repräsentation wie ein aktiver Produzent von Kategorien. Dies ist er als Prototyp, der andere Prototypen (Eine) anzeigt. Das Zeigen mag manchmal als der ursprüngliche Moment und die ursprüngliche Motivation des Geschenks erscheinen und die Illusion schaffen, dass das Geschenk ein Resultat oder ein Ableger der Geste des Selbstausdrucks ist und nicht der Motivation, die Bedürfnisse anderer zu befriedigen. Wir mögen glauben, dass die Selbstbestärkung und ihre Produkte die Grundlage von Geschenken sind, die existieren, um sie sich im Zuge dieser Selbstbestärkung anzueignen, anstatt dass wir sie als die Resultate individueller oder kollektiver bedürfnisorientierter Arbeit sehen würden. So schreiben wir dem selbst reflektierenden Moment und Ebenenwechsel im Prozess der zeigenden Person Wert zu.
Das mit der Maskulisierung auftretende Problem der falsch identifizierten Quelle durchdringt alle unsere zwischenmenschlichen Beziehungen. Hier mag der Transfer von Aufmerksamkeit von einer Form in eine andere, von der Ikone zur Aktion, von der Metapher zur Metonymie so erscheinen, als würde er automatisch den Gebrauchswert von etwas für uns erhöhen. Das Steigern des Gebrauchswerts käme dann daher, dass die Geste andere Gesten auf anderen Ebenen bewirkt. In diesem Sinne ist das Zeigen sowohl dem Tausch als auch der objektivierten Definition gleich, in denen es einen Transfer an Bedeutung oder Wert von einem Begriff zu einem anderen ohne menschliche VermittlerInnen zu geben scheint. Im Tausch und in der Definition wird ein materielles bzw. kommunikatives Bedürfnis individuell befriedigt, indem Dinge angewandt werden, die auch andere für diesen Zweck anwenden. Gesten, Wörter und Geld als Kommunikationsmittel sind das Resultat von Prozessen, die Einfluss auf andere nehmen und die Grundlage für weitere Prozesse sind.
Die Selbstähnlichkeit unserer individuellen Gesten wird bestärkt von der Gleichheit der Gesten anderer. Das Wechseln der Formen des In-den-Vordergrund-Rückens, von der Ikone zum Index (die beide Strukturen des Einen und der Vielen sind), wird von einem Wechsel von der Repräsentation zur Einrichtung einer Kategoriebeziehung wiederholt, sowie von dem Wechsel von der persönlichen auf die zwischenmenschliche Ebene, auf der auch andere sie wiederholen. Das heißt, der Zeigefinger von einem selbst steht für und gemeinsam mit den Zeigefingern aller anderen, die – vielleicht gemeinsam mit allen Fingern, die nicht zeigen – als Viele in Bezug auf ein Eines funktionieren. Das kann erkannt werden, wenn die Tatsache, dass andere zeigen, auch erkannt wird. Alles andere, auf das als ein Thema gezeigt werden könnte, ist auch potentiell auf das präsente Thema und den Finger bezogen. Die Selbstähnlichkeit und der Wechsel mögen als die Quelle von neuem Wert erscheinen, aber diesen Wert gibt es nur, da andere bereits zeigen und damit individuell wie kollektiv Wert zuschreiben.
Selbstähnlichkeit mit dem Index wird auch in dem seriellen Charakter der Wörter suggeriert, von denen jedes für einen Moment im präsenten Vordergrund ist, um dann von einem anderen ersetzt zu werden, das wieder von einem anderen ersetzt wird, usw. (Jeder geschriebene Satz endet mit dem Zeiger des Punktes.) Jedes Wort befindet sich in einer exklusiven Eines-Viele-Beziehung mit all den Wörtern, die es nicht ist. Es behält somit seinen distinkten Charakter im Satz, der auf seinem Gegensatz zu den anderen Wörtern beruht, die sich gleichzeitig im Satz auch miteinander verbinden und einander schenken. Die Beziehungen jenseits des Wortes sind den Beziehungen jenseits des Zeigefingers ähnlich. Andere können nach Lust und Laune die gleichen Wörter oder Gesten verwenden. Wir zeigen auf etwas und andere können auch darauf zeigen. Wir sagen etwas und andere können dasselbe Wort verwenden, auf das dieselben Dinge bezogen sind.
Der Gemeinschaft formende Schenkweg besteht nicht in erster Linie aus dem Wechsel von Ebenen, sondern aus dem Zunutzemachen der Wechsel, der Ebenen, der Originale und/oder Ersetzungen für die gemeinsame Befriedigung von Bedürfnissen. Dieser Ikone-Index-Mechanismus entspricht der Kategoriestruktur, die sich auf einer anderen Ebene vollzieht. Auch das Ding, auf das gezeigt wird, scheint dieselbe Struktur zu haben. Der Wert des Prozesses kommt von seiner Beziehung zur Gemeinschaft. Da meist für andere gezeigt wird, wird das individuelle Zeigen bedeutungsvoll. Es gehört zur Motivation des Zeigens, andere in das eigene Schenken von Aufmerksamkeit (oder Wert), das auf ein bestimmtes Ding gerichtet ist, mit einzubeziehen – wir können auch sagen, dass wir unsere eigene Aufmerksamkeit kollektivieren.
Wie der Gebrauch eines Wortes schafft das Zeigen eine Verbindung mit anderen in Bezug auf etwas. Wir befinden uns in einem Zusammenhang: es gibt andere „da draußen“, die zeigen und auf unsere Gesten antworten können, die uns schenken und von uns empfangen können. Der Kommunikationsprozess geht durch einen selbstähnlichen Moment und schafft ein höheres Maß an Zusammenarbeit.
In Roman Jakobson, On Language, Kapitel 19.
Das Geld verunmöglicht die Neutralität der Gleichung zwischen ihm selbst und den Gütern, da es ein konstanter Standard ist. Auf ähnliche Weise ist die Gleichung zwischen Männern und Frauen nicht neutral, da die Männer hier der konstante Standard sind.
Wenn wir unsere gemeinsame Wirklichkeit damit vergleichen, was wir mit technologischen Hilfsmitteln sehen können, so entdecken wir, dass Atome keine Geschenke sind, sondern Sammlungen von Zeigern. Atome durch Nanotechnologie neu zu arrangieren, könnte eine Überflusssituation schaffen, in der alle unsere Bedürfnisse problemlos zu befriedigen wären. Materiell zu schenken, wäre dann so leicht, wie verbal zu schenken. Leider machen jedoch die künstlichen Bedürfnisse, die von der Maskulisierung geschaffen werden, das Manipulieren von Atomen extrem gefährlich. Denn auch Waffen, die die Bedürfnisse der Maskulisierung befriedigen, könnten dann mit einer Leichtigkeit erzeugt werden, mit der wir heute Brot erzeugen. In Nano, The Emerging Science of Nanotechnology, schildert Ed Regis mögliche individuelle maskulisierte Gebrauchsweisen der Nanotechnologie: „Wir wären Vierrad-getriebene Humanoide mit gigantischen Körpern, überproportionierten Muskeln und Penissen und nur Gott weiß, was noch“ (S. 18). Einen menschlichen Gebrauch der Nanotechnologie kann es nur im Rahmen einer Schenkökonomie geben, die auf den Werten der Frauen beruht.
Analog dazu mögen wir glauben, dass der männliche Sexakt mit seinen Wechseln von Ebenen, Vordergründen und Hintergründen die Quelle von Kindern ist, die dann einfach die Folgen selbst bestätigender männlicher Prozesse wären.
Zum Beispiel ist Brot das materielle Ding, das wir und andere dazu verwenden, um das kulturell spezifische materielle Bedürfnis nach Brot zu befriedigen, während „Brot“ das Wort ist, das wir und andere gewöhnlich verwenden, um das diesbezügliche kommunikative Bedürfnis unter deutschsprachigen Menschen zu befriedigen. Bestimmte Quantitäten an Geld, die den kollektiv bestimmten Preis des Brotes konstituieren, werden für dieses getauscht und befriedigen damit das kulturell spezifische und ökonomisch manipulierte kommunikative Bedürfnis nach den Mitteln des Tausches in Bezug auf dieses Produkt.
Ich glaube, dass das Bewusstsein – zumindest zum Teil – das Resultat eines Zusammenspiels verschiedener Ebenen ist. Allerdings kommen wir im Patriarchat nicht nur zu Bewusstsein, sondern wir formen es auch: nämlich als maskulisiertes Ego-Bewusstsein. Dies geschieht auf folgende Weise:
Wenn wir – oder auch andere – uns einen Prototypcharakter zuschreiben und uns zu einem Zeiger machen, der in den Vordergrund rückt – gerade so wie das im Zeigen mit dem Zeigefinger geschieht – dann sind wir gleichzeitig das Objekt, auf das gezeigt wird, und wir selbst sind es, die auf uns zurückzeigen. Dieser Selbstbezug schließt die Außenwelt und soziale Beziehungen aus – wir reflektieren nur noch uns selbst. Wir nehmen den Platz anderer ein und unterbrechen den auf andere ausgerichteten Fluss. Unsere Aufmerksamkeit ist nur noch auf die eigene Spiegeltüre gerichtet. (Die Türe erscheint nicht nur deshalb als Spiegel, weil wir uns selbst reflektieren, sondern weil alle anderen das auch tun.) Wir beginnen zu glauben, dass wir selbst die Quelle unserer Existenz sind. Auf der Basis dieses Glaubens schaffen wir ein dominantes Ego, einen Prototypen, an dem wir die vielfältigen Momente von uns selbst (unsere inneren Vielen) – und die anderer, die mehr oder weniger wie wir sind – messen können. Wir pflegen diesen Moment innerer Gleichheit, der den inneren wie äußerlichen Manifestationen des Maskulisierungsprozesses entspricht.
Das Resultat des Findens einer Geschlechtsidentität durch einen Bezug auf den Vater wird dadurch bestärkt, die übernehmende Gleichung durch Selbstbezug in das individuelle Bewusstsein zurückzureflektieren. Dann stellen wir sogar innerlich die Wertäquivalenz über die Fürsorge. Dies führt schließlich dazu, das Sein über das Schenken zu stellen, das Abstrakte über das Konkrete, das Allgemeine über das Partikuläre – obwohl dies natürlich nicht alles das Gleiche ist. In Wirklichkeit ist die Quelle unseres Selbst gemeinschaftlich und kommt von unserem Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein: von der Präsenz anderer für uns und unserer Präsenz für sie. Wir liegen falsch, wenn wir die gemeinsamen Projektionen unserer selbstbezogenen Reflexionen als Zentrum unserer Kreativität interpretieren. Die Quelle unserer Fähigkeit, diese Projektionen zu sehen, zu schenken und zu empfangen liegt tief in unserem Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein verborgen – so wie das Feuer, das die Schatten in Platons Höhle wirft.
Menschen mit maskulisierten Egos artikulieren sich wie alle anderen und schaffen ihr verbal vermitteltes Bewusstsein. Der selbstbezogene Egospiegel wird zum übernehmenden sprechenden Subjekt. Doch ist dies keine soziale oder psychologische Notwendigkeit. Weder verbale Vermittlung noch die Verbundenheit noch die Entwicklung des Selbst bedürfen des dominanten Egospiegels, der 1 = 1 = 1 ist und damit die Logik des Spiegelsaales der Gleichung wiederholt. Viele Frauen fühlen sich nicht wohl in unserer individualistischen kapitalistischen Gesellschaft, weil ihnen dieses Ego gewöhnlich fehlt. Auch viele Männer fühlen sich nicht wohl, da sie sich trotz des Drucks der Maskulisierung eine Verbindung zum mütterlichen Modell bewahrt haben.
Freier (maskulisierter) Wille
Die Selbstähnlichkeit jedes Einen mit dem Index kommt daher, dass wir – wie der Finger – etwas aktiv kennzeichnen und uns zum Prototyp hinbewegen können. Von dem Moment an, in dem wir uns auf eine selbstähnliche Weise auf uns selbst konzentrieren und manche Aspekte unserer Persönlichkeit in den Hintergrund rücken und uns innerlich nach dem Muster des Einen und der Vielen strukturieren, können wir aktiv werden und uns auf etwas Neues hin ausrichten, ein neues Objekt oder Ziel, die wir ausgewählt haben. Wir nennen dies oft Wille. Das Schenken oder unsere kommunikativen Impulse jenseits der Egospiegeltüre berücksichtigen wir zu diesem Zeitpunkt jedoch meist nicht mehr. Die Motivation zum Schenken scheint ein Charakteristikum der Vielen zu sein, ein inhaltliches Rudiment unseres Bewusstseins, um das wir selbst uns nicht mehr kümmern. Es liegt an uns zu entscheiden, ob wir unseren Emotionen (engl. motion = Bewegung – Anm. d. Übers.) bzw. unseren auf Andere ausgerichteten Impulsen erlauben, endlich wieder aus dieser Türe zu treten, den Spiegel hinter uns zu lassen und uns aufs Neue den Bedürfnissen der anderen zuwenden. Doch bleiben wir meist in den selbstähnlichen Reflexionen gefangen, da wir im Rahmen der Maskulisierung dazu gebracht werden zu glauben, dass dies die uns angemessene Existenzform ist.
Wir fragen uns, was für uns am besten ist, und schaffen damit einen Filter für unsere Handlungen. Das Bedürfnis für diesen Filter wird vom patriarchalen Wettbewerb geschaffen. Außerdem wird von uns gefordert zu wissen, wer wir sind. Dies scheint für unser Überleben unabdingbar. Wir müssen in der Lage sein zu sagen, welchem Geschlecht, welcher Klasse, welcher Rasse und welcher Religion wir angehören und wie wir uns sexuell definieren. Kurz, wir müssen uns unsere Identität bewusst sein, unseren Platz in der Hierarchie und ihre Regeln – es geht darum zu wissen, wie wir im System überleben können; darum, weniger verletzlich zu sein. Die Selbstähnlichkeit, die sich auf verschiedenen Ebenen reproduziert, erlaubt uns zu sagen: „Dies ist, was ich bin – in Unterschied zu jenem.“ Wir erschaffen uns dadurch gewissermaßen jedes Mal in verschiedenen Lebensbereichen neu gemäß maskulisierter Bilder. Im Verhältnis zum Unbewussten ist das Ego eine Art Kategorieprototyp. Dies hat zur Folge, dass auch unsere Außenwelt – von der Familie bis zur Regierung – nach diesem Bilde geformt wird. Die Erfahrung der Frauen ist gewöhnlich eine andere als die der Männer, da wir von Männern definiert werden. Wenn das Mann-Wort unseren Platz in der Heirat einnimmt, werden wir zu einem auf den Prototypen, das Mann-Wort, bezogenen Objekt. Uns wird unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass unser Platz im System nicht an dessen Spitze liegt.
Wir können das Ego mit seinem Willen als eine weitere Ikone des Index betrachten und unseren Körper selbst auf ein Objekt bzw. Ziel hin bewegen (während andere Aspekte des Selbst zurückgehalten werden). Wenn wir fürsorgliche, bedürfnisbefriedigende Arbeit tun, folgt unser Verhalten Motivationen, die jenseits der Spiegeltüre liegen. Wenn wir hingegen am Übernehmen teilhaben, am Stärken des Egos, am Negieren der anderen, am Tauschverhalten, dann dehnen wir nur den selbstähnlichen Moment bzw. den Spiegel weiter aus und wiederholen die kategorischen Prozesse des Messens und Vergleichens. Schenkendes Verhalten gelangt nicht durch den Filter der maskulisierten Egowerte.
Es gibt natürlich auch Variationen dieser sich selbst reproduzierenden Struktur. Manche Frauen meinen, dass sie auch mit einem auf Andere ausgerichteten Ego in der Tauschgesellschaft überleben können. Auch post-maskulisiertes Schenken ist eine Möglichkeit, einen Schenkaspekt in der Tauschgesellschaft aufrechtzuerhalten – er wird etwa von Männern und Frauen betrieben, die ihre Familien mit dem Lohn unterstützen, den sie erhalten. Doch gibt es auch im post-maskulisierten Schenken einen Filter: nämlich das Budget, das Bedürfnisse hierarchisiert. Diese Form des Schenkens kann also nicht direkt von den Bedürfnissen ausgehen, wie das im Überfluss geschehen könnte, sondern sie muss sich den Bedingungen des Mangels unterwerfen.
In der heterosexuellen Zweierbeziehung nehmen Männer traditionell die Rolle des Ego ein und Frauen die Rolle der Fürsorge, der Vielen, des Unbewussten. Die Person, die zunächst als „ungleich“ abgewertet, ja quasi ausgestoßen wird, kehrt nun also als Fürsorgerin wieder in die selbstähnliche (männliche) Logik zurück. Ihr Schenkweg wird aus dem öffentlichen Raum ausgeschlossen und auf die Familie konzentriert. Ihre Energie versorgt den Filter und hält ihn aufrecht. Das Gleiche gilt für den öffentlichen Raum selbst, und für die, die in ihm erfolgreich sind.
Tatsächlich ist das Resultat der Fokus, der Prototyp, das Eine. Ohne ein Konzept des Einen können wir nicht zählen. „Eins“ zu sagen, „zwei Eine“, etc., oder „einmal Eins ist gleich Eins“ erfordert ein Wissen um andere Eine – egal aus welchem Kontext dieses kommt. Vielleicht weil wir die Rolle, die die Definition für die männliche Identität hat, intuitiv spüren, hängen wir an den Wörtern der Männer und hoffen, dass sie uns sagen werden, dass wir „schön“, „intelligent“, „eine gute Frau“, usw., sind. Auf diese Weise schaffen wir beinahe ein selbstbezogenes Ego nach ihrem Bild.
Die patriarchale Besetzung der Prototypposition forciert das Übernehmen des Egoprototypen. Männer sehen sich als Eine und geben das Schenken und das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein zugunsten ihres Selbstbezugs auf. Ich denke, dass die Erfahrung des Ego etwa so im Körper verankert ist wie – nach der Ansicht mancher TheoretikerInnen – andere Typen von Erfahrungen in der neurolinguistischen Programmierung verankert sind.
Der Lohn und das Ego
Das Egobewusstsein selbst ist eine Art Filter, der auf Tausch und Maskulisierung beruht und zwischen dem Schenkweg und dem Tauschweg vermittelt. Auch das Besitzen von Eigentum ist ein Filter, durch den das Schenken nicht zu dringen vermag. Viele Frauen setzen trotzdem damit fort zu schenken. Sie wurden so sozialisiert.
Der Eintritt in den Arbeitsmarkt erlaubt eine Versöhnung der beiden Prinzipien, nachdem sie als getrennte etabliert wurden. Die Lohnarbeitenden unterstützen eine Familie, indem sie ihr vom Eigentum ihrer monetären Definition (dem Lohn) abgeben. Da der Markt auf der Maskulisierung beruht, sind Männer besser auf ihn vorbereitet als Frauen.
Für Frauen ist der Markt ein äußerer Kontext. Manchen gelingt es trotzdem, in ihm erfolgreich sein. Aber dies ändert nichts daran, dass er nicht ihrer ursprünglichen Kategorisierung entspricht. Die persönlichen Anspannungen, die die Anforderung, eine Familie durch Lohnarbeit zu erhalten, mit sich bringen, sind Frauen ursprünglich fremd. Deshalb bedeutet Lohnarbeit zum Familienerhalt für sie etwas anderes. Der Vorteil, der für sie im Eintritt in den Markt liegt, ist, dass sich damit viele praktischen Probleme des Status eines have-nots lösen lassen und Zugang zu den privilegierten Kategorien des Patriarchats möglich wird.
Der Lohn bestimmt als Ausdruck des allgemeinen Äquivalents (des Geldes) den Wert des Mannes in der traditionellen Familie. Wenn er in der Lage ist, einen Teil seines Geld-Namens seiner Frau zu schenken, kann er damit gewissermaßen Teile seiner Maskulisierung „heilen“. Das Geld wird zu einem temporären Ersatz für den Geschlechtsbegriff „männlich“. Diesen konnte der Bub nicht mit seiner Mutter teilen, doch nun kann er dafür seinen Geld-Namen mit ihrer Nachfolgerin teilen: seiner schenkenden Frau. Der Lohn bestimmt, was der Mann empfangen und schenken kann. Darüber bestimmt sich seine Rolle als Filter. Das Urteil über jemandes Identität scheint zu bestimmen, was einer Person an Haben zusteht, da sich die Person gewöhnlich diesem Urteil anpasst und es als eine self-fulfilling prophecy betrachtet.
Das Haus, das von BauarbeiterInnen gebaut wird, nimmt den Platz von Geschenken der Natur ein. Außerdem wird es zum Eigentum von jemand anderem. Der „monetäre Name“ (die professionelle Kategorie oder der soziale Status) der BauarbeiterInnen verschafft ihnen meist nicht genug Geld, um das Haus selbst kaufen zu können. Sie schenken das Haus gewissermaßen der Gemeinschaft. Diese Art des Schenkens ersetzt im Tausch das individuelle, auf Andere ausgerichtete Schenken, und damit auch das Schaffen konkreter familiärer Gemeinschaft. Das „Geld-Wort“: $, ersetzt dann diesen Ersetzungsakt selbst.
Männer oder Frauen, die ihren Lohn ihrer Familie schenken, sind wie die Person, die dem Buben den Namen „männlich“ schenkt, ihn damit privilegiert und andere dazu veranlasst, ihm auch zu schenken. Der Bub erhält den Namen, weil er ein Kennzeichen hat – ein „Preisschild“. Wenn ein Mann seine Frau und Familie mit seinem Lohn unterstützt, gibt er der Frau einen Namen (hier in der Form des Geldes), obwohl sie kein Kennzeichen hat. Wenn sie einen Sohn produziert, kompensiert sie jedoch für diesen Mangel. Sie scheint dann das Geld ihres Mannes zu verdienen.
Die Beziehung zwischen der freien Arbeit der Frau im Haus und dem Lohn des Mannes wird von der Verschiebung der Geschlechtsdefinition bestimmt und ist nicht mit dem Tausch identisch. Der Mann gibt der Frau einen Teil seines Geld-Namens, während sie fortsetzt, freie fürsorgliche Arbeit zu schenken, die nicht monetär und quantitativ definiert ist. Sein Lohn ist das reinkarnierte Wort, mit dem sie in Zeiten des Mangels die Mittel kaufen kann, die sie zur Fürsorge benötigt bzw. um damit fortzusetzen, auf allen Ebenen zu schenken. (Es ist beinahe so, dass das Vermögen der Frau zur Fürsorge gänzlich vom Grad der Maskulisierung ihres Mannes abhängigt, da sie dessen Lohn zur Aufrechterhaltung ihrer fürsorglichen Mittel, inklusive derer ihres eigenen Körpers benötigt – die Brust ist hier das Hauptbeispiel.) Indem der Mann seinen Geld-Namen mit ihr teilt, benennt oder kategorisiert er ihre fürsorgliche Arbeit als Arbeit für ihn (und kontrolliert sie als solche).
All dies hat sich freilich aufgrund des Eintritts der Frauen in die Arbeiterschaft und durch die immer höheren Zahl an allein erziehenden Müttern geändert. Viele Frauen arbeiten heute selbst für den Geld-Namen und beschaffen sich somit auch die Mittel zur Versorgung ihrer Kinder selbst. Dies bestätigt, dass das Geld nur ein Wort ist, ein übersetzter Geschlechtsbegriff, der potentiell allen zukommen kann. Wie der Geschlechtsbegriff selbst hat er nichts mit Biologie zu tun, sondern wird sozial konstruiert.
Es stärkt Frauen, ihren eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten, da dies ihr Überleben weniger unsicher und weniger vom Verdienstvermögen des Mannes abhängig macht. Doch ändert dies nichts am maskulisierten Charakter der Tauschökonomie bzw. daran, dass es in der Logik der Tauschökonomie liegt, die meisten Menschen zu have-nots zu machen. Somit wird die ökonomische Maskulisierung, die manche Frauen erfahren, nicht die allgemeinen Probleme lösen, die von der psychologischen und ökonomischen Maskulisierung der Gesellschaft verursacht werden.
Die (Hetero)Sexualität und das Töten
Das Geschlecht und die mit ihm verbundene dominante männliche Heterosexualität ersetzen die Fürsorge als Modell für beide Geschlechter – das Geschlecht folgt damit der Sprache, die den Platz materieller Kommunikation einnimmt. Alleine die Benennung des Geschlechts des Kindes scheint zu implizieren, dass das Geschlecht (bzw. die Identifikation mit oder die Abweichung von der Mutter) – und in Folge die Sexualität – wichtiger sind als die Fürsorge. Die physio-kulturelle Differenz des Buben von der Mutter wird wichtiger als ihre fürsorgliche Praxis. Auf ähnliche Weise ist das Töten mit einem phallischen Indexsymbol, das als verschobene (Hetero)Sexualität gesehen werden kann, wichtiger als die Fürsorge. Das Tier oder die Person wird passiv und unterwirft sich dem Willen des Schützen.
Gleichzeitig kann das Tier, wenn es einmal vom übernehmenden phallischen Index getötet wurde, zur Fürsorge verwendet werden – wie die Frau, die dominiert und von ihrem Beherrscher ausgebeutet wird. Das Jagen gleicht dem Tausch, da das Objekt (der Empfänger der Kennzeichnung) transformiert und neu kategorisiert wird. Es wird von seinem eigenen Willen abgetrennt und zum Eigentum des Jägers, genauso wie das Produkt im Tausch von seinem Eigentümer abgetrennt wird (oder der Bube von seiner Mutter aufgrund seiner Geschlechtsdefinition). Der Schütze kann freilich auch andere Männer töten (seine Konkurrenten), um sein Eigentum oder diejenigen, die für ihn sorgen, oder auch seine Natur oder seine Maskulisierung oder die Maskulisierung überhaupt zu beschützen.
Post-maskulisierte Fürsorge verlangt gewöhnlich Erkennung (eine weitere Entsprechung des Tausches). Frauen (und relativ machtlose Männer) versorgen den Herrscher, der sich durch die Mechanismen der Maskulisierung arbeiten muss, um zu seiner Form der Fürsorge zu gelangen. Sobald er die Kontrolle übernimmt, kann er in Form des post-maskulisierten Schenkens „sozial“ werden. Das Kennzeichen eines Objekts ist wie die Endung eines Falles in der Sprache, die die Rolle des Substantivs im Satz anzeigt. Was so gekennzeichnet ist, kann nur auf eine bestimmte sozial determinierte, „depersonalisierte“ Weise schenken – auf eine Weise, die eine Entfremdung des Produktes impliziert. Der Gemeinschaft (bzw. den anderen) kann nur durch den Tausch mit dem Geld-Namen geschenkt werden, dessen Erhalt die Beschenkten privilegiert. Es ist dieses seltsame Modell, dem der Bube zu folgen hat.
Das Geld kann als eine Sammlung quantitativer Fall-Kennzeichen gesehen werden. Als gesetzliches Zahlungsmittel sagt das Schild: „Zahle den, der dies besitzt!“ Wie eine Transformation von aktiv zu passiv zeigen das Preisschild und das männliche Kennzeichen an, dass denjenigen, die es tragen, spezielle Geschenke zustehen. Je mehr Besitztümer oder Geld er hat, je mehr Fall-Kennzeichen er besitzt, desto mehr ist der Mann in Kontrolle und desto mehr verdient er, immer noch mehr zu erhalten.
Die unterworfene Frau schenkt sexuell nur noch ihrem Ehemann und materiell nur noch ihrer Familie. Sowohl der Wechsel vom Schenken zum Tausch als auch der vom mütterlichen zum post-maskulisierten Schenken wird mit dem Kennzeichen des Mannes identifiziert. Auch die Ikone des Prototypen unterstützt das Übernehmen und bestätigt es. Der Penis ändert seine Form in der Erektion. Da er keine Selbstähnlichkeit kennt wie die Hand, keine unmittelbaren Objekte hat, die auf den Prototypen bezogen sind, hat er seine Rolle als Prototyp in der Außenwelt zu etablieren, das heißt: er hat mit anderen Penissen zu konkurrieren. Dies bestätigt gleichzeitig die Rolle der Männer als Eine im Verhältnis zu den Frauen (die kein Kennzeichen haben) als Viele. Die Männer herrschen über die Frauen, um ihre Überlegenheit zu beweisen.Schießen
Da der Index dem Penis als ein Instrument sowohl sexuellen als auch nicht-sexuellen Wissens vorausgeht, ist der Penis letztlich nicht notwendig, um auf etwas zu verweisen. Die falsche Identifikation des Penis mit dem Index wird durch eine Umkehrung weiter verkompliziert, der zufolge der Index als angehängter Penis erscheint, der dann beispielsweise zu einer Kugel oder einem Pfeil hin verschoben wird. Dafür ist auch unsere Art des Sprechens verantwortlich, sowohl was die Maskulisierung angeht als auch das Schießen. „Es ist ein Bube!“ oder „Bang, bang, du bist tot!“ haben ähnliche entfremdende Effekte. Indem ein Objekt als Teil einer bestimmten Kategorie identifiziert wird, werden seine anderen Potentiale negiert. Das Schießen formt sich nach dem Bild der Maskulisierung.
Auf den Buben zu zeigen und ihn „männlich“ zu nennen, kann als explosiver Laut gesehen werden, der den Buben dem schenkenden Leben entreißt. Der Index ist der Abzugsfinger und der Ebenenwechsel ist der Abzugsmechanismus, während dessen der Finger sich zurückzieht, um das Gewehr zu feuern. Das Wort ist dann der Laut der Kugel, die die anderen (die, auf die geschossen wird) benennt.
Wenn wir mit dem Finger zeigen, wählen wir zunächst ein Prototypobjekt aus bzw. kennzeichnen es. Daraufhin benennen wir es und wechseln vom Nonverbalen zum Verbalen. Die Explosion geht mit der Nachbarschaft des verschobenen Index mit dem Objekt, das er penetriert, einher. Wir gehen von der Indexkategorieikone (sowie dem Kategorieprozess des Auswählens) über zum Wort. (Siehe Graphik 32.) Die Penetration der anderen durch das „Geschenk“ der Kugel ist in Wirklichkeit ein Dienst, der dem Ego des „schenkenden“ Schützen getan wird. Das Schießen bestärkt die Tauschlogik und die gewaltsame Penetration der Körper (und Herzen) der anderen erinnert an eine Vergewaltigung erinnert. Das Gewehr und der Penis funktionieren beide als Eine, um ihren Trägern das Einnehmen des privilegierten Einen-Status zu erlauben.
Das Schießen eines Pfeils mit einem Bogen funktioniert so, dass die Sehne des Bogens zurückgezogen und dann losgelassen wird, womit sich die Aufmerksamkeit/Energie auf den Pfeil übertragt. So wie kooperierende Finger zurückgezogen werden, um den Zeigefinger zeigen zu lassen, ziehen alle Finger gemeinsam die Sehne zurück. (Siehe Graphik 33.) Dasselbe passiert, wenn der Indexfinger den Abdruck des Gewehrs und den Hahn, der bis zum Anschlag gespannt war, gegen die zeigende Kugel prallen lässt. So wie zunächst das Wort zurückgehalten und dann losgelassen wird, kommt es hier zu einer – besonders explosiven – Unterstützung des Einen durch die Vielen. Die Energie dessen, was zurückgehalten wird, wird auf den Index fokussiert. Vielleicht gibt es hier eine Analogie zu den vielen Handlungen, die das Jagen beinhaltet – in den Wald gehen, nach Beute suchen, usw. – bzw. zu den vielen kooperativen Handlungen, die das Töten in der Jagd beinhaltet und die es überdeterminieren.
Wenn wir auf Tiere oder Menschen mit einem Gewehr zielend zeigen, um sie zu töten, müssen wir unsere schenkenden Impulse ihnen gegenüber zurückhalten und sie zu Prototypen toter Objekte machen – zum Beispiel zum essbaren Tier, oder zum Menschen, der für unseren Schutz oder Status umgebracht werden muss. Wir härten uns innerlich ab und unterdrücken unsere Impulse des Auf-Andere-Ausgerichtet-Seins und des Schenkens („armer Hase“), um bestimmte Tiere als Ziele auswählen und ihnen in der Folge das Geschenk des Lebens zu nehmen und sie zu passiven Objekten zu degradieren. Der innere Mechanismus des Auswählens und das gleichzeitige Unterdrücken des Schenkens ist wie der Mechanismus des Gewehrs. Mit unserem Indexfinger ziehen wir den Abzugsindex zurück und der Hahnindex prallt auf den Kugelindex und bringt seine Ladung zum Explodieren, die dann durch den phallischen Indexwaffenlauf nach vorne stößt. Der Kugelindex trifft schließlich das Herz des Tieres (oder auch der Person), beendet die organischen Schenkprozesse, die es am Leben erhalten, und transformiert es zu einem Objekt in unserem Besitz.
Die Explosion in der Patronenkammer des Gewehrs entspricht jedoch nicht nur der Explosion in der Herzkammer der Getöteten. Sie entspricht auch jener im Herzen und Kopf der Schießenden – und vielleicht auch jener in ihrem Penis, der schließlich auch als Prototypzeiger zeigt, übernimmt und „explosiv“ ejakuliert. Maskulisierter Wille = Penis = Gewehr. Auch ökonomische Analogien gibt es hier. Einem internen Ausschluss des Schenkens folgt durch die interne Wirkung des Gewehrs, die veräußerlicht wird, ein externer Ausschluss im Körper anderer.
Der Speer, der Bogen, das Gewehr – sie alle zeigen und töten. Durch eine Fokussierung wird damit etwa in der Jagd das Leben eines Tieres in den Hintergrund gedrängt. Nicht dem Leben des Tieres wird Wert geschenkt, sondern dem des Zeigenden (und damit dem Tod des Tieres). Die Beute wird ein Geschenk an Nahrung. Das Jagen funktioniert damit analog zur Kommunikation: das getötete Tier wird ein teilbares Geschenk, wie ein Objekt, das ausgewählt wurde, um kommunikativ geteilt zu werden. Auf ähnliche Weise wird auch der Tod eines Feindes, der von Messern, Speeren, Gewehren oder Raketen getötet wird, ein teilbares Geschenk für Individuen, Gangs, die Armee oder das Vaterland.
Dieses bluttrunkene Geschenk – unser gemeinsamer Grund – wird zwischen uns als Eigentum aufgeteilt, das wir dann wiederum gegeneinander mit Schwertern und Gewehren verteidigen. Ganze Armeen zeigen mit ihrer Technologie auf andere. Die Technologie wurde im Bilde der vergegenständlichten Zeiger geschaffen, die sich ihre Zugehörigkeit zu der überlegenen Kategorie sichern und die anderen vernichten. In Zeiten internationaler Spannung finden sich überall Raketensilos und Raketenträger, die jederzeit bereit sind, ihre Zeiger zu heben und ihre Sprengköpfe auf den Feind zu schießen. Vom Messer zum Gewehr zur nuklearen Rakete bzw. vom bewaffneten Individuum zu den bewaffneten Armeen transformiert die Reproduktion der Definition und des Kennzeichens des Männlichen unsere Zivilisation in eine enorme fraktale Struktur, die aus selbstähnlichen Bildern der Maskulisierung auf unterschiedlichen Ebenen besteht. Diese Struktur bestätigt sich selbst und zieht die Energie des Planeten und all seiner Lebewesen für seine eigenen Zwecke ab und opfert dabei das Leben von Millionen. Wie auch immer wir dieses Muster zu verschönern oder zu verbergen suchen mögen: es bleibt ein hässliches.
In der Antike transformierte der Jäger das Tier zu Essen, Eigentum und Geschenk. Eine Gemeinschaft, ein Kreis von Jägern, ein Gruppenfeuer, ein Kochfeuer, ein Ofen, eine Bühne – sie waren es, die das Geschenk annahmen. Der Moment – das Feuer, das Essen, das versorgende Geschenk – war der kollektive Fokus und das Ereignis, das benannt und zu einem wiederholbaren Prototypen wurde. Auch diejenigen, die sammelten und Felder bestellten, brachten ihre Erträge, um sie zu teilen. Das Ereignis wurde geschaffen, indem die Geschenke der Vergangenheit zusammen verwendet wurden: Erinnerungen an vergangene Momente, vergangene Zusammenkünfte und Gruppenfeuer, aber auch individuelle Erfahrungen. Wir sind die Anderen, denen die Geschenke der vergangenen Jagden und Ernten immer noch zukommen und die sie durch ihre Existenz am Leben erhalten. Und damit werden auch die Menschen der Vergangenheit am Leben erhalten, auch wenn diese das nicht wussten, als sie sich damals um das Feuer herum versammelten, aßen und erzählten. Wir wiederum hinterlassen unsere Geschenke den Menschen, die nach uns kommen werden.
Generationen sind wie Wasser, das Felsen hinunter rinnt und kleine Wasserbecken schafft, um dann über und weiter zu fließen, um wieder neue Wasserbecken zu schaffen. An einem Punkt zusammenzufinden, ist ein Geschenk. Ein Extra, das uns in der Gegenwart zugetragen wird und uns in der Zukunft mit Menschen aus der Vergangenheit zusammen sein lässt, genauso wie wir heute mit Menschen aus der Zukunft zusammen sind. Im Gegensatz dazu schafft die Herrschaft der Einen kein Motiv oder Geschenk für die Menschen der Zukunft, da die Güter hier nicht geteilt, sondern von den Einen monopolisiert bzw. zur Unterdrückung anderer verwendet werden. Hier schenken die Vielen alle den Einen – und nicht einander.
Schenken vs. Spiegeln
Schenken wird oft als verrückt diskreditiert, da es damit droht, die fraktalen Spiegelsäle einzudämmen. Das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein macht die Selbstähnlichkeit des Egos unnotwendig, irrelevant. Das Schenken wird mit der Mannigfaltigkeit derer, denen wir schenken, immer stärker. (Unter anderem auch deshalb, da das Beschenken unterschiedlicher Bedürfnisse Wachstum und Vielfalt fördert, nicht Wettbewerb.) Aufgrund der Bedrohung, die das Schenken für das ökonomische Tauschprinzip und seine Egostruktur darstellt, werden wir jedoch gezwungen, es aus unserem Bewusstsein aus- und die Frauen, die es praktizieren, in die familiäre Isolation einzuschließen – obwohl sie Legion sind.
In dieser Isolation kann auf sie als Fürsorgerinnen der Kinder gerechnet werden, trotz der vielen und überwältigenden Schwierigkeiten, die der Mangel schafft. Als isolierte Schenkende gefährden Mütter dabei jedoch oft ihr eigenes Überleben, da sie zuviel schenken, ohne dass es ihnen möglich ist, die sozialen Strukturen zu ändern. Der Catch 22 hier ist, dass die Frauen einerseits die sozialen Strukturen nicht ändern können, weil das Schenken nicht als ernst zu nehmende Alternative erkannt wird – und sie es andererseits nur dann als ernst zu nehmende Alternative erkennen könnten, wenn sich die sozialen Strukturen ändern würden.
Sich kompromisslos allen Schwierigkeiten zum Trotz zu etwas zu bekennen, kann durchaus ein Ausdruck von Selbstbehauptung sein. Gleichzeitig kann auch bis zur Selbstzerstörung geschenkt werden. Alles, was dies bestätigen würde, wäre die Vermutung, dass es kein Schenken gibt: weil es dann keine Schenkenden mehr gäbe.
Aber auch der Mangel und die Isoliertheit der Schenkenden verursacht deren Zerstörung. Damit das Modell des Schenkens für alle fruchtbar werden kann, müssen auch die Schenkenden von anderen beschenkt werden (selbst wenn dies den Anschein von Tausch annehmen mag), denn niemand kann immer nur schenken, ohne je etwas zu empfangen. Voraussetzung dafür ist, dass Schenkende erkennen, was sie tun, es benennen und es bewusst praktizieren. Wenn dies wirklich viele tun, dann kann das Schenken wieder als ernst zu nehmende Alternative erscheinen und ein Rahmen zur Lösung allgemeiner, nicht nur individueller, Probleme geschaffen werden.
Doch hat das Schenken mit zahlreichen Hindernissen zu kämpfen, die ihm der Tausch in den Weg legt. Manche davon scheinen harmlos. So hält etwa die Tugendisierung der Bescheidenheit („Gib nicht an!“) die Schenkenden davon ab, sich selbst zum Modell zu machen. Stattdessen bleiben sie untergeordnet. Ein Mann, der „seine“ Frau „beschützt“, beschützt in Wirklichkeit nur seine Schenkquelle. Er tut dies nur aus Eigeninteresse. Alles, was er will, ist, dass sie nur ihm und keinem anderen Mann schenkt. Die innere Struktur des ego-orientierten maskulisierten Mannes entspricht der Struktur des traditionellen heterosexuellen Paares. Patriarchale Family Values behaupten das Recht des herrschaftlichen Parasiten auf den Körper der schenkenden Frau. Der Phallus als Index besetzt den maskulisierten Mann (bzw. sein Egobewusstsein und seinen Willen) als Index und übernimmt bzw. beherrscht das Schenken, inklusive seiner eigenen inneren Schenkmotivationen. Wenn ein anderer Prototypmann von außen auf ihn zurückzeigt, müssen die beiden um die Vorherrschaft kämpfen.
Das Ego ist ein Eines in Bezug auf andere Teile des Selbst, das Ego anderer Menschen und letztlich aller Prototypen. In Bezug auf einige größere Prototypen wird es zum Objekt – dies passiert etwa zwischen Bub und Vater. Vom antiken Ägypten bis zu den modernen USA legen die riesigen phallischen Symbole des Staates, die den Vater der Nation im Stile des Washington-Monuments verkörpern, den vielen ansonsten privilegierten Prototypen einen Objektstatus auf. So werden alle BürgerInnen in Bezug auf ihr Land (das als das Eine fungiert) zu Objekten. Das Land als Eines wiederum grenzt sich von den vielen anderen Ländern ab. Genauso verhält es sich, was die Identifikation mit den Regierenden des Landes als deren nationale Menschprototypen angeht.
Die Persönlichkeitskulte, die sich rund um Führer der jüngeren Vergangenheit gebildet haben, sind ein Beispiel für diese Prozesse. Ihre Mammutbilder dominieren den öffentlichen Raum. In kommunistischen Ländern wachten bis vor kurzem enorme Statuen der führenden Figuren der kommunistischen Bewegung über die Plätze, an denen die Massen sich versammelten. Als Kim Il Sung vor kurzem in Nordkorea starb, zeigte das Fernsehen Menschenmengen, die sich vor einer riesigen Statue von ihm auf die Brust schlugen und weinten. Die Einbalsamierung und Aufbahrung von Lenins Leiche im Mausoleum im Kreml gab der Sowjetunion ein dauerhaftes Bild des maskulisierten Ego-Willens – das Umstürzen seiner riesigen Statue mit dem ausgestreckten Zeigefinger hatte symbolisch ebenso starke Bedeutung.
Ziel
Der Unterschied zwischen den selbstähnlichen Prozessen ist oft die Zeit, die es dauert, um sie auszuführen. Die Zeit, die es dauert, um einen Satz zu sagen, ist kürzer als die Zeit, die es dauert, um zu tauschen. Deshalb lassen sich auch leicht mehrere Sätze verbinden. Die Maskulisierung selbst dauert Jahre. Wir sind selbst Indexe: unsere Bewegungen hin zu einem Ziel sind Gesten des Zeigens. So wie wir auf ein Ziel hinzeigen können, können wir uns auch physisch zu ihm hinbewegen, es berühren. Wir haben Zukunftsorientiertheit, einen Zweck oder ein Ziel, das vom Raum in die Zeit wechselt. Zurückzeigen können wir sowohl in Raum als auch Zeit.
Zeigen mag so wenig Zeit dauern, wie es dauert, einen Finger zu heben – oder so viel, wie es dauert, ein Reiseziel zu erreichen. Auf dem Weg vom Moment unserer Entscheidung, uns zu einem Ziel zu bewegen, bis zu unserer Ankunft entsprechen wir dem Index. Das Ziel, das wir ausgewählt haben, ist eines unter vielen. Dies lässt sich auch metaphorisch betrachten: als Zweck, der die Mittel heiligt (oder übernimmt).
Dient ein Zweck, der als Ziel oder Punkt identifiziert wird, der Bedürfnisbefriedigung? Ist unsere Motivation zu reisen ego-orientiert oder auf Andere ausgerichtet? Der Tausch scheint uns vor die Wahl zu stellen, dass es beides oder nichts ist und stärkt damit nur den (Geld)Prototypen. Wohnmobile reisen in die Fremde, um zu tauschen. Die Intention des Reisens entspricht der Intention des Phallus im Sex: es geht darum, an ein Ziel zu gelangen. Die Reise der Pioniere in den Westen der USA eroberte Natur und war auf unerforschtes Land (virgin land – virgin bedeutet im Englischen auch „Jungfrau“; Anm. d. Übers.) ausgerichtet (bzw. zeigte auf solches), auf dem die Männer mit den Indexgewehren die Männer mit den Indexpfeilen töteten, sich parasitär ausbreiteten und es danach „frei“ nannten.
Pferde können mit ihrer großen Energie als phallische Indexe erscheinen, wenn sie auf ein Ziel hingaloppieren. Autos sind ähnlich. Wir können in diesen gemeinsam reisen und ein Ziel (oder Orte entlang des Weges) gemeinsam anzeigen. Der Weg und die Umgebung sind einmal Vorder- und einmal Hintergrund. Hier vollzieht sich ein ständiger Wechsel. Die Strasse, auf die das Auto zeigt, und das gemeinsame Ziel sind gemeinsame Motive. Im Prozess des abwechselnden In-den-Vordergrund- und In-den-Hintergrund-Rückens schenken wir dem Vordergrund Aufmerksamkeit und achten nicht auf den Hintergrund, der in die Vergangenheit fließt. Es ist dieser mechanische Prozess, der die nicht-mechanischen Prozesse überlagert, die wir nicht sehen. (Ist der Wechsel der Formen des Index eine ursprüngliche Proto-Technologie?)
Unsere Raumschiffe zeigen auf den Mond, um ihn zu erobern – und wenn wir dort sind, stellen wir unseren Fahnenmast auf. Unsere WissenschaftlerInnen kommen zusammen, um immer größere Bomben zu bauen und Kriege zu gewinnen. Sie haben bereits einen nuklearen Fliegenpilz produziert, der einen speziellen, unübersehbaren phallischen Charakter hat. Er kann Hundertausende auf der Stelle und Millionen, ja sogar Milliarden langfristig töten (aufgrund seiner unsichtbaren, „unangezeigten“ Radioaktivität). Zum Töten reicht unser Zeigefinger – wollen wir jedoch etwas schaffen, so brauchen wir die ganze Hand.
Das Wechseln der Hände
Im Gegensatz zum In-den-Vordergrund-Rücken lassen wir dem In-den-Hintergrund-Rücken keine Aufmerksamkeit zukommen. Es ist jedoch genauso eine Aktivität wie Ersteres. Im Zeigen ist das Zurückziehen der übrigen Finger genauso intentional und aufwendig wie das Ausstrecken des Zeigerfingers. Doch denken wir an diesen Aspekt nie, vielleicht weil wir uns ausschließlich auf die Wiederholung der Struktur des Einen und der Vielen konzentrieren, die zwischen dem Zeiger und dem, auf das gezeigt wird, stattfindet. Deshalb übersehen wir es, wie die anderen Finger den Zeigefinger (den Index) unterstützen, indem sie sich zurückziehen. Anders gesagt: Ein paar Finger zurückzuziehen, ist Teil der Absicht, einen Finger auszustrecken.
Dasselbe passiert in sozialen Situationen, wenn manche zurücktreten oder ausweichen, um anderen den Vordergrund zu überlassen. Dies kann absichtlich und in kollektiver Übereinstimmung geschehen. Da wir uns jedoch fast immer nur auf das Eine (den Prototypen) konzentrieren, übersehen wir meist die Rolle, die die Vielen dabei spielen. Damit wird es leicht, diese überhaupt zu übersehen (so wie maskulisierte Prototypen diejenigen vergessen, die ihnen schenken und ausweichen).
Es gibt zwei Viele: die vielen Finger, die Teil der Hand sind (und die vielleicht auch den Rest, dem sich der Indikator nicht zuwendet, repräsentieren) – und die Vielen außerhalb des Fokus, die Objekte, auf die nicht gezeigt wird. Wenn die Finger dem Zeigefinger tatsächlich beim Zeigen helfen, dann helfen auch alle Objekte, die außerhalb des Fokus liegen, dem Objekt, auf das sich die Aufmerksamkeit richtet, im Zentrum zu stehen. Die Objekte tun dies, indem sie ausweichen bzw. die Möglichkeit aufgeben, selbst im Zentrum zu stehen. Innerhalb der Familie waren Frauen traditionell die ausgeschlossenen Finger – außerhalb der Familie waren sie die ausgeschlossenen Objekte.
Im Old Boys Network wetteifern männliche Zeiger um die Position des Einen im Zentrum. Sie zeigen dabei unentwegt auf ihre jeweiligen Vorgesetzten im Rahmen der Hierarchie. Vielleicht geschieht dies unter anderem auch deshalb, da der Penis keine anderen Finger auszuschließen hat. Die anderen Finger sind in der Verschiebung und psychosozialen Evolution des Zeichens vom Index auf die Genitalien verschwunden. Wenn wir den Penis als Finger sehen, müssen wir den männlichen Körper analog dazu als Hand betrachten.
Ich denke, dass „Mann“ von manus kommt (lat. für „Hand“). Der Mann wäre dann eine Körper-Hand mit einem Penis-Index. Die Frau wäre hingegen – wenn wir vom englischen wo-man ausgehen – die Mutterleib-Hand (womb-hand – engl. womb = der Mutterleib; Anm. d. Übers.): die ganze Hand, die schafft und schenkt.
Die Position anderer einzunehmen, ist ein Teil des Schenkens. Wir hören gewöhnlich damit auf, sobald wir mit dem Schenken aufhören. Viele Frauen geben auch ihre eigene Prototyprolle im Prozess des Zeigens auf und folgen stattdessen der Perspektive des männlichen Zeigers/Prototypen. Wir Frauen helfen Männern. Wir achten darauf, was sie brauchen und worauf sie zeigen. Wir tun dies, da wir ihre Sichtweise und ihre Rolle als Prototyp bzw. ihr Streben, ein Prototyp zu sein, im Zentrum zu stehen und unseren Platz einzunehmen, akzeptiert haben. Manchmal jedoch gelangen wir an einen Punkt, an dem wir dies nicht mehr aushalten. Dieser Punkt wird zu unserem Wendepunkt: Nun erkennen wir das Schenken wieder und beanspruchen es zurück!
Geschenkt und versorgt wird gewöhnlich mit den Händen. Für diese ist es bedeutungslos, einen Penis zu haben oder nicht. Das Zeigen des Babys kann als nicht anderes interpretiert werden als die Forderung nach einer Schenkgeste der Mutter; als Versuch also, ihre Mutterleib-Hand (ihre wo-man’s womb-hand) zu empfangen. Wie fürsorgliche Männer, die sich um ihre Kinder kümmern, in letzter Zeit demonstriert haben, kann sich die zeigende Hand in eine schenkende verwandeln. Diese Änderung und ihr Potential darf jedoch nicht auf einer individuellen Ebene verbleiben. Sie muss die Dimension einer sozialen, einer systematischen Änderung annehmen.
Die Theorie der co-dependency („gegenseitige Abhängigkeit“) behauptet oft, das Menschen, die schenken und/oder unbefriedigte Bedürfnisse haben, „exzessiv“ seien. Die Theorie konzentriert sich darauf, individuelle Krankheiten zu heilen anstatt das kranke System, welches Mangel und damit eine enorme Zahl an unbefriedigten und unbefriedigbaren Bedürfnissen schafft, die der ökonomischen Ausbeutung dienen. Altruismus ist kreativ und fördert das Leben – außer wenn er von einem Herrscher vereinnahmt und ausgebeutet oder aufgrund des Mangels unmöglich gemacht wird. Es wurde irgendwo einmal geschätzt, dass 98% der Menschen in den USA co-dependent sind. Dieser Prozentsatz offenbart, dass die Theorie der co-dependency falsch liegt. Es ist normal, altruistisch zu sein! Doch wird uns nicht erlaubt, unser normales fürsorgliches Verhalten frei zu praktizieren, da uns die Mittel der Fürsorge vom System bzw. von den privilegierten Einen innerhalb und außerhalb unserer Familien genommen werden. Indem sich die Theorie (und Therapie) der co-dependency nur individuellen Problemen zuwendet und das Schenken ignoriert, schreibt sie uns auf eine Leben im Tauschprinzip fest.
Die Sprache ist eine Antwort auf kommunikative Bedürfnisse, die sich gemäß ihrer Erfahrungen und Befriedigungsweisen vermehren und vervielfältigen. Diese kommunikativen Bedürfnisse überlappen zum Teil mit materiellen Bedürfnissen: Bedürfnisse danach, Dinge zu konsumieren, sie instrumentell zu gebrauchen, die Bedürfnisse in Bezug auf sie zu verstehen (unsere eigenen wie die anderer), ihre Bedeutung zu begreifen, usw. Das gegenseitige Befriedigen von Bedürfnissen, die mit Dingen zu tun haben, erzeugt Verbindungen zwischen Menschen als Wesen, die einer Spezies angehören, als Wesen, die einander schenken und voneinander empfangen. Die Verbindungen, die von der Sprache geschaffen werden, entsprechen den Verbindungen, die vom Teilen von Dingen geschaffen werden. Doch kommt es heute kaum noch zu einem solchen Teilen. Zunächst schlicht deshalb, weil es Dinge gibt, die wir nicht teilen können – wie einen Berg oder die Farbe Rot oder die Erfüllung des Wunsches, dass es kein nukleares Zeitalter gäbe; und dann aufgrund des Mangels (der das Teilen verunmöglicht, weil es nicht genug für alle gibt), des Privateigentums und des Nicht-Schenkens. Vielleicht sind es die Unterschiede zwischen diesen Gründen, die das Teilen der Sprache so abstrakt machen und das Gehirn vom Körper zu trennen scheinen.
Wir wissen nur noch, abstrakt zu teilen, und dieses abstrakte Teilen produziert zwar Egos und Gehirne, aber keine Gemeinschaften des Friedens und des Überflusses. Wir teilen nicht konkret mit den Vielen. Wenn wir teilen, teilen wir ausschließlich im Kreise unserer engsten Familie und FreundInnen. Darüber hinaus teilen wir höchstens das Nicht-Schenken des Tausches, das uns isoliert und zu KonkurrentInnen macht und uns – wenn überhaupt – nur durch die Gesetze des Staates verbunden sein lässt. Der Tausch macht uns zu Wesen, die nur noch verbal teilen. In diesem Sinne gehören wir nicht mehr alle derselben fürsorglichen Spezies an. Anstelle dessen organisieren wir uns in verschiedenen Kategorien, die dann selbst in immer allgemeineren Kategorien organisiert werden.
Das Old Boys Network von Einen
Wir schaffen RepräsentantInnen in Regierungen, die unseren Platz einnehmen, die Gesellschaft für uns organisieren, und das bestimmen, beherrschen und rechtlich kontrollieren, was vom Schenken überbleibt: nämlich das Schenken von Gehorsam, Sozialleistungen und Steuern (die dann von den RepräsentantInnen für uns verteilt bzw. „weitergeschenkt“ werden).
Der sprachliche Wortschatz bzw. das, was Saussure langue nannte, ist ein rein differentielles System von Wörtern, in denen jedes Wort negativ auf alle anderen bezogen ist (anders gesagt: jedes Wort seinen Wert daraus bezieht, nicht wie die anderen zu sein) und positiv auf die Dinge, die es repräsentiert. Zum Beispiel ist das Wort „Hund“ zum einen das Wort, das es ist, weil es nicht „Katze“ oder „schön“ oder „Gerechtigkeit“ oder „laufen“ ist. Zum anderen ist es das Wort „Hund“, weil es sich auf Hunde bezieht.
Ähnlich sieht es aus, was das Privateigentum betrifft. Hier ist jeder Besitzer einerseits negativ auf alle anderen bezogen (da sich Privatbesitzer gegenseitig ausschließen) und andererseits positiv auf das Eigentum, das er besitzt. Das Geld – wie das Verb „sein“ – vermittelt zwischen diesen sich wechselseitig ausschließenden Elementen und schafft einen zweiten Ersatz, einen quantitativ teilbaren Wertprototyp, auf den das Eigentum bezogen werden kann. Dieser erlaubt dem Eigentum zwischen Besitzern zu wechseln, ohne dass dabei auf das Schenken zurückgegriffen werden müsste. Bedürfnissen zu schenken, impliziert Ungleichheiten – der Tausch hingegen impliziert Gleichheit und verschleiert die Bedürfnisse und das Schenken.
Über das Geld als das allgemeine Äquivalent schrieb Marx: „Man sieht es der Form allgemeiner unmittelbarer Austauschbarkeit in der Tat keineswegs an, daß sie eine gegensätzliche Warenform ist, von der Form nicht unmittelbarer Austauschbarkeit ebenso unzertrennlich wie die Positivität eines Magnetpols von der Negativität des andren. Man mag sich daher einbilden, man könne alle Waren zugleich den Stempel unmittelbarer Austauschbarkeit aufdrücken, wie man sich einbilden mag, man könne alle Katholiken zu Päpsten machen.“ Marx schreibt weiter, dass sich „eine Ware nur in allgemeiner Äquivalentform [befindet], weil und sofern sie durch alle andren Waren als Äquivalent ausgeschlossen wird.“ (Siehe Graphik 34.)
Marx spricht hier über das Geld als das, was ich den „verdinglichten Kategorieprototypen“ nennen würde. Was er als „magnetische Polarität“ ansieht, ist die Polarität zwischen dem Einen und den Vielen, dem Kategorieprototypen (und/oder dem Wort, das den Platz des Prototypen als Äquivalent für die Kategorie einnimmt) und der auf ihn (bzw. das Wort) bezogenen Objekte. In seiner Beschreibung des Geldes als des allgemeinen Äquivalents beschreibt Marx einen wichtigen Moment der Kategorieformation und der Verdinglichung der maskulisierten Kategorie (auch wenn er dies damals selbst nicht erkannte). Seine Analyse der Beziehung zwischen Geld und Ware ist berüchtigt für ihre Schwierigkeit aufgrund der Komplexität dieser Beziehung, die um vieles größer ist als es zunächst den Anschein haben mag.
In der Maskulisierung erscheint die Familie als die Kategorie, in der der patriarchale Vater der Prototyp oder das allgemeine Äquivalent ist. Er nimmt den Platz der anderen Mitglieder der Familie ein, wenn es um familiäre Entscheidungen geht, befiehlt und verlangt Gehorsam und repräsentiert die Familie in der Gesellschaft der Männer, dem Old Boys Network. Dass das Eigentum in der Struktur des Einen und der Vielen (dem Familiennamenkomplex) auf seinen Besitzer bezogen ist, haben wir bereits gesehen. Ähnlich sieht es in unseren Regierungen aus.
Interessanterweise personalisiert Marx Waren, wenn er sagt, dass sie eine unter ihnen als ihr Äquivalent wählen und dass dies eine Verkörperung des demokratischen Prozesses sei. Die Unabhängigkeitserklärung der USA postulierte, dass „alle Menschen gleich“ seien – bekannter Weise schloss dies jedoch sowohl Frauen als auch Sklaven (also die Schenkenden) vom demokratischen Prozess aus. Die Väter des Landes waren ein Old Boys Network, das aus weißen männlichen Eigentümern bestand. Gemäß der Regionen, aus denen sie kamen, teilten sich diese in Gruppen auf, in denen sie jeweils einen unter ihnen als ihr Äquivalent wählten, damit er als Repräsentant ihren Platz in den regierenden Körperschaften einnehmen konnte. Diese setzten sich also aus Einen zusammen, die ihre jeweiligen Gruppen vertraten.
Die Mitglieder des Old Boys Networks waren gewöhnlich bereits Eine innerhalb ihrer Familien sowie in Bezug auf ihr Eigentum. Als Repräsentanten trafen sie Entscheidungen, die diejenigen, die kein Wahlrecht hatten, genauso betrafen, wie diejenigen, die sie gewählt hatten. Die Gruppe, die von den Repräsentanten selbst gebildet wurde, wurde zu einer Art Meta-Gruppe, einem Old Boys Network im Old Boys Network. Als solches entwickelte es seine eigene Dynamik. Schließlich wurde von allen Wählenden auch ein allgemeines Äquivalent zur Repräsentantion aller gewählt: der Präsident.
Wenn den EinwohnerInnen einer Nation erlaubt wird, ihre Repräsentanten zu wählen, dann scheint der politische Prozess den Prozess der Kategorieformation direkter zu reflektieren als dies zum Beispiel in der Monarchie der Fall ist. Die Repräsentanten erscheinen dann nämlich nicht nur als Prototypen, sondern auch als Wörter, die den Platz aller Mitglieder der Gemeinschaft oder Gruppe einnehmen. Wie die Wörter in der langue befinden sie sich in wechselseitig ausschließlichen Beziehungen zueinander, haben aber eine positive – wenn auch polare – Beziehung zu denen, die sie repräsentieren. (Graphik 36.) In dieser Position konstituieren sie sich selbst als Gemeinschaft und schenken einander bzw. empfangen voneinander auf verschiedene Weisen, machen Geschäfte, formen Koalitionen, usw. Diese Gemeinschaft schafft ihr eigenes Leben – eines, das mit der Macht über das Leben der Vielen ausgestattet ist.
Nationale Grenzen entsprechen innerhalb dieser Logik den Grenzen der Kategorie. Diejenigen, die sich außerhalb der Grenzen befinden, sind Dinge, die nicht auf den Prototypen – oder das Wort – bezogen sind. Sie werden nicht repräsentiert, obwohl sie von den Entscheidungen, zu denen die Repräsentanten gelangen, direkt betroffen sind – insbesondere dann, wenn es sich um Entscheidungen der Nation handelt, die den Eine-Status unter den Nationen innehat.
Wenn wir uns nun zurücklehnen und fragen: „Wenn das wahr ist, was heißt das dann?“, dann werden unsere Antworten im Kategorisierungsprozess selbst verbleiben und wir werden das Problem nur wiederholen. Wenn wir uns allerdings dem Modell der schenkenden Mutter zuwenden und ihm Wert schenken, dann wird es uns vielleicht möglich, die Projektion unserer kategorischen und linguistischen Muster in unsere Regierungen zu vermeiden. Dann könnten wir einen Weg finden, unser soziales Leben frei von Projektionen und deren unbewussten Entsprechungen zu organisieren. Wir würden andere nicht ausschließen, um nationale oder individuelle Identitäten zu bilden und wir müssten keine Beziehungen zwischen unten und oben, Dingen und Wörtern, Vielen und Einen schaffen, um individuelle wie kollektive Entscheidungen zu treffen. Vielmehr würde Kommunikation als ein Gemeinschaftsbildungsprozess verstanden werden, der darauf beruht, dass das Befriedigen von Bedürfnissen auf allen Ebenen als die Grundlage wirklicher Bedeutung bzw. als das leitende Prinzip sozialer Organisation verstanden wird.
Die Repräsentanten (diejenigen, die sich in der Position des Wortes befinden) sind manchmal selbst in Kategorien organisiert, die an die Geschlechtskategorien erinnern. In den USA richten zum Beispiel Mitglieder der Demokratischen Partei gewöhnlich etwas mehr Aufmerksamkeit auf die Bedürfnisse der Menschen, während Mitglieder der Republikanischen Partei meist nur auf Profit und nationalen Chauvinismus ausgerichtet sind. Beide Parteien funktionieren dabei nach dem männlichen Modell: die Republikaner machistisch, die Demokraten paternalistisch.
Der Tauschwert ist qualitativ einfach, sodass er quantitativ aufgeteilt werden kann. Das Geld ist der materielle Wort-Prototyp, der die manipulierten kommunikativen Bedürfnisse des Tausches und des Privateigentums befriedigt. Das Geld ist somit gewissermaßen ein kommunikatives Bedürfnis nach einer Repräsentation des Schenkens, wenn nicht geschenkt wird.
Karl Marx, Das Kapital 1, MEW 23, S. 83. ebda.
Der sexistische Zeiger der Demokratie
Die moderne Demokratie reflektiert das Problem der Maskulisierung deshalb stärker als die Tyrannei oder die Monarchie, da sie der Epoche des Tausches entstammt, in der das Geld-Wort, das allgemeine Äquivalent, die Rolle des Königs übernommen hat. Dies erlaubt uns jedoch auch, das Problem wirklich als ein systematisches zu verstehen und es nicht auf den individuellen Charakter eines bestimmten Einen zu reduzieren – sei es der König, der Thronfolger, der Vater, oder auch eine Nation oder Rasse. So sehr wir auch das Gold oder andere Zahlungsmittel fetischisieren mögen – es ist klar, dass diese keine Personen sind. Dem American Dream zufolge können alle „Geld machen“. Doch auch wenn wir die privilegierte Kategorieposition in einen Bereich verschoben haben, welcher der Maskulisierung entspricht, gibt es Lücken – oder zumindest werden sie behauptet. So wird gesagt, dass alle Zugang zu uneingeschränkten Mengen des allgemeinen Äquivalents haben, unabhängig von Klasse oder Rasse. Alles, was es dazu bedarf, ist Talent, Ausdauer und vielleicht ein bisschen Glück. Dem entspricht die Behauptung, dass alle – unabhängig von Klasse oder Rasse – das genetische „Geschenk“ des Phallus und der Maskulisierung haben können. Demnach wäre niemand per se zum Status eines have-nots verurteilt und alle könnten theoretisch haves sein – was freilich auch umgekehrt gilt: alle könnten theoretisch auch eine nicht-habende Frau sein. Kurz, dadurch dass das Privileg durch die Übernahme des Geldes als Kategorieprototyps von Erbfolgen gelöst und flexibler wurde, werden Sozialisierung, kapitalistisches Geschick, oder auch reiner Zufall, zu den entscheidenden Faktoren im Erwerb der Positionen des Prototypen bzw. des Einen.
In der „Demokratie“ der griechischen Antike war die Herrschaft des Phallus eine direkte, wie Eva Keuls in ihrem gleichnamigen Buch zeigt. Sowohl Frauen als auch Sklaven waren zu jener Zeit have-nots bzw. Unterlegene, die Bedürfnisse befriedigten. Die Kategorisierung des Geschlechts verband sich mit Kategorisierungen der Nationalität und Klasse, um einer relativ großen Gruppe Zugang zu privilegierten Eine-Positionen zu verschaffen. Keuls beschreibt in ihrem Buch die Herme: anthropomorphe Statuen von Penissen mit (Extra)Penissen, die an den Türen zu griechischen Häusern standen. Die Herme scheinen mir Versuche gewesen zu sein, eine selbstähnliche Beziehung zu konkretisieren.
Dies erinnert mich auch an etwas, das ich immer interessant fand, jedoch nie wirklich verstand: die Ähnlichkeit zwischen dem Kapital und dem Kapitell. In Symbolic Economies spricht Jean-Joseph Goux viel über das Verhältnis von Kapitalismus und caput, dem „Kopf“ im Lateinischen. Vielleicht sind Säulen Bilder von Phallussen, die von Hermen kommen und zusammengeführt wurden, um den Tempel zu stützen, das Bild des phallischen Staates. Das Kapital wäre dann tatsächlich der Kopf – aber nicht der einer Person, sondern der des Phallus. Athena, die Kriegsgöttin, die der Stadt ihren Namen gab, ihre männlichen Bürger versorgte und im Kampf beschützte, wohnt im Tempel (oder ist dort gefangen). Von Zeus’ Kopf geboren, führt sie maskulisierte Funktionen aus: sie privilegiert die Athener, sie versorgt und schützt sie und sie nimmt selber das männliche Verhalten der Kriegerin an. Athener wurden als Männer maskulisiert, verbanden sich aber in ihrem Namen. Darstellungen von Schlachten, in denen sie die Amazonen schlugen, finden sich überall im Kunsterbe der Stadt.
Athena ist die Frau, die Männern hilft, Frauen und andere Nationen und Klassen zu erobern. Sie ist das Symbol der Weise, auf die Männer kollektiv Macht über andere erwerben, und ihr wird gehuldigt durch das Symbol der kollektiven männlichen Säulenerektionen. Ihr Name, der dem Nationalstaat gegeben wurde, passt gut zu dem Zusammenfindungsprozess, der stattgefunden hat. Dieser basierte nicht auf der Fürsorge von Frauen, sondern auf dem männlichen Zusammenfinden in der Schlacht, den Rednerbühnen oder dem sportlichen Wettkampf – überall dort, wo es darum ging, sich die Position des privilegierten Einen zu erkämpfen. Doch gab es im Athen der Antike noch ein weiteres Element, das das Zusammenfinden der Männer erleichterte: die gemeinsame Freude über ihre bürgerlichen Freiheiten bzw. über das Privileg, das Frauen und Sklaven nicht zukam.
Die Maskulisierung ist ein artifizieller Prozess und braucht Bilder seiner selbst für seine Bestätigung. (Schließlich war es ein Bild – nämlich das des Penis –, das die Buben zu Beginn der nicht-fürsorglichen Kategorie zuwies.) Die phallischen Bilder, die wir als Beweis selbstähnlicher Strukturen auf allen gesellschaftlichen Ebenen antreffen, könnten somit als Notwendigkeit interpretiert werden, die Welt für den Buben, der sich von seiner Mutter „deidentifiziert“ hat, vertraulicher und freundlicher zu machen. Doch was auch immer der Grund dafür sein mag – Tatsache ist, dass das Patriarchat (Puerarchat) unentwegt und überall seine eigenen Bilder schafft und jedes Mal den Phallus repräsentiert, wenn es um den Eintritt in die privilegierte Kategorie geht.
Der „Schlüssel“ des Problems (ein weiteres hermeartiges phallisches Symbol) scheint mir in der Ähnlichkeit zwischen Hermen, Säulen und Männern zu liegen. Wenn die Herme eine mannsgroße Statue eines Penis mit einem Penis ist und die Säule eine zu einem gigantischen Penis transformierte Herme, heißt das dann, dass ein aufrecht stehender Mann auch einem Penis entspricht? Dass er seinen eigenen erigierten Phallus widerspiegelt? Dass sein Kopf und der Eichel seines Penis gleich ist? Wenn das so wäre, dann würde das Bedürfnis des Mannes nach selbstähnlichen phallischen Bildern teilweise bereits von seinem eigenen Körper befriedigt. Er wäre sein Phallus und umgekehrt.
Wir sind den allgegenwärtigen phallischen Bildern gegenüber blind geworden bzw. haben gelernt, nicht über sie als solche zu sprechen. Sie scheinen Symptome einer Massenpsychose zu sein, die von der Maskulisierung stammt. Wenn uns jedoch einmal (buchstäblich) die Schuppen von den Augen fallen, dann erkennen wir diese Bilder als das, was sie sind. Dann erkennen wir, dass sie sich überall in unserer Geschichte gefunden haben. Denken wir nur an das antike Bild der Uräusschlange: des Kobrakopfschmucks, den die ägyptischen Pharaonen und Götter trugen. Dieser auf dem menschlichen Haupt getragene phallische Schlangenkopf war nichts anderes als das Symbol der Macht des Einen über die Vielen.
Die meisten todbringenden Waffen sind, wie wir gesehen haben, index-phallische Symbole. Jedes „Mitglied“ der Armee hat sein „Gewehr“. Kennzeichen der Eroberung – von Obelisken zu Fahnenmasten – charakterisieren unsere patriarchale Landschaft. Andere Beispiele: Skinheads, deren haarlose Köpfe auf das Organ männlicher Gewalt anspielen; oder Joe Camel, der immer wie ein Phallus aussieht und als Herme um seine Zigaretten wirbt (wobei eine Zigarette immer als zusätzlicher kleiner Phallus aus seinem hermeartigen Gesicht steht).
Wenn wir das Eigentum als das sehen, was privilegierte Eine besitzen, dann wäre das Kapital das Eigentum, das sich selbst in phallischer Selbstähnlichkeit maskulisiert und dadurch ins Unendliche wächst, dass es einen immer noch größeren Geld-Namen verdient, da es ihm gelingt, einen immer noch größeren Fluss (versteckter) Geschenke auf sich selbst – das zentralisierende, unendlich vergrößerbare Eine – zu lenken. Als ökonomisch selbstähnliches Bild der Maskulisierung mit phallischen Motivationen (tatsächlich strömen versteckte Geschenke zu Kapitalinvestitionen wie Blut zum erigierten Penis) transformiert das Kapital sich selbst vom Wort zum Wert-Äquivalent bzw. Geld-Prototyp der Produkte im Tausch, während es die ArbeiterInnen durch den Lohn kontrolliert. Als Akkumulation, die einem erlaubt, anderen zu sagen, was sie zu tun haben, schafft das Kapital einen Prototyp-Phallus-Kapitalisten nach seinem Bilde, der gleichzeitig das Kapital nach seinem eigenen schafft. Heute haben wir mehrere riesige Kapitale, die den Staat in ihrer Gewalt haben. Die führenden Köpfe dieser Kapitale sind die Pfeiler und Kapitalisten der entsprechenden Gesellschaftsformen.
Die Erektion erscheint als privilegiertes Eines und geht eine Beziehung zu einem sexuellen Objekt ein, das für diesen Moment auch als Eines ausgewählt wurde – zum Beispiel als Prototypfrau. Athena diente als die vergegenständlichte Prototypfrau, durch die die Bürger Athens ihren gemeinsamen „phallischen Stand“ erlangten. Das fasces war auch ein Bündel, das von einem seiner eigenen Teile zusammengehalten wurde. Der phallische Hitlergruß lässt sich ähnlich analysieren. Doch muss es Wege geben, den Staat zu organisieren, die keine Führung von Phallussen verlangen. (Und keine Bilder gemeinsamer Erektionen, die an Gang Rape erinnern.)
Es ist nicht die Entsprechung zwischen Wort und Ding (oder zwischen Erektion und ausgewählter Frau), die Bedeutung schafft, sondern die Antwort auf menschliche Bedürfnisse, die sowohl Wörter als auch Dinge betreffen und damit immer auch kommunikative Bedürfnisse sind. In ähnlichem Sinne ist es – trotz der allgemeinen Verleugnung und Abwertung des Schenkens – nicht das Entsprechen oder die Korrespondenz zwischen Geld und Ware, die ökonomischen Wert schafft, sondern die Antwort sowohl auf kommunikative wie materielle Bedürfnisse.Die Entsprechungen zwischen Wort und Ding, Geld und Ware, Mann und Bube oder Mann und Frau fesseln unsere Aufmerksamkeit unentwegt an Eins-Viele-Strukturen und deren Beziehungen abstrakter Gleichheit. Damit entfernen wir uns immer mehr von den Bedürfnissen. Dies ist ein weiterer Grund, warum wir Wert nicht als ein Geschenk erkennen, das etwas, das kollektiv wertgeschätzt wird, kollektiv zugeschrieben wird. Stattdessen wird jeder selbstähnliche Aspekt des Patriarchats isoliert betrachtet, da sein Kategorieprototyp sich von den anderen zu unterscheiden scheint. (Zumal wir die Prototypen auch als Quelle ihres eigenen Werts betrachten.) Die Beziehung zwischen dem Präsidenten, den Senatoren oder den Kongressmitgliedern auf der einen und ihrer Wählerschaft auf der anderen Seite wird getrennt betrachtet von – beispielsweise – der Beziehung zwischen Geld und Ware. (Siehe Graphik 38.) Während es natürlich stimmt, dass es sich hier um verschiedene Ebenen handelt, liegt der Hauptgrund dafür in der Tatsache, dass wir gelernt haben, die Gemeinsamkeiten dieser Beziehungen zu ignorieren und zu verleugnen – oder sie erst gar nicht mehr wahrzunehmen.
Unser kritischer Zugang zum Patriarchat ist diffus und zersplittert und kann als solcher leicht kontrolliert werden. Wir konzentrieren uns jeweils nur auf einen Teil des Systems, anstatt eine allgemeine Kritik zu entwickeln und eine globale Alternative anzubieten. Eine bruchstückhafte Kritik kann nur zu bruchstückhaften Resultate gelangen (so wichtig diese auch sein mögen). Wenn nur ein einzelner Teil des patriarchalen Systems durch unsere Kritik geschwächt wird, wird es immer andere, intakte Teile geben, die ihn ersetzen werden. Das patriarchale System ist wie eine Hydra: sobald ein Kopf abgeschlagen ist, tauchen sofort andere an seiner Stelle auf. Das Kapital ist nur einer dieser Köpfe. Wir müssen uns der reproduzierenden Logik des Systems selbst zuwenden. Nur dann können wir den gesamten patriarchalen Mechanismus in Gefahr bringen.
Electronic Banking und die Vermehrung von Kreditkarten dematerialisieren das Geld, das damit seine Rolle als materielles Wort verliert und wieder zu einem Element der Sprache wird.
Eva Keuls, The Reign of the Phallus: Sexual Politics in Ancient Athens.
Anm. d. Übers.: Im Englischen beides capital.
Jean-Joseph Goux, Symbolic Economies, S. 44-47.
Keuls, The Reign of the Phallus, S. 44ff.
Anm. d. Übers.: Sowohl member („Mitglied“) als auch gun („Gewehr“) können im Englischen als Slangwörter für den Penis angewandt werden.
Wir Frauen schenken unseren Kindern mithilfe unserer Brüste (und auf unzählige andere Weisen). Da sich jedoch aller Wert auf den Penis konzentriert, wird das Schenken, das auf den Brüsten beruht, oft als ein Schenken gesehen, das von einem Mangel herrührt: nämlich dem des männlichen Kennzeichens. Tatsächlich gibt es eine Verbindung zwischen Schenken und Mangel – allerdings in einer anderen Form: Maskulisierung und Tauschprinzip schaffen einen ökonomischen Mangel, der das Schenken erschwert und die Privilegiertheit der Einen ermöglicht. Die Schenkökonomie wird so unterminiert. Während die Brüste das Geschenk des Schenkens verkörpern, „schenkt“ der Tausch nur das Geschenk des Nicht-Schenkens.
Wir können die Brüste als das ursprüngliche Modell des Index sehen. Konkret, die Brustwarze als Index und den Mund des Babys als das Objekt, auf den seine Aufmerksamkeit gerichtet ist. Dann werden die Perspektiven vertauscht: Für das Baby geht die Aufmerksamkeit von seinem Mund aus und die Brustwarze ist das Objekt dieser Aufmerksamkeit. Dieses Objekt zeigt zurück, indem es Milch schenkt. Und selbst wenn wir nicht so weit gehen wollen zu sagen, dass das Baby mit Mund und Zunge auf die zeigenden Brüste zurückzeigt, so versteht es in jedem Fall den Hinweis/Zeiger (gets the point – Gegenteil von to miss the point; siehe Kapitel 15, Fußnote 7; Anm. d. Übers.) und empfängt seine Milch.
Betrachten wir das Haben einmal als Brüste-Haben – als ein Haben, das schenkt. Wir sind Säugetiere. Doch auch für Männer – sowie für Frauen, die keine Babys stillen – gibt es viele Wege, fürsorglich zu sein. (Der Penis wird einer anderen Person erst „geschenkt“, wenn Buben Männer werden – aber er wird anderen bereits um vieles früher gezeigt, um betrachtet und verglichen zu werden.) Dies wurde missverstanden. Es wurde dadurch verschleiert, dass die Mütterlichkeit in der Kindheit durch den patriarchalen Fokus auf den Prototypen, den Tausch, die Reflexion, das Haben und das Akkumulieren abgewertet und isoliert wurde. Die Wege des Schenkens beinhalten (unter anderem) die Sprache, das Problemlösen und das Produzieren von Waren und Diensten für die Befriedigung von Bedürfnissen ohne den Zwischenmechanismus des von der Maskulisierung stammenden Tausches. Haben heißt auch Hände-Haben. Diese können im Sinne des Schenkens und Fürsorgens verwendet werden – oder zur Produktion von Werkzeug bzw. schlimmer: von Waffen.
Die Selbstreproduktion des Prototypen
Das Geschenk des Penis, das der Vater dem Buben zu geben scheint, ist das Geschenk der Ähnlichkeit oder Gleichheit, sowie des Werts, der der Gleichheit als Gleichung: Bube = Vater = nicht-fürsorgliche Norm, geschenkt wird. (Der Vater war auf seinen Vater bereits auf die gleiche Weise bezogen.) Dieses Geschenk ist ein belastetes, da seine psychologische gesellschaftliche Funktion – seine Fehlinterpretation – ein künstliches Bedürfnis schafft. Der Bube hat zu versuchen, dieses Bedürfnis zu befriedigen, indem er wie sein Vater wird. Gleichzeitig will der Vater, dass der Bube ihm gleich wird, damit er seine Position als Prototyp einnehmen und damit seine Geschlechtsanforderung erfüllen kann. Er hat das Äquivalent zu sein, auf das sich nicht nur alle Frauen, sondern auch alle „kleineren“ Männer zu beziehen haben.
Im Patriarchat hat der Vater zu beweisen, dass er sich selbst reproduzieren kann. Er hat zu beweisen, dass er, aufgrund des Penis als Prototyp des Index und sich selbst als Prototyp der Männlichkeit, die kreative Macht hat, andere in seinem Bild zu formen. (Womit er auch beweist, dass die kreative Macht nicht nur im mütterlichen Prototypen liegt, den er in den Hintergrund gedrängt hat). Es ist nicht nur die Besitzbeziehung, die die Grundlage der männlichen Besessenheit mit der Vaterrolle bildet, sondern auch die Forderung der Kategorie nach der Realisierung ihrer individuellen, geschlechtlichen und auf die Spezies bezogenen Identitäten. Diese Logik, die alle Generationen bestimmt, ist verhängnisvoll.
Ich denke, dass die Überlagerungen der verschiedenen kategorischen Strukturen des Einen und der Vielen jener Frankenstein sind, der das weiße Monster des Patriarchats geschaffen hat. In Gesellschaften, in denen der Bruder der Mutter der männliche Erziehende ist, bedarf es keines Bildes des Phallus als Prototypen, der die Identität des Buben bestimmt. In solchen Gesellschaften hat die Vermittlung von Kultur durch Unterricht und Anleitung nichts mit dem Geschlecht zu tun. Der Bruder der Mutter verlangt als erziehender Mann nicht, dass der Bub ihm gleich werden muss. Es überrascht kaum, dass es in solchen Gesellschaften weniger Gewalt gibt und Vergewaltigungen beinahe unbekannt sind.
Männer wie Frauen müssen dem Schenken und Empfangen verpflichtet bleiben und ihre Identitäten in materieller wie verbaler (semiotischer) Kommunikation formen. Nur dies garantiert eine Subjektivität, die auf fürsorglicher Zwischenmenschlichkeit beruht (was auch einen ständigen Wechsel sozialer Rollen beinhaltet), anstatt auf der künstlichen und absurden Verfügung, eine abstrakte Gleichheit mit dem Prototypen schaffen zu müssen. Eine Gleichheit, die ironischerweise gleich zwei Ebenen von Ungleichheit impliziert: sie schafft sowohl eine überlegene Kategorie für diejenigen, die nicht schenken und die Position des Prototyps anstreben, als auch für diejenigen, die diese Position bereits erreicht haben. Die Verfügung, dem Prototypen entsprechen zu müssen, schafft Konkurrenz, die es nicht geben müsste, und verleitet die Hälfte der Menschheit zu dem Glauben, dass Selbstbestätigung nur von Übernahme und Herrschaft kommen kann. Dies wird zu einer sozialen Norm, die sich natürlich auch auf diejenigen auswirkt, die nicht den Werten der Maskulisierung folgen. Ihnen wird Unterwürfigkeit abverlangt, sie werden unsichtbar gemacht, ja sie werden sogar als „mindere“ („nicht vollständige“) Menschen gesehen.
Diejenigen, die dem Prototypen entsprechen, formen eine gemeinsame Kategorie, der von denen geschenkt wird, die sich außerhalb dieser befinden. Damit wird den „Mitgliedern“ der Kategorie gleichermaßen das Recht zugesprochen, von anderen Geschenke erwarten zu dürfen oder diese notfalls durch systematische wie unmittelbare (Polizei, Armee) Gewalt einzufordern. Dies liegt in der Logik der Kategorie verankert: da diese Logik Beziehungen des Einen und der Vielen impliziert, können immer nur einige Wenige die Rolle des allgemeinen Prototypen einnehmen, während Vielen diese Rolle verwehrt bleibt. Somit wird offensichtlich, dass die Anwendung der Kategorielogik auf soziale Verhältnisse niemals das Wohl aller zur Folge haben kann. Wir brauchen uns als Bestätigung nur die Struktur – auch „wohlwollender“ – internationaler Organisationen ansehen: sie alle haben interne Hierarchien, die von ein paar Männern geführt werden, die wiederum einen Mann an ihrer Spitze haben. Allgemein gesprochen, führt das Ignorieren des Beispiels der Frauen und die Übertragung der beispielgebenden Rolle für unsere sozialen Beziehungen auf die Kategorieform und jene, die in dieser erfolgreich sind, dazu, dass Übernahme, Herrschaft und der Versuch, die Kategorieprototypposition einzunehmen, zur Normalität werden.
Bedauerlicherweise haben Frauen diese Entwicklung unterstützt. Inzwischen haben wir sogar begonnen, an ihr teilzunehmen. Dabei hat sich gezeigt, dass unser „Mangel“ in Bezug auf das Haben des Penis kein wirkliches Hindernis ist. Der Penis ist als Prototyp der Spezies und als Voraussetzung für Erfolg im Rahmen des Tauschsystems zweifelhaft geworden, was auch die Überlegenheit der Männer in Frage stellt. Dies sind durchaus positive Entwicklungen. Doch gleichzeitig unterminieren sie nicht die Logik des Systems selbst, sondern organisieren nur die Kategorien neu bzw. machen sie differenzierter. Heute können sich alle in den privilegierten Nationen – ungeachtet ihres Geschlechts – als privilegiert sehen bzw. als Prototypen in Bezug auf die Menschen anderen Nationen, die ihnen – aufgrund ihrer angeblichen Unterlegenheit – dienen und schenken müssen. Gleichermaßen können sich alle – auch Frauen –, die in die Kategorie einer privilegierten Rasse fallen, als privilegiert in Bezug auf andere Rassen sehen und ihre Überlegenheit quasi beweisen, indem sie diese anderen Rassen beherrschen und sie dazu bringen, ihnen zu schenken und „weibliche“ fürsorgliche Aufgaben für sie zu übernehmen.
Während all dies furchtbares und schmähvolles Verhalten von Menschen einer Gruppe gegenüber Menschen einer anderen produzieren mag, führen diese Menschen nur die Anforderung aus, die seit Jahrhunderten von westeuropäischen – und sonstigen – Gesellschaften an Männer (bzw. – gleichgesetzt – „Menschen“) gestellt wird. Es ist das System und seine Logik, die verantwortlich gemacht werden müssen, nicht die Individuen. Es ist das System, das überwunden werden muss. Die Individuen zu ändern, ohne die Logik und die Orientierung unserer Gesellschaft zu ändern, ersetzt nur einzelne Personen mit anderen. Die Struktur – und ihre Auswirkungen – würden die gleichen bleiben. Wie die alte Weisheit sagt: „Wenn alle mit demselben beginnen, haben am Schluss immer einige mehr.“ Das heißt nichts anderes, als dass manche Menschen den mangelnden „Antrieb“ oder „Ehrgeiz“ (lies: „das mangelnde Bedürfnis danach, ein Prototyp zu sein“) anderer zur Etablierung ihrer eigenen Vorherrschaft ausnützen. Dies wird sich solange fortsetzen, solange wir die Krankheit, die unsere Gesellschaften befallen hat – und die eine Art selbst reproduzierender „Virus“ ist (vielleicht kommt das Wort ja tatsächlich vom lateinischen vir: „Mann“) –, nicht richtig verstehen und heilen können.
Anm. d. Übers.: Im Original: point of view – auch eine Anspielung auf den point als Zeiger.
Müssen wir die Brüste deshalb verdecken? Weil sie die Frage nach dem Überfluss und dem Schenkprinzip aufwerfen?
Auch Frauen können hier in die Fußstapfen ihrer Väter treten. Sie können mit anderen Frauen konkurrieren und sie in den Hintergrund zu drängen versuchen. Freilich werden die meisten dieser Frauen selbst von Männern in den Hintergrund gedrängt. Feministinnen müssen begreifen, dass sie die Welt nicht dadurch besser machen können, dass sie selbst damit beginnen, sich schenken zu lassen, während sie die Geschenke und die Schenkenden verleugnen. Anstelle dessen müssen wir das Schenken explizit stärken und fördern, und das Beispiel jener ehren, die es praktizieren.
Siehe Maria-Barbara Watson-Franke, „The Lycian Heritage and the Making of Men“, in: Women’s Studies International Forum, 16, 6, 1993, S. 569-579.
Anm. d. Übers.: Siehe zur Doppeldeutigkeit des englischen member Kapitel 17, Fußnote 9.
Kennzeichen der Herrschaft
Ein Beispiel dafür, wie sich eine Gruppe einer anderen als Prototyp aufgezwungen hat, ist die europäische Invasion der Amerikas. Der Grund für den Genozid der indigenen Völker Amerikas war nicht nur technologische Überlegenheit, sondern auch die Tatsache, dass die Europäer maskulisierte Strukturen auf verschiedensten Ebenen etablierten: Misogynie, Privateigentum, Sprache, Ökonomie, Religion, Philosophie, Pädagogik, Gesetz, Architektur, Agrikultur, usw. – all diese Konzepte waren sehr verschieden von denjenigen der Menschen, auf die die Europäer in den Amerikas trafen. Die Entwicklung hätte auch anders herum laufen können: die Europäer hätten von den Kulturen Amerikas lernen können, anstatt sie zu zerstören. Doch nachdem sie sich als selbst definierte überlegene Kategorie für die gesamte westliche Hemisphäre etabliert hatten, schufen unsere Vorfahren die Eins-Viele-Besitzbeziehung der Sklaverei und zwangen den nun zu Sklaven gewordenen Menschen unentwegt Geschenke ab, die ihnen selbst (den nunmehrigen Sklavenhaltern) erlaubten, Profit zu produzieren und Kapital zu akkumulieren.
Die Kategorie der Überlegenen bedarf immer eines Kennzeichens, das ihre Mitglieder für alle leicht erkennbar macht. Wir haben gesehen, wie der Penis diese Rolle erfüllt. Auch weiße Hautfarbe tut das. In beiden Fällen wird durch das Kennzeichen der Überlegenheit die Rolle der Mutter umgekehrt und das ursprünglich Abweichende zur Norm. Dies lässt die Schenkenden als von nun an unterlegen und abweichend erscheinen. In Gesellschaften, die nicht von Maskulisierung und Tausch dominiert werden, kommt es nie zu einem solchen Prozess.
Die übermaskulisierten Europäer töteten und versklavten die weniger maskulisierten Völker der Amerikas und Afrikas und bewiesen damit, dass sie einer überlegenen („männlicheren“) Kategorie angehörten, die die Norm war und ihnen ungezügeltes symbolisches Wachstum erlaubte, welches sie weiter maskulisierte und eine Oberklasse innerhalb der bereits überlegenen Kategorie formte. Ihr Geld erlaubte ihnen auch, Objekte zu kaufen bzw. zu produzieren, die ihre totale Überlegenheit als Privilegierte unter Privilegierten demonstrieren und (oft buchstäblich) zementieren sollten: Villen, Autos, Kleider, Schmuck, Hochhäuser, Waffen, Ausbildungskurse, Reisen – all dies sind makroskopische Evidenzen von Haben, die die haves fest in ihrer privilegierten Kategorie verankern.
Auf diese Weise sind die Länder der so genannten Ersten Welt zu den überlegenen Kategorien geworden, die sie heute sind. Teil dieser überlegenen Kategorien werden wir als Individuen sowohl aufgrund unserer konkreten geographischen Verortung als auch aufgrund abstrakter Dokumente, die unsere Zugehörigkeit zu den entsprechenden Ländern in Form eines Passes oder eines Staatsbürgerschaftsnachweises bestätigen. Die Länder der so genannten Dritten Welt werden von den privilegierten Ländern dazu gezwungen, ihnen mittels politischer, kultureller und ökonomischer Mechanismen zu schenken. Diese bleiben für uns als Bürgerinnen großteils unsichtbar. Wäre es nicht aufgrund der Migrationsbewegungen von der Dritten in die Erste Welt und aufgrund der Ausbeutung, die MigrantInnen in der Ersten Welt erfahren (MigrantInnen, die, verständlicherweise, versuchen, dort ihre ökonomische Lage zu verbessern), dann wären wir diesen Verhältnissen gegenüber vielleicht nach wie vor völlig blind.
Heute scheint sich die Situation keinesfalls zu verbessern. Im Gegenteil: Die Mechanismen des „freien Marktes“ drohen, das Muster männlich-dominanter Länder auf der einen und weiblich-dienender Länder auf der anderen Seite nur noch weiter zu verfestigen. Das Bild von „Sklavenhalterländern“, die „Sklavenländer“ ausbeuten, ist nicht abwegig. Die Maskulisierung breitet sich auf den gesamten Planeten aus. (Ich habe immer die Angemessenheit des Namens Castros bewundert.)
Quantifizierte Existenz
Das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein der Mütter schenkt uns (unter anderem) Körperlichkeit, Sprache und Sozialisierung. Doch erwarten wir von der Definition mehr, unter anderem die Möglichkeit, als „Mann“ definiert zu werden. Die Privilegierten machen andere zu ihren maskulisierten Müttern, das heißt: sie bringen andere dazu, ihnen bedingungslos zu schenken, während sie selbst dies nur unter gewissen Bedingungen tun. Dies degradiert andere zu einem Mittel, das die Privilegierten benutzen, um zu bestätigen, dass sie den Profit, den sie dadurch abschöpfen können, auch wirklich verdienen.
Vielleicht ist es aufgrund des Ein-Wort-Aspekts des Geldes und seiner fehlenden Verortung im System einer qualitativ vielfältigen langue (und damit aufgrund unserer Unfähigkeit, eine Vielzahl von artikulierbaren Werten in ihren Beziehungen aufeinander zu erforschen), dass das Geld und der Tauschwert ihre soziale Hegemonie bewahren. Als Momente im Tauschprozess selbst kommen und gehen sie sehr schnell. Sie wechseln unentwegt die Hände ihrer Besitzer. Das Objekt, das vom Geld als materiellem Wort signifiziert wird, ist das Produkt (das vermeintliche Geschenk), das den Wechsel von der Logik (und dem Akt) des Schenkens zur Ersetzung der Logik (und des Akts) des Ersetzens – das heißt: hin zum Tausch – vollzieht. Der Kommunikationswert dessen, was dabei signifiziert wird, ist nichts anderes als der Tauschwert, der sich in einer bestimmten Quantität von Geld ausdrückt. Obwohl der Kontext der langue und damit ein Kontext qualitativ unterschiedlicher Wert-Vermittler fehlt, schafft die Entsprechung zwischen der Ersetzung des Produkts durch das Geld und der Schenklogik durch die Tauschlogik einen sich selbst bestätigenden Mechanismus, der den Tausch betont und das Schenken verleugnet.
Der Kapitalismus vereint Maskulisierung und Tausch und gibt beiden ein neues Ziel: Während sich die Maskulisierung von nun an darauf konzentriert, ungezügelt Reichtum zu akkumulieren, wird es zur primären Aufgabe des Tausches, den Prozess der Maskulisierung unentwegt zu reproduzieren. Dies hat mehrere Konsequenzen: die Akkumulation wird doppelt vorangetrieben; das quantitative Äquivalent wird immer stärker; der maskulisierte Name scheint immer mehr verdient; und der Besitzer scheint immer fester in der Kategorie verankert, in der ihm die (unanerkannten) Geschenke der Vielen zukommen.
Unsere gesamte Existenz wird mit der Maskulisierung identifiziert und somit quantifizierbar. Menschen scheinen mehr zu sein, wenn sie mehr haben. Macht und Potenz verbinden sich in einer negativen, sich nach oben windenden Spirale. Dies erlaubt manchen im System erfolgreichen Männern (und Frauen) nicht nur quantitativen Wert zugeschrieben zu erhalten und damit maskulisierter als andere zu sein bzw. „mehr zu existieren“, sondern dies lässt es auch so erscheinen, als würden die im System Erfolgreichen dieses Mehr an Existenz tatsächlich verdienen – was wiederum der Oberklasse erlaubt, sich selbst zu bestätigen, sowie ihr Recht, über diejenigen zu urteilen, die sie als jene ausbeuten, die scheinbar weniger zu existieren verdienen.
Das Denken wird als Grundlage für die autoritäre, Konkurrenz schaffende (Tausch)Identität angesehen. Die Fähigkeit, Definitionen und Ersetzungen zu implementieren, ist ein erkennbarer und wiederholbarer Prozess, der interne Konstanz (I = I) und Fokus schafft, und zwar im Rahmen einer wechselseitigen Ausgeschlossenheit, die für das Privateigentum die Vorherrschaft des Wettbewerbs und der Ego-Orientiertheit notwendig ist. (Wenn dies nicht der Fall wäre, würde eine positive interne Identität durch die Prozesse des Schenkens und Empfangens und deren Vielfältigkeit geschaffen.) Der Tausch instrumentalisiert die Befriedigung von Bedürfnissen anderer zur Befriedigung eigener. Er wird kontinuierlich dem Schenken übergeordnet. Diejenigen, die sich dem Haben verpflichten (und ständig mehr als andere haben wollen), scheinen „rational“ zu sein (zu „denken“), während diejenigen, die am Schenken festhalten (und daraus ihre Identität beziehen) „irrational“ zu sein scheinen.
Anm. d. Übers.: span. castro, 1. Person Singular von castrar = entmannen, kastrieren.
Das Geld hängt oft an einem Bild seiner selbst. Die Gesichter von Präsidenten oder Königen auf Münzen oder Scheinen können als selbstähnliche Bilder verstanden werden.
Das Kapital als maskulisierter Wille
Kapitalismus ist Maskulisierung durch Akkumulation. Er ist weniger sexistisch als die Geschlechtsdefinition, da er einigen Frauen erlaubt, haves zu sein (sogar self-made haves). Doch selbst erfolgreiche Frauen wird immer noch weniger Existenz zugeschrieben als maskulisierten Männer. Sie scheinen ihre Existenz nach wie vor weniger zu verdienen. Ihre engere Verbindung mit der Welt der Gefühle – die wir eine interne Manifestation von Bedürfnissen nennen könnten – situiert Frauen zum Teil außerhalb der kapitalistischen Rationalität. Dies scheint der Grund dafür zu sein, warum Frauen (und Männer, die mit der Gefühlswelt in Kontakt sind) nicht gut an die Tauschökonomie angepasst sind.
In einer Situation, in der Menschen sich feindselig gegenüberstehen und sich gegenseitig beherrschen bzw. als Mittel zum Zweck missbrauchen, erlaubt uns die menschliche Gefühlswelt nur eine Ahnung, was außerhalb der selbstähnlichen ratios an Leben möglich ist. Es ist unsere irrationale Emotion, die auf die Bedürfnisse anderer zugeht, auch wenn wir selbst blockiert sind und diese Bedürfnisse letztlich nicht befriedigen können. Wir Frauen empfinden diese Gefühle vielleicht stärker als maskulisierte Männer, da wir immer noch schenken. In jedem Fall sind sie eine Möglichkeit, den Weg hin zu einer besseren Welt zu finden. Die Freude ist das Feiern befriedigter Bedürfnisse; sie ist der göttliche Tanz der Seele, die von dem Käfig des Tausches befreit ist und sich endlich mit sich selbst und anderen vereinen kann.
Wut wird von Leid erzeugt, das unbefriedigten Bedürfnissen entspringt – dies gilt auch für institutionalisiertes Leid bzw. institutionalisierte Ungerechtigkeit. Die Frage der Gerechtigkeit impliziert, manche Handlungen als Handlungen zu definieren, die Leid hervorrufen. Wenn es diesen Definitionen nicht gelingt, solche Handlungen zu vermeiden, dann kommt es zu der Wut und dem Willen, diejenigen zu rächen, denen Leid angetan wurde. Es wäre jedoch möglich, den Definitionen der Gerechtigkeit ohne Vorstellungen von Vergeltung und Rache mehr Einfluss zu verschaffen, da diese Vorstellungen Teil des Tauschprinzips sind. Verbrechen könnte vorgebeugt werden, indem wir die Bedürfnisse, die ihre Ursache sind, früh genug befriedigen. Dies wird jedoch oft durch den Mangel, der vom Tauschprinzip geschaffen wird, verunmöglicht, ebenso wie durch die schreienden Ungerechtigkeiten, die undefiniert und Teil eines unveränderbaren Systems zu bleiben scheinen.
Das Kapital ist das maskulisierte Ego. Es ist die verdinglichte Wertzuschreibung für den Wechsel zum Tausch. Es ist der maskulisierte Wille, der seine Energie darauf richtet, mehr Reichtum und Macht anzuhäufen. Es ist das Verlangen und die Fähigkeit, „mehr zu sein“, im Sinne von: fähiger zu sein, zu ersetzen und Platz einzunehmen, bzw. kurz: mehr Geld zu haben. Der „freie Wille“ des Kapitals ist genauso wenig frei wie der „freie Markt“. Er folgt den Prinzipien des Überlebens und der Überlegenheit seiner selbst – gemäß der Anforderung der Maskulisierung. Er ist nicht frei, zu schenken oder fürsorglich zu sein – dann würde er sich selbst widersprechen und könnte weder Mangel für andere noch Überfluss für sich selbst schaffen. Das Schenken ist für den freien Willen irrelevant. Er lässt ihm keinen Wert zukommen, da er in den Selbstähnlichkeiten des Tausches gefangen bleibt, in denen das Verleugnen des Schenkens für die Verleugnung des ausbeuterischen Charakters des „gleichen Tausches“ notwendig ist.
Sowohl der freie Markt als auch der kapitalistische freie Wille sind Oxymora, wenn „frei“ soviel wie „geschenkt“ heißt. (Einkaufen ist in diesem Sinne unerkannte „freie“ Arbeit und hat nichts mit der angeblichen „freien“ Wahl zu tun. Schließlich sind wir nicht frei, auf das Kaufen zu verzichten, da wir ansonsten nichts zu essen hätten. Und wir sind auch nicht frei zu kaufen, wenn wir kein Geld haben – dann „verdienen“ wir das Kaufen nicht.) Aber selbst wenn „frei“ soviel wie „ohne Zwang“ heißt, dann sind der Markt und der Wille nur für manche frei, und zwar auf dem Rücken ihrer Opfer. Das einzige, wovon die Agenten des freien Markts und des freien kapitalistischen Willens wirklich frei sind, ist vom Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein und der Intention, die Bedürfnisse anderer zu befriedigen. Sie brauchen diese Freiheit, wenn sie erfolgreich sein wollen. Manche multinationale Konzerne sind maskulisierter als unsere individuellen Söhne.
Was uns als freier Wille in einem ethischen Sinn präsentiert wird, ist erstens die Möglichkeit individueller maskulisierter Egos, ihr Handeln im Rahmen des Tauschsystems auf Werten aufzubauen, die von ihrem gewöhnlich uneingeschränkten Machtstreben abweichen; und zweitens die Möglichkeit, den Gleichungen der Gerechtigkeit zu erlauben, dem Handeln der maskulisierten Egos Schranken aufzuerlegen. (Das Handeln der meisten Frauen richtet sich seit je her nach Werten, die nicht die des Tauschsystems sind). Indem sie sich also den von ihnen als Buben aufgegebenen Werten der Fürsorge wieder annähern, widersprechen Männer ihrem maskulisierten Willen zu dominieren und mehr zu sein und akzeptieren die „Einschränkungen“ des Auf-Andere-Ausgerichtet-Seins.
Die „Freiheit“ der Frauen (und anderer, die als Fürsorgende sozialisiert wurden) besteht darin, maskulisiertes Verhalten zu imitieren und sich an eine kranke Gesellschaft anzupassen. Sie können ein Tauschego entwickeln, indem sie in den sozialen Projektionen der Maskulisierung – wie dem Markt – arbeiten und die Werte des Patriarchats stützen. Da Frauen jedoch nach wie vor als Fürsorgende sozialisiert werden, fühlen sie sich innerhalb des Systems nie wirklich behaglich und befinden sich in einem inneren Konflikt mit sich selbst.
Eine beinahe absurde Situation tritt ein, wenn Frauen Bescheidenheit als eine Tugend wählen und sich selbst für vermeintlich maskulisiertes Verhalten kritisieren, das sie gar nicht an den Tag legen. Sie wollen sich damit gleichsam von einem Fehler befreien, den sie noch nicht einmal haben. Sie kritisieren die Maskulisierung als wäre sie Teil ihrer selbst, während die maskulisierten Verhaltensweisen, die sie in sich erkennen mögen – sollten sie überhaupt existieren – höchstens Internalisierungen selbstähnlicher männlicher Muster darstellen (die nicht die ihren sind). Die besagte Absurdität erreicht ihren stärksten Ausdruck, wenn Frauen in Therapiestunden, Selbsthilfegruppen oder religiösen Kontexten ihre Seelen nach Spuren von Arroganz und Machtstreben absuchen, wo sie doch tatsächlich die Opfer dieser maskulisierten Charakteristika sind, die sie von Seiten ihrer Männer und Vorgesetzten erfahren, sowie von Schulen, Universitäten, Firmen, Regierungen und allen anderen patriarchalen Institutionen. Während viele therapeutische Verfahren erlauben, Gemeinschaft und gemeinschaftliche Werte zu fördern, betonen die wenigsten die Bedeutung des Schenkens, obgleich doch von diesem nach wie vor das Leben kommt – trotz der Fassade maskulisierter Werte wie individueller Unabhängigkeit, Verantwortlichkeit, Schuld oder Vergeltung, die die das Schenken im Verborgenen halten.
Wenn wir das Kapital als maskulisierten Willen betrachten, sehen wir es als Teil unserer Freiheit an, Macht zu erlangen und mehr zu sein auf Kosten anderer. Die Praxis der Philanthropie erlaubt dem Kapitalisten gleichzeitig die freie Wahl, sich der Bedürfnisse anderer anzunehmen – aber nur, nachdem das System bereits etabliert ist. Dann nämlich kann er schenken, während er gleichzeitig damit fortfährt auszubeuten. Die Wohltätigkeit erlaubt dem Kapitalisten somit gewissermaßen eine „vollständige Person“ zu werden, die sowohl tauscht als auch schenkt und dabei manche der Bedürfnisse befriedigen kann, die von den maskulisierten patriarchalen Wegen und Institutionen geschaffen werden. Während dies besser als völlig zügellose Ausbeutung und Geldmacherei ist, erleichtert philanthropisches Verhalten letztlich nur das Los von ein paar Individuen. Hauptsächlich geht es darum, den Philanthropen zu erlauben, sich als bessere Menschen fühlen und präsentieren zu dürfen. In gewissem Sinne macht sich damit die Ego-Orientiertheit des Systems das Schenken zur individuellen Imagepflege zunutze.
Der Wille trägt nur dann wirklich zur Befreiung bei, wenn er sich der sozialen Transformation auf einer Meta-Ebene annimmt und sagt: „Dieses kommunikative Geschenk wird gemacht, um das System zum Schenken hin zu bewegen!“ Es geht darum, zu schenken, um wirklich das Tauschsystem zu ändern. Nur dadurch kann sich auch der Wille selbst von seinen kapitalistischen Besetzungen befreien. Der Kapitalismus wiederum kann sich dann von der Maskulisierung befreien und seine finanzielle Ressourcen zur Befreiung der Fürsorglichkeit, der Schenkökonomie und dem Weg der Frauen einsetzen. Dabei können diejenigen, die sich in privilegierten gesellschaftlichen Positionen befinden, natürlich nicht so tun, als wären sie nicht privilegiert. Es reicht nicht einfach, die Kennzeichen der Privilegiertheit aufzugeben, um individuelle Privilegiertheit abzulegen. Es muss vielmehr darum gehen, die Privilegien auf einer Meta-Ebene zu nutzen, um das Modell und die Logik des Schenkens zu stärken anstelle jenes des Tausches.
Es gibt einen Ausspruch, der Winston Churchill zugesprochen wird: „Es geht nicht darum, Armut gleichmäßig zu verteilen, sondern Reichtum.“ Abgesehen von der Verwendung des Wortes „gleichmäßig“ denke ich, dass dieser Gedanke sehr wichtig ist. Worum es gehen muss, ist Reichtum für alle – nicht Armut für alle. Wir können das System nicht zum Wohle aller verändern, wenn wir alle gleich arm werden. Nur der Überfluss erlaubt uns zu schenken. Wir müssen daher unseren Reichtum an Ressourcen, unser im Kapital akkumuliertes Geld, unser Land, unsere Erziehung, unsere Erfahrung, unsere Kommunikation, unser politisches, psychologisches und wirtschaftliches Wissen, unsere Gemeinschaftsformen und Netzwerke verwenden, um einen intelligenten und gewaltfreien Übergang vom Tauschsystem zum Schenksystem zu schaffen.
Ein erster Schritt in die richtige Richtung wäre, weltweit die verschwenderischen Ausgaben für Aufrüstung und Militär zu stoppen. Ein weiterer Schritt wäre es, der so genannten Dritten Welt ihre Schulden zu erlassen, die nichts als ein künstlicher ausbeuterischer Mechanismus sind und in Wirklichkeit bereits viele Male zurückgezahlt wurden. Ein weiterer Schritt bestünde in einem Ende der Naturzerstörung, um auch in der Zukunft Überfluss zu ermöglichen anstatt verarmter und vergifteter Ökosysteme. Kurz, nur eine wirkliche Reduktion von Ausbeutung und Verschwendung würde die Akkumulation von Reichtum erlauben, auf dessen Basis das Schenken zwischen Individuen wie zwischen Gruppen und Nationen florieren kann.
Anm. d. Übers.: Im Original: dis-ease – ease = Leichtigkeit, Behaglichkeit; dis- (Präfix) = un-; disease = Krankheit.
Selbst Organisationen wie die Vereinten Nationen, die von den Geschenken der Vielen erhalten werden, stecken diese in Projekte, die sich nur individueller Schicksale annehmen, während sie das System als Ganzes unbehelligt lassen.
Die Rolle der Frauen
Aufgrund der Prozesse, anhand derer sich die Kategorien der Maskulisierung multipliziert haben, gehören viele von uns verschiedenen Kategorien an. Wir können etwa privilegiert sein aufgrund unserer Haufarbe, aber unterprivilegiert aufgrund unserer Armut. Wir können privilegiert sein aufgrund unseres Reichtums, aber unterprivilegiert aufgrund unseres Geschlechts. Oder umgekehrt: Wir können aufgrund unseres Geschlechts privilegiert sein, aber unterprivilegiert aufgrund unserer Hautfarbe.
Worum es geht, ist zunächst, sich in unseren Positionen der Unterprivilegiertheit zu vereinen. Dort teilen wir die Erfahrung des Leids. Dann müssen wir uns jedoch auch in unseren privilegierten Positionen vereinen, um von dort aus mitzuhelfen, das Leid zu bekämpfen und das System zu ändern. Wenn wir dem mütterlichen Modell und der Schenkökonomie wieder Geltung verschaffen, dann werden alle den Bedürfnissen anderer Aufmerksamkeit schenken und sie befriedigen, und zwar nicht nur auf einer individuellen, sondern auch auf einer allgemeinen gesellschaftlichen Ebene. Die wahre Transformation liegt nicht darin, die Kategorie an der Spitze auszutauschen, sondern dem allgemeinen Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein Geltung zu verschaffen, das auf der Mütterlichkeit beruht, das Menschen ungeachtet ihrer unterschiedlichen Kategorisierungen zusammenführt, und das letztlich die Kategorien selbst überwinden wird.
Maskulisierung bedeutet Eigeninteresse auf allen Ebenen (selbst das Eigeninteresse von Gruppen oder Kategorien). Demgegenüber müssen wir das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein auf allen Ebenen ausbreiten. Die Lösung unserer sozialen Probleme kann nie und nimmer in den Kategorien liegen, sondern nur im Schenken und Empfangen, in unserer Kommunikation und unserer Zusammenarbeit. Nur wenn wirklich das mit der Maskulisierung verbundene System selbst transformiert wird, werden die Bedürfnisse aller befriedigt werden können.
Dies ist der Paradigmenwechsel, nach dem sich die New-Age-Bewegung und andere spirituelle Bewegungen seit langem sehnen. Er basiert nicht nur auf Bewusstsein – obwohl das Bewusstsein einen wichtigen Teil in diesem Prozess einnimmt – sondern auf der wirklichen und praktischen Befriedigung von Bedürfnissen und der konkreten Lösung sozialer Probleme. Die Praxis, die dazu nötig ist, muss von kultureller Sensibilität und Einsicht geleitet werden. Sie muss Wege finden, psychologische und spirituelle Bedürfnisse – wie die Bedürfnisse nach Würde und Achtung, nach Unabhängigkeit und Selbstbestimmung – zu befriedigen. Wenn diese Wege gefunden werden, können die Menschen vom Modell des Tausches zum Modell des Schenkens wechseln.
Die Frauen spielen eine entscheidende Rolle in diesem Prozess. Sie durchkreuzen alle Kategorien. Sie können die Änderung initiieren. Viele tun dies bereits in ihren Aktivitäten im Rahmen der internationalen Frauenbewegung. Die nicht-maskulisierten Protagonistinnen des sozialen Wandels finden sich in jedem Haushalt.
Ich denke, dass unsere Trennung zwischen Bewusstsein und Unbewusstsein eine innere Widerspiegelung der Prinzipien des Tausches bzw. des Schenkens ist. (Vielleicht spiegeln sich die Prinzipien sogar in unserer Trennung zwischen rechter und linker Hirnhälfte wider.) Es fällt uns freilich schwer, dies zu sehen, da wir uns immer nur (zumindest im Wachzustand) im Rahmen des Bewusstseins selbst gegenwärtig sind und in diesem den uns auferlegten Definitionen folgen bzw. die mit ihnen zusammenhängenden self-fulfilling prophecies bestätigen. Die Geschenke der Wörter finden sich irgendwo in unseren mentalen Schubladen, jederzeit bereit herauszuspringen. Sie entsprechen den Wörtern in den Schubladen anderer Personen. In unserem Bewegen durch die Außenwelt kann alles, auf das wir treffen, auf unsere Wörter und ihre Kombinationen in Beziehung gesetzt werden. Die kommunikativen Bedürfnisse, uns in Bezug auf die Welt miteinander verbinden, werden von früheren Generationen an uns weitergegeben, gemeinsam mit den Mitteln, sie zu befriedigen. Diese Mittel sind kollektive Produkte der früheren Generationen, die wir kollektiv wie individuell zusammensetzen und verwenden können, um immer neue Wortgeschenke zu schaffen, die auf Teile unserer Welt bezogen sind und die diese in unserer Kommunikation ersetzen.
Wir schaffen unsere Subjektivitäten ad hoc, gemeinsam, indem wir einander sowohl materiell als auch verbal schenken. Doch wird dieser für menschliche Entwicklung so entscheidende Prozess durch das Patriarchat eingeschränkt. Es bleibt uns an menschlicher Gemeinsamkeit nur genug, um uns gegenseitig zu verstehen, Informationen zu vermitteln und die Egos, die wir durch Definition, Selbstdefinition und Tausch geschaffen haben, darzustellen. Unsere Überlebensfähigkeit ist jedoch kein Beweis der Funktionalität des maskulisierten Egos, sondern der Kreativität des Schenkens und des Lebens, deren Fluss uns erfasst – trotz der leeren, selbst reflektierenden Hülle des Egos und der selbstähnlichen Gesellschaft.
Im Patriarchat wird die Gemeinschaft, die wir durch Kommunikation formen, gewöhnlich in viele einzelne Teile zerschlagen – sie wird zu einem Wunsch, einer Abstraktion, die nur in unseren Hinterköpfen am Leben bleibt (als etwas, das „hätte sein können“, als Ideal einer möglichen anderen Welt). Unsere Wortgeschenke werden durch Werbung und Propaganda dem Tausch unterworfen und unsere Prioritäten richten sich nach seinen Bedingungen – so streben wir danach, Privilegierte zu werden, Eine mit Besitztümern, die von hierarchischen Modellen gestützt werden. Wir erkennen die kollektiven Dimensionen unserer Wörter nicht mehr und noch weniger jene unseres Lebens, da das Privateigentum, das unser Bewusstsein bestimmt, uns davon abhält, andere als Quelle unseres Wohls wahrzunehmen bzw. als Menschen mit Bedürfnissen, derer wir uns annehmen könnten. Unsere Gedanken erscheinen als unsere eigenen, da wir von unseren Mitmenschen isoliert sind. In Wirklichkeit sind wir als Individuen nur die denkende entfremdete Gemeinschaft.
Wenn wir zur gegenseitigen materiellen Fürsorge zurückkehren könnten, wäre es uns möglich, Gemeinschaft wieder auf einer stärkeren, erdverbundeneren Grundlage zu formen. Dann könnten wir uns selbst und den Planeten heilen. Wir richten unsere Aufmerksamkeit jedoch nicht auf den Körper, sondern auf das Ego. Wir können sagen, dass die Egos der Reichen mit den Körpern der Armen konkurrieren. Beweise parasitären Verhaltens finden sich überall. Jedes Nukleartestgebiet, jede Mine, jede Ölquelle bestätigen die Zerstörung der Mutter zugunsten des Profits.
Das Teilen ist in eine mythologische Vergangenheit (oder eine kindliche Glückseligkeit) verdrängt worden. Höchstens taucht es hin und wieder als Nebenprodukt unserer egozentrischen Aktivitäten auf. Es wurde zum kollektiven Unbewusstsein, während das Bewusstsein als gemeinsames Wissen (con-sciousness) in unserer Gesellschaft weitgehend auf Definition und Tausch beruht. Vielleicht ist es nicht Persephone, Tochter der Demeter, die die wichtigste mythologische Figur ist, wenn es um den Verlust der Mutter geht. Vielleicht ist diese Figur Hades, Sohn der Gaia, der Bube, der zum Gott der Unterwelt wurde.
Das Wissen des Herzens
Unsere Herzen pumpen unser Blut, um unsere Zellen mit Sauerstoff und Nahrung zu versorgen. Wenn das Blut erschöpft ist, kommt es zum Herzen zurück, um gepflegt zu werden. Dies ist ein physiologischer Archetyp, dem wir im Tauschprinzip nicht folgen können. Nachdem das Schenkprinzip ins Unbewusste verbannt wurde, verstehen wir als Individuen nicht mehr, woher unsere Ideen kommen – oft scheint es, als kämen sie von nirgendwo, einer gänzlich unbekannten Quelle, und so nennen wir diese dann das „Selbst“, die „Einbildung“ oder „Gott“.
Menschen sind im Grunde voll von Liebe. Unsere patriarchalen Strukturen und die Logik des Tausches entstellen diese Liebe jedoch. Das Teilen und die Fürsorge, die wir in der ursprünglichen Mutter-Kind-Beziehung erfahren, sind oft die einzigen Erfahrungen freier Liebe, die wir machen, und diese Erfahrungen begleiten uns für den Rest des Lebens. Das ist ein Teil des Grundes, warum unsere frühe Kindheit so wichtig für unsere Psyche ist. Den Rest unseres Lebens haben wir oft nur mit verschiedenen Entstellungen und Blockaden der Liebe zu tun. Unsere Nostalgie für unsere Kindheit, sogar für den Mutterbauch, ist damit die Sehnsucht nach einem ursprünglichen Zustand des Glücks, der niemals zurückgekehrt ist, da die sozialen und ökonomischen Strukturen das nicht erlauben. Wir bestehen darauf, unser Leben alleine zu bestreiten, während wir letztlich nichts anderes als eine Masse von Babys sind, die darum gefleht haben, berührt, gefüttert, gestreichelt und gepflegt zu werden.
Die freie Zirkulation des Blutes zwischen der Mutter und dem Kind im Mutterbauch ist das natürliche Paradigma einer gesunden Gesellschaft. Es ist das Modell einer Leben spendenden Kollaboration, in der beide Herzen dasselbe Blut pumpen und Lebensstoffe teilen. Wie der Wind, der Luft von Hochdruckgebieten zu Tiefdruckgebieten bewegt, läuft gesunde soziale Zirkulation von denen, die mehr haben, zu denen, die weniger haben. Sobald das Kind geboren ist, Luft in seine bedürftigen Lungen zieht und damit seine wechselseitige Beziehung mit der Welt beginnt, nimmt es soviel es kann vom Überfluss der Welt auf und schenkt ihr einen neuen Menschen, sowie die Freude der ihm Nahestehenden, seine Körperlichkeit, seine Träume.
Die wechselseitige Beziehung des Mutterbauchs setzt sich auf einer neuen Ebene fort. Nachdem sie zuvor innerhalb eines Körpers stattgefunden hat, findet sie nun zwischen zwei Körpern statt. Zwar pumpen die Herzen nicht mehr länger dasselbe Blut, doch wird nun anderes geteilt: Lachen, Sprache, Bewegungen, Gesten. Bedürfnisse werden mit Gütern und Diensten befriedigt. Das Kind empfängt kreativ und sein Wesen wie sein Herz sind auf Andere ausgerichtet. Es ist ein Subjekt, das sowohl Aufmerksamkeit auf sich zieht als auch anderen Aufmerksamkeit schenkt. Milch fließt zum bedürftigen Magen durch den aktiv empfangenden Mund. Sie wird nicht zurückgewiesen. Es gibt keine Erpressung, Bestechung oder Bezahlung. Es handelt sich nicht um Tausch, sondern um Schenken.
So wie zwischen Synapsen Impulse nicht durch direkten Kontakt, sondern anhand eines Mediums vermittelt werden, so wird das Leben auf vielfältige Weise von der Mutter zum Kind und vom Kind zur Mutter (und anderen Menschen, die es lieben) vermittelt. Mutter und Kind sind glücklich mit der Freiheit ihres Schenkens. Ihnen ist ihre gegenseitige Abhängigkeit, die mit dieser Wechselseitigkeit einhergeht, nicht peinlich, genauso wenig wie uns die Abhängigkeit von der Luft peinlich ist, die mit dem Bedarf der Atmung einhergeht. Mutter und Kind befinden sich in einer Beziehung des freien, wechselseitigen Schenkens, in der sie einander erfreuen, berühren und ihre Zeit außerhalb des Mutterbauchs teilen können.
Heute ist uns Abhängigkeit und das Bedürfnis, beschenkt zu werden, einerseits peinlich – andererseits würden wir alles tun, um permanent beschenkt zu werden. Dieser Widerspruch baut einerseits immer höhere Mauern zur Abwehr des Schenkprinzips auf, schafft andererseits jedoch eine gewisse Flexibilität bzw. Orte, an denen wir den Druck ablassen können, der sich in uns aufbaut, da wir nicht haben können, was wir wirklich brauchen. Trotzdem versuchen wir letztendlich, uns soviel wie möglich anzueignen, damit das, was wir haben, als „frei“ erscheint – und zwar nur für uns, nicht für andere. Wir sind hier auf uns selbst fixiert, da wir das Empfangen freier Geschenke nur mit den Erfahrungen verknüpfen können, die wir mit unserer Muter gemacht haben. Später lernen wir, dass die Welt anderen Regeln gehorcht. Dies legt für viele von uns den Schluss nahe, dass niemand außer uns selbst das Bedürfnis hat (oder jemals hatte), freie Fürsorge zu erfahren.
Das freie Geben von denen, die schenken können, zu denen, die bedürftig sind, bzw. allgemein gesagt: die Fähigkeiten, zu fragen, zu empfangen, zu schenken, bilden die Grundlage des frei zirkulierenden Lebensflusses. Das Bewusstsein der verschiedenen Dinge, die geschenkt und empfangen werden, wird als Wahrnehmung und Sprache geteilt, wann immer ein Geschenk von einer Person an eine andere gereicht wird, von der Natur zu den Menschen oder von den Menschen zu der Natur. Dies schafft ein neues Bewusstsein der Natur, eine Evolution, ein neues geteiltes Leben des Lebens.
Leben zu schenken und zu empfangen ist nicht auf die Befruchtung, die Schwangerschaft oder das Gebären beschränkt. Es ereignet sich vielmehr im Akt der Bedürfnisbefriedigung. Indem sich der Tausch jedoch zwischen die Schenkenden und die Beschenkten gerückt hat – zwischen die Schenkenden und das Geschenk wie zwischen die Empfangenden und das Geschenk – hat er die Synapsen verwirrt. Die Prozesse des Gebens werden manipuliert, sie sind nicht mehr frei. Leben wird nicht länger intelligent geschenkt und empfangen, sondern unser zwischenmenschlicher Kontakt von der Maskulisierung bestimmt. Vor kurzem wurde dem ersten Mann, der schwanger werden würde, ein Preis angeboten – Schenken und Empfangen wird außerhalb des Mutterbauchs unentwegt ausgebeutet und lächerlich gemacht.
Unser gemeinsamer Traum
Urteile in Bezug auf Realität und Nicht-Realität (bzw. auf Wachen und Traum) sind davon abhängig, ob die Tauschform und die maskulisierten Kategoriebeziehungen bereits wirksam sind oder nicht. Im Träumen erforschen wir unsere synkretistischen Beziehungen, befreien Prototypen von deren phallischer Besetzung und befriedigen unsere Bedürfnisse danach, zu verstehen, symbolisch. Dies geschieht nicht in Form eines Eines-Eines- oder Eines-Viele-Modells, sondern in Form einer Überdeterminierung, in der ein Bild eine Reihe verschiedener und anscheinend nicht aufeinander bezogener Themen, Gegenstände oder Ereignisse repräsentiert. Komplexe und Synkretismen verschiedener Arten erlauben Assoziationen, zu denen es niemals innerhalb unseres hierarchischen Klassifikationssystems (und sozialen Klassensystems) kommen würde.
Im Traum müssen unsere Bilder keinen Regeln entsprechen oder sich auf Prototypen oder Wörter beziehen. Wir brauchen im Traum keine soziale Bestätigung für unsere Bilder, um uns im Leben zurechtfinden zu können. Sobald sie auftauchen, sind die Bilder des Traumes frei – auch um unsere Bedürfnisse zu befriedigen. Die Bilder sind subjektiv und mögen sogar manchmal ein „Ich zuerst!“ implizieren, doch reproduzieren sie nie die Hegemonie des maskulisierten Egos. Im Traum werden unsere Bedürfnisse gemäß des Lustprinzips befriedigt, ohne dass wir für ihre Befriedigung arbeiten müssten. Unsere wirklichen Bedürfnisse werden symbolisiert, unsere Intuitionen nehmen sich ihrer an. Wirkliche Hilfe wird geleistet. Im Traum behandeln wir uns selbst so, als würden wir in einer Schenkökonomie leben. Der Grund, warum das Träumen so subjektiv ist und auf dem Wunschdenken beruht, liegt darin, dass die Außenwelt vom Tausch eingenommen wurde. Autoritäre TherapeutInnen mögen auf den „regressiven“ und „infantilen“ Charakter des Traumes herabblicken, aber warum sollten wir ihn nicht anders sehen: nämlich als utopisch und mütterlich? Das Träumen scheint die Befriedigung der kommunikativen Bedürfnisse auf einer individuellen Ebene zu sein. Wenn wir unsere kommunikativen Bedürfnisse kollektiv befriedigen können, können wir alle unsere Träume leben.
Wenn wir aus einem Traum aufwachen, setzt mit der kognitiven Anforderung der Eines-Viele-Struktur ein epistemologisches Urteil ein. Struktur und Urteil stützen sich dann gegenseitig. Wir wundern uns, wie dumm unsere Träume waren, werten unser synkretistisches Denken ab und bestätigen damit das Denken des Einen und der Vielen. Dies führt uns dazu, unsere Träume zu verleugnen, zu vergessen und als etwas zu sehen, dessen Wert weit unter unseren Erlebnissen während des Wachens liegt. Vielleicht tun wir dies deshalb, da unsere Erinnerungsstrategien Mustern des Einen und der Vielen folgen. Kinder gehören synkretistisch in die Kategorie der Träume – sie sind „dumm“, „irrational“, „nicht-phallisch“. Auch Frauen und Wünsche werden oft der Unterwelt der Träume zugerechnet.
Indem wir das kategorische Denken in unserer Gesellschaft insgesamt überbewerten und phallisch besetzen und es in die institutionellen Strukturen projizieren, haben wir kollektiv eine Realität geschaffen, die sich von unseren Träumen unterscheidet und diesen (dieser Art des Denkens) feindlich gegenübersteht. Indem wir die Wirklichkeit unseres Wach-Seins jedes Mal bestätigen, wenn wir aufwachen, werten wir die Wirklichkeit unserer Träume und die vielen nicht-phallischen Aspekte der wachen Welt ab. Jedes Mal, wenn wir aufwachen, reproduzieren wir damit unwissentlich Herrschaft, Misogynie und die Abwertung der Kinder, der Natur und des Schenkens, indem wir uns sagen: „Das war nicht wirklich – das hier ist wirklich!“
Egal, was sie sonst noch tun, eines tun Träume immer: sie befriedigen ein Bedürfnis, das von allen geteilt wird. Sie schaffen damit eine Alternative – ziemlich auf die gleiche Weise, auf die der Kommunismus eine Alternative zum Kapitalismus schuf. Träume tun dies, indem sie uns sagen, dass die vermeintlich „wirkliche“ Welt nicht die einzige Welt ist, und dass das maskulisierte, phallisch besetzte, kategorische Denken nicht die einzige Art des Denkens ist. Wenn das Träumen gemäß unmaskulisierter Schenkprozesse funktioniert, ist es ein Schlüssel zu einer besseren Welt – so wie es die Sprache oder die Mütterlichkeit sind. Der gemeinsame Traum der Menschheit ist eine Welt, die kommen wird. Die Aufforderung an die Menschheit, „aufzuwachen“, ist falsch. Anstelle dessen müssen wir die Realität unseren Träumen angleichen.
Die Auferlegung der Realität.
Die Sprache spricht zu uns, und wenn wir richtig hinhören, wird uns klar, dass sich einiges, das wir verdrängt haben, in unserem kollektiven Unbewusstsein finden lässt. Ich glaube, dass die Sprache voller Hinweise ist, was die Themen betrifft, die wir besprochen haben: die maskulisierte Kategorie, den Tausch, die Hierarchien und das Schenken. Auch die Wörter, die wir auf dieser Seite verwenden, sind Schlüssel entlang der königlichen Straße zur Entdeckung der Natur der Realität. (Das Spanische real bedeutet königlich.) Was uns diese Schlüssel mitteilen, ist, dass wir nicht auf der königlichen Straße alleine dorthin gelangen. Wir müssen uns auf einem anderen Wege nähern.
Königtum oder „Sachtum“ (lateinisch rex = König, res = Sache) offenbart den Eines-Viele-Charakter dessen, was wir Realität schreiben könnten. Das Sprachspiel gab es bereits im Lateinischen. Es verweist auf selbstähnliche Herrschaftsmuster im Realen, außerhalb des Saatkorns des Schenkens. Das Ego ist der König dieser Realität und ihrer Struktur, während das schenkende Selbst ausgeschlossen bleibt. Ursprünglich kommt die Realität – als unser gemeinsamer Grund – vom Schenken. Doch ist sie vom phallischen, kapitalistischen Kategoriedenken eingenommen worden.
Das Denken auf Kategorien aufzubauen, wertet Differenzen ab – oder macht sie zum Anlass, neue Kategorien zu formen. „Welcher Kategorie gehörst du an?“ scheint die wichtigste aller Fragen zu sein. Unsere Bedürfnisse sind so uninteressant wie wir selbst, wie das Glitzern in unseren Augen. Das einzige was zählt, ist, ob wir dem Modell bzw. dem Prototypen entsprechen, ob wir zur Kategorie der „Schönen“ gehören, der „Verdienenden“, der „Erfolgreichen“.
Ist die Bestätigung maskulisierter Realität die Anerkennung eines äußeren Gegebenen oder die Auferlegung eines Geschenks, das wir erhalten müssen? Vielleicht fühlen wir uns aufgrund des Tauschprinzips verpflichtet, der Realität etwas zurückzugeben? Zum Beispiel Anerkennung (re-cognition). Diese Realität befriedigt unsere manipulierten kollektiven Bedürfnisse, ignoriert jedoch unsere ursprünglichen, „un-realistischen“ individuellen Bedürfnisse. Was sind die Konsequenzen, wenn wir dieses Geschenk der Realität nicht annehmen? Ausschluss? Verrücktheit? Und was sind die Konsequenzen, es doch anzunehmen? Geben wir die Wahrheiten unserer subjektiven Perspektive auf für die kollektive maskulisierte Perspektive, nur damit wir nicht aus den Kategorien des Menschlichen und Vernünftigen ausgeschlossen werden? Wenn wir die Realität verweigern, sind wir dann undankbar, eigensinnig, „zügellos“, wie ein Psychiater einmal psychisch Kranke nannte? Wenn wir verrückt werden, verschieben wir unser Realitätsurteil vielleicht nur von einer kollektiv vermittelten auf eine subjektive Ebene Menschen, die sich zusammenschließen (eine Gesellschaft formen), tun dies gewöhnlich über Praktiken des Schenkens und Empfangens. Diese Praktiken wären noch um vieles weiter verbreitet, wenn wir nicht in der Tauschökonomie leben würden. In jedem Fall sind sie der Grund, warum Schenken und Empfangen die Schlüssel zur den Assoziationen sind, die in Träumen oder Wörtern gefunden werden. Ein Schizophrener, der aufgefordert wurde, an Wygotskis Experiment teilzunehmen, sagte den LeiterInnen, dass der Prototyp ein Polizist sei, der einer Menge von Menschen sagt, was sie tun sollen. Wir haben bisher in diesem Buch genug selbstähnliche Muster gesehen, um die Beziehung zwischen dem Polizisten und der Menschenmenge klar als Beispiel einer Eines-Viele-Kategorie erkennen zu können. Der Polizist beherrscht die Menge, während der Schizophrene uns das Geschenk einer nötigen Verbindung (Assoziation) zukommen lässt, die zuvor nicht gemacht worden war. (Siehe Hanfmann und Kasinin, „A Method for the Study of Concept Formation“.)
Ich würde gerne erwähnen, dass uns spirituelle Praktiken, die uns jedes Mal, wenn wir aufwachen, Dank sagen lassen, für einige Augenblicke länger im Schenkmodus halten und so etwas wie eine Kontinuität zwischen der Traumwelt und der wachen Welt schaffen.
Anm. d. Übers.: Das Wortspiel funktioniert im Englischen besser: kingship and thingship.
Wir tun das, weil wir alle walking wounded sind.
Eine eigensinnige kollektive Perspektive
Realität gemeinsam zu bestimmen, ist eine kollektive Wertzuschreibung. Als solche ist sie wahrscheinlich für uns alle funktionaler als es rein subjektive Zuschreibungen wären. Wenn wir Güte als Prinzip einfordern oder uns eine bessere Welt wünschen oder als „nicht realistisch“ eingeschätzt werden, dann appellieren wir an eine kollektive Qualitäts- oder Wertzuschreibung, die zumindest einen gewissen Grad an Funktionalität versichert und an die sich Einzelne wie die Gemeinschaft anpassen können. Diese Anpassung geschieht angeblich in unserem besten Interesse. Uns wird zu verstehen gegeben, dass wir uns an das kollektive Urteil anpassen und nichts ändern oder anderes wünschen sollen.
Aber warum soll diese Perspektive weniger eigensinnig sein? Es wird unterschieden zwischen dem Selbst und dem Kollektiv, und was nicht kollektiv ist, gilt als egoistisch. Aber das Ego ist selbst ein kollektives Produkt und es gibt viele kollektive Mechanismen und Werte, die es stärken. Es entspricht außerdem den verallgemeinerten Egos der Gruppen, denen es angehört – zum Beispiel der Rasse, der Klasse, der Religion oder der Nation.
Das Ego hängt davon ab, dass seinem Inneren Wert und Realität zugeschrieben wird. Dadurch wird dieses Innere bestätigt – vor allem im Falle erfolgreicher maskulisierter Männer. Ausgeführt werden diese Prozesse von den selbstähnlichen Strukturen der Gesellschaft. Das privilegierte Eine, der Prozess des Tausches und die Verleugnung des Schenkens sind als Institutionen, die auf Maskulisierung, Geld und der phallisch besetzten Kategorie beruhen, soziale Mechanismen, die dem individuellen Ego kollektiv Wert zuschreiben.
Das Ego und der Egoismus können in diesem Sinne als eine kollektive Haltung gesehen werden, während die subjektive Haltung mehr schenkend und auf Andere ausgerichtet ist. Doch warum setzen wir die trennende Linie zwischen Individuum und Gruppe nicht woanders an und bestätigen eine andere Art von Ego und Schenken? Damit ließe sich auch eine andere Art von Gemeinschaft schaffen.
Um zu erkennen, dass die Trennung an der falschen Stelle geschieht, brauchen wir vielleicht eine dreidimensionale Perspektive. Wenn wir verstehen, dass unser Selbstverständnis von dem sozialen Geschenk geprägt ist, das die Sprache ist, sowie von den Geschenken des Lebens, dann würden wir vielleicht aufhören, uns eine polare Opposition zwischen Individuum und Gruppe vorzustellen, zwischen dem Ich und den Anderen. Diese Änderung unserer Sichtweise würde uns erlauben, die Trennung zwischen subjektiv und objektiv, unbewusst und bewusst, Traum und Realität, anders zu sehen.
Gegenwärtige Realität wird von einer maskulisierten Gemeinschaft bestätigt und definiert. Diese Gemeinschaftsform wurde manipulativ konstruiert und ihre Definition des Realen ist Teil dieser Konstruktion. Die Bestimmung der Realität ist eine Meta-Nachricht, die dazu dient, den patriarchalen Status quo zu stützen. Deshalb erscheint sie als organisierte Bösartigkeit, die auf der angeblichen „Grausamkeit der menschlichen Natur“ beruht. Alles ist möglich, weil wir der Meta-Behauptung Glauben schenken, dass „Menschen einfach so sind“.
Das Individuum schreibt Teilen seiner Erfahrung einen Realitätswert zu und macht diese Zuschreibung beständig. Aber unsere gegenwärtige Realität schenkt nicht. Das Schenkprinzip ist nicht Teil von ihr. Das Schenken in der materiellen Welt wird falsch verstanden, und das innere Schenken wird nicht gesehen und verleugnet. Manchmal können wir trotz Mangels und zuviel Arbeit die schenkende Seite der Natur und der Anderen erfahren – doch für viele Menschen kommt es dazu nie.
All dies hat den Effekt, unserem inneren Schenken nicht zu erlauben, einen Korrespondenten in der Realität zu haben, auch wenn vielleicht unsere Bemühungen, andere dazu zu bringen, uns zu schenken, als missglückte Versuche gesehen werden können, die Realität dazu zu bringen, unsere Schenkidentität im Inneren zu reflektieren. (Vielleicht fassen wir selbst unseren inneren Schenkenden als einen Anderen auf?) Nachdem wir den Tausch bestätigt und die Mutter in eine andere Kategorie gestellt haben, scheint es nur richtig und angemessen, dass andere uns schenken.
Wenn wir die Ausbeuter mit Mitgefühl betrachten, mögen wir ihnen zugestehen, dass sie von der Realität der ständigen Bedrohung des Mangels überzeugt sind. Wir mögen ihnen zugestehen, dass sie andere deshalb zum Schenken zwingen, weil sie glauben, nur so ihr eigenes Überleben sichern zu können. Ihr parasitärer Charakter wäre dann eine Folge davon, dass sie innerhalb des von ihnen geschaffenen Mangels wenigstens ihre eigene Versorgung sicherstellen wollen. Vielleicht versuchen sie einfach, die Realität zu ihrer eigenen Mutter zu machen? Ist dies der heimliche Grund der kapitalistischen Gier? Ist jeder Ausbeuter eigentlich nur ein kleines Kind, das an der Realititte (reali-titty) saugt?
Wenn sie glauben, dass sie verdienen, mehr als andere zu haben, da sie mehr produzieren oder stärker oder intelligenter sind, dann etablieren Ausbeuter den Tausch und löschen das Schenken aus. Gleichzeitig trachten sie, paradoxerweise, danach, beschenkt zu werden. Niemand kann die Realität zu seiner Mutter machen, außer wenn wir das Schenkprinzip für alle restaurieren. Die Realität ist ein kollektives Konstrukt, und wenn wir sie kollektiv auf eine Weise konstruieren, die nur Einen oder Wenige auf Kosten der Vielen versorgt, dann zerstören wir diesen kollektiven Charakter und damit jede Form von Gemeinschaft. Wir müssen unser Schenken im Inneren mit dem Schenken in der Außenwelt in Einklang bringen. Dies wird sowohl das Individuum als auch die Gemeinschaft befreien. In der Zwischenzeit kann uns das Wiederherstellen unserer Verbindung mit der Natur helfen, eine ökologische Nische für unseren inneren Schenkenden außerhalb unser selbst zu finden. Wir müssen uns um die Natur kümmern und ihr wieder ihre ursprüngliche schenkende Kraft verleihen. Dann können wir uns auch wieder mit ihr verbinden.
Der Tausch ist tatsächlich eine Manipulation dessen, was die Lösung für unser Problem wäre: inneres wie äußeres Schenken. Der Tausch verlangt, dass alle die Ego-Orientiertheit zum obersten Prinzip erheben. Jeder „gibt“ zwar etwas – aber etwas, das kein Geschenk ist, etwas, das nicht der Befriedigung der Bedürfnisse der anderen dient.
Die schenkenden Dimensionen der Anderen, der Natur oder der Realität werden falsch verstanden und als faire oder gerechte Korrespondenz zwischen einem Mehr an Geben und einem Mehr an Erhalten interpretiert. Die Realität scheint dann nicht zu schenken, sondern nur auf einen Tausch zu antworten. Da das Schenken nicht der Realität entspricht, spiegelt sich diese Manipulation in uns selbst wider. Die Lösung ist kollektives Schenken, kollektiver Altruismus. Geld kann als das kollektive Produkt verwendet werden, um mit diesem Prozess zu beginnen.
Träume werden wahr, innen wie außen
Wenn Träumen der Schenkweise entspricht, träumt die Spinnenfrau wirklich die Welt, wie Paula Gunn Allen sagt. Aber maskulisierte Realität ist ein kollektiver Alptraum, ein kollektives Geschenk, um alle Geschenke zu beenden, da es das Schenken begrenzt und in den Tausch assimiliert. Ein Großteil der Menschheit schenkt seine Energie unbewusst der maskulisierten Realität. Um eine andere Realität zu schaffen, müssen wir uns kollektiv eine andere erträumen und unsere Energien dazu verwenden, diese zu etablieren und somit unsere Träume wahr werden zu lassen – anstelle unserer Alpträume. Wenn es mehr Schenken in der Realität gäbe, würde auch unser inneres Schenkempfinden, sowie unsere Kreativität und Liebe, bestärkt werden.
Künstlerisches Schaffen ist reales Schenken und Brücke hin zu einer besseren Welt, da das Medium des Geschenks selbst ein Geschenk ist, das ästhetische Bedürfnisse schafft und befriedigt. Zum Beispiel ist das Singen ein Geschenk an die Zuhörenden, und das Medium, die Stimme, befriedigt ein Bedürfnis (ein Potential) in uns selbst nach schönen, Lust spendenden Lauten, Rhythmen und Harmonien. Gleichzeitig befriedigen die gesungenen Wörter kommunikative Bedürfnisse. Ähnliches gilt für die visuelle Kunst. Die Farben, Formen und Materialien können lustvolle Sinneserlebnisse schaffen, was auch immer der Gegenstand oder das Thema des Kunstwerks sein mag. Obwohl viele Arten der Kunst gekauft und verkauft werden können, behalten sie alle eine freie bedürfnisbefriedigende Seite. Darin liegt der kommunikative Aspekt der Kunst. Es gibt keinen Tausch zwischen dem Ohr und der Musik, zwischen dem Auge und dem Bild, selbst wenn wir oft viel für das Zuhören oder Betrachten bezahlen müssen. Es ist das Kunstwerk selbst, das schenkt, und die kreative Gabe der Kunstschaffenden liegt in der Fähigkeit, ein solches schenkendes Kunstwerk zu gestalten. (Wir haben oben gesagt, dass wir nicht mit dem Anthropologen Lévi-Strauss übereinstimmen, wenn er die Rolle der Frauen im Frauentausch als die von Gütern oder Nachrichten interpretiert, die zwischen Verwandtschaftsgruppen getauscht werden – vielmehr sollten die Frauen als Quellen von Geschenken verstanden werden, als „Geschenke, die schenken“.) Zahlreiche Arten von Tauschaktivitäten verhalten sich parasitär zur Kunst, genauso wie zu anderen Quellen des Schenkens.
Selbst wenn die Kunst das Schenken bis zu einem gewissen Grade in der äußeren Welt restauriert, reicht das nicht, um das ausgelöschte Modell wiederherzustellen. Vorerst bleibt das Schenken in das Reich der Träume und des Unbewussten, in das Reich der Kunst, der Geschichten und der Mythen verbannt. Leider können Geschichten auch dazu dienen, Kinder mittels der Befriedigung kommunikativer Bedürfnisse sanft in die Welt des Tausches einzuführen. Geschichten lehren Kinder die Transitivität von Dingen – sie zeigen ihnen, wie etwas zu etwas anderem führen kann, wie die Befriedigung eines Bedürfnisses ein weiteres schafft, wie eine Handlung in einer anderen resultiert. Handeln kann freilich auch als Schenken gesehen werden, wie die Tatsache, dass die Befriedigung eines Bedürfnisses ein neues schaffen kann: wenn das Baby gegessen hat, muss es sich schlafen legen oder nach draußen zum Spielen gehen; gleichzeitig muss die Mutter aufräumen, sich ausruhen, oder zur Arbeit zurückkehren.
Die Wenn-Dann-Struktur beinhaltet ein Geschenk, das auf eine Konsequenz verweist: „Wenn du deinen Finger ins Feuer hältst, wirst du dich brennen!“ Wenn dies mit sozialer Belohnung und Strafe belegt wird, wird die Transitivität des Geschenks zur logischen Konsequenz des Tausches. Wenn-dann wird zu: „Tu dies und erhalte jenes!“. Es sieht nunmehr so aus, als würde die Realität dem Kind das geben, das es „verdient“. Verdiente Aschenputtel zum Ball zu gehen und den Prinzen zu heiraten, weil sie so hart arbeitete? Verdiente Rotkäppchen es, vom Wolf gegessen zu werden, weil sie ihrer Mutter nicht gehorcht hatte? In diesen Geschichten wird eine Tauschbeziehung zwischen den Figuren und der Realität geschaffen. Kinder lernen, ihr Verhalten gemäß der Tauschform auszubilden.
Was ist der Preis, den wir dafür zahlen, nicht zu schenken? Und was wären die Belohnungen, wenn wir schenken würden? In den Märchen scheint der Tausch ausgewogen. Wenn Kinder anfangen zu tauschen, entspricht dies ihren Moralvorstellungen. Sie zum Gehorchen zu bringen bzw. ein System von Belohnungen und Strafen einzuführen, führt sie weg von der Schenkweise, die sie im Kontakt mir ihren Müttern gelernt haben, und bereitet sie auf den Tausch der Realität vor. Geschichten befriedigen die Bedürfnisse von Kindern, durch Kommunikation behutsam in eine Welt eingeführt zu werden, die ihr aufgrund des Tauschs fremd ist.
Es ist wahr: Wir haben als Kinder ein Bedürfnis, dass uns gelehrt wird, uns an die Realität anzupassen. Doch existiert dies nur, da die Realität eine manipulierte Realität ist. Die Notwendigkeit (und damit das Bedürfnis), sich anzupassen, wird von einer Umwelt auferlegt, die künstlich und vom Tauschprinzip besetzt ist. Unsere Sozialisierung wird einer Evolution gleich, die sich an unserer Funktionsfähigkeit im System orientiert und eine Anpassung an die Rollen des Habens und Nicht-Habens verlangt, und zwar auf allen Ebenen. Wenn jenes Prinzip unser Leben leiten würde, das tatsächlich für das Wohl der Menschen und des Planeten steht, müsste uns das Schenken und Empfangen nicht explizit gelehrt werden – wir würden es einfach durch Erfahrung selbst lernen, und zwar auf die gleiche Weise, auf die wir durch unser Wahrnehmungsvermögen lernen, uns zu bewegen und (zumindest zum größten Teil) zu sprechen.
Wenn wir Kindern lehren zu gehorchen, besetzen wir Informationen wie: „Wenn du deinen Finger ins Feuer gibst, brennst du dich!“, mit Mustern von Herrschaft und Gehorsam bzw. mit den Tauschaspekten von Belohnung und Strafe. An sich rein informativ, wird ein solcher Satz plötzlich dazu verwendet, elterliche Diktatur zu etablieren und zu bestätigen, genauso wie: „Wenn du nicht aufisst, darfst du nicht spielen gehen!“ Diese Drohungen funktionieren gemäß des Tauschmodus. Sie geben unseren Handlungen einen Preis im Sinne ihrer Konsequenzen. „Du hast nicht gehorcht! Du hast drei Tage Hausarrest!“ Der Autoritarismus der Eltern ist nicht nur eine Reproduktion ihrer eigenen Kindheit und ihrer eigenen Beziehung zu ihren Eltern, sondern sie richten sich auch gegen ihr eigenes schenkendes und empfangendes inneres Kind. Mit ihrer Praxis der Notengebung dehnen unsere Schulen diese Belohnungs- und Strafprozesse auf quantitativ messbare Mengen erlernten „Wissens“ aus.
Anm. d. Übers.: Walking wounded ist ein Begriff aus dem Sanitätswesen, im besonderen der Notfallversorgung. Als walking wounded werden jene Verletzten bezeichnet, die trotz ihrer Verletzungen bei Bewusstsein und fortbewegungsfähig sind.
Paula Gunn Allen, The Sacred Hoop.
Lewis Hyde bespricht das kreative Geschenk in einem etwas anderen Sinne in The Gift.
Carol Gilligan bespricht eine moralische Perspektive des Pflegens in In a Different Voice.
Die Irokesen und der weiße Mann
Wenn Frauen Frauen unterstützen, oder Fürsorgende Fürsorgende versorgen, findet eine Transitivität des Schenkens statt. Die Ware wird weiter und weiter gereicht und die Empfangenden empfangen von vielen und schenken an viele. Wenn dies als Prinzip verfolgt wird, sind Menschen sich dessen bewusst und die Realität ist von solchen Handlungen gekennzeichnet. Wobei: Wenn das Schenkprinzip unser Leben wirklich bestimmen und wir es bewusst praktizieren würden, müssten wir nicht über es als Prinzip nachdenken. Es wäre uns möglich, flexibler zu sein, zu experimentieren und auf einer Fall-zu-Fall-Basis zu arbeiten. Wenn wir es nützlich finden würden, könnten wir dann vielleicht sogar manchmal tauschen, ohne ein Risiko einzugehen, da die Realität als Ganze auf dem Schenken beruhen würde. Indianische Stämme, die von Frauen geführt wurden, wie jener der Irokesen, schufen alternative Schenkrealitäten dieser Art. Das Leben beruhte auf dem Schenken, obwohl Tausch – zumindest symbolischer Tausch – bis zu einem gewissen Grade praktiziert und manchmal sogar Kriege geführt wurden.
Die Werte der Schenkökonomie bedrohen die Tauschökonomie, und ich glaube, dass das der Grund für die Unbarmherzigkeit des weißen Mannes gegenüber den amerikanischen UreinwohnerInnen war. Der weiße Mann hatte auch eine Mutter. Er lernte, sie in den Hexenverbrennungen zu töten. Dabei tötete er jedoch auch sich selbst bzw. seine innere Mutter. Es gibt kein Geschlecht. Menschen werden alle dem Schenken gemäß geformt. Indem er seine europäische Mutter schlachtete und versklavte, beraubte sich der weiße Mann selbst seines menschlichen Potentials. Indem er seine Heimat verließ und die Amerikas eroberte („penetrierte“), verlor der weiße Mann seine Menschlichkeit. Er folgte rein seinem falschen, maskulisierten Herrschaftsideal. Er fand mütterliche Gesellschaften, beutete sie aus und initiierte einen Genozid. Was er als zivilisiert ansah, waren das Ego und der Tausch mit seiner leeren definitorischen Logik.
Doch auch der weiße Mann hat ein Herz. Er lebte im Bauch seiner Mutter. Er wurde von ihr versorgt, erhielt ihre Geschenke und schenkte ihr seine eigenen. Was er nicht verstand, war, dass alle Männer und Frauen denselben Traum teilen; dass sie dieselbe Art zu träumen und zu sprechen haben. Unsere Sprache ist eine gemeinsame; sie geht über die Kommunikation materieller Geschenke hinaus (obwohl diese Kommunikation enorm wichtig ist): sie ist die Kommunikation verbaler Geschenke. Welche die spezifischen Laut-Geschenke sind, die wir einander schenken, ist dabei zweitrangig. Was zählt, ist, dass wir sie einander schenken. Der Turm zu Babel ist nur das phallische Symbol der Maskulisierung, die uns nicht zu sehen erlaubt, dass alle unsere Sprachen und unser Leben der Mutter und der Mütterlichkeit entstammen. Wenn wir die Maskulisierung aufgeben und zur Mutter und dem Kind in uns selbst zurückkehren, dann können wir auch dem Träumen wieder seine Bedeutung zukommen lassen.
Von der Realität zur Göttin Rhealität
Schenken und Tauschen sind auf der Ebene der ökonomischen Realität aneinander gekoppelt. Dies schafft viele Hindernisse auf dem Weg, effektive Arbeit für den sozialen Wandel bzw. die Rückkehr zum Schenkprinzip zu leisten. Vor allem, da das Ziel des sozialen Wandels oft missverstanden wird und Menschen meinen, es ginge darum, alle in die Tauschökonomie zu integrieren. Doch dies kann niemals das Ziel sein, alleine schone deshalb nicht, weil die Integration aller in die Tauschökonomie unmöglich ist: die Tauschökonomie kann nur auf der Basis eines Ausschlusses funktionieren, da der Markt auf die Geschenke Ausgeschlossener angewiesen ist.
Es gibt viele Gruppen, die vom kapitalistischen Marktsystem ausgeschlossen sind. Ihre Produkte haben keinen Zugang zum Markt oder sind dort nicht konkurrenzfähig. Das Kunsthandwerk von indigenen Völkern zum Beispiel findet normalerweise keinen Platz am Markt, obwohl es von hoher Qualität ist. Um seinen Platz zu finden, bedarf es der „Hilfe“ ausbeuterischer Mittelsmänner.
Es gibt gegenwärtig relativ viele Projekte, die indigenen KunsthandwerkerInnen helfen, ihre Produkte ohne die Ausbeutung durch Mittelsmänner auf den Markt zu bringen. Diese Projekte werden von Menschen mit guten Absichten geleitet. Sie suchen um Gelder von Stiftungen oder anderen Organisationen an. Ihr Ziel ist, das indigene Kunsthandwerk zu gleichem „Wert“ wie Mainstream-Produkte anbieten zu können („gleicher Tausch“). Der Widerspruch hier liegt darin, dass das Ziel in einer Integration in die Ökonomie zu liegen scheint, die diese Gruppen seit je her ausschließt und ausbeutet. Es können in diesem System nie alle den Privilegierten gleich werden, und diejenigen, denen dies gelingt, gelingt dies nur über die Ausbeutung anderer. Es mag möglich sein, dass im Rahmen der erwähnten Projekte die Notwendigkeit der Ausbeutung eine Zeitlang aufgehoben wird, da Förderungsgelder anstelle erzwungener Geschenke zur Verfügung stehen, doch bleibt das Ziel der Unabhängigkeit eine Illusion. Der Kapitalismus kann ohne den Fluss versteckter Geschenke nicht funktionieren. „Unabhängigkeit“ meint meist nichts anderes als effektive Abhängigkeit vom Markt. Frauen, die in den Arbeitsmarkt eintreten, um unabhängig zu sein, sehen sich mit demselben Problem konfrontiert.
Die Produktion indianischen Schmucks in Hongkong verdeutlicht, was ich meine. Internationale Ausbeutung produziert billigere, konkurrenzfähigere, „gleichere“ Produkte als dies Projekte sozialer Gerechtigkeit oder Unabhängigkeit je tun könnten. Dies zeigt sich schon alleine im „Geschenkquotienten“, der durch die ausbeuterische Beziehung zwischen Nationen geschaffen wird (diese Beziehung schafft auch den Unterschied in deren Lebensstandards) bzw. über das Geschenk der ausgebeuteten Arbeit an die multinationalen Konzerne. Noch einmal, es ist eine Illusion, dass Gruppen außerhalb des Mainstreams nur erfolgreich sein können, wenn ihre Produkte konkurrenzfähig sind. „Gut genug“ sein, „gleich“ sein, „auf demselben Niveau“ sein, bedarf immer der Ausbeutung der Geschenke anderer.
Wenn sie ein neues Produkt produzieren oder einen neuen Markt entdecken, kann es Menschen, die sich außerhalb der kapitalistischen Ökonomie befinden, vielleicht gelingen, in diese einzutreten und erfolgreich zu sein. Vielleicht mag sich dies in manchen Aspekten sogar positiv auf ihre Gemeinschaften auswirken. Nur verlangt der Erfolg im Rahmen des Tauschsystems ein Verständnis des Marktes, zu dem es nur durch einen Lern- und Erfahrungsprozess im Markt selbst kommen kann, der gewöhnlich impliziert, dass Menschen lernen, für sich selbst Profit zu schöpfen – und nicht für die Gemeinschaft. Dies folgt der kapitalistischen Logik des „Jeder für sich selbst!“. Alleine schon der Versuch, in den Markt einzutreten bzw. konkurrenzfähige oder „gleichwertige“ Produkte zu erzeugen, bestätigt den Markt und den „gleichen Tausch“ als die besten (ja sogar einzigen) Mittel, Reichtum zu produzieren. Alternativen werden als „unrealistisch“ abgetan oder nicht einmal wahrgenommen. Das Schenken – in der Tauschökonomie einerseits verleugnet, andererseits in Form ausgebeuteter Arbeit integriert – wird gleichzeitig unterdrückt und geopfert. In jedem Fall wird ihm kein Wert zugeschrieben. Es bleibt unsichtbar, entwertet und verachtet.
Das Unbewusste ist gewissermaßen die Energiequelle, die unser Bewusstsein bzw. unseren Verstand antreibt. Viele unbewusste Motivationen und Assoziationen gelangen dabei nie zur Oberfläche. Sie bleiben verborgen und erhalten keinen Wert. Sie gleichen in diesem Sinne jenen Menschen, die sich außerhalb des Marktes befinden, von wo aus sie diesen versorgen. Frauen befinden sich in derselben Position, wenn sie Männer in ihren Beziehungen mit anderen Männern und in ihrem Konkurrenzkampf um Herrschaft unterstützen, ohne dass dies je anerkannt wird. Wir müssen damit aufhören, der Art des Bewusstseins Wert zuzuschreiben, die auf dem Tausch, dem wechselseitigen Ausschluss und der Gleichheit des Marktes beruht bzw. auf der Konkurrenzfähigkeit unserer Produkte, unserer Kinder und unserer selbst. Stattdessen müssen wir uns um Alternativen bemühen!
Auch wenn es schwierig ist, im Rahmen des Systems mit dem Schenken zu experimentieren, denke ich, dass es möglich ist. Oft werden diese Möglichkeiten jedoch nicht erkannt. So schenken viele Frauen, die ich kenne, anderen Frauen unentwegt: sie leisten ihnen Dienste, verschaffen ihnen Unterkunft und Ausbildung, und unterstützen sie ohne Erwartung auf Gegenleistung. Oft denken sie jedoch selbst, dass dies „verrückt“ ist, weil sie keine Bezahlung verlangen. Ähnliche Phänomene kennzeichnen Bewegungen von Frauen, die sich für Land- und Unabhängigkeitsrechte oder einen behutsamen Umgang mit der Erde einsetzen.
Auch Bewegungen gegen häusliche und sexuelle Gewalt oder Bewegungen gegen Suchtverhalten befriedigen Bedürfnisse, ohne Gegenleistungen zu erwarten. Menschen, die in diesen oder anderen Bewegungen – gegen die puerilen Spiele, die mit radioaktivem Abfall und chemischen Zeitbomben geführt werden, gegen Krieg, Militarismus und Aufrüstung, usw. – aktiv sind, wenden alle enorm viel Zeit und Energie dafür auf, Bedürfnisse nach gesellschaftlichem Wandel zu befriedigen.
Während ein großer Teil von Voluntärsarbeit von Frauen geleistet wird, sind auch Männer darin involviert. Dabei ist denjenigen, die in gemischten Gruppen aktiv sind, oft nicht klar, dass sie in ihrer nicht-monetären, bedürfnisbefriedigenden Arbeit dem Schenkprinzip folgen und dass dieses auf der Mütterlichkeit beruht. Frauen und ihre Werte werden daher nicht als Beispiel erkannt. Vielmehr werden Männer oft von Frauen darin unterstützt, auch im Rahmen dieser auf gesellschaftlichen Wandel abzielenden Arbeit ihre Maskulisierung auszuleben. In vielen Fällen wird nicht einmal dies erkannt und bleibt unproblematisiert.
Experimenten des Schenkens haftet oft ein schlechter Ruf an, der Menschen davon abhält, sich an ihnen zu beteiligen. Der Grund ist, dass patriarchale Wohltätigkeitsorganisationen die Menschen, denen sie schenken, als passiv und unterlegen ansehen, nicht auf ihre Meinung (ihre Bedürfnisse) hören und ihnen stattdessen Geschenke aufzwingen, die sie selbst für die richtigen halten. Dieser Paternalismus wird von Männern wie von Frauen unterstützt. Schlussendlich leiden alle darunter. Vor allem wird die Beziehung zwischen den Frauen und dem Schenken getrübt, da der Unterschied zwischen Schenken und Tauschen nicht klar wird. Im schlimmsten Falle ist das „Schenken“ dieser Organisationen nur ein Vorwand für Herrschaft und Profitabschöpfung.
Ich habe das alte Sprichwort, dass es besser ist, den Armen keinen Fisch zu schenken, sondern sie fischen zu lehren, mit einer Wendung gehört, die die Notwendigkeit sozialer Veränderung betonte. Demnach müssen wir uns zunächst fragen, wie es überhaupt zur Armut kommt. Warum haben Menschen keinen Zugang zum See, sodass sie sich das Fischen nicht selbst lehren können? Ist er Privateigentum? Ist er kontrolliert von einem Konzern oder einer Regierung? Ist es überhaupt denkbar, dass eine Gruppe hungriger Menschen an einem See lebt, zu dem sie freien Zugang hat, ohne dass sie sich das Fischen lehren würde?
Der Grund für den Mangel ist der Tausch bzw. das gesellschaftliche System, das auf dem Tausch beruht. Projekte einzurichten, die Menschen in das Marktsystem integrieren, wird den Mangel nicht beseitigen. Um ihn wirklich zu beseitigen, müssen wir eine Änderung im Bewusstsein schaffen, die allen erlauben wird, seine systematischen Gründe zu erkennen.
Es ist wichtig, Alternativen zum patriarchalen Kapitalismus zu schaffen, Experimente, die auf den ökonomischen Modellen verschiedener so genannter „primitiver“ Völker außerhalb des Marktsystems beruhen. Alternative Projekte müssen gefördert werden. Die Etablierung nicht-monetärer Schenksysteme etwa, oder Projekte, die versuchen, enteigneten Menschen Land zu verschaffen und es fruchtbar zu machen, sodass diese Menschen dort leben und anbauen können. (Viele Frauen haben bereits damit begonnen, Land mit anderen Frauen zu kaufen und zu teilen.) Diese Projekte müssen zum Teil auch durch monetäres Schenken (also finanziell) unterstützt werden. Dies stellt eine eigene ökonomische Form dar, die auch parasitär ist – doch in Bezug auf den Kapitalismus, also gewissermaßen ein Parasit des Parasiten, der eine Meta-Perspektive (parasight) einnimmt und eine andere Praxis ermöglicht. Das Finanzieren von Schenkökonomien bestätigt dies. Hier wird geschenkt, um zu schenken.
Indem die Existenz von Alternativen geltend gemacht wird, können wir der Differenz zu ihrem Wert verhelfen und uns von der Besetzung der kapitalistischen Gleichheit befreien. Wenn wir genau hinhören, können wir sogar von Frauen, die sich im Inneren der Klassen, die vom Istgleichzeichen (=) beherrscht werden, befinden, die Bestätigungen des ersten Gebots der altruistischen Vernunft vernehmen: „Versuche etwas anderes! Dies hier funktioniert nicht!“
Rhea war die ursprüngliche ägäische Muttergöttin, auch Mutter Zeit.
Mater-Mutter
Materie/Geist, mater(Mutter)/Atem sind wahrscheinlich falsche Gegenüberstellungen. Die Illusion ist, dass mater sich nicht kümmert (that mater doesn’t mind ), weil sie anderen Wichtigkeit zuschreibt und nicht sich selbst. Doch in Wirklichkeit bedeutet dies nur, dass sie sich mehr kümmert (minds more)! Was wir stattdessen tun müssen, ist, dem Denken Bedeutung zuzuschreiben bzw. es mütterlich werden zu lassen (make mind mater).
Atmosphärischer Druck bewegt die Luft und befriedigt damit das Atembedürfnis, das wir aufgrund der Ausdehnung unserer Lungen entwickeln. Viele Teile der Natur befriedigen Bedürfnisse: vom Chlorophyll im Blatt, das der Wurzel Zucker zukommen lässt, bis zum Plankton am Meeresgrund, wo sich Wale tummeln, ernähren und spielen; oder von alten Steinen, mit denen wir unsere Häuser bauen, bis zur Töpferscheibe.
Auch die Bedürfnisse sind ein Teil der Natur und sind kreativ. Lebewesen passen sich an das, was gegeben ist, an und ändern es. Mater(ie) (mat(t)er) ist bereits Verstand (mind): ihre verschiedenen Teile unterstützen einander, sie entwickelt Bedürfnisse und befriedigt sie. Der menschliche Verstand hat sich jedoch von seiner Matrix gelöst und dem Tauschprinzip angepasst. Er erscheint damit heute als Ursprung seiner selbst. Indem er sich von Schenkenden – Frauen, der inneren Mutter und dem inneren Kind, den Vielen – versorgen lässt, denkt er nicht an sie und schließt sie aus (the mind is not minding about them). Besetzt von seiner Ego-Orientiertheit, konzentriert sich der Verstand nur auf sich selbst.
Vielleicht kann der Verstand (und auch das Gehirn) besser verstanden werden, wenn wir ihn von der Perspektive des Schenkens aus betrachten. Wenn wir der Materie die mater zurückgeben, können wir sehen, wie sie sich kümmert (minds), auf welche Weise der Verstand mütterlich ist und wie wir die mater als eine Gegebenheit begreifen können. Der Geist hat wenig mit Reflexion zu tun hat (hardly matters in reflection); er ist Atem auf dem Spiegel, etwas, das zu einer anderen Kategorie gehört. Die Mutter und der Wind funktionieren gemäß ähnlicher Prinzipien. Auch sie begeben sich dorthin, wo es eine Lücke gibt, eine Leere, ein Bedürfnis. Sie bringen die Wörter, die wir hören müssen, um unsere Gemeinschaften wieder formen zu können.
Mutter Fürsorge
Ich gehe am Land spazieren. Es gibt so viele einzigartige Lebewesen, Insekten, Pflanzen, Blumen, die an verschiedenen Orten und in verschiedenen Formen wachsen. Auf jedem Quadratmeter unserer Erde findet ein wunderbarer, anmutiger, vielfältiger Tanz von Pflanzen und Tieren statt. Jede Art ist dabei auf ein Wort als ihrem Namen bezogen, aber sie sind in Rhealität (rhea-lly) weit davon entfernt, gleich zu sein, auch wenn die Kombination von Kategorie, Definition und Tausch heute Bedingungen geschaffen hat, die uns dies glauben lassen. Wir sehen keinen Grund mehr darin, in den Wald zu gehen, um Beeren zu holen – wir können das genauso im Supermarkt tun.
Die Göttin ist nicht völlig zerstört worden. Im Vorbereiten, Kochen und Essen der Nahrung, im Fühlen, im Bewegen, in vielen Arten des Vergnügens – vom Sex über die Poesie bis zum Beobachten eines Sturms – können wir ihre Geschenke immer noch spüren. Die männliche Gewalt zwingt die Realität hingegen zu Geschenken. Dies ist etwas anderes. Das Resultat ist Graben, Bohren, Bomben. Die Maskulisierung erzwingt Geschenke, weil sie sich deren Erhalt versichern will. Diese Sicherheit wird von ihrem künstliche Tauschego verlangt.
Wir müssen die Rhealität als die Mutter Natur sehen, als die Mutter Fürsorge. Ihr wird angetan, was uns angetan wird: ihr wird genommen, damit sie zum Schenken gezwungen werden kann. Damit wollen die Männer demonstrieren, dass sie sowohl die Rhealität als auch die Realität kontrollieren. Dies tun sie, indem sie der Natur keine Fürsorge zukommen lassen und dem Schenken keinen Wert. Das Negieren der Mutter lässt es so erscheinen, als würden die Grundlagen des Lebens aus dem mechanischen Ursache-Wirkung-Verhältnis, der kausalen Wenn-Dann-Beziehung und aus objektiven Tauschprozessen bestehen. Damit wird ein immenses Spektrum fürsorglicher Intentionalität verdrängt, das vom Wind oder der Amöbe, die nach einem schmackhaften Happen sucht, bis zur feministischen Revolution oder einem Gutenachtlied reicht – also vom „am wenigsten“ zum „am meisten“ Menschlichen. In jedem Fall beginnt alles – ontogenetisch wie phylogenetisch – damit, dass Mütter ihre Kinder versorgen.
Emotion
Die Erhaltung der Welt schreibt ihr immer noch materiellen Wert zu, aber niederen. Trotz der Monetarisierung und des Tausches vermögen Frauen (und manchmal auch Männer) weiterhin Bedürfnisse zu erkennen, sowohl emotional wie intellektuell. Ich denke, dass es die Verbindung mit den Bedürfnissen anderer und unseren eigenen ist, die die Grundlage menschlicher Emotionalität bildet. Völlig im Tausch aufgehende maskulisierte Egos sind Bedürfnissen notorisch entfremdet, „gefühllos“ – und unglücklich. Bedürfnissen Aufmerksamkeit zu schenken, scheint irrational zu sein, da das, was wir als rational erachten, auf dem Tausch beruht. Nachdem wir dem Tausch erlaubt haben, unsere Welt zu durchdringen und das Schenken zu blockieren, wurden unsere Werte manipuliert. Sie wurden abstrakt und haben sich ihrer Rolle im Schenkkontext entfremdet. Heute kommt nur noch der Abstraktion selbst Wert zu.
Unbefriedigte Bedürfnisse legen Emotionen offen, und es sind diese Emotionen, die Aufmerksamkeit auf die Bedürfnisse lenken (und ihnen Wert schenken), sodass sie befriedigt werden können. Doch werden diese Emotionen oft ignoriert, abgewertet und von der Logik des Eigeninteresses verdrängt. Der ausschließliche Wert, der abstraktem Denken zukommt, entzieht unseren Bedürfnissen jede Aufmerksamkeit. Auch wenn abstraktes Denken manchmal der Befriedigung komplexer Bedürfnisse dienen kann, wird es leicht zu einem Selbstzweck und fungiert als Rechtfertigung dafür, sowohl Bedürfnisse als auch die auf sie verweisenden Emotionen gnadenlos zu missachten.
Das Patriarchat hat die Realität verdinglicht (re(x)-ified ). Es hat das Netzwerk seiner selbstähnlichen Bilder (seiner phallisch besetzten Kategorien) ausgedehnt und die Geschenke der Gemeinschaft beansprucht, so wie ein Old Boys Network von Geschäftsleuten neue Märkte beansprucht. Die Realität nach diesen Bildern zu formen, verdrängt ihre Fürsorglichkeit, macht Bedürfnisse unsichtbar und wertet die Emotionen ab, die mit den Bedürfnissen in Zusammenhang stehen. Die Realität wird mechanisch und „objektiv“. Das Gegebene wird nur als wichtig erachtet, wenn es in Kategorien organisiert und auf ein Eines bezogen werden kann. Wir sind jedoch immer bereit, Geschenke zu empfangen, auch wenn wir uns das nicht eingestehen wollen. Und die Realität ist immer fürsorglich, auch wenn abstrakte Kategorien das zu verbergen und zu verleugnen versuchen. Das Netzwerk der Kategorien – das selbstähnliche System – ist ein unsichtbares, abstrakt aufgezogenes Netz. Es entzieht den wirklichen Geschenken der Göttin Rhea unsere Aufmerksamkeit und richtet sie stattdessen auf die Götter Rex und Res.
Anm. d. Übers.: Dieser Abschnitt beinhaltet eine Reihe englischer Wortspiele, die im Deutschen nicht wiedergegeben werden können. Die dabei verwendeten Begriffe sind mind als „Verstand“, to mind im Sinne von „sich kümmern“, mater (lat.) als „Mutter“, matter als „Materie“ und to matter als „von Bedeutung sein“. Ich werde an den betreffenden Stellen den Übersetzungen die Originalformulierungen in Klammer hintanstellen. Erbe und Umwelt bezeichnen letztlich nur unterschiedliche Schenkquellen. Das Erbe ist verantwortlich für das, womit wir von unseren Vorfahren „ausgestattet“ wurden. Die Umwelt ist verantwortlich für das, was uns von unserem sozialen Umfeld „zugetragen“ wird. Archäologen wie Richard Leakey denken, dass sich ein großer Teil der menschlichen Evolution dem Altruismus zu verdanken hat, vor allem ausgedrückt im Teilen der Nahrung. Allerdings räumt er auch dem Konkurrenzverhalten eine Rolle ein. Dabei sollten wir jedoch nicht vergessen, dass unsere Interpretation der Vergangenheit bereits von den gegenwärtigen Konkurrenzverhältnissen geprägt ist.
Anm. d. Übers.: to reify = verdinglichen; rex (lat.) = die Sache, das Ding.
Ich denke, dass der englische Ausdruck carnal knowledge (carnal = körperlich, knowledge = Wissen – Anm. d. Übers.) für Geschlechtsverkehr gut gewählt ist. Ein großer Teil unserer Erfahrung von Liebe und Sex hat damit zu tun, die andere Person nicht nur spirituell, sondern auch körperlich kennen zu lernen und wahrzunehmen – gemäß dem Saatkorn des Schenkens und Empfangens. Dieses Wissen impliziert ein Ausgerichtet-Sein auf die andere Person, die zum Teil die Grundlage für die – aus der Liebesliteratur sehr bekannte – Erfahrung ist, „sein Selbst zu verlieren“. In einer Gesellschaft, die nach dem Muster des Tauschprinzips aufgebaut ist, haben viele von uns jedoch gelernt, nicht auf Andere ausgerichtet zu sein. Liebe kann somit zu einer überwältigenden Erfahrung werden, zu einer Erforschung der Schenkökonomie, einer Möglichkeit, die Welt neu wahrzunehmen und eine menschliche Gemeinschaft – wenn auch nur von Zweien – zu schaffen.
In der Liebesbeziehung verbinden wir uns gemäß des Schenkens. So wie Adam die Geschöpfe Edens benannte und mit Eva über sie sprach, so werden wir der spezifischen wie allgemeinen Charakteristika der geliebten Person bewusst, aber auch des Bewusstseins, dass sie von sich selbst haben. Die Liebe verändert unsere individuellen Einstellungen des Auf-Andere-Ausgerichtet-Seins, zumindest für den Augenblick. Wir beginnen, einander zu brauchen, und wir wollen einander schenken. Ja wir beginnen sogar, das Bedürfnis der anderen Person nach uns zu brauchen, danach, dass wir ihr schenken. Damit verbinden wir uns mit ihren Begierden. Vielleicht ist es der auf Andere ausgerichtete Aspekt der Liebe, der uns in dieser Gesellschaft, in der wir leben, dazu bringt, über sie zu singen, zu reden und uns so sehr nach ihr zu sehnen. Selbst PredigerInnen und FriedensaktivistInnen sagen: „Liebe ist der Weg!“ Die einzigen, die das nicht tun, sind Ökonomen. (Und Therapeuten, die sich um co-dependency Sorgen machen).
Es gibt einen Teil unseren Verstandes (unseres wirklichen Verstandes), der uns sagt, was wir tun sollen. Er verwendet dazu oft die Beziehungen, in denen wir uns befinden. Ich denke, es ist für diesen Teil des Verstandes schwierig, allgemeine Bedeutung zu erhalten. Ich brauchte eine Zeit, um zu erkennen, dass es sich dabei wirklich um Ökonomie handelt. Was uns unser Verstand sagt, ist: „Schenke! Ändere das Ego! Sorge für die andere Person im Überfluss!“ Freud und Autorinnen wie Nancy Friday, die fanden, dass wir in den Beziehungen, die wir mit Männern eingehen, nach unseren Müttern suchen, haben das Lodern der Schenkökonomie gesehen, das für die meisten unsichtbar geworden ist.
Tatsächlich kann die Liebesbeziehung einen Mann dazu bringen, auf eine fürsorglichere Weise zu handeln, als er das je zuvor getan hat. Sie kann ihn dazu bringen, sein Ego beiseite zu schieben und wie eine Mutter ihrem Kind gegenüber zu handeln („I love you, Baby!“), insbesondere wenn die Mutter es auch gewöhnt war, in der Tauschökonomie zu leben und ihre Werte angenommen hat. Das Gefühl des Glücks, das von reziproker Fürsorge in der Liebesbeziehung kommt (die auf dem Rollenwechsel und nicht auf dem Tausch beruht), ist die Erfahrung der Schenkökonomie zwischen Erwachsenen. Diese Erfahrung wird weiter bestärkt von der Tatsache, dass die Liebesbeziehung eine Gemeinschaft von Zweien ist, da in den Ökonomien unserer meisten gegenwärtigen Gemeinschaften die Fürsorge keine Rolle spielt. Es mag so aussehen, als würde die Liebesbeziehung einen Ort des Glücks in einer verrückt gewordenen Welt bilden – und sie tut es.
Doch auch die Gemeinschaft der Zweien wird bald von ihrer feindseligen Umwelt geändert und ihr Fortbestehen wird bedroht. Wie eine tropische Blume, die in einem nördlichen Klima wächst, braucht sie zum Überleben spezielle Bedingungen, harte Arbeit, Aufmerksamkeit, Schutz – all dies kann Gefühle der Wärme und des Überflusses bald verdrängen, sodass die zarte Pflanze zu fühlen beginnt, dass sie wirklich am falschen Ort ist. Dies passiert auch mit der Liebe. Doch dies ist nicht ihre Schuld, sondern jene des allgemeinen Mangels an Liebe bzw. des allgemeinen Mangels überhaupt. Je mehr vom Mangel geschaffenes Elend es in der Welt gibt, desto feindseliger werden die Bedingungen für die Liebesbeziehung in ihrer Mitte.
Die Liebenden werden dazu gezwungen, sich an die ökonomische Bedingungen anzupassen. Gewöhnlich teilen sie die Arbeit nach heterosexuellen Mustern auf: der Mann tritt zur Gänze in die Tauschökonomie ein, während die Frau fürsorglich ist (selbst wenn auch sie in die Tauschökonomie involviert ist). Ihre Egos verändern sich entsprechend. Frauen geben uns nach wie vor unser größtes Geschenk, indem sie Kinder auf die Welt bringen und sie in das Schenkprinzip einführen. Die völlige Abhängigkeit der Kinder erfordert dies. Den in der Tauschökonomie konkurrierenden Männern fehlt der Rettungsanker der Kinder bzw. der Notwendigkeit, sie versorgen zu müssen, um sich wenigstens zum Teil psychologisch vom Tauschprinzip abgrenzen zu können. Die Anteilnahme an der Tauschökonomie scheint die einzige Überlebensmöglichkeit für sie und ihre Familie zu sein. Auch die Frauen glauben dies oft und beginnen daher, in ihren Partnern (und manchmal in sich selbst) jene Charakteristika zu stärken, die ihnen helfen, in der Tauschökonomie erfolgreich zu sein. Die Liebe und Fürsorge wird bis zu einer passenderen Zeit aufgeschoben. Schlussendlich mag die Erfahrung der Liebe sogar als kindisch erscheinen, als „Illusion“. Der vermeintlich kindische Charakter kommt dabei freilich daher, dass die Beziehung zwischen Mutter und Kind die einzige merkliche Erfahrung der Schenkökonomie ist, die die meisten von uns je erlebt haben.
Das Schenken, umgeben vom Tausch
Frauen erfüllen oft sowohl Schenk- als auch Tauschrollen. Im Rahmen der Tauschökonomie bekommen sie für ihre Arbeit weniger bezahlt als Männer. Dies nicht nur deshalb, damit ihre Unterlegenheit und die des Schenkprinzips demonstriert wird, sondern auch damit sie weiterhin von ihrem Mann ökonomisch abhängig bleiben. Das Geld, das sie von ihrem Mann bekommen, scheint eine Art Entlohnung für ihre Fürsorge zu sein. Mit anderen Worten, die Fürsorge, die die Frau sowohl ihrem Mann als auch ihrer Kindern zukommen lässt, soll durch das Geld des Mannes kompensiert werden. Damit wird die Fürsorge dem Tauschprinzip einverleibt, von ihm eingenommen und beinahe selbst zu einem Tausch verkehrt. Das Geld, das die Frauen erhalten, ist jedoch in den seltensten Fällen genug, um wirklich die materiellen Mittel zur Fürsorge der Familie sicherstellen zu können. Im Rahmen des Mangels scheint die freie Arbeit der Frauen eine Art Sklaverei zu sein – und manchmal ist sie es wirklich. Es wird uns erklärt, dass das Gegenteil der Sklaverei die Lohnarbeit ist. Doch das wirkliche Gegenteil der Sklaverei ist das Schenken in einer Gesellschaft des Überflusses.
Heute ist die Möglichkeit, Überfluss zu schenken, nur eine Möglichkeit für reiche Menschen. Meist für Menschen in Familien, in denen der Mann in der Tauschökonomie Geld verdient und die nicht direkt in die Tauschökonomie eingebundene Frau Zeit hat, Fürsorge auf einer gesellschaftlichen Ebene zu praktizieren. Sie mag Voluntärsarbeit leisten oder Geld spenden – auch ihr Mann mag das tun. Doch Wohltätigkeit dieser Art unterminiert den Status quo nicht. Sie erleichtert es, Probleme auszuhalten, ohne deren Ursachen zu ändern. Außerdem verstärkt Wohltätigkeit im Rahmen patriarchal-kapitalistischer Logik nur den Eindruck, dass es zum Tauschmodus keine Alternative gibt – ja dass das Schenken vom Tauschen abhängig ist.
Wohltätigkeit bestätigt den Tauschmodus also, indem sie ihn als Voraussetzung sieht. Selbst die erfolgreichen Beispiele des cause-related marketing tragen diesen Fehler in sich. Was geändert werden muss, ist das gesamte System. Wir müssen das Schenkprinzip für alle richtungsweisend werden lassen – und wir müssen dies durch das Schenken tun.
Während es für uns psychologisch gut ist, andere im Überfluss zu versorgen, kann das Schenken im Rahmen des Mangels als ungewöhnlich erscheinen, sogar als Geste „Heiliger“. Dies kann dazu führen, dass geschenkt wird, um das eigene Ego zu befriedigen. Den Beschenkten kommt dann weder Respekt noch Wert zu. Dies entmenschlicht die Handlungen der Schenkenden und der Empfangenden. Bedürfnisbefriedigung darf nicht die Muster von Haben und Nicht-Haben reproduzieren, von „höheren“ und „niedrigeren“ Menschen. Bedürfnisbefriedigung ist Teil eines menschenwürdigen Lebens. Etwas, das sowohl die Personalität wie das materielle Wohlbefinden der Schenkenden und der Beschenkten pflegt. Etwas, das von der Demütigung und der Egomanie des Tauschprinzips befreit. Bedürfnisbefriedigung bedeutet Gemeinschaftlichkeit.
Die Art, auf die in unserer Gesellschaft Arbeit organisiert ist, verhindert die Entfaltung des Schenkmodus und der Schenkmentalität. Güter und Dienste werden für den Tausch produziert und ihr Wert wird – wie jener der Menschen selbst – monetär gemessen. Mit anderen Beziehungsformen experimentieren, können wir höchstens in unseren persönlichen Beziehungen. Dort können wir anderen schenken. Die Bedürfnisse anderer bleiben schließlich immer spürbar. Verhungernde Menschen starren uns von Fernsehbildschirmen an. Obdachlose schlafen frierend in Hauseingängen.
Es gibt einen zynischen, aber wahren Gedanken in Bezug auf das Schenken: „Wenn ich alles, was ich habe, einer anderen Person gebe, wird diese bloß genauso ego-orientiert, wie ich es jetzt bin.“ Solange das Tauschprinzip vorherrscht, werden tatsächlich immer irgendwelche haves die have-nots unterdrücken – dies hat mit der Logik des Systems zu tun, nicht mit der persönlichen Identität der haves. Wenn eine Person, die etwas mehr auf Andere ausgerichtet ist als gewöhnlich, einer anderen Person ihr Geld gibt, mag dies tatsächlich dazu führen, dass diese Person schlicht ego-orientierter wird und sich die Rollen gewissermaßen nur vertauschen.
Das Geheimnis bleibt zu schenken, um das System zu ändern und das Schenkprinzip zu bestätigen. Jede bedürfnisbefriedigende Handlung, die im Bewusstsein dieses Prinzips vollzogen wird, hilft dabei.
Anm. d. Übers.: Der Begriff cause-related marketing wird heute oft verwendet, um Geschäftsstrategien zu beschreiben, die ökonomische Gewinne für „gute Zwecke“ erzielen sollen. Oft handelt es sich dabei um Kollaborationen zwischen Wirtschaftsunternehmen und gemeinnützigen Organisationen.
Sexuelles Schenken
Ich denke, dass wir versuchen, kommunikatives Schenken auch in unseren Liebesbeziehungen zu praktizieren. Etwa durch Promiskuität. Auch wenn wir aufgrund des Mangels, in dem wir leben, materiell nicht schenken können oder überzeugt wurden, dass materielles Schenken unserem Wohl nicht zuträglich ist, regt uns unser Unbewusstes immer noch dazu an zu schenken und wir tun dies sexuell. Diese Form des Schenkens erlaubt es uns, die Emotionen des Schenkens und Empfangens auf unserer Haut zu spüren. Es erlaubt uns, etwas für jemand anderen zu tun bzw. das Bedürfnis einer anderen Person zu befriedigen, ohne Güter vermitteln zu müssen. In der Tat wird es oft als peinlich empfunden, wenn sexuelles Schenken mit einem Austausch von Gütern oder Geld verbunden wird. Die meisten von uns denken, dass sexuelles Schenken und Empfangen eine normale Begierde sei. Promiskuität erlaubt es uns, mehreren Person auf dieser Ebene zu schenken, auch wenn uns der Mangel nicht erlaubt, ihnen materiell zu schenken.
Wir erleben die Probleme unserer Gesellschaft in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen. Zum Beispiel schenken Frauen ihren Kindern oft zuviel oder sie schenken gewalttätigen Ehemännern. Ich denke, dass das Problem darin liegt, dass wir einerseits unbewusst realisieren, dass das Schenken der Weg zur Lösung unserer Probleme ist, dass wir andererseits jedoch nicht verstehen., wann und wo wie geschenkt werden soll. Auch verstehen wir nicht, dass es schwierig ist, angemessen zu schenken, solange das Schenkprinzip das Tauschprinzip nicht allgemein als das soziale und gesellschaftliche Paradigma abgelöst hat. Ich denke, dass es gegenwärtig eine Verwechslung zwischen materieller Fürsorge und Liebe gibt. Dies führt dazu, dass wir meinen, Menschen zu lieben, jedes Mal, wenn wir versuchen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Jede Bedürfnisbefriedigung scheint dann ein Ausdruck von Liebe zu sein, selbst wenn es das Bedürfnis eines Gewalttäters ist, uns weh zu tun.
Aber vielleicht ist der Grund für dieses Missverständnis auch die Verwechslung zwischen dem Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein, wie es sich im Sex und in der Liebe ausdrückt, und dem materiellen Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein, wie es sich in der Praxis angemessenen Schenkens ausdrückt. Wir könnten damit beginnen, dieses jetzt gleich zu praktizieren, wenn wir nur unsere Zeit, unser Geld und unsere Energie dafür aufwenden könnten, die Strukturen der Unterdrückung zu ändern. Wenn wir uns vom Schenkprinzip leiten lassen, dann wird die gesamte Gesellschaft auf Andere und auf gegenseitige Bedürfnisbefriedigung ausgerichtet, sodass wir den Ruf der Bedürfnisse anderer immer vernehmen werden.
In diesem Falle würden sich auch unsere Bedürfnisse selbst verändern, inklusive die unserer Liebesbeziehungen. Wenn wir beginnen würden, die Bedürfnisse aller Menschen zu berücksichtigen, dann könnten wir auch die Bedürfnisse unserer Geliebten besser befriedigen. Wenn wir ihnen auf verschiedenen Ebenen schenken können, dann wären wir für „bedeutungsvolle“ Kommunikation nicht vom Sex abhängig. Ein wirklich bedeutungsvolles Leben ist eines, indem wir einander durch Schenken und Empfangen Wert zuschreiben – und in dem diesem Prozess selbst Wert zugeschrieben wird.
Gegenwärtig sind wir in unseren Beziehungen deshalb so voneinander abhängig, da sie der einzige Ort sind, an dem die meisten von uns wenigstens in irgendeiner Form schenken und empfangen können, selbst wenn dies keine perfekte Form ist. Wir empfinden unser Beziehungsleben deshalb oft als den „menschlichsten“ Teil unseres Existenz und klammern uns an ihn. Eine Beziehung zu verlieren, wird zur Bedrohung unserer Menschlichkeit. In diesem Sinne bildet das sexuelle Schenken und Empfangen, das verschiedene Bedürfnisse in unserem Körper schafft und befriedigt, eine Gemeinschaft, die schwer aufzugeben ist.
Unser Selbst entwickelt sich in dieser Gemeinschaft auf ähnliche Weise, wie es sich in unseren Familien entwickelte, als wir als Individuen unterschieden und kategorisiert wurden. Das maskulisierte bzw. auf dem Tausch beruhende Ego neigt immer dazu, ausschließend, feindselig und Intimität verleugnend zu sein. Es ist immer bereit, andere zur Bestätigung der eigenen Größe und Wichtigkeit auszunutzen. Nachdem vor allem Männer so sozialisiert werden, erlaubt ihnen dies oft die Zerstörung der sexuellen Gemeinschaft. Verführen und Verlassen („love ’em and leave ’em“) ist der Ausdruck dieser machistischen Störung – manchmal selbst, wenn es Frauen sind, die dies tun. Der in der Konkurrenz der Tauschökonomie ausgebildete Herrschaftswunsch kann sich in persönlichen Beziehungen in Form von physischer Gewalt, psychischem Terror oder sozialem Ausschluss manifestieren.
Das Versorgen des Wettbewerbs
Das Schenk- und das Tauschprinzip funktionieren Seite an Seite und stellen zwei unterschiedliche Rahmen dar, in denen sich unser Leben ereignet. Was in einem Rahmen als adäquat gilt, gilt im anderen als zerstörerisch. Die Sache verkompliziert sich, wenn der Tauschrahmen mit seinem Diktum des „Überlebens des Stärkeren“ als Unterstützung für den familiär-fürsorglichen Rahmen gesehen wird. Dies führt zu Vorstellungen wie jenen, dass es die Familien der Stärksten sind, die in der Tauschökonomie überleben werden. Dies ist jedoch eine Illusion, da der tauschökonomische Rahmen fürsorgliches Verhalten nie stützen kann, sondern es stattdessen permanent bedroht. Es ist die Fürsorge, die den Tausch erhält – nicht umgekehrt! Ohne Fürsorge gäbe es keinen Tausch, da der Tauschmodus die Geschenke der Fürsorge braucht, um existieren zu können.
Auch Tauschende (Konkurrierende) selbst gäbe es ohne die Fürsorge nicht. Oft ist es sogar die individuell erfahrene Fürsorge, die darüber entscheidet, wer sich in den Konkurrenzkämpfen der Tauschökonomie durchsetzt und wer nicht. Insofern beruhen auch die Belohnungen, die die in der Tauschökonomie Erfolgreichen erhalten, auf der Fürsorge, die ihnen zuteil wird. Oft beinhalten diese Belohnungen diejenigen, die die Fürsorge leisten, selbst. Sowohl schöne und sexuell begehrenswerte Frauen als auch so genannte „gute Ehefrauen“ werden oft als Preise erfolgreicher Männer gesehen.
Auf der individuellen Ebene nehmen wir diese Verbindungen zwischen Tausch- und Schenkprinzip nicht wahr und unser Handeln scheint persönlich und willkürlich zu sein. Wenn wir allerdings den gesellschaftlichen Kontext betrachten, dann können wir sehen, wie die beiden Prinzipien miteinander verbunden sind und wie sie sich ergänzen. Doch ist es vorteilhaft für die dem Tauschprinzip verhafteten Privilegierten, wenn diese gesellschaftliche Ebene nicht betrachtet wird. Schließlich würde dies den unterprivilegierten Fürsorgeleistenden unter Umständen erlauben, zu Bewusstsein zu gelangen und sich zu befreien. Die Privilegierten versuchen vielmehr – wie viele Parasiten – sich mimetisch den Anschein zu geben, selbst die Fürsorgenden zu sein.
Wertakzente
Die beiden Prinzipien werden auch deshalb unterschieden, da die Fähigkeit der Definition und ihrer Reproduktionen – das Messen und Einschätzen von Wert, das Vermitteln von Privateigentum durch Ersetzung, das Etablieren von Äquivalenzen – post hoc als Aufgabenbereich der Maskulisierung gesehen werden. Von Frauen wiederum heißt es, dass sie der Erfahrung verhaftet sind, wobei Erfahrung dem Schenkmodus zugerechnet wird. Dies auch nicht zu unrecht. Schließlich sind unsere Wahrnehmungen und Erfahrungen frei, im Sinne dessen, dass sie uns geschenkt werden. Obwohl wir manchmal selbst initiativ werden müssen, um eine bestimmte Erfahrung zu machen (zum Beispiel müssen wir aus dem Haus gehen, um die Sonne sehen zu können), gibt es immer etwas Gegenwärtiges, das erfahren wird. Unser Weltbild und unsere Bedürfnisse bestimmen, welcher dieser Wahrnehmungen wir besondere Bedeutung schenken, auf welche Gegebenheiten wir uns konzentrieren. Unser Weltbild hängt dabei zu einem großen Teil von vergangenen Erfahrungen und dem Grad unserer jeweiligen Involviertheit in den Tausch- oder den Schenkmodus ab, sowie von Wertakzenten, die von Sprache und Kultur vermittelt werden.
Frauen werden von Männern der Seite des Lebens zugeschrieben, auf die in ihrer Zuschreibung auch Wahrnehmung, Körperlichkeit und Emotionalität fallen. Nachdem wir so identifiziert wurden, verfügen Männer über uns und machen uns zu einem Mittel, über das sie kommunizieren können. Ich habe davon gesprochen, dass sich Frauen auf der Seite des Schattens befinden, der Seite der Mater(ie) und der Vielen. Hier liegt die Grenze der Schenkökonomie – genauso wie die Sprache die Grenze der Tauschökonomie ist.
Die Seite der Mater(ie) und der Vielen geht jedoch verloren, da wir uns nur auf die Sprache konzentrieren. Hinter der Sprache und dem empirisch Gegebenen liegt die unbezahlte Arbeit der Jahrhunderte. Diese wurde von Frauen getan, die die Aufrechterhaltung und Vermittlung sowohl der materiellen wie der kulturellen Güter der Gesellschaft gewährleisteten. All diese Geschenke der Vergangenheit bestimmen, worauf sich unsere heutige Erfahrung konzentriert – das heißt, welche Teile unserer Kultur wir bestehen lassen, wie wir unsere Welt gestalten, usw. Sogar uns selbst können wir als Geschenke sehen, da auch wir von anderen kommen. Im gleichen Sinne wären unsere Kinder Geschenke an die kommenden Generationen. Unsere auf Andere ausgerichteten Egos sind weniger selbstähnlich als die Egos maskulisierter Einer. Sie sind transparenter und gehen direkter auf andere zu. Sie filtern ihre sozialen Wahrnehmungen nicht. Wir sind die Kinder, die sich unserer Mütter erinnern. (Und die Mütter, die sich ihrer Kinder erinnern – und von diesen erinnert werden).
Unsere „männlichen“ und „weiblichen“ Seiten sind – zumindest in der ausgeprägten Form, in der sie uns in den westlichen Gesellschaften erscheinen – eine Reflexion der Opposition von maskulisiertem Tauschego bzw. der Tauschökonomie auf der einen Seite und einem auf Andere ausgerichteten Selbst bzw. der Schenkökonomie auf der anderen. Nachdem die beiden Ökonomien in der Gesellschaft Seite an Seite bestehen, können auch beide Egostrukturen gleichzeitig internalisiert werden. Dies schafft eine Art hybride Persönlichkeit, die – auch wenn sie Aspekte einer Vermittlung und Vorteile von beiden Seiten beinhalten mag – in zahlreichen Paradoxa gefangen ist. Zum einen konzentriert sich die schenkende Seite in uns auf Bedürfnisse und vermag starke Emotionen zu erwecken – auf der anderen geht es dem maskulisierten Ego in uns um Unabhängigkeit und Herrschaft. Dies kann sich weder innerlich noch äußerlich vertragen.
Das maskulisierte Ego (und sein Denken) ist auf Vorteile für sich selbst und seine Familie bedacht. Ihm geht es um seine eigene Ausdehnung. Es sieht seine Erfahrung als objektiv – ohne Dimension des Schenkens, ohne Verantwortung seiner natürlichen wie kulturellen Umwelt und ihrer Bewahrung gegenüber. Dementsprechend nimmt es die Bedürfnisse anderer kaum wahr und verbindet nichts mit ihnen – dies gilt vom nicht gemachten Bett über das hungrige Kind zum Atommülllager. Das maskulisierte Ego schenkt seine Aufmerksamkeit der Sprache, Bürokratie und sozialen wie materiellen Mitteln, die es dazu verwenden kann, andere zu beherrschen bzw. ihnen zu befehlen, ihm zu schenken. Es ignoriert sogar seine eigenen Bedürfnisse, die daher von anderen befriedigt werden müssen – wie im Stereotyp des „lebensunfähigen“, „weltfremden“ Professors. Wenn es keine anderen gibt, die uns schenken können, kümmert sich die schenkende Seite in uns ausschließlich um uns selbst bzw. unser Ego. Die Folge ist, dass gar keine Teile unserer Persönlichkeit mehr auf Andere ausgerichtet sein können und wir immer noch selbstzentrierter werden.
Das Selbst der meisten Frauen ist immer zum Teil auf Andere ausgerichtet, da sie als fürsorgliche und schenkende Wesen sozialisiert wurden. Dies ändert sich auch durch den Eintritt in die Tauschökonomie nicht. Vielleicht ist dies die Erklärung für die Popularität von „Ich-zuerst!-Therapien“ unter Frauen. Von co-dependency-Selbsthilfegruppen zu Selbstbewusstseinstrainings lehrt uns die Gesellschaft des Tausches, uns selbst an die erste Stelle zu setzen. Glücklicherweise sind diese Therapien selten zur Gänze erfolgreich und wir Frauen können uns das Schenken als einen Teil unseres Selbst bewahren. Es mag dem Status quo opportun erscheinen, gegen das Schenken und seine Ideale und Ideen aufzutreten und für seine Auslöschung zu plädieren, aber in Wirklichkeit würde die Tauschökonomie dadurch zerstört werden.
Es gibt natürlich pathologische Fälle des Auf-Andere-Ausgerichtet-Seins, aber die Ego-Orientiertheit ist viel pathologischer. Sie schadet dem Leben des Planeten in all seinen Variationen – auch wenn sie als ein Modell der Gesundheit gepriesen wird. Niemand von uns versteht, in welcher Form wir an diesen schädlichen Prozessen teilhaben, da wir das Schenken nicht als eine Alternative zum Tausch begreifen. Doch es muss darum gehen, diese beiden Modelle vergleichbar zu machen – und nicht die Geschlechter gleich.
Die Gleichheit, die von der Maskulisierung und dem Tausch kommt, ist eine Gleichheit der Quantifizierung – eine quantifizierte Gleichheit. Das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein betont qualitative Vielfalt. Die Schenkökonomie stärkt individuelle Eigenheiten mehr, da sie diese nicht an einem uniformen quantitativen Standard misst. Wenn wir uns wirklich der Schenkökonomie als Prinzip verpflichten – anstatt sie abzuwerten und ihre Manifestationen zu dekontextualisieren – wird uns das auch dazu dienen, das Tauschprinzip wirklich verstehen zu können. Behauptungen wie: „Frauen sind so gut wie Männer“, könnten dann als Meta-Behauptungen gelesen werden, die sagen: „Das Schenkprinzip ist so gut wie (oder besser als) das Tauschprinzip.“
Urteile
Unter die Charakteristika des Tauschprinzips fällt das Urteil: die Macht, jemanden kategorisieren zu können. Der Tradition der Heirat entsprechend, der zufolge Frauen den Namen ihres Ehemannes annehmen, werden auch die Handlungen und Begierden von Frauen von Männern mit Namen belegt: sie werden als „gut“ oder „schlecht“ beurteilt, als „angemessen“ oder „unangemessen“, usw. Wir Frauen akzeptieren diese Urteile aufgrund unserer (sich ansonsten positiv auswirkenden) Ausgerichtetheit auf Andere. Es fällt uns nicht leicht, unsere eigenen Qualitäten zu beurteilen (auch wenn unser eigenes internalisiertes Ego das eigentlich für uns tun könnte). Fragen wie: „Bin ich intelligent?“, „Bin ich schön?“, „Bin ich gut?“ können zu unendlichen Martern werden. Auch dies kann zur Ego-Orientiertheit führen, die schließlich selbst die Form unseres Auf-Andere-Ausgerichtet-Seins bestimmen mag. Unsere Fähigkeit, uns selbst durch die Augen anderer zu sehen, erlaubt uns, deren Definition zu verinnerlichen und uns selbst auf die gleiche Weise zu beurteilen.
Wenn wir diese Definition dann ausleben, werden wir zum Definiens eines männlichen, auf uns selbst bezogenen Definiendums. Wir heischen um seine Anerkennung; um das Verdienen seines positiven Urteils. Wir verwechseln Bescheidenheit mit der Abwertung unseres Selbst und erlauben Stereotypen die Rolle von self-fulfilling prophecies anzunehmen. Auch die Trennungen zwischen Wort und Ding oder Geist und Körper werden von uns verinnerlicht, selbst wenn wir diese Trennungen heute, als Teilhabende an der Tauschökonomie, vielleicht etwas anders leben. Doch haben Frauen zum Beispiel die Linguistik aufgegeben, wie sie die Mathematik oder die Finanzwissenschaften aufgegeben haben, da sie diese als männliche Domänen und nicht als ihre sahen. Dies zeigt, dass es selbst heute vielen Frauen darum geht, unsere eigene positive Beurteilung über das Messen an einem männlichen Standard zu verdienen – einem Standard, der von maskulisierten Egos für Schenkende geschaffen wurde.
Ein Grundsatz des Schenkens ist, dass es nicht für Belohnung getan wird. Wenn wir also danach streben, von anderen beurteilt zu werden – oder auch, wenn wir uns selbst als „gut“ oder „schön“ beurteilen – dann befinden wir uns an der Grenze zum Tauschprinzip. Wenn wir jedoch von anderen abseits von männlichen Standards gelobt oder bestärkt werden, mag dies durchaus ein Geschenk sein, das wir mit Dankbarkeit empfangen können. Natürlich können uns Urteile wie „gut“ oder „schön“ auch geschenkt werden, wenn wir nicht danach gestrebt haben. In der Regel tun wir dies jedoch, da es uns schwer fällt, innerlich ganz dem Schenkprinzip verbunden zu bleiben. Wir streben nach diesen Urteilen von anderen, da es für uns schwierig ist, die Schenklogik in uns selbst aufrechtzuerhalten. Sind jedoch unsere eigenen Standards einmal manipuliert, entwickelt der Versuch, ihnen zu entsprechen, eine Dynamik, im Zuge derer wir uns immer mehr selbst manipulieren.
Vielleicht könnte uns die Selbstkritik, in der viele von uns schwelgen, erlauben, wieder eigene Standards zu etablieren, die dem Schenkprinzip entsprechen. Wir könnten uns eher für etwas, das wir falsch gemacht haben, kritisieren, als darauf abzuzielen, uns selbst als „gut“ zu beurteilen. Dies könnte zur Folge haben, dass wir unser Handeln nicht mehr so sehr von Belohnungen abhängig machen. Egotrips und maskulisiertes Verhalten könnten so vermieden werden und es könnte uns vielleicht gelingen, weiter dem Schenkprinzip zu folgen. Letzten Endes ist die Frage, welchem Prinzip wir folgen, wahrscheinlich weniger eine Frage von Manipulation oder Selbstbehauptung, sondern davon, wie wir uns in unzähligen verschiedenen Situationen verhalten. Welchem Prinzip unser Verhalten entspricht, zeigt sich in seinen Konsequenzen.
Wenn wir es brauchen, gebraucht zu werden
Wenn wir Frauen versuchen, unsere Attraktivität für Männer zu steigern, geht es darum, dass sie uns Aufmerksamkeit schenken, unsere Geschenke verwenden und uns das Geschenk ihres positiven Urteils zuteil werden lassen. Die Drohung der „alten Jungfer“ als einer Frau, die „nicht gut genug“ war, hängt als Damoklesschwert über uns. Das heißt, dass wir das Bedürfnis anderer brauchen, da wir nur durch die Bedürfnisbefriedigung das erfüllen können, was von uns erwartet wird: nämlich zu schenken, und zwar sowohl Güter wie Dienste als auch uns selbst. Während das Bedürftig-Sein also einerseits als ein Von-Anderen-Abhängig-Sein in unserer Gesellschaft abgewertet wird, ist es andererseits ein wesentlicher Aspekt der Widersprüche, die von der Koexistenz des Schenkens und Tauschens geschaffen werden.
„Übermütter“ kümmern sich manchmal zu lange um ihre Kinder. Sie tun dies, weil sie ein Bedürfnis danach haben, von ihren Kindern gebraucht zu werden. Dieses Bedürfnis rührt wiederum daher, dass ihr Schenken in der Familie gefangen bleibt. Es ist ihnen nicht möglich, Bedürfnisse außerhalb der Familie zu befriedigen. Sie können ihr Schenken nicht darüber ausdehnen, dass sie sich zum Beispiel für soziale Veränderung einsetzen. Paradoxerweise gibt es in einer Situation des Mangels auch einen Mangel an Bedürfnissen, die auf sozial akzeptierte und bedeutungsvolle Weise befriedigt werden können. Wenn die Schenkökonomie die Norm wäre, würden hingegen alle der Hilfe anderer bedürfen.
In einer Schenkökonomie würde das Schenkprinzip und die mit ihm verbundenen Persönlichkeitsstrukturen durch unser alltägliches Handeln unentwegt bestätigt werden. Allen Menschen stünden alle Möglichkeiten offen, ihre Fähigkeiten und Energien zur Befriedigung der Bedürfnisse anderer einzusetzen. Auch die Güter könnten frei fließen. Schenken und Empfangen würde nicht mehr länger als erniedrigend gelten, sondern als normal. Die Erde zieht uns zu ihr hin, das Wasser rinnt abwärts, der Wind bewegt sich gemäß atmosphärischen Drucks. Es gibt auch eine Schwerkraft und einen Druck in den menschlichen Beziehungen und dies muss respektiert werden. Der Tausch arbeitet wie ein Stausystem, das Wasser dazu bringt, aufwärts zu rinnen, weg von den Bedürfnissen und hin zu jenen, die ohnehin bereits mehr als genug haben. Unser Altruismus wird manipuliert und auf seinen eigenen Kopf gestellt. Wir müssen uns dagegen wehren und dem Wasser erlauben, dorthin zu fließen, wohin zu fließen es ursprünglich bestimmt war.
Leider lässt sich der Fluss jedoch sogar in unseren persönlichen Beziehungen manipulieren. Dies mag damit beginnen, dass wir voraussetzen, dass die Aufgabe einer anderen Person die ist, uns zu versorgen, und dass wir diese Fürsorge verdienen. Wir setzen diese Beziehung als „natürliche“ fest und bestehen auf sie. Wenn die andere Person nicht bereit ist, ihre Rolle zu spielen, zwingen wir sie dazu. Es ist furchtbar einfach innerhalb der Tauschökonomie in diese Logik zu verfallen. Schließlich ist dies, was in ihr als „normal“ gilt. Wenn wir in der Schenkökonomie leben würden, würden wir nicht nur die Bedürfnisse anderer wahrnehmen, beachten und befriedigen, sondern wir könnten auch darauf vertrauen, dass andere unsere Bedürfnisse befriedigen werden. Für eine maskulisierte Egostruktur gäbe es keine Notwendigkeit.
Das berechtigte Vertrauen darauf, dass unsere Bedürfnisse von anderen befriedigt werden, würde auch eine viel größere Transparenz unseres Alltags und seiner Erfahrungen erlauben. Es würde viel weniger Angst, Intoleranz und Hass geben, da wir uns nicht andauernd verteidigen müssten: gegen Gewalt, Vernachlässigung, Manipulation. Gleichzeitig würden wir das schlechte Gewissen verlieren, das oft damit kommt, anderen diese Dinge anzutun, um selbst überleben zu können. Mit anderen Worten, der natürliche Fluss unseres Mitgefühls würde nicht mehr länger blockiert. Auch unsere Angst, unser Selbstmitleid (die Ego-Orientiertheit des Mitgefühls) und unser Schmerz würden verschwinden. Es gäbe Klarheit.
Ich möchte hier noch einmal betonen, dass ich nicht denke, dass irgendjemand für die gegenwärtigen Bedingungen persönliche Schuld trägt, die ego-orientierten Personen eingeschlossen. Es ist das patriarchale System, das diese Bedingungen schafft. Darüber hinaus sind Begriffe wie Schuld und Büße Begriffe, die vom Tausch kommen und daher das Tauschprinzip bestätigen, selbst wenn sie vermeintlich gegen dieses angewendet werden. Was geschehen muss, ist, dass die selbstähnlichen sozialen Strukturen, die die Herrschaft des maskulisierten Egos aufrechterhalten, als künstlich und lebensfeindlich erkannt werden. Wir müssen begreifen, dass die Maskulisierung und ihre Projektionen sowohl für die Gesellschaft als auch das Individuum schädlich sind – aber auch, dass sie verändert werden können. Wenn wir die Bedürfnisse einer Person befriedigen, die ein maskulisiertes Ego besitzt (oder von einem solchen besessen wird), können wir oft merken, dass sie tatsächlich ein Bedürfnis danach hat, dieses Ego auseinander zu nehmen und neu zusammenzusetzen. Es wird deutlich, dass der Mensch ohne dieses Ego glücklicher wäre und dass das Glück davon kommen würde, sich mit anderen in gegenseitiger Bedürfnisbefriedigung zu verbinden.
Eine Gesellschaft, die das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein für alle zulässt – und weder einem „inneren Anderen“ noch einem externen Herrscher erlaubt, es zu manipulieren – ist möglich. Es muss nur der Maskulisierung ein Ende gesetzt werden und das Schenkprinzip das Tauschprinzip ablösen. Dann könnten wir jenen Werten folgen, denen die meisten Frauen (und auch manche Männer) bereits seit langem folgen.
Geld und Moral
Die Monetarisierung der Arbeit reproduziert nicht nur einige Aspekte der Definition (wie die Ersetzung oder die Äquivalenz), sondern sie wird auch zum Maßstab, an dem der gesellschaftliche Wert einer Person gemessen wird. Das Geld und der freie Markt machen uns glauben, dass der dazu verwendete Standard für alle gleich und objektiv sei, was eine negative Bewertung oder gar den Ausschluss aus der monetarisierten Ökonomie umso schlimmer macht. Nachdem die Gehälter von uns Frauen niedriger als jene der Männer sind, werden wir von Anfang an als für die Gesellschaft weniger definiert. Der ökonomische Bewertungsprototyp reproduziert sich ständig in allen möglichen Arten von gesellschaftlichen Urteilen und bestätigt immer wieder die Macht der Männer über uns. Schließlich bewerten wir uns selbst anhand monetärer Standards, die uns (und anderen) Attribute wie „gut“, „gescheit“, „effizient“, usw. zuschreiben.
Wie gesagt, der Standard, auf dem diese Urteile beruhen, scheint objektiv zu sein. Er entspricht den quantitativen Bewertungen des maskulisierten Egos. Wir sind eine Gesellschaft, die von solchen Bewertungen besessen ist – dies zeigt sich von Schulnoten über das Zählen von Kalorien oder den Wetterbericht bis zu psychologischen Tests, deren Resultaten wir erlauben, unser Verhalten zu beurteilen und zu bestimmen. Schließlich verinnerlichen wir diese Logik. Unser Gewissen wird zur Kontrollinstanz unseres Handels. Die negativen Effekte dieser Prozesse liegen auf der Hand. Es nimmt nicht Wunder, dass ein enormer Markt für Ideologien und Therapien entstanden ist, die eine Stärkung unseres Selbstvertrauens versprechen.
Wenn wir uns Bewertungen unterwerfen, schenken wir ihnen (und ihren Kriterien) Wert. Autoritäre Erziehung, Moral und Religion sollen sicherstellen, dass dies geschieht. Wenn wir uns diesen Bewertungen nicht unterwerfen, wird es für andere schwieriger – vor allem psychologisch – Herrschaft über uns auszuüben.
In unserem Streben nach Anerkennung wird eine Art sekundäres Tauschsystem geschaffen. Wir setzen unsere Handlungen der Bewertung anderer aus und deren positives Urteil ist unsere Belohnung. Selbst das Schenken geschieht dann oft mit diesem Hintergedanken. Wir sehnen uns nach einem Urteil anderer, das und als „gut“, „gescheit“ oder „kompetent“ bestätigt. Unsere Selbstidentität baut auf solchen Urteilen auf.
Zu bewerten („Urteile zu schenken“) erlaubt Menschen, Macht über andere auszuüben. Ein Grund, warum wir den Urteilen anderer soviel Bedeutung beimessen, ist, dass sie dem monetären Urteil des Lohns entsprechen, das wiederum dem monetären Urteil entspricht, das in der Festlegung eines Preises für ein Produkt impliziert ist. Selbst unsere Liebesbeziehungen folgen Mustern solcher bewertender Urteile. Jede von uns wird von ihrem Liebhaber beurteilt, ausgewählt als „bestes Produkt“ unter vergleichbaren. (Ökonomen sprechen sogar vom „Heiratsmarkt“.) All dies sollte nicht so sein. Die unbewussten Archetypen des Tausches bestimmen unser Leben. Wir wären um vieles glücklicher ohne sie.
Wie wir gesehen haben, kommt es selbst zur Internalisierung des Bewertungsprozesses und wir legen uns selbst die gesellschaftlichen Erwartungen, die an uns gestellt werden, auf. Wir beherrschen uns selbst. Wir bestätigen uns selbst als „gut“, usw., und erfüllen somit die Aufgabe der Moral, „richtiges Verhalten“ sicherzustellen. Allerdings heißt im Rahmen unserer Gesellschaft „richtig“ nur „richtig im Sinne des Tausches“.
Nachdem wir unfähig sind, existierende Probleme wirklich zu lösen oder einen sozialen Paradigmenwechsel herbeizuführen, kann die Moral – wie die Wohltätigkeit – vielleicht immer noch das Beste aus einer unglücklichen Situation machen. Vielleicht werden manche Individuen sogar psychisch gerettet, wenn sie sich wirklich darauf konzentrieren, „richtig“ anstatt „falsch“ zu handeln. Doch bleibt auch eine solche Rettung ego-orientiert. Das Tauschprinzip bleibt an seinem Platz.
Mitgefühl
Der Preis dafür, nicht für den Herrscher zu sorgen, kann in physischer Gewalt bestehen. Das „Geschenk“, für den Herrscher zu sorgen, ist damit ein erzwungenes – wie das „Geschenk“ der freien Arbeit der SklavInnen. Menschen im Patriarchat leben seit Jahrhunderten mit dieser Bedrohung. Die Vielen werden von den Einen bzw. den herrschenden Hierarchien bestraft, wenn sie nicht kooperieren wollen – und erst recht, wenn sie zu rebellieren wagen. Gehorsam wird unter solchen Verhältnisse zur Überlebensstrategie.
In einer solchen Situation mag persönliche Großzügigkeit wirklich als das einzige Mittel erscheinen, etwas gegen das Leiden zu tun. Wenn Menschen jedoch nur auf einer individuellen Ebene schenken, lassen sie das System als Ganzes unberührt. Wahrscheinlich würden viele dieser individuell fürsorglichen Menschen das System gerne ändern. Doch sie sehen die Zusammenhänge nicht oder denken, dass dies unmöglich sei.
Auf der Ebene der Familie ist viel an individueller Fürsorge in die Bewegungen gegen häusliche und sexuelle Gewalt geflossen. Diese Bewegungen richten zwar unsere Aufmerksamkeit nicht direkt auf andere Aspekte des Patriarchats – wie die Zerstörung der Natur oder den Militarismus – doch sie konzentrieren sich auf einen wichtigen Bereich, praktizieren die Werte der Fürsorge und sind organisiert. Andere Bewegungen – wie diejenigen für Frieden, Naturschutz, ökonomische Gerechtigkeit oder die Befreiung unterdrückter Völker – haben eine sozial weitere Perspektive, doch verstehen sie oft nicht, dass das Problem das Patriarchat ist und die Lösung in den Werten der Frauen liegt.
Selbst manche Regierungsvorschläge zur Lösung sozialer Probleme mögen gute Absichten haben. Vielleicht haben sie kurzfristig sogar Erfolg. Doch operieren sie auf der Grundlage des Tausches. Der Appell an die individuelle Verantwortlichkeit als Mittel, die Zahl der SozialhilfeempfängerInnen zu verringern und sie stattdessen in den Markt zu integrieren, ist zum Beispiel eine vermeintliche Lösung, die das Problem in Wirklichkeit nur vergrößert. Hier werden die Werte, die das Problem geschaffen haben, nur verstärkt.
Das Schenken des paternalistischen Staats ist erniedrigend und uneffektiv. Es schreibt dem Akt des Empfangens Schuld zu. Das Empfangen wird als Ausdruck von Passivität und Dummheit gesehen und verächtlich gemacht. Der Staat ersetzt kreatives Schenken und Empfangen mit der individuellen Integration in die Tauschökonomie und der Bestätigung maskulisierter kapitalistischer Werte.
Individueller Altruismus kann manchmal dazu führen, sein eigenes Schenken sozial weiter auszudehnen. Wenn es dabei jedoch keinen Versuch gibt, zu den Wurzeln des Problems zu gelangen, verbleiben wir in jedem Fall innerhalb des Tauschprinzips. Alles, was das Schenken dann tun kann, ist unser Leben und das anderer erträglicher zu machen. Radikal geändert wird nichts. Wenn Mitgefühl, Wohltätigkeit und Moral nur individuell praktiziert werden, können sie keinen Paradigmenwechsel herbeiführen. Ein solcher kann nur kollektiv herbeigeführt werden.
Darum ist es wichtig, dass Bewusstwerden der Frauen – die internationale Frauenbewegung – im Lichte des Schenkprinzips zu sehen. Die fürsorglichen Werte der Frauen sind die Werte des Schenkprinzips. Wenn sich Frauen demnach ihrer eigenen Werte bewusst werden und die Werte des Patriarchats zurückweisen, haben wir bereits ein Kollektiv, das mehr als die Hälfte der Menschheit mit einschließt. Das Schenkprinzip ist nicht anerkannt, aber nichtsdestotrotz tief und weit verbreitet.
Männer werden früh maskulisiert. Frauen werden von diesem Prozess erst später ergriffen – nämlich wenn sie beginnen, die Welt nicht durch ihre eigenen Augen, sondern durch die der privilegierten Einen zu sehen; durch die Augen derjenigen, die sich von uns entfremdet haben und die wir versorgen.
Indem wir Frauen uns unserer altruistischen Werte als richtungweisend bewusst werden, können wir für wirklichen gesellschaftlichen Wandel arbeiten, den Werten der Fürsorge folgen und uns von den Werten der Maskulisierung befreien. Indem wir das Schenkprinzip zum Leitprinzip für alle Menschen machen, können wir die Männer und die Gesellschaft von den Spiegeln des Tauschprinzips erlösen. Es ist sowohl für Frauen als auch für Männer möglich, den entfremdenden und unnotwendigen Charakter der Maskulisierung zu erkennen, ihn zurückzuweisen und auf nicht-maskulisierte, gewaltfreie Weise abzubauen. Unser größter Vorteil ist, dass wir eine alternative Lebensweise nicht erst schaffen müssen. Diese existiert bereits. Sie existiert im Schenken, das bereits aktiv von der Hälfte der Menschheit praktiziert wird und das die verborgene Matrix der anderen Hälfte ist.
Die Restauration der Menschlichkeit im Bilde der Mutter
Die Art des Auf-Andere-Ausgerichtet-Seins, auf der die Fürsorge unserer Kinder beruht, hat zwischenmenschlichen Charakter und unterscheidet sich von der Moral, die von uns (und anderen) „richtiges Handeln“ und „richtige Einstellungen“ fordert. Gelegentlich kann die Moral die Fürsorge fördern. Speziell in Zeiten des Mangels oder hohen psychischen Drucks – wenn es also schwierig ist, Bedürfnisse zu befriedigen. In diesen Zeiten mag sich eine Person zur Bedürfnisbefriedigung zwingen müssen, das heißt: die Fürsorge als moralische Aufgabe annehmen.
Reaktionäre und machistische Philosophen haben die Verbindung von Mutter und Kind als eine „natürliche“ bezeichnet. Den Bedürfnissen anderer Wert zu schenken, ist jedoch nicht „natürlich“, wenn das heißen soll, das es „ohne Verstand“ geschieht. Genauso wenig ist es Teil einer auf Regeln basierenden Moral. Es ist ein Wert sui generis – ein Wert seiner selbst. Doch verhindert unsere selbst reflektierende Egostruktur oft, ihn als solchen wahrzunehmen, da nichts an ihm dieser Egostruktur entspricht. Diese Entsprechung ist jedoch gewöhnlich unser wichtigstes Kriterium dafür, etwas als wirklich anzuerkennen. Ein weiterer Ausdruck eines in der Maskulisierung gefangenen Denkens.
Wenn unsere Egos und unsere Bilder der Wirklichkeit ego-orientiert sind und vom Tausch und der Maskulisierung produziert werden, gilt alles, das nicht ego-orientiert ist, als nicht-wirklich. Das Nicht-Wirkliche wird uns nicht bewusst, oder zumindest nicht auf dieselbe Weise wie das, das als wirklich gilt. Es gehört zu den Eigenschaften des Egoismus, dem Wert zu schenken, das er für nützlich hält und nichts anderem. Wenn das Ego seine eigenen Strukturen wiedererkennt, definiert es das vertraute Bild als real, während ihm die Zusammenhänge, die diese Strukturen nicht aufweisen, fremd, irrelevant und „unreal“ erscheinen. Das selbstähnliche Ego ist ein bisschen wie das Tier, das sein Territorium mit Urin markiert und es dann als sein eigenes wiedererkennt. Schenken hat im Gegensatz dazu nichts mit territorialen Markierungen zu tun, sondern damit, anderen zu Wohlbefinden zu verhelfen.
Wenn die Sprache auf dem Schenken beruht, dann kann das Schenken nicht als nonverbal und infantil gesehen werden. Wenn wir der Sprache andere Momente des Schenkens hinzufügen – wie das Träumen, die Kunst und das Streben nach sozialer Veränderung – dann beginnen wir, die Bedeutung des Schenkens als des großen unanerkannten Prinzips der menschlichen Spezies zu begreifen. Wir beginnen zu verstehen, dass die Mutter für das Schenken ist und dass sowohl Frauen wie Männer für das Schenken sein können. Der von den Prozessen des Benennens und Definierens kommende Tausch kann die Bedürfnisse der Vielen nicht befriedigen. Nur indem wir das Prinzip der Mutter annehmen – nicht als „biologisches“ oder „instinktives“, sondern als bewusst kreatives – wird es uns möglich werden, die vielfältigen materiellen und kulturellen Bedürfnisse der fünfeinhalb Milliarden Menschen, die heute leben, zu befriedigen.
Unsere zunächst wichtigste Aufgabe liegt vielleicht darin, den Schenkmodus in das Bewusstsein der Menschheit zu rücken. Nur dann können alle seine Bedeutung erkennen. Um dies zu erreichen, müssen wir die Verhältnisse von einer Meta-Ebene aus betrachten. Wir müssen eine globale Perspektive einnehmen und in holistischen Begriffen denken. Tatsächlich fallen das Interesse des Egos und das Interesse der Anderen auf einer Meta-Ebene zusammen. Das Überleben des Planeten und das Überleben des individuellen Egos – und selbst das Überleben des komplementären Systems von Schenken und Tausch – sind eins. Nachdem alle von uns durch die Zerstörung des Planeten bedroht werden, müssen wir unsere Energie der Lösung der Probleme widmen, die diese Zerstörung verursachen – egal ob unsere Motivationen egoistisch oder altruistisch oder eine Kombination von beidem sind. Für die ego-orientierten Menschen bedeutet dies einen Moment des Übergangs zum Schenken. Wenn wir uns alle auf einer Meta-Ebene vereinen, von der aus wir beide Prinzipien sehen können, können wir uns gemeinsam zum Paradigmenwechsel aufmachen. Das ist der Anfang der Lösung.
Die spirituellen Praktiken, die die Einheit des Lebens betonen, suchen diese Meta-Ebene. Allerdings formulieren sie diese oft in Begriffen, die an die Überlegenheit des Einen erinnert. So fordern sie einerseits ein zusammenführendes Eines (die Zusammenführung ist ein Aspekt der Schenklogik) und reproduzieren andererseits patriarchale Verhältnisse zwischen dem Einen und den Vielen.
Wie gesagt, wichtig an der Meta-Ebene, die wir brauchen, ist, dass sie beide Prinzipien (Schenken und Tausch) einsehen kann. Beide Prinzipien erhalten so denselben Grad an Bedeutung. Das selbst reflektierende Tauschprinzip ist nicht länger wichtiger als das Schenkprinzip, auch wenn seine selbstähnliche Form diese Illusion schaffen mag. Tatsächlich ist es einzig das Schenkprinzip, das alleine existieren kann. Wenn wir beide Prinzipien wirklich vorurteilsfrei von dieser Ebene aus betrachten, kann es keinen Zweifel geben, dass das Schenkprinzip uns glücklicher macht.
Unser individuelles Streben nach der Position des Prototypen muss dem Schenken weichen – nur das Schenken selbst kann Prototyp sein. Dann würde sich vieles ändern. Wenn etwa die Sprache – inklusive der Prozesse des Benennens und Definierens – einmal von der Maskulisierung befreit ist, kann sie endlich wieder der kreativen Vermittlung zwischen Individuen und Kulturen dienen. Materielles Schenken wird wieder die Norm sein. Tatsächlich ist es so, dass wir, wenn wir den Tausch, das Ego und seine Elemente einmal gut genug analysiert und verstanden haben, jeden ihrer Aspekte auf eine Weise anwenden können, der uns nützlich ist – genauso wie wir die Technologie auf eine friedliche und ökologisch behutsame Weise zum Schaffen von Überfluss und der Versorgung aller anwenden können, wenn sie einmal von den Werten des Patriarchats befreit ist. Wollen wir also Elemente des Tausches und des ego-orientierten Bewusstseins behalten, weil sie uns nützlich erscheinen, steht dem nichts im Weg.
Eine Neuinterpretation der Moral im Sinne des Schenkprinzips würde so aussehen, dass das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein zum Leitprinzip unseres Handels und das entsprechende Bewusstsein paradigmatisch wird.
In einem gewissen Sinne würde dies eine Umarbeitung des Kategorischen Imperativs Kants bedeuten: Es ginge nicht nur darum zu fragen, ob das Prinzip, das unseren Handlungen zugrunde liegt, verallgemeinert werden könnte, sondern auch darum, so zu handeln, dass wir die Allgemeinheit des Prinzips bewusst machen und institutionalisieren können. Das Tauschprinzip könnte auf diese Art nie verallgemeinert werden, da es der Geschenke der Vielen bedarf, um zu funktionieren. Das heißt, es verlangt von manchen, das Schenken zum Prinzip ihres Handelns zu machen. Diejenigen, die den so genannten freien Markt für alle schaffen wollen, scheinen dies nicht zu begreifen.
Bedingte und bedingungslose Liebe
Gegenwärtig kann die Moral kaum positiv wirken, da sie immer wieder auf Herrschaftsstrukturen trifft. Wie wir gesehen haben, kann sie uns manchmal helfen zu schenken, wenn dies schwierig ist. Doch ein erzwungenes Geschenk verliert viele der positiven Aspekte des Geschenks. Außerdem geraten wir in eine Position, in der wir manipuliert werden können. Gegenwärtige Moral reproduziert die Bewertungsmuster der Maskulisierung und der monetären Definition. Anstatt um die Inhalte und Auswirkungen unserer Handlungen geht es um ihre Beurteilung durch andere. In unseren Liebesbeziehungen mögen wir um gegenseitige Aufmerksamkeit kämpfen, anstatt unsere Bedürfnisse gegenseitig zu befriedigen. Dies hängt eng mit den Urteilen, die wir erfahren, zusammen. Je besser das Urteil, desto mehr Recht darauf, Aufmerksamkeit zu empfangen als zu schenken. So versuchen wir positive Urteile darüber zu gewinnen, dass wir uns „schön“ machen. Unsere Liebe anderer wird dann ein reziproker Akt: wir lieben sie dafür, dass sie uns lieben. Das Tauschego bestimmt, was wir als Liebe begreifen. Wir verinnerlichen und veräußerlichen Tauschprinzip und Schenkprinzip gleichzeitig – in unseren Beziehungen mit uns selbst und mit anderen.
In unserer therapiegesättigten Gesellschaft wird viel von bedingungsloser Liebe gesprochen. Vielleicht haben die TherapeutInnen die heilende Kraft altruistischer, geschenkter Liebe in einer Tauschgesellschaft verstanden, in der Liebe oft nur mit Reziprozität, Wenn-Dann-Mustern oder gar Bestechung zu tun hat. Menschen, die sich anders, außerhalb des Tauschprinzips, lieben, können sich als VorbotInnen einer besseren Welt fühlen.
Besondere Umstände können auch heute das Geschenk bedingungsloser Liebe hervorrufen. Etwa wenn sich uns Nahestehende in Not befinden. Die tragische AIDS-Epidemie hat viele Menschen zum Schenken angeregt. Die Bewegungen gegen Kindesmissbrauch, Gewalt und Suchtverhalten, die Friedens-, Umwelt- und Anti-Nuklearbewegungen, die Freiheits- und Unabhängigkeitsbewegungen verlangen alle enorme Hingabe, Energie und Ausdauer.
Das Aufgeben von Erwartungshaltungen gegenüber anderen (wie es von VertreterInnen des „positiven Denkens“ empfohlen wird) kann tatsächlich helfen, zu einem bedingungslosen Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein zu gelangen. Gleichzeitig wäre eine so extreme Position wie einseitig zu lieben nicht notwendig, wenn die Gesellschaft nicht so tief im Tausch stecken würde. Der Rollenwechsel zwischen aktivem Schenken und Empfangen ist das angemessene zwischenmenschliche Verhalten. Es kann praktiziert werden, ohne dass sich Erwartungen an das Schenken knüpfen müssen.
Erst wenn uns der Tausch und die Herrschaft verletzt haben, sodass uns das Vertrauen in diesen natürlichen Rollenwechsel abhanden gekommen ist, glauben wir, dass es notwendig ist, bedingungslos geliebt zu werden. Nur bedingungslose Liebe scheint dann wirkliche Liebe zu sein – egal wie sehr uns von Eltern, PädagogInnen und TherapeutInnen Reziprozität immer als Lebensprinzip eingebläut worden ist. Eine widersprüchliche Situation entsteht: Wir wollen bedingungslose Liebe geschenkt erhalten, glauben aber an den Tausch als die einzig menschenwürdige Art, sich zu verhalten. Die geschenkte Liebe wird damit zu einer Art Machteinsatz, der die erste Hälfte eines Tausches ist, der uns aufgezwungen wird (wir werden geliebt, ohne dass wir etwas dafür getan hätten) und dessen zweiten Teil wir nie leisten können.
Elterliche Erziehung (Parenting)
Viele unserer elterlichen Erziehungspraktiken sind barbarisch. Wir bringen Kinder zum Gehorchen, indem wir damit drohen, sie zu schlagen oder zu verstoßen. Damit lehren wir sie Tausch und das Denken im konditionellen Wenn-dann: „Wenn du dies tust, dann wirst du jenes bekommen!“ Auf diese Weise bringen wir Kinder dazu, uns und unseren Worten Wert zu schenken, so wie wir das wollen. Hier schaffen das Aufgeben des eigenen Willens und die Befriedigung der elterlichen Bedürfnisse groteske Formen von Fürsorge.
Selbst als Erwachsene verfolgt uns die Bedrohung der Verstoßung. Die Gesellschaft macht mit uns, was früher unsere Eltern mit uns machten. Die Drohung der Obdachlosigkeit, Arbeitslosigkeit oder Einsamkeit bedroht jedes Heim, jeden Arbeitsplatz, jede Familie und jedes Individuum. Es gibt eine permanente Bedrohung von Mangel an Liebe und Zuwendung, die der permanenten Bedrohung von Mangel an Geld und fürsorglichen Gütern entspricht. Produkte, für die es keinen Markt bzw. keine Verwendung im Produktions-Tausch-Konsumptions-Zyklus gibt, werden von unserer Gesellschaft abgestoßen. Genauso können wir jederzeit abgestoßen werden. Wir werden aus den privilegierten Marktkategorien ausgeschlossen und finden uns im Abfalleimer von Zeit und Raum wieder. Diese Bedrohung wirkt sich sowohl auf Männer als auch Frauen aus und zwingt sie in Herrschaftsverhältnisse, Don-Juan-Modelle, monetäre Eines-Viele-Strukturen oder eine Supermutter-Rolle (die der Rolle eines nützlichen Produkts gleicht).
Die phallischen Bilder und Strukturen unserer Gesellschaft, sowie der Mangel an bedeutungsvollen Ritualen und bedeutungsvoller Arbeit außerhalb derselben, bestätigen das maskulisierte Ego unentwegt. Alles – von der Armee zur ökonomischen Ausbeutung – verbindet die Maskulinität mit Aggressivität. Männliche Teenager lernen, dass sie andere beherrschen können, wenn sie sich entsprechend aufspielen: zum Beispiel mit großen phallischen Autos oder vielen Freundinnen. Teenagerinnen lernen, den großen Autos Aufmerksamkeit zu schenken und die Möglichkeit, verführt und verlassen zu werden, zu akzeptieren. Von der Rakete bis zur Nummer 1, vom Trump Tower bis zum Elfenbeinturm zieht das selbstähnliche phallische Bild Aufmerksamkeit auf sich und schafft kristallisierte Rituale, auf die wir alle ständig bezogen werden, gemäß unserer spezifischen Positionen und Rollen. Die phallischen Objekte sind in unserem täglichen Leben so präsent, dass wir ihrer Macht gar nicht mehr bewusst sind. Unbewusst beeinflussen sie unser Verhalten jedoch in jedem Augenblick.
Der Kompromiss (oder das Hybrid), den die Gesellschaft zwischen Tausch- und Schenkprinzip vorgeschlagen hat, ist, zu tauschen, um zu schenken. Dies schlägt sich auch auf unsere persönlichen Beziehungen nieder. Wenn wir beginnen, Zuneigung zu messen und als Tausch zu begreifen, kann das dazu führen, dass wir eine Beziehung aufgeben, wenn wir meinen, nicht genug zu erhalten. Dies scheint eine „vernünftige“ Maßnahme zu sein. Das Bleiben in der Beziehung schiene „selbst zerstörerisch“. Das, was wir nicht erhalten, kann sowohl monetär definiert sein (der/die PartnerIn „trägt nicht genug zum Haushalt bei“) als auch emotional (der/die PartnerIn gibt nicht genug oder „tauscht“ mit anderen anstatt mit uns selbst). TherapeutInnen und FreundInnen werden zu Rate gezogen, um das Tun des/der PartnerIn zu beurteilen und die Zweckmäßigkeit abzuschätzen, ihn/sie zu verlassen oder nicht.
In Beziehungen, die auf dem Schenken basieren, ist das Schenken selbst ein Gegebenes, das nicht durch den Tausch verdient werden muss. Dies schafft für beide PartnerInnen eine Atmosphäre der Sicherheit und mehr Spielraum für Entwicklung. Sexuelle Attraktivität erregt viel wechselseitige Aufmerksamkeit. Es kommt zu einem Teilen von Energien. Auch dies entspricht dem Schenkprinzip.
Ich glaube, dass die meisten Beziehungen auch heute noch im Grunde dem Prinzip des Schenkens folgen – zumindest zu Beginn. Doch werden sie in dem Moment schwierig, in dem sie vom Tauschdenken infiltriert werden. Dann beginnen wir, Schenken und Empfangen gegeneinander aufzuwiegen und unserem eigenen Schenken Grenzen zu setzen, wenn wir meinen, dass wir nicht genug dafür zurückerhalten.
Die materielle Kommunikation des Schenkprinzips würde die bedingungslose, einseitige Liebe wohl leichter machen. Vielleicht ist das der Grund, warum Frauen ihre Kinder lieben und mit ihnen sein wollen, während Männer sie oft aufgeben. Oder warum Frauen selbst untreuen Männern treu bleiben.
Das Schenkprinzip vermag sich selbst in einer feindlichen Umgebung zu behaupten (zumindest für eine Zeit). Wenn wir das Schenken im Überfluss praktizieren würden, nicht nur im eigenen Heim, sondern auch kollektiv, als Modell unserer Ökonomie und unserer sozialen Institutionen, dann würden sich zweifellos unsere menschlichen Beziehungen verbessern und unsere inneren Konflikte leichter heilen.
Der Fall eines modernen „wilden“, sprachlosen Kindes wurde vor kurzem von Russ Rymer in Genie beschrieben. Rymers Buch zeigt, wie wenig das Mädchen Genie je beschenkt wurde. Zuerst Opfer von Isolation und Missbrauch durch ihre Eltern, dann Spielball bürokratisch-akademischer Interessen, war sie beinahe so weit von direkter Fürsorge entfernt wie Victor von Averyon, das „Wolfskind“, das ein Jahrhundert früher der Autorität von Jean Marc Gaspard Itard unterworfen war. Genie war in der Lage zu kategorisieren, lernte aber nie Syntax. Ihre Sammlung von Behältern (Sandkübel und Plastikbecher) füllte einen ganzen Raum, was ich als eine Analogie zu Wortkategorien ohne Geschenke lese. Ich denke, dass die Idee des „Zu-etwas-Gehörens“ oder des Eigentums nicht genug war, um ihr das Erlernen von Sprache zu ermöglichen. Sie hätte dazu die fürsorgliche Kommunikation gebraucht, die der Sprache vorausgeht. Sie hatte nicht genug Schenkerfahrung, um in der Lage zu sein, das Schenken zur Sprache in Beziehung zu setzen und Dingen auf diese Weise Wert zuzuschreiben. Rymer zeigt, wie Genie, nachdem sie aus ihrer Gefangenschaft befreit worden war, von ihren akademischen FürsorgerInnen als Forschungsobjekt ausgenutzt wurde. Genie erreichte eine gewisse Stufe der Entwicklung, konnte jedoch nicht über diese hinaus gehen. Sie konnte Schenkbeziehungen nicht auf Wörter projizieren. Dies zeigt die Unzulänglichkeiten des Tauschprinzips. Zum Beispiel, dass der Kategorie mehr Wert zukommt als dem Inhalt. Oder dass Menschen (speziell maskulisierte Männer) für das geschätzt werden, mit dem sie ausgestattet sind bzw. mit dem sie angeblich geboren wurden: männliches Geschlecht, Seele, Persönlichkeit, Identität und (so glauben manche) Sprache. In Wirklichkeit werden alle diese Attribute vom Schenken geschaffen. Genie wurde nie geschenkt und so war es ihr nicht möglich, das Modell des Schenkens dazu heranzuziehen, ihre Kategorien mit den Werten des Auf-Andere-Ausgerichtet-Seins zu versehen oder ihr Selbst linguistisch zu konstruieren.
Wenn ich das Patriarchat/Puerarchat kritisiere, will ich mich nicht gegen die Spiritualität wenden, sondern nur zeigen, dass sie auf Weisen praktiziert werden kann, die das Schenken hindern. Eines unserer Missverständnisse, was das Schenken anlangt, kommt daher, dass wir eine männliche Gottheit als den größten Schenkenden sehen. So vermischen wir schenkende Charakteristika mit Charakteristika der Maskulisierung.
Wenn wir eine weibliche Gottheit hätten, kämen wir vielleicht leichter zum Bewusstsein des Schenkprinzips. Ich denke, dass die Gottheit wirklich reiner Altruismus ist, dem Geist des „Du zuerst!“ folgt und deshalb unsichtbar bleibt. Die Gottheit schafft Dinge, liebt sie auf eine Weise des „Du zuerst!“ und setzt diesen Prozess ewig fort. Wenn wir einander nicht lieben, blockieren wir diesen Prozess. Vielleicht sind Naturgeister, Feen und Engel nur etwas schwächere Ausdrücke des Prinzips des „Du zuerst!“.
Wenn das Schenken in den Bereich des männlichen Modells gerückt wird, wird die Tatsache verschleiert, dass Frauen schon seit je her überall schenken. Selbst das Opfer des Lebens Christi lenkt unsere Aufmerksamkeit von den Opfern ab, die Frauen seit je her überall bringen: für ihre Kinder, für ihre Männer, für andere. Unsere Dankbarkeit wendet sich also einem männlichen Schenker anstelle des Muttermodells zu.
Ich glaube, dass der schädlichste Aspekt des Christentums in der Glorifizierung des Opfers liegt, da es die Bedingungen nicht berücksichtigt, die ein Opfer notwendig machen. Das System, das Mangel, Krieg, Naturzerstörung und menschliches Leid schafft, muss geändert werden, und diese Notwendigkeit darf nicht verdeckt werden von den Opfern derjenigen, die das Beste aus der furchtbaren Situation zu machen versuchen. Wir müssen den soziopolitischen Mut haben, uns nicht zu opfern, und stattdessen die Gründe der Probleme angehen und uns miteinander vereinen, um sie zu ändern. Dies wäre ein Geschenk an alle. Wenn wir das uns leitende Prinzip ändern – was eine Änderung des Belohnungssystems und der Egostruktur des Tausches beinhalten würde –, würde es möglich werden, ohne Selbstaufopferung zu schenken. Wir müssen alternative Organisationen schaffen und dazu unsere Energie, unsere Vorstellungskraft und unsere Ressourcen einsetzen. Letzten Endes geht es darum, zu entscheiden, ob wir unsere Zerstörung zulassen wollen oder ob wir den gegenwärtigen Prozess aufgeben und uns als Beispiele von Schenkenden etablieren, die nicht opfern.
In einer Situation des Mangels kann es leicht dazu kommen, bis zur eigenen Erschöpfung zu schenken, da das Schenken nicht von allen praktiziert wird und den Schenkenden selbst oft keine Geschenke zukommen. Wir Frauen sind immer Schenkende gewesen, da die Bedürfnisse unserer Kinder das verlangen. Im Tauschprinzip wird dies jedoch oft soweit getrieben, dass wir gleichsam gekreuzigt werden: wir werden dazu gebracht, unser eigenes Leben zu schenken, um weiter Bedürfnisse befriedigen zu können. Derart feindlich ist die Situation, in der wir uns befinden. Frauen haben recht, das Schenken ist der Weg. Aber wir müssen es zu einem Prinzip für alle machen und den Kontext unserer eigenen Schenkens ändern. Wenn wir damit fortsetzen, es nur individuell zu praktizieren, wird es uns umbringen.
Die Maskulisierung und der Tausch rücken sich selbst in den Vordergrund, bestätigen sich selbst und bringen andere dazu, ihnen zu schenken. Diejenigen, die schenken, können so nicht wirklich sehen, was sie selbst tun. Sie können ihrem Tun keinen Wert zuschreiben oder es als Norm verstehen. Sie haben die ego-orientierten Werte der Maskulisierten akzeptiert. Sie haben paradoxerweise nicht den Mut, der ihren altruistischen Werten und Handlungen innewohnt. Dies mag soweit gehen, dass Frauen das Schenken als falsch erachten, während sie es selbst praktizieren. Sie fürchten sich vor ihrem eigenen Prinzip und verwechseln die Gefahr der Selbstaufopferung, die der Mangel mit sich bringt (die Gefahr des sozialen Kontexts, in dem sie sich bewegen), mit der Unterstellung, dass das Schenken den Mangel produziert. Sich für etwas aufzuopfern und ihm Wert zu schenken, mag ein Weg sein, dieses Etwas in Form einer Anerkennung oder Wertzuschreibung vor Zerstörung zu bewahren. Doch kann diese Form der Selbstaufopferung auch eine erzwungene sein.
Maskulisiertes Schenken
Das Einzige, was wir am Anfang falsch machten, war der Wechsel vom Schenkprinzip zum Tauschprinzip. Vielleicht ist es das, worum es in der Geschichte vom Garten Eden geht. Im Schenkprinzip ist keine Wiedergutmachung notwendig. Nur wenn wir zum Tauschprinzip wechseln, finden wir es notwendig, wiedergutzumachen. Indem sie das Essen des Apfels als eine Sünde darstellt, als einen Ungehorsam, der Wiedergutmachung erfordert, zeigt die Bibel, wie Menschen in das Tauschprinzip mit Gott eintreten und ihm die Rolle des Strafenden zukommt, der „gerechte“ Vergeltung übt. Eine Gottheit, die eine schenkende wäre und gemäß des Schenkprinzips handeln würde, hätte keine Wiedergutmachung gebraucht. Sie hätte ihren Kindern das Schenken durch Beispielhaftigkeit gelehrt.
Das Opfer Christi mag ein Versuch gewesen sein, uns Schenken und Vergeben zu lehren, doch dieser Versuch beruhte nicht auf dem Beispiel der Göttin bzw. der Mutter. Dieses Beispiel war bereits ausgelöscht worden vom männlichen Modell des Vaters und des Sohns. (Die Bilder der Madonna mit dem Kind hätten uns noch danach erinnern können, dass Buben ihren fürsorglichen Müttern folgen sollten. Doch das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein der Mutter wurde niemals bestätigt. Wir machten niemals diesen logischen Schritt. Der Fokus lag immer auf „ihrem Anderen“.) So scheint der einzig angemessene Platz für das Schenken in der Beziehung zwischen einer Mutter und ihrem männlichen Kind zu liegen.
Als männliches Modell des Schenkens wurde das Opfer Christi unweigerlich im Kontext des Tauschprinzips interpretiert und verstanden: Es wurde uns gelehrt, dass es darum ging, dass er für die Sünden der Menschheit „bezahlt“ hätte. Sein Tod „beglich die Rechnung“. Aber dies kann die Menschheit nie aus dem Tauschprinzip befreien. Selbst wenn Christus im voraus für alle Sünden gezahlt hätte, die je begangen würden, würde dies immer noch der Logik des Tausches folgen. Der Archetyp des Tausches liegt hinter allem, was wir tun. Er formt unser Bewusstsein. Selbst wenn unsere spirituellen Intuitionen und unsere Herzen auf der Seite des Altruismus liegen, ziehen uns die Tauschmuster und unsere entsprechenden religiösen Interpretationen immer wieder zum maskulisierten Modell. Wie wir bereits mehrfach festgestellt haben, sind unser Bewusstsein und die Realität, in der wir leben, gemäß der Werte der Maskulisierung geformt. Bevor das Schenken – das weibliche Modell – überhaupt in unser Bewusstsein kommen kann, wurde es bereits durch die Maskulisierung und den Tausch gefiltert. Glücklicherweise erlaubt uns der Feminismus und die weltweite Frauenbewegung immer mehr, das Bild der Mutter von der Dominanz des Bildes des Buben zu befreien und uns Frauen als die Trägerinnen der altruistischen Werte der Spezies zu sehen.
Kommunizieren mit der Gottheit
Menschen haben immer versucht, mit der Gottheit zu kommunizieren. Sie haben ihr endlose Geschenke gemacht: von Tieropfern zu Menschenopfern, von Novenen zu Zehnten. Das „Geschenk“ des Lebens Christi an Gott kann auch als Kommunikationsakt interpretiert werden – als das Wort. Da wir die Rolle des Schenkprinzips in der Kommunikation nicht begreifen, mögen wir unseren Versuch der Kommunikation mit den Göttern und Göttinnen als etwas sehen, das der Logik des Tausches folgt. Unsere Kommunikationsversuche nehmen demnach die Form von Bestechungen an: „Ich werde dir dies geben, wenn du mir jenes gibst!“
Wir denken – vielleicht aufgrund unseres Leidens an der Maskulisierung, vielleicht aufgrund der Ideologie des Tausches, vielleicht sogar schlicht aufgrund mangelnder Vorstellungskraft – dass Opfer die Art der Geschenke sind, die die Bedürfnisse der Gottheit befriedigen können. Vielleicht machen wir dadurch unsere Kommunikation mit der Gottheit jedoch nur noch schwieriger. Vielleicht fügen wir der Gottheit mit unseren Opfern genauso viel Leid zu wie uns selbst. Der Schrei des geopferten Tieres, dessen Kehle durchschnitten wird, erschreckt sie – oder hum (siehe Kapitel 6). Wir müssen uns andere, gütigere und einfachere Geschenke einfallen lassen. Geschenke, die unseren Geschenken von Wörtern entsprechen, von Weihrauch, Musik, Blumen, Speise. Unsere Grausamkeit schafft eine vergiftete Atmosphäre, in der der Geist nicht frei fließen kann.
Vielleicht erlaubt unsere Maskulisiertheit einfach keine kollektiven Einheiten, die sich als kommunizierendes Subjekt formen könnten, das groß genug wäre, hum zu hören und von hum gehört zu werden können. Wenn wir wirklich zum Schenkprinzip wechseln und die Logik der Kommunikation von der Logik des Tausches loslösen können, dann können wir vielleicht auch den Garten Eden wiederfinden. Dies könnte das kommende Königreich der Gottheit sein. – Ich glaube allerdings nicht, dass es sich um ein Königreich handeln wird, oder selbst um eine Demokratie, sondern um eine völlig neue Art von Regierung.
Vom Komplex zur Kategorie
In unseren Weihnachtsfeiern geben wir unserer Freude darüber Ausdruck, dass Babys geboren werden, aber auch unserem Wunsch, gute Menschen zu sein, oder unserer Hoffnung auf Erlösung. Wir betonen selbst die Wichtigkeit der Lösung unsere sozialen Probleme. All dies sehen wir im Christuskind repräsentiert. Tatsächlich handelt es sich hier um ein Resultat des Kampfes zwischen Schenkprinzip und Tauschprinzip. Die Frau schenkt das Kind. Der Mann schenkt den Namen, das Erbe. Das Kind nimmt den Platz der Eltern ein. Die Zukunft wird für die Gegenwart ausgetauscht. Der Konflikt wird weitergereicht von Generation zu Generation. Dieses Vermächtnis ist eine seltsame Art von „Geschenk“, die eine künstliche Arbeitsteilung beinhaltet, die jener zwischen lohnarbeitenden Männern und nicht-lohnarbeitenden Frauen entspricht.
Wir tauschen in der Gegenwart, um anderen in der Zukunft zu schenken. Werden diese anderen in der Zukunft tauschen oder schenken? Jetzt, am Ende des 20. Jahrhunderts, machen wir sowohl die Gegenwart als auch die Zukunft zu Teilen des Tausches. Wir machen die Zukunft zu einem Geschenk an uns – indem wir ihr eine zerstörte Erde hinterlassen. Wir schaffen Mangel und verhindern die Schenkökonomie für unsere Kinder und zukünftige Generationen. Wir bestätigen das System, geben ein Meta-Urteil zugunsten des Tausches ab und zerstören somit die Möglichkeit des Schenkens.
Die Mutter hat das Geschenk ihrer Kinder an den Mann weitergeschenkt. Das alte Recht des Erstgeborenen war eine Form, die die Maskulisierung in reichen und mächtigen Familien angenommen hat. In der Logik des Christentums – wenn Christus Gottes Sohn und selbst ein Mann war und wenn Männer Brüder sind – entsprach Christus’ Eines-Viele-Beziehung mit anderen Männern der Beziehung des ersten Sohnes zu seinen Brüdern. Die Eines-Viele-Beziehung von Gott, dem Schöpfer, zur Menschheit ist der Eines-Viele-Beziehung von Christus zur Menschheit gleich. Beide Beziehungen werden bestimmt vom Prototypen und dem Wort.
Obwohl die Beziehung von Handwerker zu Produkt (das er in seinem Bild fertigt), oder von Vater zu Kind, ein Familiennamenkomplex ist (vgl. Kapitel 5), kann sie zu einer Kategoriebeziehung werden, wenn die gemeinsame Qualität der Objekte erkannt wird. Im Christentum wird die gemeinsame Qualität von Menschen in ihren „geretteten“ Seelen ausgedrückt, die auf Christus als Prototypen bezogen sind. Christus ist Gott gleich und sein leibhaftiges Wort (sein Repräsentant) auf Erden. Wenn Christus Gott ist und der Sohn der Vater, dann steht er auf beiden Seiten der Gleichung von Wort und Prototyp. Der christliche Mythos kann auch als eine Erforschung des Kategorieformierungsprozesses gelesen werden. (Siehe Figuren 39 und 40.)
Auch manche der anderen Elemente des Tausches, die wir diskutiert haben, sind hier deutlich zu erkennen. Zum Beispiel ist Christus das allgemeine Äquivalent und sein Leben das Mittel des Tausches (das Geld), das für die Sünden der Menschheit zahlt. Wenn Menschen sündigen, sind sie einander ungleich und können nicht in eine Eines-Viele-Kategoriebeziehung zu Gott eintreten, da ihnen die gemeinsame Qualität fehlt. Viele Geschichten der Bibel beschreiben menschliches Sündigen. Die Sünde von Adam und Eva trennte sie von Gott und machte ihnen darüber hinaus bewusst (indem sie ihre Nacktheit offenbarte), dass sie voneinander verschieden waren. Der Mord Abels durch seinen Bruder Kain trennte Kain von anderen Männern. Das alte Testament ist gewissermaßen eine Chronik menschlicher Unterschiede. Indem er für die Menschheit „zahlte“ und ihr vergab, implizierte Christus, dass Menschen einander wieder gleich geworden waren und von nun an fähig seien, in eine Kategoriebeziehung mit ihm selbst als (dem Vater identischen) Prototypen einzutreten.
Der Ungehorsam Adam und Evas schien eine Schuld gegenüber Gott zu schaffen. Die Idee der Schuld ist Teil des Tauschprinzips. Die Schuld macht Menschen glauben, dass sie Gott schenken (mit ihm kommunizieren) müssen. Dabei hat jedoch nur die Motivation mit dem Schenken zu tun, tatsächlich handelt es sich um eine Bezahlung (für die begangenen Sünden). Wir glauben, dass wir, wenn wir für unsere Sünden bezahlen, keine Schulden mehr haben und dass das Schenkprinzip dann zurückkehren wird. Doch es ist nicht die Sünde, die dazu geführt hat, dass wir das Schenkprinzip verloren haben. Es ist keine Schuld, die wir auf uns geladen haben, kein versäumter Akt des Schenkens von Gehorsam an Gott. Wir haben das Schenkprinzip verloren, weil wir uns davon überzeugen ließen, dass wir „zurückzahlen“, dass wir „tauschen“ müssen. Auch Christus „bezahlte“ und konnte somit das Tauschprinzip nicht überwinden – auch wenn er selbst vergebend war.
Für die Sünden der Menschheit zu zahlen, war also ein Tausch, obwohl das Opfer von Christus’ Leben vielleicht ein Versuch war, das Schenkmodell in einer Situation von Mangel an Gerechtigkeit und Mangel an Güte zu demonstrieren. Frauen bringen in ähnlichen Situationen ständig Opfer – aber nicht, um irgendetwas zu bezahlen, sondern um Bedürfnisse zu befriedigen.
Dass er von einer Jungfrau geboren wurde, zeigte Christus vielleicht als Kind des Schenkprinzips, außerhalb der genitalisierten Sexualität, und auch jenseits des männlichen Egos. Doch es ist gefährlich, zu suggerieren, dass das Schenkprinzip von einem männlichen Beispiel kommt. Kirchen, die organisiert wurden, um Christus’ Lehre zu ehren, etablierten misogyne, maskulisierte religiöse Hierarchien, die politische und ökonomische Hierarchien stützten, in andere Territorien eindrangen und Menschen mit anderem Glauben töteten, um sie „Altruismus“ zu lehren.
Wenn wir wirklich vom Tauschprinzip zum Schenkprinzip kommen wollen, müssen wir das Schenkprinzip mit den Frauen identifizieren und ihrem Beispiel folgen. Wir dürfen nicht die maskulisierten Eines-Viele-Strukturen wiederholen, die sich selbst reproduzieren, Hierarchien schaffen und Konkurrenz und Herrschaft stützen. Das Überbewerten der Position des Kategorieprototypen, des Einen, ist ein zentraler Aspekt des Problems. Es ist ein Element im Prozess der Maskulisierung, das abgebaut werden muss, um zum Schenkprinzip als Norm zu gelangen. Leider haben sich jedoch sowohl die logischen als auch die organisatorischen Aspekte des Christentums mit dem Bild eines schenkenden männlichen Gottes in der Position des Einen und mit den maskulisierten Charakteristika des Übernehmens und der Herrschaft verbunden.
Das Schenken auf der gesellschaftlichen Ebene wird kontinuierlich fehlinterpretiert, während das Schenken auf der individuellen (inneren) Ebene nicht wahrgenommen wird. Wie wir in Zusammenhang mit dem homunculus gesehen haben (vgl. Kapitel 14), ist inneres Schenken nicht statisch. Doch wird es durch das Fehlen allgemein anerkannter Modelle des Schenkens oft gelähmt und unbewusst gemacht. Vielleicht schaffen die Modelle des Opfers Christi und des Opfers der religiösen Heiligen einen Kontext, der (zumindest zum Teil) individuelles Schenken fördern kann. Dadurch jedoch, dass das Schenken als Opfern interpretiert wird und das Schenkprinzip als „heilig“ (anstatt es als etwas zu begreifen, das Frauen und auch viele Männer tagtäglich tun), machen wir seine Etablierung als allgemeines soziales Modell unmöglich.
Der autoritäre Vater
Die patriarchale Religion schafft eine Reihe falscher Bilder männlichen Schenkens. Der Vater, der angeblich seinen Kindern nie Leid antun würde, verbannt sie gleichzeitig aus dem Garten Eden, nur weil sie einen Apfel gegessen haben. Wie unsere menschlichen Väter verbittet er es sich, ihm dies als Ungerechtigkeit anzurechnen. Seine Autorität erlaubt es ihm, seine Rolle als schenkender Prototyp zu missbrauchen. Wie viele Kinder haben darunter leidern müssen? Wie viel Gewalt ist gegen sie verübt worden im Namen der „Heiligkeit“ ihres Vaters und der Notwendigkeit, ihn zu „ehren“? Der Gott dieser Väter kann nicht „gut“ genannt werden. Mitgefühl scheint höchstens zweitrangig für das zu sein, was hier als „richtiges Handeln“ verstanden wird; wichtig ist diesem Handeln einzig die Bestätigung des maskulisierten Egos. Männer projizieren ihre Werte auf einen allmächtigen Patriarchen, um damit ihre Egos und ihre Autorität zu stärken.
Wenn wir nach dem Grund für das Böse und das Leid in der Welt fragen, wird uns erklärt, dass dies jenseits unseren Wissens liegt. In der Zwischenzeit bestätigt das autoritäre Bild Gottes den Missbrauch autoritärer Männer. Die Fürsorge und das Mitgefühl der Frauen werden abgewertet. Anstelle dessen wird der autoritäre männliche Gott „gut“ genannt und alle weiblichen Darstellungen der Gottheit verboten. Dies ist ein Teil des Grundes für unser Leiden. Die Behauptung, dass die Frage nach dem Bösen nicht zu beantworten ist, verleugnet nur den Missbrauch. Der Gedanke, dass unser Bild von Gott die Männer darin unterstützt, autoritär und gewalttätig zu sein bzw. die Einsicht, dass dieses Bild Leiden schafft, wurden tabuisiert.
Selbst Mütter weigern sich oft, den Missbrauch, den Männer an ihren Kinder begehen, anzuerkennen. Sie glauben an die „guten Seiten“ der Männer und an den „unergründlichen Willen“ Gottes. Dies erlaubt den Männern, weiter zu missbrauchen, ohne dass sich die Mütter dagegenstellen würden. Das Bild der schenkenden Person wird also entweder assimiliert in das Bild des autoritären maskulisierten Egos oder es bleibt weiblich und damit machtlos und dient nichts außer der Versorgung des Mannes. Im besten Falle gelingt es der weiblichen Schenkenden männliche Entscheidungen zu beeinflussen, wie im Falle der Jungfrau Maria, die bei männlichen Autoritäten um ihr Kind fleht.
In der Zwischenzeit ist der Sohn, den sie aufzieht, die männliche Autorität im Kleinen. Unsere innere Mutter wird darauf reduziert, zu gelegentlichen altruistischen Handlungen anzuregen oder gelegentlich schlechtes Gewissen zu erzeugen, das ein bisschen an den Ärmeln unseres maskulisierten Willens zur Macht zupft. Wir werten ihren Einsatz für andere als irrationales Mitleid ab, als das Flattern eines blutenden Herzens. Und wenn es ihr doch gelingt, einen Moment des Auf-Andere-Ausgerichtet-Seins in uns zu erwecken, wird dies „Gott, dem Vater“ angerechnet, dem „wohltätigen“ maskulisierten Ego.
Wir müssen dieses illusorische Vaterbild löschen und Maria zu unserem Modell machen. Doch wir müssen auch unser Bild von ihr ändern: ihr Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein muss vom Gehorsam und dem Flehen befreit werden und sich ganz der Bedürfnisbefriedigung der Menschheit – speziell der Frauen und Kinder – und der Erde zuwenden. Glücklicherweise haben in jüngerer Vergangenheit spirituelle Bewegungen, die sich auf das Weibliche konzentrieren, andere Bilder der Gottheit (wieder)geschaffen – Bilder schenkender, starker Göttinnen.
Vielleicht versuchen das Space Shield der so genannten Star Wars und die Nuklearisierung des Weltalls den Tausch vor dem Schenken auf einer (buchstäblichen) Meta-Ebene („ganz oben“) zu schützen. Diese Meta-Ebene wurde deshalb so extrem „Meta“ (für Milliarden an Dollars), weil wir nicht verstehen, was wir tun.
Tatsächlich erinnert die Beziehung zwischen Gott, Maria/Josef und Jesus an die Gesellschaften, in denen der Bruder der Mutter (eine Person, die keine sexuellen Beziehungen mit der Mutter hat) elterliche Aufgaben für den Buben übernimmt.
Der Heilige Gral und die Alchemie
Der Heilige Gral ist die freie Quelle des Überflusses. Symbolisch ist der Gral (der Kelch) auch das Füllhorn oder der Mutterbauch. Vielleicht bestätigt der spirituelle Aspekt dieser Geschichte, in der legendäre Helden nach dem Kelch des letzten Abendmahl suchen, dass das Problem nicht biologisch, sondern sozial ist. Der Gral ist nichts Materielles – nicht Mutterbauch oder Vagina, nicht Brust oder Penis, nicht Instrument oder Schwert, nicht Kelch oder Klinge –, sondern eine Logik, ein Weg, unser ökonomisches Verhalten zu organisieren. Er ist das Schenkprinzip. Er ist eine Weigerung, den Mikrokosmos und den Makrokosmos zu trennen, eine Weigerung, einen Wechsel zu schaffen hin zur artifiziellen Struktur des Tausches und seines Egos. Der Heilige Gral steht für Überfluss und Fürsorge. Er ist das Geschenk, das schenkt – das Geschenk des Schenkprinzips, das wir alle von unseren Müttern erhalten. Doch wir müssen sowohl unsere Kindheitskomplexe wie unsere maskulisierten Konzepte der Sprache und des Leben überwinden, um dieses Geschenk auch empfangen zu können.
Unsere Interpretation des Heiligen Grals kann durch eine Analyse der Alchemie in marxistischen Begriffen gestützt werden. Jede Ware hätte zum allgemeinen Äquivalent werden können, zum Geld, auch wenn es letztlich das Gold war, das dazu wurde. Die Alchemie sah sich wirklich mit weitreichenden gesellschaftlichen Fragen konfrontiert. Der Versuch, aus Grundmetallen Gold zu machen, ist die physische Projektion des Problems: „Wie wird etwas zu Geld?“ Diese Frage reicht wiederum zurück zur Frage: „Wie wird ein Baby männlich?“, oder die Frage: „Wie wird ein Körperteil zum Penis, zum Kennzeichen der Kategorie ‚männlich’?“, oder selbst die noch weniger beachteten Fragen: „Wie wird ein Körperteil zur Vagina, zum Mutterbauch oder zur Brust, zu Produzentinnen von Leben und Fürsorge?“, oder: „Wie könnten der Mutterbauch oder die Brüste zum Prototyp werden?“
Sowohl die Alchemie als auch die Geschichte des Heiligen Grals zeigen Aspekte des sozialen Problems der Maskulisierung auf, interpretiert auf einer materiellen Ebene. Wir haben gesehen, dass die Position des Prototypen sozial zugeschrieben wird und dass sie keine Qualität ist, die materiellen Objekten selbst innewohnt. Der spezielle Wert des Goldes kommt nicht vom Metall, sondern von der sozialen Bestimmung des Goldes als allgemeines Äquivalent (als Wertprototyp) im Tausch.
Diese Rolle hätte genauso gut dem Blei zugeschrieben werden können – in etwa so, wie wir sie dem Papier zugeschrieben haben, das – bedruckt auf eine bestimmte Art – zum allgemeinen Äquivalent wird. Natürlich hat seine relative Knappheit das Gold zu einem praktischen Tauschmittel gemacht. Der gleiche Effekt wird durch den limitierten Druck von Geld erreicht. Wir könnten jedoch tatsächlich genauso gut Bleistücke drucken, nur wären diese schwerer zu tragen. Es ist ironisch zu bedenken, was passiert wäre, wenn es den Alchemisten wirklich gelungen wäre, Blei in Gold zu verwandeln: es hätte soviel davon gegeben, dass es nicht mehr länger als das allgemeine Äquivalent hätte dienen können. Die Transformation hätte somit ihre Bedeutung verloren.
In einem gewissen Sinne sind Grundmetalle tatsächlich zu Gold verarbeitet worden. Doch hat dies nichts mit der materiellen Identität der Metalle zu tun. In der Transformation, die geschah, war die materielle Identität der Metalle irrelevant. Was essentiell war, war die Gleichheit der Objekte, die als Geldmaterial verwendet wurden (Geldscheine, Münzen, usw.) und ihre limitierte Produktion. Dies erlaubte ihren sozialen Gebrauch als allgemeines Äquivalent. Das Blei, das relevant war, war das Blei des Druckers, das dafür verwendet wurde, Papiergeld zu drucken. Die Wahl des Goldes oder gedruckten Papiers als allgemeines Äquivalent beruht auf vielen sozialen und historischen Faktoren. Die Tatsache, dass wir irgendein Objekt als Prototyp des Tauschwerts wählen können, beruht auf der Maskulisierung und ihrem psychoökonomischen Ausdruck im Tausch.
Die Suche nach dem Heiligen Gral demonstriert ein ähnliches Problem: Es ist eine Suche nach einer Änderung auf der falschen Ebene. Das physische Objekt, der Gral, ist nicht die Quelle allen Überflusses. Genauso wenig ist es der Mutterbauch als das symbolische Äquivalent des Kelchs. Während uns der Mutterbauch an die Mutter denken lässt, und der Gral an ein privilegiertes Objekt, liegt die Lösung des Problems weder darin, über den Mutterbauch nachzudenken oder dieses Objekt zu finden, noch darin, Männern einen physischen Mutterbauch zu schaffen oder sie zu kastrieren (oder ihnen einen „Vagina“ in Form einer Wunde zu schaffen). Die Antwort ist nicht die Suche selbst.
Die Antwort liegt eher im Wechseln der Ebenen vom Physischen und Metaphysischen zum Sozialen und Psychologischen. Wenn der soziale Prozess der Maskulisierung verstanden und abgebaut wird, können wir das mütterliche Modell wieder etablieren und eine fürsorgliche Ökonomie schaffen (ein soziales Füllhorn oder einen sozialen Gral), die im Rahmen eines Überflusses Bedürfnisse befriedigt. Eine fürsorgliche Ökonomie würde keiner Veränderungen in männlichen oder weiblichen Körpern bedürfen – keiner Kastration oder Hinzufügung von Organen. Alles, was eine fürsorgliche Ökonomie bräuchte, wären andere Interpretationen der körperlichen Unterschiede bzw. eine Überwindung ihrer psychologischen, ökonomischen und sozialen Projektionen. Wir wurden dazu gezwungen, nach der Quelle des Guten zu suchen, da wir nicht die richtigen Fragen gestellt hatten. Die richtige Frage war nicht: „Was schmerzt den Ritter?“ (Auch wenn sie in ihrer Verbindung mit der Suche nach dem Schenken die Frage der Kastration aufwarf. Tatsächlich ist diese Frage sehr wie unser Gruß: „Wie geht es dir?“, der möglicherweise eine kommunikative Interaktion initiieren kann.) Die richtige Frage wäre gewesen: „Wie können wir Überfluss für alle schaffen?“ Die Antwort, damals wie heute, wäre symbolisch der Gral gewesen: „Folge dem Leben spendenden und fürsorglichen Beispiel der Mutter!“ Die letzte Frage des Parsifal: „Wem dient der Gral?“ ist der Frage ähnlich: „Für wen ist er?“ Diese Frage bildet die Grundlage für die Trennung zwischen Schenken und Tausch. Ist der Gral für die Anderen oder für das Ego, ist er für den gegenwärtigen oder zukünftigen Fischerkönig oder für Gott? Oder sollen wir den Gral so sehen wie Marx die Sprache gesehen hat? Das würde bedeuten, seine unendliche Kreativität in der auf Andere ausgerichteten Logik menschlicher Sozialisierung zu sehen. In einer Logik, die den Schluss impliziert: „Für andere existierend, also auch für mich selbst!“
Graham Philips vergleicht in seinem Buch zum Heiligen Gral die mittelalterliche französische Geschichte, La Folie Perceval, mit dem Tarot, im Speziellen mit der Karte der Päpstin (der Figur einer Frau in der Position des päpstlichen Einen). Philips macht auch den Versuch einer Identifikation des Grals mit dem geheimen gnostischen Evangelium des Thomas, von dem angeblich eine komplette Kopie 1945 in Ägypten entdeckt wurde. Ein Teil des Textes, den Philips zitiert, scheint sich auf das mütterliche Modell und die Befreiung von der Maskulisierung zu beziehen:
„Jesus sah Kleine, die gesäugt wurden. Er sprach zu seinen Jüngern: Diese Kleinen, die gesäugt werden, gleichen denen, die ins Königreich eingehen. Sie sagten zu ihm: Wenn wir also Kinder werden, werden wir (dann) in das Königreich eingehen? Jesus sprach zu ihnen: Wenn ihr aus zwei eins macht und wenn ihr das Innere wie das Äußere macht und das Äußere wie das Innere und das Obere wie das Untere und wenn ihr aus dem Männlichen und dem Weiblichen eine Sache macht, so dass das Männliche nicht männlich und das Weibliche nicht weiblich ist und wenn ihr Augen macht statt eines Auges und eine Hand statt einer Hand und einen Fuß statt eines Fußes, ein Bild statt eines Bildes, dann werdet ihr in das Königreich eingehen.“
Einige Elemente dieser Passage erinnern an die Restaurierung des fürsorglichen Modells der Mutter, speziell der nicht-maskulisierten Einheit von männlich und weiblich und der Rolle der Mutterbrust. Die Einheit der Gegensätze und die Rückkehr zur Ersetzung von Dingen durch Dinge sind Ausdruck materieller Kommunikation.
Der Gral (oder der „Becher“ – cup – des Überflusses) ist das symbolische Gegenteil der „Mütze“ – cap – des Kapitalismus („the cap of capitalism“).
Dr. Graham Philips, The Search for the Holy Grail. Dr. Graham Philips behauptet auch, das tatsächliche materielle Objekt gefunden zu haben, das der Heilige Gral gewesen sein soll.
Übersetzung von Wieland Willker.
Männliche Fürsorge
Die Transsubstantion beweist die Alchemie vollkommen, indem sie definiert und benennt: „Dies ist mein Körper! Dies ist mein Blut!“ Gott bzw. Christus als Prototyp für die Kategorie der Menschheit transformiert auch das Brot und den Wein in einen Prototypen. Als der fürsorgliche Prototypmann macht er sich selbst zu Speise und Trank. Die Transsubstantion demonstriert die Macht der Definition auf die gleiche Weise wie die Maskulisierung. Der Effekt des Benennens ist kein materieller, wie es in einem Wunder der Fall wäre (zum Beispiel im Wechsel von Wasser zu Wein), sondern ein sozialer. Der Heilige Gral, das Muttersymbol, ist der Ort dafür, einen fürsorglichen Mann zu schaffen, indem der soziale Mechanismus des Benennens neu interpretiert und reformiert wird – im Speziellen das Benennen des Geschlechts. Substanz ist Verstehen.
Die Kirche schenkt dem allgemeinen Prototypcharakter in der Transubstantion wahrscheinlich mehr Aufmerksamkeit als dem materiellen Charakter des Brotes und des Weins. Vom materiellen Brot und Wein müssen wir zu Gott als Prototypcharakter übergehen, nicht zu einem anderen physischen Material. Gott ist dabei „göttliche menschliche Form“, ein Begriff mit sozialer Dimension, der anderen Begriffen mit sozialen Dimensionen entspricht, egal ob Gott wirklich als „menschliche Form“ existiert oder nicht.
Die Transsubstantion unterscheidet sich jedoch auch vom Tausch und der Maskulisierung. Sie ist ein Wechsel zwischen Seinszuständen, der sich vollzieht, indem etwas auf ein neues Wort als seinem Namen bezogen wird. Der „Prototyp der Prototypen“ (Gott, Christus) nennt bzw. verweist auf etwas als es selbst (das Brot und den Wein) und der Priester wiederholt diesen Prozess. Wenn der männliche Gott das allgemeine Äquivalent des Einen ist, dann macht sein „Brot-Werden“ erstens das Brot (als materielles Ding) zum Prototypen und zweitens sich selbst als männlichen Prototypen fürsorglich. Die Hostie ist dabei nur ein Geschmack, eine Probe. Zur selben Zeit da Brot und Wein zu Leib und Blut werden, wechselt das Modell von Männlich zu Weiblich, von Übernahme zu Fürsorge. Dies lässt uns wirklich eine bessere Welt erahnen, auch wenn diese bessere Welt in den Tabernakeln autoritärer patriarchaler Religion verborgen ist.
Die symbolische Form des Grals trifft auf seine Inhalte, verschiebt wirkliches zu symbolischem Opfer und schenkt ein Geschenk, das leicht geschenkt werden kann (Brot und Wein), anstatt eines Geschenks, das nicht geschenkt werden kann (Leib und Blut). Männliche Priester haben damit etwas zu schenken und ihre Wörter werden denen fürsorglicher Frauen ähnlicher. Durch die Worte: „Dies ist mein Leib, dies ist mein Blut“, die im Ritual gesprochen werden, transformieren die Priester die Substanz von Brot und Wein. Auf die gleiche Weise könnten wir die Substanz bzw. das Verstehen (siehe Fußnote 7) der Männer hin zur Fürsorglichkeit ändern, wenn wir nur unsere Geschlechtsnamen ändern würden. Die Kommunion verweist auf den geschlechtslosen Menschen, der im Modell des fürsorglichen Mannes versteckt ist.
Was wir brauchen, ist die Restaurierung des Modells der fürsorglichen Frau. Eines der beiden fürsorglichen Modelle (des Mannes oder der Frau – oder auch beide zusammen) muss uns dabei helfen, das maskulisierte System zu ändern, dem das Opfer dient. Wir müssen ein System schaffen, das es uns erlaubt, nicht nur Symbolisches, sondern Wirkliches zu teilen (auf lokaler wie globaler Ebene) und dadurch unsere Realität zu ändern. Wir werden die Wörter als die Macht des Kollektivs verstehen, die unser Bild der Welt transformieren kann. Und wir werden die Einen als Elemente unserer konzeptuellen Prozesse verstehen, was unseren Geist vom Patriarchat befreien wird.
Menschliche Opfer
Gegenwärtig verschwenden wir Reichtum an Dinge, die unsere Bedürfnisse nicht befriedigen. Wir tun dies, um die Ökonomie anzuregen. Unsere Geschenke kommen daher nicht unseren Mitmenschen zugute, sondern der Ökonomie. Das Verschwenden und Zerstören von Produkten schafft Mangel. Es kommt zu hohen Preisen, weil Güter nicht akkumuliert werden können und damit nicht den Überfluss schaffen, der das gesamte System überflüssig machen würde. Die Hauptagenten der Tauschökonomie, die falsche künstliche Bedürfnisse und Verschwendung produzieren, erhalten dafür Profit. Dies einerseits in Form des Mehrwerts der Arbeit, andererseits in Form all der Geschenke des Schattens, dessen Bedürfnisse nicht befriedigt werden. (Auf einer globalen Ebene schenken manchmal ganze Länder anderen Ländern. Dies wird von einer Kombination unterschiedlicher Lebensstandards bestimmt, sowie von Tauschkursen, die bereits privilegierte Länder noch weiter begünstigen.)
Der Reichtum kann sich dabei nicht nach unten zu den Armen hin verteilen, da dem Kelch (den der Gral womöglich symbolisiert) nie erlaubt wird, sich zu füllen und überzulaufen. Bevor die Geschenke auf diese Weise vielleicht allen zufließen könnten, wird der Kelch durch ein Loch angezapft und die Richtung der Geschenke abgelenkt: hin zu den Einen. Gleichzeitig bleiben die Bedürfnisse von Millionen von Menschen unbefriedigt, inklusive jene der vierzigtausend Kinder, die täglich weltweit an Hunger und vermeidbaren Krankheiten sterben – menschliche Opfer, die den „Wert“ des freien Marktes (und dessen „Bedürfnisse“) bestätigen. Bei den rituellen Menschenopfern, die die pyramidale Gesellschaft der Maya aufrechterhielten, wurden ein paar Ausgewählte stellvertretend für alle getötet. Vielleicht haben wir noch weniger Bewusstsein und Mitgefühl als die Maya.
Wir opfern Millionen von Menschenleben, um den Mangel zu schaffen, der für das Funktionieren unseres Systems notwendig ist. Wir opfern Millionen von Menschenleben, damit die sozialen Pyramiden, Hierarchien, nach oben gerichteten Geschenkketten und nach unten gerichteten Definitions- und Befehlsketten aufrechterhalten werden. Doch das Opfern geschieht dort, wo wir es nicht sehen müssen. Dass unser Reichtum von Geschenken kommt, bleibt verborgen – und dort, wo wir nicht wegsehen können, wird der Zusammenhang mit unserer Form der Ökonomie verleugnet. Rebellionen finden „woanders“ statt und werden mithilfe des wahnwitzigen Waffenarsenals niedergeschlagen, dessen Produktion unsere Energie und unser Geld in den Dienst der Zerstörung und des Profits stellt, während es Bedürfnisbefriedigung und Fürsorge hindert, ja oft genug unmöglich macht.
Wenn wir in den Ländern der „Ersten Welt“ die Bilder der Verhungernden und Versehrten in anderen Ländern (oder auch nur „auf der anderen Seite des Flusses“) sehen, schreiben wir die Ursachen dafür ihnen selbst, Naturkatastrophen oder vielleicht der „grausamen menschlichen Natur“ zu. Doch in einem alternativen System, einem System des Überflusses für alle, gäbe es diese Bilder nicht. Es gibt sie nur als Konsequenz eines künstlich erzeugten Mangels und unserer Ausbeutung der Vielen. Es gibt sie nur, weil die Vielen gezwungen wurden, unserem System Wert zu schenken, anstatt ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Die Behauptung, dass unser eigenes Wohl davon kommt, dass wir es „verdienen“, oder vielleicht davon, dass wir „Glück“ hatten, ist dieselbe Lüge, nur andersherum formuliert. Wir verleugnen, was wirklich geschieht: wir verleugnen den Transfer von Reichtum und Wert von anderen Ländern und Klassen zu uns.
Die Zivilisation der Maya endete. Die menschlichen Opferrituale wurden irgendwann nicht mehr länger ausgeführt. Es gibt viele Spekulationen darüber, warum das so war. Dürre wird als Möglichkeit angeführt, Krankheit, Eroberung. Ich ziehe es vor zu glauben, dass irgendjemand schließlich zu Sinnen kam, die heiligen Worte sprach: „Dies funktioniert nicht; lasst uns jetzt damit aufhören!“, und dass sich daraufhin die gesamte Gruppe, in einem Akt wirklicher Zivilisiertheit, dazu entschloss, auf das Land zurückzukehren, in Frieden miteinander zu leben und den Pyramiden nicht länger zu opfern und zu schenken.
Die Maya opferten ursprünglich einen repräsentativen Einen als Geschenk im Zuge einer vermeintlichen materiellen Kommunikation mit den Göttern, von denen angenommen wurde, dass sie als Gegenleistung Überfluss schenken würden. Auch wurden Blut von der Zunge des Königs (das Wort) und seinem Penis (das Kennzeichen der Position des Einen) beigemischt.
Während also die Maya – wie viele andere Kulturen – Repräsentanten ihrer selbst den Göttern opferten, opfern wir heute das Leben von Millionen anderen dem maskulisierten System, von dem wir glauben, dass es uns versorgt und dass es die natürliche und einzige Quelle unseres Überlebens ist. Der kulturelle Wert, den wir heute dem Profit und dem Besitz schenken, wird auch von den Kindern und den Müttern der Zukunft geschenkt. Sie werden zu diesem Geschenk gezwungen, da ihre Mittel der Fürsorge heute zerstört werden. Der Krebs, der auf nuklearer Strahlung und toxischen Chemikalien beruht, greift sogar das Symbol und die Quelle des Schenkens der Frauen, die Brüste, an. In den USA gibt es bereits eine Epidemie. Es wird erwartet, dass bald eine von acht Frauen an Brustkrebs erkranken wird.
Wenn wir andere Formen von Krebserkrankungen dazurechnen, wird sogar die Hälfte der Bevölkerung an einer dieser Formen erkranken. Auch das Kennzeichen der Maskulisierung selbst wird durch den Prostatakrebs bedroht. Die Anzahl der Spermien hat, speziell unter weißen Männern, in den letzten Jahren drastisch abgenommen. Wahrscheinlich aufgrund der Vergiftung unserer Umwelt.
Da wir die unzureichenden Berichte zum Krebs, die von Apologeten des freien Marktes wie der American Cancer Society oder der American Medical Association präsentiert werden, nicht in Frage stellen, opfern wir unsere Brüste, unsere Reproduktionsfähigkeit und damit unser Leben der Tauschökonomie. Die nukleare Strahlung und die toxischen Chemikalien, die den Krebs verursachen und die von den Industrien des freien Marktes produziert werden, bleiben verleugnet und können somit im Verborgenen damit fortfahren, die Ressourcen unseres Lebens zu zerstören.
Diejenigen, die versuchen, die Krankheiten, die das System schafft, zu heilen, werden selbst vom System erhalten und schenken ihm gewöhnlich ihren Dank und ihr Vertrauen. Damit wird es unwahrscheinlich, dass sie jemals die wirklichen Ursachen dieser Krankheiten begreifen werden. Wie Frauen, die der Maskulisierung Wert schenken, schenken sie genau dem Prozess Wert, der das Problem verursacht, während sie gleichzeitig versuchen, die Opfer des Prozesses zu heilen. Das System ist kein wohltätiger, aber manchmal strenger, Ehemann, den wir schätzen und dem wir folgen müssen, um Schadensbegrenzung zu betreiben. Das System ist ein gefährlicher Mechanismus, den wir erkennen, verstehen und Schritt für Schritt abbauen müssen, um nicht alle zu zerstören, die in ihm leben.
Nur wenn wir dies tun, werden wir unser Bewusstsein ändern und damit beginnen können, nicht dem Tausch Wert zu schenken, sondern den Bedürfnissen aller. Dann werden wir damit aufhören, uns selbst, sowie unsere Kinder und unbekannte Milliarden von Menschen, zu opfern, um Pyramiden aufrechtzuerhalten. Stattdessen werden wir schenken, um mit allen im Überfluss zu kommunizieren. Wir werden einen Heiligen Gral für die gesamte Gesellschaft schaffen, ein Füllhorn der Kommunikation. Wir werden die heiligen Worte der Transsubstantion sprechen: „Lasst uns diese Zerstörung jetzt beenden!“
Diese christliche Idee war keine neue. Zum Beispiel wurde in der Tradition der großen Göttin auch der Sohn-Gott Dionysios in vielen Formen rituell verspeist. „Als Fruchtbarkeitsgott wurde er rituell geopfert, gewöhnlich an einem Baum (Prototyp des späteren Kruzifixes). Sein Fleisch wurde als Brot gegessen, sein Blut als Wein getrunken...“ (Monica Sjoo / Barbara Mor, The Great Cosmic Mother: Rediscovering the Religion of the Earth, S. 121).
Anm. d. Übers.: Im Original: Sub-stance is only under-standing. Sowohl sub als auch under können „unter“ bedeuten, während stance „Stand“ und standing „Stehen“ bedeuten kann.
Es ist markant, dass die Atombombe, die auf Hiroshima abgeworfen wurde, „Kleiner Junge“ (Little Boy) genannt wurde. Gleiches gilt für den Namen „El Niño“ („kleiner Junge“ auf Spanisch) für das von ihm bezeichnete klimatische Phänomen.
Das Leben auf der Erde entspricht der Beziehung, die zwischen Erde und Sonne besteht. Nachdem der Kreislauf von Tod und Geburt eine Grundlage schafft, den die Vergangenheit der Zukunft hinterlässt, ändert sich diese Beziehung im Laufe der Zeit. Die Erde, fruchtbar und vielfältig, ist ein Produkt ihres Verhältnisses zur Sonne. In diesem Verhältnis schenkt die Sonne eine konstante Form von Energie, während die Erde Energie in verschiedenen Formen schenkt. Die Erde hat eine Geschichte und eine Evolution – die Sonne hat das nicht auf dieselbe Weise (oder zumindest sehr viel langsamer). Was gegenwärtig auf der Erde geschieht, beruht auf dem, was in der Vergangenheit geschehen ist. Die verschiedenen Schichten der Erde, auf denen Pflanzen wachsen und Menschen und Tiere wandern, sind Produkte der Vergangenheit. Sie alle tragen die Sonnenenergie in sich, die ihnen geschenkt wurde. Kreislaufsysteme, wie Bäume oder Grashalme, wenden sich der Sonne zu. Indem sie die Energie des Lichts aufsaugen, werden sie selbst zu Sonnenstrahlen der Erde, zu „Erdstrahlen“, die in das Weltall zeigen.
Tiere und Menschen, die sich auf vier oder zwei Beinen bewegen, oder Vögel, die hinauf zu den Wolken fliegen – all das ist Erdenergie, die sich „nach draußen“ bewegt. Von unserer Sicht geleitet, bewegen wir uns von einem Platz zum anderen – genauso wie das Licht sich von der Sonne zur Erde bewegt. So reproduziert das Leben seinen Ursprung. Und so bewegt sich auch der Samen zum Ei, das sich wiederum in den Mutterbauch bewegt, wo es befruchtet werden kann. Auf der Ebene des Bewusstseins gibt es hier auch einen intentionalen Antrieb. Dieser steuert auf sein Ziel zu, wie ein Sonnenstrahl auf die Erde. Er versucht, sich mit ein paar anderen Elementen zu verbinden, um einen Sonnenstrahl zu schaffen, der als Erdstrahl (Erdenergie) Früchte zu trägt.
Unsere Stimmen und die Stimmen von Tieren, Fischen und Vögeln kommen aus Hälsen und treffen auf empfängliche Ohren, wo sie aufgenommen und verstanden werden, eine Empfindung hervorrufen oder zu einer Handlung anregen. Das Sonnenlicht unserer Aufmerksamkeit erhellt unsere vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Erfahrungen, aber auch die Erfahrungen anderer, die uns durch unsere Sinne, deren Geschichten oder durch Lesen und Beobachten zugetragen werden. Unsere bewusste Aufmerksamkeit hat auch Auswirkungen auf uns selbst und hilft uns, zu planen und zu entscheiden, sowie unsere Absichten klar zu machen und sie zu verwirklichen. Sozial wurde jedoch eine Art Spiegelspiel geschaffen, in dem sich unsere Energie in unserer eigenen Reflexion verfängt und wir uns nur noch auf uns selbst konzentrieren.
Dieser Prozess beansprucht auch die akkumulierte Energie anderer, der Gemeinschaft, um immer noch mehr Energie auf uns selbst zu lenken. Es ist, als würde der Sonnenstrahl von der Erde aufgenommen und multipliziert zurückgeschickt – so als wären auch die Sonnenstrahlen ein geschlossenes System. Irgendwann wird das Leben, werden Pflanzen und Tieren nur noch für Energie gehalten. Natürlich schadet diese Selbstfokussierung anderen, da wir ihnen ihre Energie rauben, um diese auf uns selbst zu beziehen. Das Spiegelspiel schafft einen unstillbaren Hunger nach Energie, um das Ego zu stärken und immer mehr Aufmerksamkeit von anderen abzuziehen und auf uns zu lenken. Die Sonne tut das nicht.
In all unserer Vielfältigkeit haben wir als Menschen versucht zu verstehen, was wir sind, wo wir leben, was wir tun und was wir tun sollen. Erst vor kurzem hat uns die Astronomie eine Ahnung von unserem Universum vermittelt, von unserem Planeten und den Sternen. Daher ist es vielleicht nicht überraschend, wenn wir mit unserem Selbstbild und unseren Zielen falsch liegen.
Freud maß der Tatsache, dass Kinder oft sehr wirre Vorstellungen davon haben, was beim Sex passiert, viel Gewicht bei. Er meinte, dass diese Vorstellungen ihr späteres Denken und Fühlen beeinflussen. Es schiene nur logisch, wenn auf einer kollektiven Ebene falsche kosmologische Vorstellungen genauso negative Auswirkungen auf unser kollektives Denken und Fühlen haben. Die Vorstellung, dass die Sonne das Zentrum des Universums ist, mag unser soziales Verhalten stärker beeinflussen, als wir uns dessen bewusst sind. Und die Idee, dass unsere Erde nur einer von Milliarden an Staubflecken ist, die um eine Lichtquelle kreisen, verwirrt nur weiter und kann kaum zur Heilung beitragen. Vielleicht könnte es stattdessen helfen, uns dem Mond zuzuwenden. Die Erde ist ein besonderer Ort, ein Ort leuchtenden Lebens. Wir Menschen sind ein Teil davon.
Nicht Kopernikus, sondern Ptolemäus hatte recht: die Erde ist das Zentrum des Universums; unseres Universums, da wir Menschen sind. Jetzt, da wir die Erde zu verstehen beginnen, können wir vielleicht besser sehen, was wir sind und was wir tun müssen.
Zuerst müssen wir unseren Planeten respektieren bzw. das Leben. Das Besondere sind nicht die Sonnenstrahlen, sondern die Fähigkeit der Erde, sie kreativ zu empfangen und ihnen zu erlauben, Leben zu schaffen. Wir selbst sind das Resultat der Aufnahme der Sonnenstrahlen durch die Erde – wir selbst sind Licht. Wir müssen wie Goldlöckchen sein und zu unserer eigenen Kosmologie finden, zu einer Sicht der Erde, die uns angemessen ist. Wir müssen unseren Platz auf der Erde und innerhalb des Sonnensystems verstehen, damit wir unsere Beziehungen zueinander klären können. Viele von uns haben heute Probleme, sich als Individuen auf eine Menschheit bezogen zu sehen, die aus fünfeinhalb Milliarden besteht. Es ist bemerkenswert, wie ähnlich dieses Problem demjenigen ist, unsere Erde und Sonne zu den Milliarden anderen Planeten und Sonnen in Beziehung zu setzen.
Wir können von einer neuen Theorie durch Projektion sprechen. Wir projizieren eine dringende menschliche Frage auf einen anderen Bereich der Welt. Dies soll nicht heißen, dass das Wissen, das auf diese Weise gefunden werden kann, keines ist. Darum geht es nicht. Es geht darum, dass die Motivation zu diesem Wissen zu gelangen eine soziale und kollektive ist. Sie ist nicht nur rein wissenschaftlich oder von Profitgier bestimmt. Entspricht nicht die Gier nach Wissen der Gier nach Waren und Geld, die unsere Tauschgesellschaft charakterisiert?
Dass die Theorie des evolutionären Überlebens des Stärkeren zur selben Zeit entwickelt wurde wie die kapitalistische Ökonomie des Überlebens des Stärkeren ist ein weiterer Beleg für unsere Projektionen. Wenn wir ihren Mechanismus verstehen würden, würde uns vielleicht klar werden, warum es zu diesen Projektionen kommt. Wir würden dann vielleicht verstehen, was die persönlichen und sozialen Probleme sind, die wir zu heilen versuchen. Wir würden vielleicht erkennen, welchen Einfluss diese Projektionen auf unser Weltbild haben, auf welche Teile der Welt wir aufgrund von ihnen unsere Aufmerksamkeit richten und welche wir ignorieren. Am wichtigsten ist jedoch, dass wir, wenn wir ein solches Verständnis entwickeln, unsere Probleme vielleicht wirklich heilen und zu einem klareren Bild des Universums gelangen können. Wenn wir um unsere Projektionen wissen, werden wir uns der Verzerrungen bewusst, die sie in Bezug auf unsere Wahrnehmung der Welt schaffen. Dies wird uns erlauben, diese Wahrnehmung zu ändern und zu einer besseren Welt zu finden, die von den Problemen, die die Projektionen verursachen, befreit sein wird.
In unserer atomistischen und individualistischen Gesellschaft werden zwischenmenschliche Beziehungen allgemein abgewertet und das Wohlergehen des Individuums als wichtigster Aspekt des sozialen Prozesses bzw. als Sinn unserer Existenz gesehen. Begriffe wie co-dependency oder dysfunctional family sind in den USA weit verbreitet und verschaffen denen, die sie propagieren, Geld wie soziales Ansehen.
Unser Leiden in menschlichen Beziehungen zeigt, wie wichtig diese für uns sind. Liebeslieder füllen Radiowellen, Liebesgeschichten Zeitungsständer, Bücherregale und Kinos. Liebesbeziehungen sind für uns Menschen zentral. Sie sind ein wesentlicher Teil des Prozesses, der uns menschlich werden lässt. Doch heute haben wir jeden Sinn dafür verloren, wie diese Beziehungen gestaltet sein sollen. Es fehlen die Beispiele. Deshalb meine ich, dass wir uns der Beziehung zwischen Erde und Sonne zuwenden müssen. Diese ist das beste Beispiel, das wir haben. Wir können diese Beziehung auf uns selbst projizieren und daraus lernen.
Unser Blick muss dabei ein intentionaler sein. Die Gaia-Hypothese fasst die Erde als Lebewesen auf. Wir müssen uns als sie selbst sehen und mit ihr zu Bewusstsein gelangen: zu Bewusstsein ihrer Beziehung zur Sonne und ihrer Rolle in dieser Beziehung, der kreativen Rolle, die sie in dem Wunder des Lebens spielt. Ihre Notwendigkeit, sich über diese Beziehung klar zu werden, entspricht unserer Notwendigkeit, uns über unsere Beziehungen klar zu werden. Als Liebende und Geliebte spielen wir die Rollen von Erde und Sonne. Wir internalisieren diese Rollen in unserem Bewusstsein und unseren Formen gegenseitiger Aufmerksamkeit. Empfangen wir Aufmerksamkeit und Fürsorge so wie die Erde Licht empfängt (um sie kreativ zu nutzen), oder reflektieren wir sie zurück (so wie der Mond)? Sind wir gefangen in einem nutzlosen Spiegelspiel, das sich darum dreht, wer heller, größer, heißer ist?
Wer ist die Quelle des Lebens: die Sonne oder die Erde? Wir Menschen leben die entsprechenden sozialen Bilder aus: Männer sind aktive Sonnen, Frauen passive Erden. Wir hören dies unentwegt. Doch tatsächlich hat unser Leben wenig mit der Sonne zu tun. Wir kommen alle von der Erde. Auch die Männer. Das Spiel des Lebens wird von der Erde inszeniert.
Nur dank der Erde erhält die Sonne die Kraft, Leben zu schaffen. Sie kann dies nur, weil die Erde ihr Licht kreativ empfängt. Wir kennen keine anderen Planeten, die das auf die gleiche Weise tun würden. In Bezug auf das Schaffen von Leben entsprechen die Rollen von Mann und Frau den Rollen der Sonne und der Erde: auch wenn es Milliarden von Spermien gibt, wird es zu keinem neuen Leben kommen, wenn sie nicht auf Eier treffen, die sie fruchtbar machen können. Wir können den Vergleich weiter spinnen: Samen fallen von Bäumen und können vom Wind getragen werden – doch wenn es nicht irgendwann einen Boden gibt, der sie aufnimmt, werden sie nie neues Leben erzeugen. Alles – Spermien und Eier, Samen und Boden – ist Produkt der Erde.
Heterosexuelle Beziehungen sind gewöhnlich dadurch charakterisiert, dass sie einer Person besonderen Wert zuschreiben – gewöhnlich dem Mann – und der anderen keinen – gewöhnlich der Frau. In solchen Beziehungen verwendet die Frau ihre Kreativität dazu, die Wichtigkeit ihres Mannes weiter zu bestätigen. Sie hilft, ihn zur Sonne zu machen. Schließlich wird er nicht nur als Quelle des Einkommens, sondern auch des Lebens, sogar der Kreativität selbst gesehen. Und tatsächlich wird er in der Aufnahme der Aufmerksamkeit, die ihm zukommt, kreativer. Er nimmt für Momente die Rolle der kreativ empfangenden Erde ein und scheint damit zu bestätigen, dass er die Aufmerksamkeit, die ihm zukommt, auch wirklich verdient. Dies untermauert seine privilegierte Rolle in der Beziehung, an dessen Etablierung und Behauptung die gesamte Gesellschaft beteiligt ist – genauso wie an der Abwertung der Rolle der anderen Person. Wir Frauen definieren dabei die Definierenden as Definierende. Wir verleugnen unsere eigene Aktivität, und die Männer sind nur zu glücklich, diese selbst in Anspruch zu nehmen.
Was wir stattdessen tun müssen, ist die Kraft zu erkennen, die darin liegt, die Rolle der Erde zu spielen: die Kreativität, die Fähigkeit, Leben zu schenken, die Möglichkeit, Wert zu verleihen. Hindert uns Einsamkeit daran? Die Erde liegt weit entfernt von anderen Planeten und der Sonne. Was ist die Sonne überhaupt? Ist sie am Leben? Gehört sie einer anderen Ordnung an? Will die Erde ihre eigenen Kräfte nicht anerkennen? Können wir Menschen sie jemals genug lieben? Kann sie sich selbst jemals genug lieben, um das Nicht-Leben der Sonne auszugleichen? Aber vielleicht ist die Sonne doch am Leben, genauso wie die Erde selbst? Vielleicht gehört sie doch der gleichen Ordnung an? Vielleicht ist auch sie alleine?
James Lovelock, The Age of Gaia: A Biography of Living on Earth.
Unsere Aufmerksamkeit richtet sich auf die Sonne, doch wenn sie sich auf einen Planeten richtet, dann denken wir an die Erde. Dasselbe gilt für das Weltall. Es hilft unserer Mutter Erde sicherlich in ihrer Einsamkeit, dass es andere Wesen auf ihr gibt, die empfänglich sind. Das Wissen, das wir uns diesbezüglich angeeignet haben, stellt sie in einen Kontext, gibt ihr ein Zuhause. Die Verwirrung, die die Entdeckung von Millionen von Galaxien ausgelöst hat, zerstreut sich, sobald wir realisieren, dass es auch dort andere Lebewesen geben muss.
Vielleicht kann unsere Mutter Erde eines Tages zu ihren Schwestern nachhause telefonieren wie ET. Inzwischen müssen wir Hoffnung bewahren und lernen, miteinander zu leben. Auf keinen Fall dürfen wir die betörende Schönheit und Harmonie der Erde zerstören, bevor sie auf anderes Leben trifft. Kommt unsere Zerstörungswut daher, dass wir versuchen, die Rolle zu spielen, die wir für jene der Sonne halten? Werten wir deshalb unentwegt die Erde ab? Haben wir darum einen patriarchalen männlichen Sonnengott geschaffen? Wollen wir mit seiner Hilfe unsere Probleme und die der Erde im ganzen Universum reproduzieren?
Ich denke, dass wir mit der Tatsache, dass wir immer noch nicht allzu viel über das Universum wissen, leben können. Vor allem, da wir unmittelbaren Zugang zu unserem Wahrnehmungsapparat und unserem sozialen Kontext haben. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit von der Sonne abziehen und auf unsere psychosozialen Mechanismen richten, können wir wenigstens verstehen, warum wir die Dinge so sehen, wie wir sie sehen. Wir können die verborgenen Mechanismen verstehen, die unsere Wahrnehmungen filtern und prägen. Diese Mechanismen beruhen auf bestimmten Intentionen, die wiederum von den Wahrnehmungen, die sie zulassen, bestätigt werden. Unsere Wahrnehmung und die ihnen zugrunde liegenden Mechanismen hängen also zusammen und die Erstere kann ohne die Letzteren nicht geändert werden. Sobald es jedoch zu dieser Änderung kommt, können wir die verschiedenen Wirklichkeitsformen, denen wir angehören, miteinander in Einklang bringen.
Den Polarisierungen zwischen aktiv und passiv entsprechend, die unser soziales Leben bestimmen, setzen wir unser Bewusstsein mit der Sonne und unser Unbewusstsein mit der Erde gleich. Unsere Erdseite gilt demnach als passiv. Tatsächlich ist sie jedoch aktiv, was sich etwa in ihrem kreativen Empfangen der Sonnenstrahlen ausdrückt. Sie schenkt unserem Bewusstsein nicht nur Inhalt, sondern auch Kontext und Wert. Sie schenkt unserem Bewusstsein das Potential, zu wissen.
Das Bewusstsein ist wie das Licht der Sonne, das von der Atmosphäre gebrochen wird. Es wird von so viel mehr beeinflusst, als wir wahrnehmen können. Menschen sind soziale Produkte, geformt von den Vielen und der Vergangenheit. Unser Sonnenlicht-Bewusstsein erleuchtet nicht nur viele Prozesse, die hier eine Rolle spielen – es wird auch selbst von diesen Prozessen geformt. Vielleicht produziert sogar das Unbewusste das Bewusstsein, ohne dies selbst anzuerkennen. (Wie die Erde oder wir Frauen oft unser Schenken nicht anerkennen.) So scheint das Bewusstsein nicht von der Erde, sondern vom Himmel zu kommen.
In diesem Jahrhundert hat sich unser Wissen (und damit auch jenes der Erde) des Sonnensystems, der Galaxie und des Kosmos extrem vergrößert, während wir nach wie vor wenig um die Natur der Erde und ihre Beziehung zur Sonne wissen. Auf ähnliche Weise verstehen wir in unseren menschlichen Beziehungen die Mutter-Kind-Beziehung nicht, wissen also nicht, wie eine fürsorgliche Beziehung zwischen zwei Menschen (von „Einer“ zu „Einer“) funktioniert, nehmen aber Beziehungen zu den Vielen ein. Wir verstehen nicht, was im eigenen Heim vor sich geht, machen uns aber auf, die Welt zu verstehen. Die Beziehung zwischen der Erde und der Sonne hat endloses, wunderbares Leben produziert. Sie ist eine Beziehung, die floriert. Das Sonnensystem ist keine dysfunctional family. Indem wir die Sonne mit dem Vater identifizieren, haben wir jedoch das soziale, selbstähnliche maskulisierte Bild des Prototypen reproduziert, das die Aktivität und Kreativität der „passiven weiblichen Empfängerin“ und der Vielen abwertet, während es der Initiative des „aktiven männlichen Schenkers“ Wert verleiht.
Das Geschenk braucht das Bedürfnis, da es ohne Bedürfnis kein Geschenk sein kann. Deshalb hat die Erde endlose Bedürfnisse geschaffen, die die Sonne mit ihrem Licht befriedigen kann. Mit einem Licht, das ansonsten nicht genutzt würde und damit unproduktiv wäre. Das Zusammenspiel der Bedürfnisse reproduziert das Zusammenspiel von Schenken und Empfangen zwischen Sonne und Erde. Dabei ist die Sonne allerdings nur einseitig aktiv: sie schenkt nur, während die Erde sowohl empfängt als auch wieder zurückschenkt. Oft wird dabei angenommen, dass dies nicht geht, da die Sonne zu weit weg ist und nicht empfangen kann. Doch wird hier vergessen, dass viele Beziehungen des Lebens der Beziehung zwischen Erde und Sonne entsprechen. Das Zusammenspiel zwischen Schenken und Empfangen findet überall statt. Selbst das Baby, das den liebenden Blick der Mutter empfängt und vielleicht in diesem Moment nicht zurückschenken kann, wird im Zuge seines Älterwerdens Rollen mit seiner Mutter wechseln und selbst schenken.
Die Erde trifft während ihrer Reise im Weltraum auf das Licht der Sonne wie die Amöbe auf ihrer Reise durch das Wasser auf Nahrungspartikel trifft, die sie empfangen und kreativ verwenden kann. Der Grashalm nutzt das Sonnenlicht für die Prozesse, die ihn am Leben erhalten, und wird zu einem guten Beispiel für einen Erdstrahl, der durch die Aufnahme des Sonnenstrahls erzeugt wurde. Dann findet die Raupe den Grashalm und nutzt ihn für die Prozesse, die sie zum Leben benötigt. Danach findet der Vogel die Raupe, usw.
Das Problem ist, dass wir (und vielleicht die Erde selbst – hat sie ein Selbstbewusstseinsproblem?) dem Mann die größte Wichtigkeit zuschreiben, ihn als Eines definieren und ihn mit der Sonne (dem Sohn) identifizieren. All dies geschieht, weil wir das Empfangen nicht als kreativ verstehen und Bedürfnisse als Mängel anstatt als Bedingung, die Geschenke erst zu Geschenken macht.
Es lassen sich die meisten Beziehungen des Lebens als Metaphern für die Beziehung zwischen Sonne und Erde sehen – es gibt eine enorme Vielfalt an Wiederholungen der asymmetrischen Beziehung unilateralen Schenkens (Sonne) und des kreativen Empfangens und Wiederschenkens (Erde). (Die Erde schafft in ihren Prozessen des Empfangens und Wiederschenkens auch eine Reihe von Nebenprodukten, die zu Geschenken anderer Seinsordnungen werden können). Letztlich können wir alles Leben als Versuch der Erde sehen, der Sonne Feedback zu schenken, um sich zu ihr in Beziehung zu setzen. Um zu schenken, wie es die Sonne tut, muss die Erde die Bedürfnisse schaffen, die die Geschenke empfangen können, das heißt, sie muss etwas auf ihrer eigenen Ebene schaffen. Dann nimmt sie die Position der Sonne ein, da sie unmittelbar zur Bedürfnisbefriedigung beiträgt. Durch das Leben sagt sie zur Sonne: „Dies ist, was zwischen mir und dir passiert; dies ist, was passiert.“
All dies findet statt auf der Oberfläche des Planeten, wo die Sonne scheint – auf der Oberfläche, die für die Sonne P/präsent ist. Dass das Leben in seiner Vielfalt als ständige Wiederholung der Beziehung zwischen Sonne und Erde gesehen werden kann, bedeutet natürlich, dass sich diese Beziehung als Feld aufregender philosophischer Untersuchungen anbietet. Menschlich gesehen, ist diese Beziehung dabei die Liebe. Für die Erde geht es vielleicht um Versuche mit anderen Lebewesen zu kommunizieren; darum, ihre Dankbarkeit auszudrücken für die Wärme, die sie in der tiefen Nacht des Weltalls streichelt.
Wir Menschen müssen dieser Beziehung folgen. Wir dürfen sie nicht länger falsch interpretieren. Wir haben dies lange genug getan. Aspekte unserer Sprache und unserer sozialen Organisationsformen haben die Muster der Maskulisierung geschaffen, die uns diese Beziehung nicht wirklich begreifen lässt. Bevor wir die Erde nicht vom Weltall aus sehen konnten, wussten wir gewissermaßen nicht einmal, dass es sie gab – geschweige denn, dass sie aktiv war. Wir waren ihr zu nahe, wir konnten nur nach draußen sehen. Wir dachten, sie war passiv, nur Empfängerin des Sonnenlichts – genauso wie wir dachten, dass Frauen passiv waren. Wir erkannten ihr Schenken genauso wenig wie wir unser eigenes Schenken erkannten und sahen nur die Sonne, den privilegierten Licht-Prototyp, als Schenker. Patriarchale Muster schaffen ihre selbstähnlichen phallischen Bilder, die sich gegenseitig bestätigen, überall.
Zunächst konkurrierten der Mond und die Sonne miteinander um die Herrschaft des Himmels. Beide schienen während der ihnen zugeschriebenen Stunden die Einen des Himmels zu sein. Doch der Mond änderte unentwegt seine Form und wurde zu vielen Monden, die sich nunmehr auf die Sonne als dem verbleibenden Einen bezogen. Bald erschien der Mond in seiner Passivität im Verhältnis zur Sonne als weiblich. Er schien die Identität der Frau zu verkörpern. Dies ließ uns vergessen, dass eigentlich die große, dunkle, kreative Erde das angemessene Bild für die Frau, die Mutter, ist. Was dem Mond zugeschrieben wurde, war in Wirklichkeit jener Teil unseres Egos, der sich zu schenken weigert: jenes falsche, statische, nicht-schenkende Meta-Bild des Lebens.
Wir sahen die Erde und die Sonne, Frauen und Männer, Kinder und Mütter, Dinge und Worte, BürgerInnen und Präsidenten, Waren und Geld nicht in wechselseitig aktiven Beziehungen, sondern gefangen in statischen bildlichen Reproduktionen der angeblich alleinig aktiven Seite. Während wir diese Seite als real ansahen, diente die andere nur dazu, diese Realität zurückzuprojizieren und damit zu bestätigen.
Wenn wir den Mond anders betrachten, können wir sehen, dass er eine Art kosmische Meta-Ebene der Erde darstellt. Er sagt: „Auch wenn ich die Sonne nicht wie die Erde kreativ empfangen kann, scheinen tut sie auch hier. Und auch Licht und Dunkelheit gibt es hier.“ Der Mond spielt eine Rolle darin, wie sich das Leben und das Bewusstsein auf der Erde entwickelt hat. Seine Strahlen regen unsere Vorstellungskraft an. Er scheint eine Art selbstbezogener Aspekt der Erde zu sein. Sein Licht bewegt unsere Gezeiten.
Über Jahrhunderte hinweg nahm der Mond für uns den Platz des „Anderen der Sonne“ ein, während dies doch eigentlich der Platz der Erde ist, als das Leben schenkende Pendant zur Sonne. Es schien, dass das Reflektieren des Sonnenlichts (Mond) die Ergänzung des aktiven Schenkens der Sonne war, während es tatsächlich der kreative Gebrauch des Sonnenlichts zum Schaffen von Leben (Erde) ist. Der Tausch, der selbst auf Widerspiegelung basiert, ehrt freilich weiterhin allein die Sonne – ja er hat ihre Rolle sozial auf die Spitze getrieben.
Was geschenkt wird, wird im Tausch in Form eines Äquivalents zurückgeschenkt. Das Reflektieren (anstelle des kreativen Empfangens, des Aufnehmens) des Sonnenlichts bestätigt also den Tausch als einen Weg des Lebens. Maskulisiertes Egomuster, Übernehmen und Wettbewerb scheinen dem Verhältnis von aktiver Sonne und passivem Mond zu entsprechen. Auch die Erde wird als passiv gesehen. Doch was sie zurückzuschenken scheint, ist nicht nur ein (reflektiertes) Bild der Sonne – es sind viele lebendige Bilder: Bilder ihrer selbst, Bilder der Sonne, Bilder ihrer wechselseitigen Beziehung zur Sonne. Sogar Bilder des Mondes werden zurückgeschenkt, Reflexionen der Vorstellungskraft (die gewissermaßen eine Reflexion des Produzierens von Bildern selbst ist).
Dass wir zwei unterschiedliche Körper am Himmel sehen, machte uns seit je her glauben, dass der Zweierbeziehung besondere Bedeutung zukommt – selbst als wir noch dachten, dass die Erde flach war. Dies drückte sich vor allem in unserer Sicht der Geschlechterbeziehung aus, die wir bald als weltliche Entsprechungen der Erde-Sonne-Beziehung sahen. Dann setzten wir die Mond-Sonne-Beziehung mit der Erde-Sonne-Beziehung gleich und identifizierten den Mond mit der Frau: ohne Licht, Schatten, Verliererin im Kampf darum, am hellsten zu scheinen. Als wir begannen, um die relative Größe der Erde, des Mondes und der Sonne zu wissen, begannen wir, uns die Erde und den Mond als Kinder zu denken und die Sonne als Vater. So begann das Bild der „Frau als Kind“ die Kreativität der Frau zu überlagern.
Diese Bilder werden nicht nur von Individuen in Beziehungen ausgespielt, sondern verschiedene Beziehungen werden geschaffen, um sie weiter zu bestätigen. Dies mag kompliziert wirken, doch es ist eigentlich ganz einfach: Wir müssen nur die Sonne als einseitige Schenkende sehen, den Mond als Reflektor und die Erde sowohl als Schenkende als auch als Empfangende. (Eine vollständige Meta-Ebene würde nicht von der einfachen Reflexion des Anderen gebildet, sondern von der Reflexion der Schenkbeziehung mit dem Anderen – inklusive dem Selbst – und der Reflexion der Beziehung der Reflexion.)
Wenn wir die Erde sind, die endlich zu ihrem eigenen Bewusstsein gelangt, hat das wesentlich damit zu tun, dass wir viele